Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
  Lexikon    Glossen     Bücher     Musik  

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Ein Gespräch mit dem Wiener Schriftsteller Peter Henisch

Henisch, Peter: Der Dichter als Fährmann

Von Barbara Peterson

Peter Henisch treffe ich im Traditionscafé Zartl im dritten Wiener Bezirk. Von dem Platz, den ich gefunden habe, sieht man ein Bild Heimito von Doderers an der Wand
hängen, der auch schon gern hierher kam. Seinem jüngeren und noch lebenden Kollegen allerdings behagt diese Position nicht. Mit Hinweis auf den hier zu laut brummenden Ventilator sucht er eine andere
Loge. Die Publikation seines letzten Buchs „Kommt eh der Komet" liegt beinahe vier Jahre zurück. Die Publikation seines neuen Buches, an dem er seit damals arbeitet, hat er um ein halbes Jahr
(auf Frühling 2000) verschoben. „Das ist ein Entwicklungsroman", sagt er. „In mehrfacher Hinsicht ein Entwicklungsroman. Ich bin entschlossen, ihm die nötige Zeit zu seiner Entwicklung zu
lassen."

„Wiener Zeitung": Darf man wissen, wovon er erzählt?"

Henisch: Er erzählt eine Geschichte vom Anderssein.

„W. Z.": Klingt etwas abstrakt . . .

Henisch: Ist aber ganz konkret. Dieser Roman erzählt die Geschichte eines Besatzungskindes. 1946 in Wien geboren. Als Sohn einer Wiener Straßenbahnschaffnerin und eines amerikanischen Soldaten.

„W. Z.": Wie wird das Buch heißen?

Henisch: Das Buch wird „Schwarzer Peter" heißen. Mein Protagonist ist schwarz. Das heißt, genau genommen ist er melange. Aber das reicht, um sein Etwas-anders-Sein nach außen zu
manifestieren. Er ist ein bisschen zu schwarz für hiesige Verhältnisse. Ursprünglich habe ich übrigens gar nicht gewusst, dass er schwarz ist. Das hat sich aus einer Szene am Anfang des Buches
ergeben. Einer Erinnerungsszene, in der Peter am Donaukanal sitzt, ein Spielzeugschiff am Papierspagat. Übrigens gar nicht weit von hier. Ungefähr in der Mitte zwischen Rotunden- und Stadionbrücke.
Der Spagat weicht sich auf, sodass das Spielzeugschiff davonfährt. Als der Bub dann verheult nach Hause kommt, sagt ihm seine Mutter, er soll sich zuerst einmal schneuzen. Wenn du Glück hast, sagt
sie, so schwimmt dein Spielzeugschiff jetzt hinunter ins Schwarze Meer. Ins Schwarze Meer. Von da an war mir seine Hautfarbe selbstverständlich.

Reale Schauplätze

„W. Z.": Ihre Bücher, so weit ich sie kenne, scheinen mir immer von real existierenden Örtlichkeiten auszugehen.

Henisch: Ja, stimmt, das ist mir wichtig. Um meine Fantasie in Schwung zu bringen, brauche ich die Schauplätze. Um das Kometen-Buch voran zu bringen, bin ich zum Beispiel nach Ulm gefahren.

„W. Z.": Warum gerade nach Ulm?

Henisch: Ganz simpel, weil Nestroys Lumpazivagabundus, der meiner Geschichte zugrunde liegt, laut Regieangabe in Ulm beginnt.

„W. Z.": Beginnt der nicht im Feenreich?

Henisch: Ja, aber dorthin habe ich nicht fahren können. Außerdem ist das Feenreich in meiner Fassung des Stoffs längst untergegangen. Ulm aber existiert noch. Die irdische Geschichte beginnt
bei Nestroy vor Ulm. Auf einer Bank unter einem Meilenanzeiger. Also bin ich nach Ulm gefahren und habe diese Bank gesucht.

„W. Z.": Und haben Sie sie gefunden?

