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Georg Markus schreibt jedes Jahr ein Buch · seit 20 Jahren

Markus, Georg: „Die Wahrheit ist das Spannendste"

Von René Freund

Georg Markus entspricht so gar nicht dem Bild, das man gemeinhin von einem Journalisten haben will. Er trinkt Wasser, er raucht nicht, er wählt seine Worte mit
Bedacht. Seine Kleidung signalisiert weder geniale Schlampigkeit noch dandyhafte Eitelkeit, sondern schlichte Seriosität, freilich vom Feinsten. Schlampigkeit werden auch die strengsten Kritiker der
„Kronen Zeitungs"-Legende Georg Markus nicht vorwerfen können, denn die Recherche hält er für die Urtugend des Journalismus: „Egon Erwin Kisch hat einmal gesagt, dass nichts so aufregend ist
wie die Wahrheit. Das ist mein journalistisches Credo. Deshalb verstehe ich auch Kollegen nicht, die die Wahrheit verdrehen. Man muss nur gut recherchieren, dann ist die Wahrheit spannend, spannender
als erfundene Geschichten."

Mit dieser Prämisse hat es Georg Markus geschafft, seit 1986 und sicher über das Heute hinaus die Kolumne „Zwischen gestern und heute" allwöchentlich unter das breite Volk zu bringen. Er zählt zu den
meistgelesenen Journalisten der „Krone", und weil jene die an der Bevölkerungszahl gemessen größte Tageszeitung der Welt ist, ist Georg Markus folgerichtig einer der meistgelesenen Journalisten
der Welt. Das ist insofern erstaunlich, als er ausschließlich über historische Themen schreibt: Geschichten aus der Geschichte, von Franz Joseph über Kreisky bis hin zu Farkas, Freud, Franz Ferdinand
und andere Austriaka, die im Grunde inhaltlich nichts verbindet als der große Widerspruch: Österreich.

Die Themen sucht sich der notorische Nachtarbeiter Markus immer selbst aus. Wichtig sei, gerade bei historischen Stoffen immer aktuell zu sein: „Wenn ich irgendwann eine Geschichte über die
Hofburg schreibe, mag das mehr oder weniger interessant sein. Aber wenn erst gestern die Hofburg gebrannt hat, wie das vor ein paar Jahren der Fall war, und ich habe einen Tag später die Reportage
über die Geschichte dieses Trakts der Hofburg, dann interessiert das jeden. Deshalb ist es wichtig, gerade bei historischen Themen die Aktualität zu wahren." Recherchiert wird in der umfangreichen
Privatbibliothek und in den großen öffentlichen Bibliotheken, neuerdings auch im Internet. „Nur weil ein Thema von gestern ist, darf man selbst nicht gestrig sein. Aber ich bin oft auch in der
Redaktion. Schreiben ist ein einsamer Beruf, und ich brauche den Kontakt zu den Menschen."

Georg Markus, das zeigt sich jedem Gesprächspartner sehr schnell, ist ein kultivierter, belesener, politisch wachsamer Geist, und deshalb stellt sich auch sehr schnell die Frage: „Herr Markus,
mir ist schon klar, dass Sie nichts Schlechtes über Ihren Arbeitgeber sagen können, aber wie halten Sie es mit manchen Kolumnisten und Dichtern der ,Kronen Zeitung`?"

Markus überlegt nicht lange: „Ich habe seit 14 Jahren wöchentlich mindestens eine Doppelseite in der ,Kronen Zeitung`, habe insgesamt also 600 bis 700 Doppelseiten geschrieben, und Sie werden
bei mir nicht eine einzige Zeile finden, zu der ich nicht stehen könnte, und es hat auch von Seite des Herausgebers oder der Chefredaktion niemals Druck auf mich gegeben, etwas zu schreiben, zu dem
ich nicht stehen könnte. Dabei schreibe ich über historische Themen, und Geschichte ist ein sensibles Gebiet. Ich kann nur über meinen Bereich sprechen, nicht über andere Kollegen. Hans Dichand
erlaubt in seiner Zeitung ein sehr breites Meinungsfeld. Der Nenning oder die Marga Swoboda, der Zilk oder der Ernst Trost und ich sind geprägt von Liberalität, andere stehen woanders . . . das
Meinungsspektrum ist einfach breit."

Onkel in Amerika

Zurzeit arbeitet Markus aber nicht nur für die „Kronen Zeitung", sondern auch für das Fernsehen. Letzte Woche lief im ORF Markus Dokumentation über seinen 100-jährigen Onkel in Amerika:
„Francis Lederer war Schauspieler. Er hat mit allen Großen gedreht oder unter ihrer Regie gespielt, von Max Reinhardt über Willi Forst bis Billy Wilder. Nur hatte er das Pech, nie bei einem
wirklich tollen international erfolgreichen Film dabei zu sein. Er hat auch im ersten deutschen Tonfilm mitgespielt, ,Atlantic`, über den Untergang der Titanic. Er war also eine Art Leonardo di
Caprio des filmischen Altertums. Mein Onkel Francis Lederer ist bereits 1934, lange, bevor die Nazis nach Österreich kamen, nach Hollywood gegangen. Er ist bis heute aktiv und arbeitet als
Schauspiellehrer. Mein Porträt von ihm heißt ,Älter als Hollywood`, denn Hollywood wurde als Filmstadt erst 1911 gegründet, also gut zehn Jahre nach der Geburt von Francis Lederer."

Anfang November flog Markus nach Kalifornien, um an den Geburtstagsfeierlichkeiten teilzunehmen: „Die ganze Familie, die 1938 in alle Teile der Welt geflüchtet ist, hat sich versammelt." Für
den 1951 geborenen Georg Markus war das auch eine Gelegenheit, Verwandte wieder zu sehen und sich seiner Wurzeln zu besinnen: „In unserer Familie gibt es viele bewusste Juden, aber richtig
religiös ist eigentlich niemand."

Im Jahr 2000 soll Markus' nächster Fernsehfilm ausgestrahlt werden: „50 Jahre Dritter Mann" heißt der Arbeitstitel der Dokumentation, die Hintergründe zur Geschichte des berühmten Films mit Orson
Welles beleuchtet. Markus hat das Drehbuch geschrieben und „moderiert auch ein bissl". Filmautor, so Markus, sei jedoch ein undankbarer Job: „Ich bin in erster Linie Journalist, und daraus
haben sich Bücher und in weiterer Folge Filme ergeben" · z. B. über den Fall Redl oder über das Leben des Paul Hörbiger.

Abwechslungsreicher, aber auch anstrengender war da schon die wöchentliche Talkshow auf „Wien 1", die Markus ein Jahr lang präsentierte · mit Prominenz von Otto von Habsburg bis Franz Vranitzky, von
Udo Jürgens bis Gertraud Jesserer. Nach 60 Sendungen war für ihn das Potenzial von Persönlichkeiten, „die die nötige Eloquenz besitzen", ausgeschöpft. Lampenfieber kennt Markus auch bei Live-
Auftritten nicht: „Ich hatte meinen ersten Fernsehauftritt 1958 als siebenjähriger Bub in der Sendung ,Die kleine Zeichenkunde`. Ich war damals talentiert als Zeichner, das Talent habe ich
mittlerweile völlig verloren."

Lehrling bei Farkas

Aber auch in seiner Zeit als „Lehrling" des Kabarettisten Karl Farkas hat Georg Markus dank vieler einschlägiger Erfahrungen die Scheu vor dem Medium Fernsehen gar nicht erst aufkommen lassen.
Noch während der Schulzeit hat Markus als „Kulissenschieber" in Karl Farkas' „Simpl" begonnen. Später avancierter er zu einer Art Regieassistent und „Mädchen für alles". „Ich habe mir damals von
den ersten 5.000 Schilling Gage ein Auto gekauft, ein uraltes Auto, und ich habe ihn oft nach Hause geführt nach der Vorstellung. Da sind wir dann häufig noch eine Stunde im Auto gesessen vor seinem
Haus in der Neustiftgasse, und er hat erzählt aus seinem Leben. Ich bin mir sicher, dass diese Begegnungen für meine Entwicklung prägend waren. Damals habe ich begonnen, mich für Menschen und ihre
Biografien zu interessieren. Es wurde später ein echtes Anliegen für mich, festzuhalten, was andere Menschen, vor allem ältere Menschen, uns erzählen können."

