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Hugo von Hofmannsthals Romanze mit Gräfin Ottonie

von Degenfeld auf Schloss Neubeuern am Inn

Hofmannsthal: „Und keine Hand die andere fand"

Von Gertraud Steiner Daviau

Hugo von Hofmannsthal, seit der Jahrhundertwende bis zu seinem Tode 1929 als einer der großen österreichischen Dichter gefeiert, ist heute nicht mehr en vogue. Für eine Wiederentdeckung umso
interessanter scheint daher ein Briefwechsel Hofmannsthals mit einer Gräfin in Bayern. Die Korrespondenz zeigt Hofmannsthal wie er wirklich war. Nicht den Dichter, der die Pose schon so verinnerlicht
hat, dass er in seinen Werken nichts von sich preisgibt, sondern den Menschen, der unverhüllt seine innersten Seelenregungen dieser jungen Frau offenbart, die sich ihm ebenfalls anvertraut. Da es bis
heute zwar eine Fülle von Einzelanalysen zu Hofmannsthals Werk gibt, aber keine wirkliche Biographie, kann dieser Briefwechsel diese zum Teil ersetzen oder vorwegnehmen.

Hofmannsthal war ein gern gesehener Gast auf adeligen Schlössern und hatte diesen Förderern viel zu verdanken. Harry Graf Kessler hatte ihm die ersten Kontakte in Berlin vermittelt und ihm damit den
internationalen Bekannten- und Wirkungskreis erschlossen, der Hofmannsthal weit über die Wiener Kaffeehausliteraten und den Wiener Kunsttratsch hinaushob. Trotzdem kam es später zwischen dem Dichter
und dem reichen Kunstfreund zu einer Verstimmung. Hofmannsthal war auch gern gesehener Gast bei Helene von Nostitz und ihrem Gatten, und zählte auch die schriftstellernde Fürstin Mechtilde von
Lichnowsky zu seinen Freundinnen. Ein Schloss in Oberbayern bei Rosenheim nahe der österreichischen Grenze spielte aber eine besonders große Rolle in seinem beruflichen und privaten Leben: Neubeuern
am Inn.

Bei seinem ersten Besuch, zu dem ihn sein Freund Eberhard von Bodenhausen, eingeladen hatte, erlebte Hofmannsthal 1906 eine schicksalshafte Begegnung. Schon damals fiel ihm die lebhafte und hübsche
junge Frau mit den hochgesteckten braunen Haaren, Ottonie von Degenfeld (1882 bis 1970), Eberhards Schwägerin, auf. Als er 1908 zum nächsten Mal von ihr hörte, lag ihre private Welt in Trümmern. Im
April 1908 war ihr Mann gestorben, wenige Monate nachdem sie ihre Tochter Marie Therese geboren hatte. Hofmannsthal fand die junge Frau im Rollstuhl wieder, so sehr waren ihre körperlichen und
seelischen Kräfte durch die Ereignisse erschöpft worden. Ihr Schicksal hat ihn unendlich berührt. Sein Bedürfnis, diesem jungen Geschöpf zu helfen, erwachte. Irgendwann sind auch die Unter- und
Obertöne der Erotik und der Liebe dazugekommen. Beide waren aber nicht frei · Ottonie hing immer noch in Liebe an ihrem verstorbenen Mann, und Hofmannsthal war mit der Bankierstochter Gerty
Schlesinger verheiratet.

Gerty fügte sich in ihre Rolle als Dichtergattin, die von ihrem Herrn und Gebieter die Trivialitäten des Alltags fern zu halten hatte. Zum Teil diktierte er ihr auch seine Korrespondenz, oder ließ
sie selber schreiben, wenn er den Brief oder den Adressaten für nicht so wichtig hielt. Die „Schreiberin" durfte dann am Schluss schüchtern ihre eigenen Grüße anbringen. Gerty wusste, dass ihr
Ehemann allerlei Flirts pflegte, die aber vermutlich keine Verhältnisse waren. Zu seinen Seelenfreundinnen zählten die schriftstellernde Adelige Helene von Nostitz ebenso wie die Tänzerin Grete
Wiesenthal und deren Mann, der Maler Erwin Lang. Am innigsten von allen war aber die Beziehung zu dieser jungen Witwe.