Henisch: Ja. Obwohl das gar nicht so einfach war. Ich habe diese Bank vor meinem geistigen Auge gehabt. Sie musste irgendwo in der Nähe der Autobahnabfahrt stehen. Ganz simpel, weil meine drei
Anti-Helden, die Nachfahren der Herren Leim, Knieriem und Zwirn, per Autostopp kommen. Es musste also eine sehr reale Bank sein. Anderseits stand sie vor meinem geistigen Auge noch auf einer anderen
Ebene. Für mich stand sie unter dem Baum, der in der Regieangabe von Becketts „Warten auf Godot" steht. Zwischen diesem Stück und dem „Lumpazi" habe ich, jedenfalls was die
Ausgangsposition betrifft, immer eine gewisse Verwandtschaft empfunden. Jedenfalls bin ich, nach zwei Tagen Suche, vor der richtigen Bank gestanden. Auf einem Parkplatz in der Nähe der
Autobahnanschlussstelle Ulm-Ost. Eine grüne Metallbank. Daneben ein Mistkübel. Das war akkurat der Ort, an dem ich meinen Kopf-Film zu drehen beginnen konnte.

Foto und Film

„W. Z.": Sie haben eine starke Affinität zum Film?

Henisch: Ja, nach der Matura hätte ich mir eigentlich am ehesten vorstellen können, Filmregisseur zu werden. Aber da hätte ich damals nach Italien oder Frankreich gehen müssen. Bei Fellini
anklopfen oder einem der großen Nouvelle-Vague Regisseure. Ciaou oder salut, da bin ich · aber für so etwas war ich natürlich viel zu schüchtern. Außerdem haben mich private Gründe in Wien
festgehalten. Naja, und der hiesige Film hat kaum existiert. So hat meine cinematographische Karriere also gar nicht erst angefangen.

„W. Z.": Doch ihren Büchern ist etwas Filmisches geblieben.

Henisch: Ja. Das gewiss. Vielleicht ist es eine bestimmte Sehweise. Die Bilder im Kopf. Schließlich bin ich von Bildern umgeben aufgewachsen. Ich meine von Fotos. Mein Vater ist Fotograf
gewesen.

„W. Z.": Ihr Buch „Die kleine Figur meines Vaters" ist ja verfilmt worden.

Henisch: Fürs Fernsehen. Ja. Das war ein Film, der sogar einen Preis gekriegt hat. Mir war er allerdings · bei allem Respekt für den Regisseur und die Schauspieler · viel zu brav. Meiner
Vorstellung von Film hat er letzten Endes ebenso wenig entsprochen wie der Vielschichtigkeit des Romans. Aber das hängt auch mit dem System zusammen. Mit einer meines Erachtens falschen Idee von
sogenannter Mediengerechtigkeit. Dabei waren das damals, um 1980, was die Literaturverfilmungen im Fernsehen betroffen hat, noch goldene Jahre. Ich hab' seit damals jedenfalls nichts mehr mit diesem
vor allem sich selbst gerechten Medium zu tun gehabt.

„W. Z.": Und Kinoverfilmungen können Sie sich keine vorstellen?

Henisch:Vorstellen kann ich sie mir schon. Aber nachlaufen mag ich niemand. „Vom Wunsch, Indianer zu werden", diese Geschichte über eine fiktive Begegnung zwischen Franz Kafka und Karl
May auf einem nach Amerika fahrenden Schiff wäre bestimmt ein schöner Stoff. Ein dramatischer Stoff überdies · das Stück, das ich in seinen Grundzügen vor dem Roman geschrieben habe, ist allerdings
unfertig liegen geblieben.

„W. Z.": Wollen Sie es nicht fertig schreiben?

Henisch: Vielleicht wenn ich mit dem „Schwarzen Peter" fertig bin. Aber ich hab ein bisschen ein zurückhaltendes Verhältnis zum Theater. Wenn ich sehe, wie manche Regisseure die Stücke
von Autoren misshandeln, die sich nicht mehr dagegen wehren können, tut mir das solidarisch weh. Dann denke ich: Vielleicht ist es ohnehin besser, wenn ich mir das nicht antue.