Die Zeit beim Kabarett · damals noch Cabaret · hat ihn aber auch mit einer „Rampenlust" erfüllt, die man bei dem eher zurückhaltenden Menschen gar nicht vermuten würde. Bei Felix Dvoraks
Sommerspielen in Berndorf z. B. spielte Markus in drei Einaktern, später wagte er sich sogar an Horváth heran und gab den Conférencier in den „Geschichten aus dem Wiener Wald". Und daneben singt und
spielt er immer wieder in (natürlich selbst zusammengestellten) Farkas-Revuen in Belá Korenys Broadway-Bar · die vorläufig letzte Premiere war erst Ende Oktober.

Nach einem Jahr bei Farkas wollte Georg Markus eigentlich einen seiner Familie genehmen bürgerlichen Beruf ergreifen, aber das war „nach einem Jahr Simpl nicht mehr möglich. So bin ich mit meinem
alten Auto zum ,Kurier` gefahren und habe den Portier gefragt: ,Entschuldigen Sie, wie wird man bitte Journalist?` Und er hat mir die einzig vernünftige Antwort gegeben und mich in die Lokalredaktion
geschickt. In den fünf Jahren beim ,Kurier` habe ich alles gelernt, vor allem Schnelligkeit. Die Lokalredaktion ist die beste Schule. In anderen Ressorts werden dir oft Informationen serviert. In der
Chronik musst du alles selbst recherchieren, und dadurch lernt man es."

Ins Japanische übersetzt

1979 veröffentlichte Georg Markus sein erstes Buch, die Lebensgeschichte Paul Hörbigers, „der aus irgendeinem Grund Vertrauen zu mir gefasst hatte." Über 100.000 verkaufte Exemplare waren
Ermutigung genug, weitere Bücher zu schreiben, und so entstanden bald Biografien von Hans Moser, Katharina Schratt und Karl Farkas. Seit den frühen achtziger Jahren hat Markus praktisch jedes Jahr
ein Buch veröffentlicht · u. a. den spannenden „Fall Redl", eine verdienstvolle Freud-Biografie und seine wohl „heißeste Story" über den Kriminalfall Mayerling inklusive Aufdeckung eines Grabraubes
und letztgültiger Aufklärung eines geschichtlichen Rätsels. Übersetzt ist Markus in alle großen europäischen Sprachen sowie ins Japanische · „wenn nicht mein Foto in dem Buch wäre, ich würde es
nicht als meines erkennen."

Wie aber bewältigt man so viel Arbeit? Markus: „Ich nehme mir eigentlich jedes Jahr vor, im nächsten Jahr kein Buch zu schreiben, aber ich ahne jetzt schon, dass ich das nächstes Jahr wieder nicht
schaffen werde." Markus' neues Buch „Sie werden lachen, es ist ernst" kombiniert Humor und Geschichte, so weit eben Geschichte humorvoll sein kann. „Sie werden fragen: Wie kann man über das
38er-Jahr etwas Lustiges schreiben? Aber gerade der Flüsterwitz, gerade dieser Humor des Widerstands erlaubt den schmalen Grat des Möglichen zu gehen." Begleiter auf der Gratwanderung sind
unzählige Anekdoten, Geschichten, Witze sowie die von Markus zitierten Humoristen und Kabarettisten, von Farkas bis Werner Schneyder, von Qualtinger bis Thomas Maurer, von Polgar bis Schöller &
Bacher.

Lag der Redaktionsschluss des Buches absichtlich vor den letzten Wahlen? Markus: „So dramatisch im Moment das Ergebnis ist, aus der Sicht des Jahrhunderts ist es das nicht . . . in der zweiten
Auflage werde ich die Pointen zu dieser Wahl auch verarbeiten. Und auch da wird es etwas zu lachen geben, obwohl es ernst ist."

Markus, das beweist auch sein neues Buch, ist der fleißigste Sammler von Anekdoten seit Friedrich Torberg. Gibt es eigentlich eine gute Anekdote über Georg Markus selbst? „Ich weiß keine."

Verdient hätte er sie längst.

Georg Markus: Sie werden lachen, es ist ernst. Eine humorvolle Bilanz unseres Jahrhunderts aus Österreich. Amalthea-Verlag, Wien/München 1999, 348 Seiten.

Freitag, 19. November 1999

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