Die einzige Tochter Ottonies, Marie Therese Miller Gräfin Degenfeld, hat bereits zwei Ausgaben des Briefwechsels ihrer Mutter mit Hofmannsthal auf Deutsch herausgebracht, nun bereitet sie eine
erweiterte amerikanische Ausgabe vor, die die Briefe erstmals ungekürzt bringt. Auch das Leben der Tochter Ottonies selbst liest sich wie ein Roman. Als Gattin eines amerikanischen Diplomaten führte
ihr Weg sie vom Schloss in Bayern unter anderem nach Kairo. Heute lebt sie in Virginia und auf Barbados. Die Sommermonate verbringt die attraktive 91-jährige Dame, Chefin des Hauses Degenfeld, im
Nachbarort von Neubeuern, Nussdorf, wo sie ihr wunderschönes Haus vollständig mit Möbeln und Kunstwerken aus dem Schloss eingerichtet hat.

Schloss Neubeuern liegt nur wenige Kilometer entfernt vom Jagdgut Hinterhör, das sich heute nicht mehr im Familienbesitz befindet. Ottonie verbrachte die Winter als Gast ihrer Schwägerin Julie von
Wendelstadt im Schloss, und die Sommer auf ihrem eigenen Gut Hinterhör. Hofmannsthal traf mit Ottonie immer wieder in Gesellschaft in Neubeuern oder im mehr privaten Rahmen auf Hinterhör zusammen,
aber auch bei Rendezvous in Paris, Berlin, München, Aussee und auf Reisen. Alles deutet darauf hin, dass sie seine große Liebe und engste Vertraute war, bis zu seinem Tode 1929.

Ottonies Bibliothek

In ihrem Haus in Nussdorf hat Mrs. Miller die Bibliothek Ottonies aus Hinterhör wieder eingerichtet, mit denselben blassblauen Bücherregalen. In einer Bücherwand öffnet sich eine geheime Tür,
beide Türflügel sind Buchregale. Links sind die Bücher eingeordnet, die Hofmannsthal Ottonie von Degenfeld nach und nach geschickt hat, rechts seine eigenen Werke. Die Bücher, die er ihr zueignete,
ließ er in unterschiedlichen Farben in rotem, braunem und blauem Leder auf das kostbarste binden. Schon allein der Anblick ist ein ästhetisches Vergnügen. Viele Balzac-Werke befinden sich darunter,
dann Dostojewski, Hölderlin, Stifter, Grimms Märchen, Stendal, Shakespeare in der Schlegel-Tieck-Übersetzung. Auf der Rückseite der Buchdeckel hat Hofmannsthal in einer klaren, aber zurückhaltenden
Weise mit Feder geschrieben:

Gräfin Ottonie

v.

Degenfeld-Schonburg

Eigenartigerweise findet sich nirgendwo sein Name · Bescheidenheit oder Angst vor Kompromittierung? Hofmannsthal wollte ihr mit diesen Büchern ein geistiges Grundgerüst vermitteln, das sie wieder
gesund machen sollte · nach einem Jahr konnte sie den Rollstuhl wieder verlassen · und überhaupt ihr Leben bereichern: In einem Brief aus Schloss Grätz bei Troppau schreibt er ihr am 30. Oktober
1910: „Ängstlich ist mir nur, dass Sie aus dem stillen Haus heraus sind und nun einer gewissen rastlosen Halbtätigkeit und Einteilungslosigkeit so preisgegeben. Ich wäre glücklich, wenn Sie eine
Form fänden, das einzuschränken, eine tägliche Zeit fürs Lesen zu gewinnen, aber nicht die Zeit vor dem Einschlafen, ich bitte Sie um alles, nicht die."

