Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
  Lexikon    Glossen     Bücher     Musik  

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Erna Pinner und Kasimir Edschmid · Eine Geschichte in Briefen

Pinner, Erna

Von Hermann Schlösser

Erna Pinner und Kasimir Edschmid: sie Malerin und Fotografin, er Schriftsteller. Unverheiratet, wie es sich für nonkonforme Künstler auch in der Zwischenkriegszeit
schon gehörte, zogen sie in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren miteinander durch die Welt, und die Reisebücher, die er über ihre gemeinsamen Fahrten schrieb, wurden von ihr illustriert.

Als Hitler in Deutschland die Macht ergriff, war es auch mit der Freiheit dieser unbürgerlichen Doppelexistenz vorbei. Erna Pinner, 1890 als Tochter eines angesehenen jüdischen Arztes in Frankfurt
geboren, ging 1935 ins Exil nach London, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1987 lebte. Edschmid, ebenfalls 1890 als Sohn eines Gymnasialprofessors in Darmstadt geboren, hatte zumindest vom Rassenwahn
der Nationalsozialisten nichts zu befürchten. Obwohl er mit den neuen Machthabern durchaus nicht sympathisierte, blieb er in Deutschland, und es gelang ihm, trotz verschiedener Verbote und Schikanen
als Schriftsteller weiterzuarbeiten. 1941 heiratete er die Musikerin Elisabeth von Harnier, ein Sohn und eine Tochter kamen noch während des Kriegs zur Welt. Die Verbindung zu Erna Pinner war seit
1938 völlig abgerissen.

Doch fanden die beiden wieder zueinander. Von 1946 bis zu Edschmids Tod im Jahr 1966 unterhielten sie einen regen Briefwechsel. Ulrike Edschmid, die in späten Briefen des Schriftstellers als
Schwiegertochter und Mutter eines „blauäugigen Enkels" erwähnt wird, hat nun eine Auswahl aus dieser Korrespondenz herausgegeben. Wie sie im Vorwort erklärt, hat sie die Briefe durch
„dramaturgische Schnitte" gekürzt und bearbeitet. Es liegt also keine textgetreue Edition des Briefwechsel vor, sondern eine Art Briefroman, den die Herausgeberin aus dem überlieferten
Textkorpus von zirka 600 Briefen herausdestilliert hat.

Philologen · also „Liebhaber des Wortlauts" · werden mit diesem sehr freien Editionsverfahren keine reine Freude haben. Liest man das Buch jedoch ohne textkritische Bedenken, wird man mit einem
eindrucksvollen Doppelporträt belohnt: Im Laufe der fünfziger Jahre, denen man nicht zu Unrecht eine gewisse spießige Prüderie nachsagt, entfaltet sich ein Dialog zweier alternder Künstler, die auf
bemerkenswert unspießige Weise miteinander umgehen. Daß sie in jüngeren Jahren ein Paar waren, wird niemals geleugnet, doch steht zugleich außer Frage, daß sie es nicht mehr sind und nie mehr werden
wollen. Edschmids Frau und seine Kinder spielen nicht eben die Hauptrolle in den Briefen an die einstige Geliebte, werden aber auch nicht verlegen ausgeklammert. Wie sich Erna Pinners Privatleben in
späteren Jahren gestaltet, ist weniger deutlich, doch hat es den Anschein, daß sie die Geborgenheit, die er in der Familie fand, in einem weit gespannten Freundeskreis suchte. Ihre, aber auch seine
Briefe sind voller Nachrichten aus der Welt der Freunde. Sie werden mit mehr oder weniger liebevollen Kosenamen · „Ecki", „Mohr", „Bonzo" · belegt, und wer mit wem ein Verhältnis hat, wer wann
von wem besucht wurde, wer sich mit wem zerstritten hat · all das wird ausführlich erörtert. Oft werden die neuesten Nachrichten mit einem bedeutsamen „entre nous" versehen, das zur Atmosphäre
der intimen Vertrautheit beiträgt, die diesen Briefwechsel kennzeichnet. In völliger Übereinstimmung des Geschmacks und der Vorlieben tauschen sich die beiden z. B. über ihre Reisen aus · Italien ist
beider Lieblingsland ·, und in wechselseitigem Mitleid vergleichen sie die Krankheiten, Hypochondrien und Empfindlichkeiten, die mit steigendem Alter zunehmen.

Sowohl Kasimir Edschmid als auch Erna Pinner waren bis ins hohe Alter publizistisch tätig, also werden auch Querelen mit Kollegen und Verlegern, Kränkungen, die der Betrieb so mit sich bringt, in
ihren Briefen angesprochen. Ebenso halten sie sich wechselseitig über neue Bücher und Autoren auf dem laufenden, wobei gewisse Unterschiede in der Beurteilung zu erkennen sind: Erna Pinner lobt z. B.
Elias Canetti, dessen „Masse und Macht" im Kreis der englischen Emigranten früh schon als gewichtige Schrift erkannt worden ist. Edschmid hat den Namen Canetti nie gehört und macht auch nach
ihrem Hinweis keinerlei Anstalten, diese Leselücke zu schließen. Umgekehrt läßt sich Erna Pinner nicht zu Günter Grass bekehren, den Edschmid für die stärkste Nachwuchsbegabung der Bundesrepublik
hält.

In diesen unterschiedlichen literarischen Interessen spiegelt sich freilich auch eine tiefergehende Differenz. Edschmid, der 1933 trotz aller Bedenken zu Hause blieb, identifizierte sich mit
Deutschland, während Erna Pinner mit dem Land gebrochen hat, aus dem sie 1935 vertrieben worden ist. Daß diese Diskrepanz das neu gewonnene Einverständnis gefährden könnte, stellte sich bald heraus:
In einem ihrer ersten Briefe berichtet Erna Pinner von gemeinsamen Bekannten, die im Konzentrationslager umgebracht worden sind, und sie fragt: „Wie soll man solche Dinge je vergessen
können . . .?" Edschmid reagiert auf diese Frage verstimmt und verstört, als hätte sie ihn persönlich für die Verbrechen der Deutschen verantwortlich gemacht.

Allmählich festigt sich aber der gemeinsame Entschluß, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen. Immer vorsichtiger berühren die Briefpartner die politischen Themen, die sie entzweien könnten,
und die persönlichen Komplikationen ihrer Trennung im Jahr 1938 bringen sie schon gar nicht zur Sprache. Bevor da etwas schmerzen oder verletzen könnte, beruhigen sie sich lieber mit Formeln wie
„wir wollen nicht mehr darüber reden".

Wenn Ulrike Edschmid just dieses Schweigeabkommen als Titel über ihre Briefedition setzt, verleiht sie ihm ein sehr schweres Gewicht. Und Barbara Hahn, die dem Band das Nachwort „Über den Umgang
mit Briefen" mitgegeben hat, kommt sogar zu dem Schluß, der Versuch der Wiederbegegnung sei gescheitert, weil Edschmids „Unfähigkeit zu trauern" eine wahre Verständigung unmöglich gemacht
habe. Dieser Lesart schließt sich auch der Verlag an, indem er das Buch im Frühjahrskatalog als „intimen Spiegel einer Zeit" anpreist, „in der geschwiegen wurde, obwohl gesprochen hätte
werden müssen".

Nun beweisen die veröffentlichten Briefe eigentlich zur Genüge, daß sich die alte Vertrautheit zwischen den beiden Freunden wieder eingestellt hat · und zwar, ohne daß „gesprochen hätte werden
müssen".Genau dies mögen der Verlag, die Nachwortverfasserin und die Herausgeberin aber nicht wahrhaben. Ulrike Edschmid nimmt sogar eine kleine biographische Manipulation vor, um den Eindruck zu
erhärten, die Verständigung zwischen der Emigrantin und dem Daheimgebliebenen sei mißlungen: In den Memoiren Hilde Spiels z. B. kann man nachlesen, daß sich Erna Pinner mit dem Ehepaar Edschmid in
Italien zum gemeinsamen Urlaub getroffen hat. Ulrike Edschmid gönnt ihren Figuren solche persönlichen Treffen nicht. In ihrem Briefroman werden Begegnungen immer nur geplant, dann aber mit oft
fadenscheinigen Gründen wieder abgesagt. Dieses ewige Sich-Verfehlen entbehrt nicht einer gewissen melancholischen Schönheit · daß es jedoch dem Verhältnis entspricht, das Erna Pinner und Kasimir
Edschmid in ihren späten Jahren unterhielten, darf man bezweifeln.

Ulrike Edschmid: „Wir wollen nicht mehr darüber reden." Erna Pinner und Kasimir Edschmid. Eine Geschichte in Briefen. Luchterhand-Verlag München 1999, 302 Seiten.

Freitag, 25. Juni 1999

Aktuell

Erlebniswohnen in "G-Town"
Alles unter einem Dach: Die neue Lebensqualität in den Gasometern ist relativ
Drei Mädchen aus zwei Welten
Ceija, Sonja und Elvira – die Geschichte einer ungewöhnlichen Frauenfreundschaft
Kein "Lügner des Guten" sein
Der Präsident des "Internationalen Komitees vom Roten Kreuz" (IKRK) im Gespräch

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum