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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Höflicher junger Mann als Autor von Serienmördern · Eine
Begegnung mit Bret Easton Ellis

Ellis, Bret Easton: Es gibt eine Wahrheit in der Gewalt

Von Basil Nikitakis

Los Angeles, Weihnachten irgendwann in den 80ern. Der Sündenfall: „Als wir in Rips Appartement auf dem Wilshire Boulevard ankommen, führt Rip uns ins Schlafzimmer.
Da ist ein nacktes Mädchen, sehr jung und sehr hübsch, und sie liegt auf der Matratze. Ihre Beine sind auseinander gespreizt und an die Bettpfosten gefesselt und ihre Arme über dem Kopf
zusammengebunden. Ihre Möse ist total mit Ausschlag bedeckt und sieht ganz trocken aus und ist offenbar rasiert worden. ( . . .) Ich gehe aus dem Zimmer. Rip kommt mir nach. ,Warum?` Das ist alles,
was ich frage."

Mit einer angedeuteten Vergewaltigung fängt seine Schriftstellerkarriere an. „Less than Zero" („Unter Null") hieß der erste Roman von Bret Easton Ellis; er war 19, als er ihn schrieb, angeblich in
einem achtwöchigen Speed-Rausch, und vieles, was er danach verfasst hat, trägt die Züge seines Erstlings: das Milieu der Neureichen, die Leere seiner Figuren, die glatte Schönheit des Ambientes, so
schillernd kalt wie die Oberfläche von David Hockneys Pool-Bildern, nur gebrochen.

Bret Easton Ellis wurde am 7. März 1964 in Los Angeles geboren, der Stadt der Illusionen, der Fantasiewelten des Films. Mit 19 fing er an, ihre falschen Glücksversprechen zu dekonstruieren, die
inwendigen Lügen des american way of life nach außen zu kehren. Seine Figuren sind unfähig zur Kommunikation, eine wüste Leere herrscht zwischen seinen Helden, die keine sind. Was bleibt, ist
Gewalt. In seinem vorletzten Roman „American Psycho" kulminierte sie dann im Exzess. Seitenweise detailliert beschriebene Folterungen, Vergewaltigungen, über die der Icherzähler Patrick

Bateman emotionsloser spricht als über die neue Platte von Phil Collins. Von Andeutung keine Spur, „American Psycho" ist eine einzige Orgie des schlechten Geschmacks, der für den Schriftsteller auch
nur ein Synonym für Zeitgeist ist.

Aufregung und Ablenkung

Bret Easton Ellis sitzt in der gutbürgerlichen Villa seines Kölner Verlages. Vielleicht trägt er einen Gucci-Anzug oder einen von Prada, sein Händedruck ist nicht hart, auf einen forciert virilen
Eindruck legt er keinen Wert. Was auffällt, ist seine Höflichkeit. Der Protagonist und Serienmörder Bateman drang in dem berüchtigten Roman mit Bohrmaschinen und anderem Gerät in die Leiber von
Frauen ein, sein Schöpfer aber sitzt ruhig da und fragt, ob er nah genug am Mikrofon sitzt. Auf die Frage, warum er so lange für seinen neuen, zuletzt erschienen Roman „Glamorama" brauchte (siehe
Besprechung unten), spricht Bret

Easton Ellis von der Ablenkung, die der Aufruhr um seinen letzten Roman verursachte. Er spricht vom Tod seines Vaters und davon, dass seine langjährige Beziehung auseinander gebrochen sei. Er erwähnt
Drogenprobleme. Jetzt ist sein Roman da, und Mr. Ellis auf Welttournee. Jeder Tag hat seine Interviews, alle möglichen Fragen hat er bereits gehört, nichts kann ihn erstaunen.

„Glamorama" ist wie all seine Romane in der Ichform geschrieben, und als Identifikationsfigur bietet sich auch sein Model Victor Ward nicht wirklich an. Was veranlasst einen offensichtlich
intelligenten Menschen wie Ellis, einen Roman aus der Perspektive eines Idioten zu schreiben? Ellis legt los: „Aus all den gesellschaftlichen Dingen oder Elementen, die mich aufregen oder krank
machen, gestalte ich einen Charakter. Patrick Bateman in ,American Psycho` oder Victor Ward in ,Glamorama` sind für mich die Inkarnation all dessen, was mich an der Gegenwart stört. Daraus entwickeln
sich dann die anderen Charaktere, die Story, die Form des Romans. Und ich glaube, das passiert, weil ich im Grunde ein Satiriker bin, und so wie ich auf die Welt reagiere oder mich selbst ausdrücke
immer auch satirisch ist."

Die Frage, warum sich die Leser über Hunderte von Seiten für den · zugegeben genial überspitzten · Small Talk seiner Models und Stars interessieren sollten, lässt er nicht gelten: „Ich bin nicht
sicher, ob ein Leser daran Interesse haben muss, ich meine, das hängt vom Leser ab. Ich glaube aber, dass meine Arbeiten ziemlich extrem sind und kann absolut verstehen, warum die Meinung der Leute
darüber extrem auseinander geht." Er hält kurz inne, nimmt einen Zug von seiner Zigarette und setzt gelassen nach: „Aber glauben Sie mir, ich schreibe kein Buch, um von allen geliebt zu werden,
oder Auszeichnungen zu bekommen oder damit Leute meinen Arsch küssen und stammeln: ,Oh, du bist so Klasse!` Ich schreibe Bücher, weil ich Bücher schreiben will. Es ist ein Hobby, etwas, das ich
einfach gerne tue."