Daraus spricht seine Abneigung gegen das seiner Meinung nach geistig leere gesellschaftliche Leben im Schloss, das für längere Zeit der inneren Sammlung abträglich war. Dieses Leseprogramm für
Ottonie basierte wohl auf einer ähnlichen Idee wie Hofmannsthals Zusammenstellung der „Österreichischen Bibliothek".

Neben den persönlichen Sehnsuchts- und raffinierten Liebesbezeugungen lässt Hofmannsthal sie in seinen Briefen auch an seinem beruflichen Leben teilhaben. Auch hier gilt es ein Vorurteil zu
korrigieren · er war keinesfalls der weltferne Dichter, als der er allgemein gesehen wird. Er setzte vielmehr alle Hebel in Bewegung, damit seine Stücke in den besten Opernhäusern und Theatern, mit
den besten Regisseuren · wobei Max Reinhardt sein absoluter Regiegott war · zum bestmöglichen Zeitpunkt aufgeführt wurden. Prof. Donald G. Daviau, der wohl prominenteste Germanist in den USA, der
seine wissenschaftliche Karriere völlig der österreichischen Literatur gewidmet hat, sowie Prof. Gerhard Austin von der University of Connecticut weisen darauf hin, dass Hofmannsthal auch nicht, wie
gemeinhin angenommen wird, im Ästhetizismus stecken blieb. Seine Abkehr von Stefan Georges „L'art pour l'art"-Konzept wird im so genannten „Chandos"-Brief (eigentlich: „Ein Brief") von 1902 deutlich.

Die Neubeurener Woche

Eberhard von Bodenhausen, nicht nur Ottonies Schwager, sondern auch jener der Schlossherrin Julie von Wendelstadt, lud alljährlich eine Gruppe von befreundeten Künstlern zur so genannten
Neubeurener Woche ein: Die Gäste kamen meist am 26. Dezember ins Schloss und blieben bis über Neujahr zusammen. Hofmannsthal war der Mittelpunkt dieses Kreises, zu dem auch seine beiden engen
Freunde, die Dichter Rudolf Borchardt (1877 bis 1945) und Rudolf Alexander Schröder (1878 bis 1962) zählten. Schröder blickte zu Hofmannsthal auf wie dieser zu Goethe. Regelmäßig kamen auch Henry van
de Velde (1863 bis 1957, damals in Weimar Direktor der Kunstgewerbeschule) , der Bildhauer Fritz Behn (1878 bis 1960, später Professor an der Akademie in Wien), die Dichterin Annette Kolb (1870 bis
1967) und andere. Nach einem gemeinsamen Frühstück trennten sich die Wege, bis man sich abends wieder vor dem Kamin in der großen holzgetäfelten Halle traf, deren große Fenster den Blick auf die
sanft gebirgige Landschaft freigeben, sowie, direkt darunter, auf das Dorf Neubeuern. Bei Schönwetter saß man draußen auf der Terrasse. Theaterstücke wurden aufgeführt, Bodenhausen spielte am
Klavier, der kleinere Nebenraum bot halb verborgene Flirtecken in den Fauteuils am Kamin.

Die in schweres Leder gebundenen Gästebücher des Schlosses sind eine kulturhistorische Fundgrube voll von Gedichten und Aquarellmalereien. Hier findet sich auch der erste Besuch Hofmannsthals,
allerdings ohne jedes Beiwerk, verzeichnet:

1. December 1906

Hugo Hofmannsthal

Harry Kessler

Einige Seiten vorher liest man:

Tönne von jetzt an Ottonie von Degenfeld

15. bis 20. 12. 1906

Die EINE Frage, „Haben sie oder haben sie nicht?", lässt sich nicht eindeutig beantworten. Es gibt keine einzige gemeinsame Fotografie von Hofmannsthal mit Ottonie, obwohl der Dichter in Neubeuern
fotografiert wurde: Zugeknöpft, in steifer Pose. Schwer, ihn sich gemeinsam mit der lieblichen und sportlichen Ottonie vorzustellen. Von einer gemeinsamen Bahnfahrt von Stuttgart nach Erfurt
schwärmten beide noch lange. Es war Ottonies Idee gewesen, sie schlug sogar vor, den Schlafwagen zu nehmen. Er wollte aber lieber während des Tages reisen: wenn es ernst wurde, blieb er doch lieber
im „Unbestimmten" · so eines seiner Lieblingswörter. Außerdem spielte Ottonies Schwägerin Julie, verwitwet wie sie und um zehn Jahre älter, gerne deren „Beschützerin" und Anstandsdame, eine Rolle,
die Ottonie und vor allem Hofmannsthal deutlich enervierte.

Lebenslang per „Sie"

Der Reiz der Korrespondenz liegt vor allem in der Ambiguität des Verhältnisses von Hofmannsthal mit Ottonie, die sich schreiben: „ich habe sie lieb", aber nie „Ich liebe Sie"
· und die bis zum Schluss beim „Sie" verbleiben. Die Korrespondenz ging auch während seiner jährlichen Sommeraufenthalte in Altaussee mit Gerty und den Kindern weiter. Zeitweilig zog er sich dort
auch allein in ein Zimmer des Ramgutes zurück, das ihm die Familie Oppenheimer zur Verfügung stellte, sonst bewohnte er ein einfaches Bauernhaus in Altaussee, Obertressen 14.

Hofmannsthal, der sich als freier Schriftsteller seine Zeit genau einteilen musste, überließ es Gerty, mit den Kindern vorauszufahren, um alles für seine Ankunft vorzubereiten. In dem Ort versammelte
sich zwanglos eine ganze Künstlergemeinde, zu der Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann oder Jakob Wassermann. In diesen Kreis lud Hoffmannsthal auch Ottonie öfter ein. Die beiden gehörten auch zu
dem Freundeszirkel des „Neuen Weimar". Im Mittelpunkt standen Harry Graf Kessler (1868 bis 1937) und Henry van de Velde (1863 bis 1957). Kessler wollte Weimar wieder zu einem Kulturzentrum wie zu
Goethes Zeiten machen · traf aber auf das völlige Unverständnis des jungen Großherzogs, was ihn schließlich resignieren ließ.

Ottonie war, ihren Briefen nach zu schließen, zuerst Feuer und Flamme für Hofmannsthal. Nach einiger Zeit aber, in der sie mehr als Bücher, nämlich einen Menschen gebraucht hätte, erkannte sie, dass
Hofmannsthal ihr nur eine geistige Liebe mit interessanten Treffen geben konnte. Der Fortgang der Beziehung spricht für ihre Klugheit. Von dem Zeitpunkt, als sie allein eine Parisreise unternimmt,
und wieder zu sich selbst findet, gewinnt sie an Kraft und Selbstvertrauen, ohne sich an eine aussichtslose Sache zu verlieren. Nach zwei Jahren hat sich das Verhältnis umgekehrt. Hofmannsthal, zu
Beginn ganz der Führende, fleht nun sie an, ihm doch zu schreiben, bei ihren Reisen die Adresse mitzuteilen, andere Männer nicht mit dem Vornamen anzureden · wie im Falle van de Velde. Sie kontert
souverän, bleibt immer liebenswürdig.

Ottonie war im Juli 1929 zum Begräbnis von Hofmannsthals Sohn Franz, der Selbstmord begangen hatte, nach Wien gekommen. Die Trauergäste warteten vergeblich auf das Ehepaar Hofmannsthal, der Dichter
war beim Ankleiden einem Schlaganfall erlegen, erst 55 Jahre alt. So musste Ottonie für das zweite Begräbnis kurz darauf in Wien bleiben. Es war eine traurige Ironie: Zum ersten Mal gelang
Hofmannsthal damit, was er in seinem Leben nie zustande gebracht hatte: einmal alle seine Freunde um sich zu versammeln.

Die 20-jährige Beziehung zwischen Hugo von Hofmannsthal und Ottonie von Degenfeld könnte wohl am besten durch sein eigenes Gedicht „Die Beiden" charakterisiert werden: „Und keine Hand die andere
fand." Wahrscheinlich war es den beiden recht so.

Freitag, 10. September 1999

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