„W. Z.": Also doch eher Film.

Henisch: Am ehesten Kopf-Film. Da bin ich mein eigener Regisseur und mein eigenes Team. Um die entsprechenden Einstellungen zu finden, agiere ich sogar als Double. Dann gehe ich zum Beispiel
anstelle Black Peters durchs Bild.

„W. Z.": Am Donaukanal.

Henisch: Am Donaukanal und am Mississippi. Das sind die zwei Flüsse, an deren Ufern sich das Leben meines Protagonisten abspielt. Hier seine Kindheit, dort seine reifen Jahre. Voriges Jahr war
ich wegen des neuen Buchs für einige Zeit in New Orleans. Den Donaukanal kenn ich, an dem bin ich selbst aufgewachsen. Das ist der Bereich meiner elementaren Erfahrungen. Den Mississippi hingegen hab
ich erst etwas näher kennenlernen müssen. Auch dort war das Auffinden gewisser Locations für mich entscheidend. Gewisser Kopf-Film-Drehorte, die eine eigenartige Präexistenz in meiner Fantasie gehabt
haben. Das war so wie mit der Bank für den Anfang des Kometen-Buchs. Verstehen Sie, was ich meine? Ich habe gewusst, dass es sie geben muß. Es war mir aber sehr wichtig, sie in der Realität zu
finden. Zum Beispiel die Fähre. Wissen Sie, diese Rollfähren haben mich immer fasziniert. Zuallererst die hier, am Donaukanal, zwischen Erdberger Lände und Schüttelstraße. Eine simple Überfuhr, so
eine, die an zwei Drahtseilen geführt wird und nur durch die Kraft der Strömung fährt. Für mich als Kind war die Fahrt mit dieser Überfuhr ein großes Abenteuer. In meiner Erinnerung dauert es
imponierend lang, von einem Ufer zum anderen zu fahren. Dabei dauert das in Wirklichkeit vielleicht keine fünf Minuten. Na, jedenfalls hat mich das ungemein fasziniert. Und ich habe diese Faszination
meinem Protagonisten zugeschrieben.

Großstadt-Fährmann

Gott sei Dank gibt es diese Überfuhr noch immer oder schon wieder. Ich kenne den Fährmann. Das ist ein besonderer Mensch. Ein Typ, der zwischen den Schnellstraßen, durch die unsere Stadtplaner die
Lebensqualität an den Donaukanalufern eigentlich fast umgebracht haben, einen Bereich von Stille ausspart. Obwohl man den Lärm bis in die Mitte des Flusses hört, ist er auf der Überfuhr auf
geheimnisvolle Weise ausgeblendet. So eine Fähre, hab ich mir gedacht, muss es doch in New Orleans auch geben. Und tatsächlich. Es gibt sie. Obwohl sie natürlich etwas anders aussieht wie die
hiesige. Den anderen Dimensionen des Flusses entsprechend. Keine geteerte Holzzille am Drahtseil, sondern ein zweistöckiges, frei fahrendes Metallschiff. Diese Fähre befördert Pendler von der Canal-
Street hinüber in den Stadtteil Algiers. Übrigens kostenlos. Natürlich bin ich während meines Aufenthalts in New Orleans fast jeden Tag damit gefahren. Und dann drüben herumgestreunt, wo es noch so
etwas wie ein freies Flussufer gibt.

Ein ganz eigenartiges Gebiet ist das: Alte Molen und Landungsstege, ein verfallendes Pfahlbaurestaurant am für die Navigation heikelsten Punkt des Flusses im Stadtbereich, von der Ufervegetation
überwuchertes, auf diese Art sozusagen wieder in die Natur zurückgeholtes Graffelwerk. Auch dass es dieses Stück Ufer geben muss, habe ich gewusst. Ich habe solche Örtlichkeiten immer wieder gesucht
und gefunden. Zum Beispiel auch auf dem Wienerberg und auf dem Laaerberg, als ich das Buch vom „Baronkarl" geschrieben habe. Das dort, in New Orleans, war jedenfalls das ideale Refugium für den
„Schwarzen Peter".