Ein Hobby, das ihn nach dem Erscheinen von „American Psycho" fast um den Verstand gebracht hätte. Sein Kopf mit den weichen, ein wenig aufgedunsenen Gesichtszügen zierte die Frontseiten von
Zeitungen, Ellis wurde zum Inbegriff des bad guy in der Literatur, er wurde von Kamerateams verfolgt und zum Gegenstand einer aufgeheizten Literaturdebatte. Er wurde zum Objekt, zum Zerrbild
seiner selbst. Da gab es Bret Easton Ellis, den Autor monströser Ungeheuerlichkeiten, und da gab es ihn selbst, einen höflichen jungen Mann, der nichts als Literatur schreiben wollte. Das Leben
wurde zum Film, die Medienpersönlichkeit eine „Autorenkillers" schien stärker als die eigentliche · eine Erfahrung, die er in seinem Roman „Glamorama" verarbeitete: „Ich glaube, dass die
Unterhaltungsindustrie, ihre Erzählformen und Motive, massiv in unser Leben eingetreten ist, und zwar auf eine Art und Weise, die es sehr schwer macht, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden.
Ich bin immer wieder schockiert, wie bestimmte filmische oder dramatische Erzählformen dazu benutzt werden, reale Situationen zu beschreiben, egal ob es sich um einen Krieg oder eine
Gerichtsverhandlung oder ein individuelles Schicksal dreht. Das sah man während des Golfkriegs, das passierte während des Bosnien-Konflikts oder im O.-J.-Simpson-Prozess. Man sieht es überall."

Ellis kritisiert die Idiotie einer Gesellschaft, die süchtig ist nach Ruhm, in der Nachrichten über die neue Frisur von Demi Moore gleichberechtigt neben solchen aus dem Kosovo stehen. Die Welt
der Mode dient ihm in „Glamorama" nur als Chiffre: „Das Zerstörende an unserer Gesellschaft ist die Tatsache, dass wir Tiefe in der Oberfläche zu finden meinen, Wahrheit in einem Bild." Sein
Roman bewegt sich unentwegt auf dieser Oberfläche: Partys, das Gerede von Stars und Models, zugespitzt bis zu dem Punkt, wo Leere in Besinnungslosigkeit umschlägt, und schließlich in Gewalt. Im
Grunde ist die Gewalt nur die nach außen gekehrte Innenseite einer für Ellis sinnentleerten, nach Schönheit und Reichtum gierenden Gesellschaft. Ellis sieht sich als ihr Spiegel, er glaubt nur
zuzuspitzen, was seine Umgebung an destruktiven Tendenzen ohnehin birgt.

Mode als Chiffre

Es fällt schwer, hinter dem blassen, leicht abwesend wirkenden Gesichtsausdruck des mittlerweile in New York lebenden Schriftstellers den Hass oder die Energie zu vermuten, die er zum
Schreiben seiner Bücher zweifellos braucht. Ob er mit den Dämonen der Gesellschaft zugleich auch seine ganz privaten Dämonen austreibt, ist bloß eine Vermutung. Sicher ist nur: Bret Easton Ellis ist
ein Exorzist mit moralischer Mission, darin schon wieder sehr amerikanisch. Er kennt keine Tabus, aber ein Fan von Gewalt will er deswegen noch lange nicht sein: „In den letzten beiden Büchern gab
es deswegen Gewalt, weil es Bücher über Serienmörder und Terroristen sind. So einfach ist das. Ich mag es nicht besonders, über Gewalt zu schreiben. Ich meine, ich selbst sehe mich nicht als ,König
des Horror`. Ich schrieb ziemlich plastisch über die Taten eines Serienmörders · und die Leute waren schockiert. Nun habe ich diesen Ruf einmal, den ich kaum mehr ins Wanken bringen kann." Das
sagt er so abgeklärt, dass ein Bedauern darüber nicht auszumachen ist.

Immerhin gibt der Mann mit den auffallend weichen Körperbewegungen zu, dass für ihn die direkte und körperliche Gewalt in Zeiten einer sich in Bildern verflüchtigenden Realität ein Moment von
Wahrheit enthält: „Es gibt eine Wahrheit in der Gewalt, etwas, das eine Person verändern kann, wenn sie Gewalt erfahren hat. Gewalt ist eine sehr mächtige Kraft, aber das ist auch der Schmerz oder
die Freude. Ich habe ,American Psycho` geschrieben, als ich Anfang 20 war. Man hat nicht gerade viel Lebenserfahrung zu diesem Zeitpunkt und sieht einige Dinge harscher als später. Es könnte sehr gut
sein, dass ich mich in Zukunft mehr für die Leute interessiere, deren Leben durch ein großes Glück verändert wurde, als für solche, die Schmerz oder Folter erfahren haben."

Wirklich realistisch ist diese Vision wohl nicht. Denn als ich ihn abschließend frage, ob es für ihn einen fundamentalen Unterschied zwischen Europa und Amerika gäbe, kommt er auf das Thema zurück,
das ihn in seinen Romanen manisch fesselt: „Ja, das glaube ich. Ich meine, es gibt auch hier überall McDonald's und Blockbuster-Videos. Es gibt MTV, das permanent amerikanische Videos ausstrahlt,
egal in welcher Stadt du bist. Aber Europäer sind in der Regel gebildeter als Amerikaner, und haben eine entspanntere Sicht auf das Leben. Es gibt ein puritanisches und repressives Element in der
amerikanischen Gesellschaft, das ich in Europa nicht sehe. Ich glaube, dass es Repression ist, die so viele Morde in den USA verursacht, die dafür sorgt, dass Schulkinder durchdrehen und regelmäßig
ihre Klassenkameraden wegblasen. Und wissen Sie was? Das ist am Ende auch der Grund dafür, dass meine Bücher so gewalttätig sind."

Freitag, 19. November 1999

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