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Eine Begegnung mit Ernesto Sábato

Sábato: „Mein Motto heißt: Widerstehen"

Von Nora Franco

„Vor Jahren nannte man mich in meinem Viertel, der Brandstifter`, da ich am Morgen in meinem Garten meine Manuskripte verbrannte. Heute sagen sie ,Meister` zu
mir, was mich sehr beschämt, denn ich frage mich: Meister wovon?" Die Bekenntnisse des großen Meisters mögen nach falschem Dünkel oder falscher Bescheidenheit klingen, doch sie sind es auf keine
Weise. Seine drei Bücher „El túnel" (1948; dt. „Der Maler und das Fenster", 1958), „Sobre héroes y tumbas" (1961; dt. „Über Helden und Gräber", 1967) und „Abaddón el exterminador"
(1974; dt. „Abaddon", 1980) zählen zu den besten Romane dieses Jahrhunderts und wurden in 32 Sprachen übersetzt. Sein Werk ist bereits Gegenstand zahlloser akademischer Studien. Sein Bekenntnis
schließt vielmehr jene Scham ein, die mit der Weisheit wächst.

1938, im Alter von 24 Jahren, schließt Ernesto Sábato an der La-Plata-Universität in Buenos Aires das Studium der Physik und Mathematik mit dem Doktorat ab. Doch schon fünf Jahre später verläßt er
die Wissenschaft. Heute spricht er sich kategorisch gegen die moderne Technologie aus. „Es war Schopenhauer, der erklärte, es gebe in der Geschichte Momente, in denen der Fortschritt reaktionär und
die Reaktion fortschrittlich ist. Wer kann sicherstellen, daß dieser Fortschritt für das Leben vorteilhaft ist? Man muß gegen ihn agieren. Im allgemeinen haben die Wissenschaft und die Technik nur
dazu gedient, unseren Planeten zu ruinieren. Wenn noch irgendein Zweifel daran bleibt, so werden wir in 30 oder 40 Jahren den Beweis dafür haben, wenn uns die Luft zum Atmen ausgeht."

Die Wissenschaft ist kalt, meint Sábato, sie ist nichts weiter als 2 + 2 = 4. Sicher gebe es so etwas wie intellektuelle Schönheit, doch die findet sich bestenfalls in der hohen Mathematik und in
einigen physikalischen Theorien. „Welche Schönheit kann es in den Amino-Säuren geben? Angenommen ich liege im Sterben, was schon übermorgen der Fall sein kann, und ein Freund kommt und flüstert mir
ins Ohr: ,Ernesto, stell dir vor, die Amerikaner haben beim Saturn einen Planeten entdeckt!` · glauben Sie, daß mir das auch nur im mindesten beim Sterben hilft? Eine zärtliche Geste hingegen, ein
gefühlvolles Wort können mir sehr wohl helfen. Es herrscht eine gewisse Scham, Gefühle auszudrücken, und das ist eine Folge der Wissenschaft, nein, besser: der Verwissenschaftlichung, und das ist ein
Schrecken zum Quadrat. Von Gefühlen sprechen · wobei ich nicht die Gefühlsduselei meine · erscheint heute als etwas Reaktionäres, Veraltetes. Ist es nicht kurios: Um heute als ernsthafter Mensch zu
gelten, muß man über Computer reden. Wir dürfen uns nicht täuschen: es ist die Welt der Gefühle, der Gemütsbewegungen, die uns zum Leben animiert."

Sábato zeigt sich trotz seines hohen Alters immer ungestüm, leidenschaftlich. In seinen Antworten liegt nichts Gefälliges. „Es ist so leicht, Güte vorzutäuschen, zu schmeicheln. All das ist falsch,
hilft zu nichts. Die Wahrheiten sind für gewöhnlich hart. Die Tragödie lehrt uns, sie ist positiv, sie ist es, die uns definitiv als menschliche Wesen charakterisiert, die dem Tod geweiht sind. Man
sagt, daß mein Werk voll Trauer sei. Ich bin eben eine traurige Person, und selbst wenn ich etwas vom Standpunkt des Humors aus betrachte, so wird daraus schwarzer Humor. Doch nicht nur traurig: ich
betrachte mich als tragischen Menschen. Natürlich ist die Tragödie traurig. Sie ist ein Teil des Lebens. Ich liebe das Leben zutiefst, und gerade deswegen bin ich auch so stark mit dem Problem des
Todes konfrontiert."

Nach dem Ende der Militärdiktatur, die die argentinische Gesellschaft von 1976 bis 1983 verödete, wurde Sábato mit der Leitung einer nationalen Kommission beauftragt, die die Schrecken des
institutionalisierten Terrorismus untersuchen sollte. „In diesen neun Monaten der Arbeit an einem so schrecklichen und tragischen Thema stand ich jeden Tag mit dem Gedanken auf, nun beginnt der
Alptraum im Wachsein: das Anhören der erschütternden Zeugenaussagen von Tausenden Frauen und Männern. Später habe ich mich dann gefragt, wozu dieser Untersuchungsbericht denn gut war?" (Sábato
bezieht sich hier auf die Tatsache, daß die verurteilten Führer der Militärjunta vom späteren Präsidenten Carlos Menem begnadigt wurden.) „Ein deutscher Journalist sagte mir einmal: Wir hatten leider
nie einen solchen Bericht wie den Ihren." (Der Bericht der Sábato-Kommission erschien später unter dem Titel „Nunca más" · Nie wieder.) „Millionen Menschen haben ,Nunca más` gelesen · obwohl
man besser sagen soll, durchgeblättert. Denn man kann dieses Buch nicht lesen, es ist schrecklich. Doch der Bericht hat zumindest Bewußtsein geschaffen, ein bleibendes Bewußtsein."

Sein Wohnort Santos Lugares in der Provinz Buenos Aires liegt ziemlich weit entfernt von der Hauptstadt, die Sábato wegen der die Megastädte charakterisierenden Entmenschlichung verabscheut. Vom
Garten her dringt Blumenduft ins Haus. Sábato beginnt den Tag mit dem Lesen der Schlagzeilen der Zeitungen. „Mein Problem mit den Augen läßt mich das Kleingedruckte nicht lesen." Doch er hat wieder
zu Schreiben begonnen. „Mehrere Jahre lang habe ich überlegt, ob es die Mühe wert ist. Nun habe ich sechs oder sieben Seiten von einem Buch geschrieben, das ,Vor dem Ende` heißen wird. Der Titel ist
das Beste daran · ich weiß noch nicht, was drinnenstehen wird." Vielleicht werden es Überlegungen zur Kunst sein. „Es klingt kurios, ist aber eine ganz ernste Sache: Die Kunst hilft zum Leben und zum
Sterben, sie hilft aber auch, nicht zu sterben." Vielleicht wird er auch auf einen seiner permanenten Zweifel zurückkommen: die Religion. „Wenn einer Christ ist, so muß er sich wohl darin fügen, das
Evangelium zu lesen. Doch vermutlich weil ich nicht so klug bin, fällt es mir sehr schwer, die Theologen zu verstehen. Und das flößt mir Zweifel ein. Auch das Establishment der Kirche führt mich zum
Zweifel. Am anderen Extrem der christlichen Hierarchie befindet sich Christus: Ein Mensch, der solch unglaubliche Handlungen des Mitleids und der Güte setzte. Dieser überwältigende Christus gibt mir
Kraft."

Vielleicht aber, sinniert Sábato weiter, wird das Buch von der größten Sorge des Menschen handeln, dem „Recht des Menschen, ein Leben mit einem Minimum an Übeln zu erwarten". „Das Übel bringt immer
auch die Hoffnung zutage. Ohne diese Hoffnung bräuchte man gar nicht leben. Wir müssen für Veränderung kämpfen. Der Kampf gegen die viele Schlechtigkeit, die sich eingenistet hat, zieht sich durch
mein ganzes Leben. Ich bin ein Dinosaurier, doch mein Leitthema heißt immer noch: widerstehen. Ich vertraue den Jungen. Sie werden es sein, die sich gegen den herrschenden Zustand der
Unmenschlichkeit erheben. Die Jugend kann auf mich zählen: ich gebe nicht auf!" Oder, lächelt Sábato, vielleicht schreibe er auch über die Gefährtin-Frau seines ganzen Lebens, Matilde. „Wir kannten
uns schon als Jugendliche. Nachdem wir genügend lang auf Probe zusammengelebt haben, an die 20 Jahre, heirateten wir, wie um zu zeigen, daß unsere Beziehung ehrlich und ernsthaft war. Matilde ist in
meinem Leben von grundlegender Bedeutung. Ohne ihre Hartnäckigkeit, ihr Talent und ihre Sensibilität hätte ich alles verbrannt und kein einziges Buch veröffentlicht. Für mich besitzt die Frau viel
tiefere und geheimnisvollere existentielle Werte als der Mann. Sie besitzt eine fast magische Qualität. Mehr noch: ich glaube, daß die Welt durch die Frauen gerettet wird. Die Männer zerstören sie
nur."

Nein, der 85jährige Schriftsteller und Philosoph will sich nicht festlegen, wovon sein letztes Buch handeln wird. Nur soviel kann er jetzt schon sagen: „Es wird für mein eigenes Leben und meinen
eigenen Tod wichtig sein."

Übersetzt von Werner Hörtner

Nora Franco ist Argentinierin und lebt als Journalistin in El Salvador, wohin sie vor der argentinischen Militärdiktatur flüchtete.

Freitag, 07. Mai 1999

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