„W. Z.": Wie kommt der überhaupt nach New Orleans?

Henisch: Auf der Suche nach seinem Vater. Aber darüber möchte ich noch nicht zu viel erzählen. Nur so viel: „Schwarzer Peter" wird natürlich auch und nicht zuletzt ein Buch auf der Suche
nach Identität. Auch nach österreichischer Identität. Nach der Identität eines etwas anderen Österreichers. Etwas anders, nicht nur weil der Held der Geschichte schwarz ist. Anders als einer, der
sich unter den Menschen, die ihn umgeben, nie ganz daheim fühlt. Die Hautfarbe kehrt dieses Feeling nur etwas stärker hervor. Vielleicht ist das ja die Grundbefindlichkeit aller halbwegs sensiblen
Menschen. Jedenfalls die Grundbefindlichkeit einer Reihe von Vorläufern des Schwarzen Peter. David Copperfields zum Beispiel. Oder des Grünen Heinrich. Es ist ein Identitätsroman. Bis zu einem
gewissen Grad auch ein Künstlerroman. Zwar wird aus dem Protagonisten nichts Besonderes, aber immerhin erzählt er am Klavier in einer Pianobar sitzend seine Geschichte.

Blues contra Walzer

„W. Z.": Ein Musiker also? Was für eine Art von Musik spielt er?"

Henisch: Seine ganz eigene Art von Blues. Für Walzer hat er weniger übrig. Obwohl er sehr viel über Wien erzählt, wenn er spielt. Wie halt so ein bis spät in die Nacht hinein spielender Pianist
vor sich hin brabbelt. Damit fängt sein Text an: „Sie werden lachen, aber ich komme aus Wien. Auch wenn ich möglicherweise nicht ganz so aussehe . . ." Er erzählt seine sehr subjektive
Geschichte vor dem Hintergrund unserer letzten 50 Jahre. Bei aller filmischen Sehweise ein sehr romanhafter Ansatz · aber darauf hab ich mich nun einmal eingelassen.

„W. Z.": Eine interessante Perspektive. Er erzählt also von New Orleans aus über Wien?

Henisch: Ja. Und von einem gewissen Punkt an auch von Wien aus über New Orleans. Da und dort spricht er sozusagen in den leeren, dunklen Raum hinein. Zu Personen, die vielleicht da sind oder auch
nicht. Im Grund genommen ist das die Situation jedes Autors.

Mehr über die Reise von Peter Henisch nach New Orleans erfahren Sie in der Literaturzeitschrift „wespennest", Nr. 109 sowie 112: Peter Henisch: Black Peter was here · Notizen zur Lage des
Schwarzen Peter in New Orleans.

Literaturhinweise: Peter Henisch: Die kleine Figur meines Vaters. Roman. Residenz-Verlag, Salzburg-Wien 1987. Peter Henisch: Morrisons Versteck. Roman. Residenz-Verlag, Salzburg-Wien 1991. Peter
Henisch: Vom Wunsch, Indianer zu werden. Wie Franz Kafka Karl May traf und trotzdem nicht in Amerika landete. Residenz-Verlag, Salzburg-Wien 1994.

Freitag, 08. Oktober 1999

Aktuell

Erlebniswohnen in "G-Town"
Alles unter einem Dach: Die neue Lebensqualität in den Gasometern ist relativ
Drei Mädchen aus zwei Welten
Ceija, Sonja und Elvira – die Geschichte einer ungewöhnlichen Frauenfreundschaft
Kein "Lügner des Guten" sein
Der Präsident des "Internationalen Komitees vom Roten Kreuz" (IKRK) im Gespräch

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum