Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Die zweite Eroberung

Murdoch, Iris: Zum Tod der britischen Schriftstellerin

Von Stefanie Holzer

Iris Murdoch, eine der wirklich großen englischen Schriftstellerinnen dieses Jahrhunderts, ist am 9. Februar gestorben. Die große Erzählerin und Dame of the
Bristish Empire wäre heuer 80 Jahre alt geworden. Ob sie dieses Jubiläum überhaupt bemerkt hätte, ist höchst ungewiß. Anfang der neunziger Jahre machte sich die bei einer Schriftstellerin
besonders heimtückisch anmutende Alzheimer-Krankheit bemerkbar: John Bayley veröffentlichte im September des vergangenen Jahres eine Hommage an seine Gattin mit dem Titel „Iris. A Memoir of Iris
Murdoch." Diese Erinnerung an eine Lebende, die keinen Anteil mehr am Leben nahm, schildert das Kennenlernen, das gemeinsame Leben und schließlich den Ausbruch der Krankheit: Iris Murdoch und John
Bayley waren auf einer Vortragsreise in Israel, als mitten in einer Gesprächsrunde allen Beteiligten klar wurde, daß die Schriftstellerin, die für gewöhnlich bedächtig sprach, plötzlich nicht mehr in
der Lage war, Sätze zu formulieren. In der Folge wurde Alzheimer diagnostiziert · eine Krankheit, an der schon Murdochs Mutter gelitten hatte. Damals hatte allerdings der Schrecken noch nicht einmal
einen Namen.

Am 15. Juli 1919 wurde Iris Murdoch in Dublin als einziges Kind eines kleinen anglo-irischen Beamten geboren, der mit Frau und Tochter wegen der andauernden politischen Querelen bald nach England
übersiedelte. Dort besuchte Iris Murdoch die angesehene Privatschule Badminton in der Nähe von Bristol. Ihr Vater mußte das Geld dafür ausborgen. Danach studierte sie in Oxford am Somerville College.
Oxford wurde zu ihrer Heimat: Nach dem Studium unterrichtete Murdoch bis 1968 am St. Anne's College Philosophie. In Oxford lernte sie auch John Bayley, den späteren Professor für englische Literatur,
Kritiker und Romancier kennen, den sie 1956 heiratete. Bayley schildert das Leben der beiden Schreiber mit allen Höhen und Tiefen: Das Ehepaar hatte keine Kinder, nicht weil Murdoch sich dagegen
entschied, sondern weil „sie anderes zu tun hatte". Nach der Heirat beliebte das Paar, sich ein Haus im Grünen zu kaufen. Der Garten verwilderte, weil keiner von den beiden Anstalten machte,
sich darum zu kümmern. Ein Freund des Hauses verärgerte die Gastgeberin einmal mit der Bemerkung, sie habe anstelle eines Gartens „ein Konzentrationslager für Blumen". Der allgemeine Zustand
des Hauses, in Sonderheit dessen Beheizbarkeit, war dergestalt, daß Bayley viele seiner Kritiken und auch das vorliegende Buch im Bett geschrieben hat. In diesem zugigen Haus macht sich eines Tages
eine Schar von Ratten bemerkbar. Eine ganze Weile lebt die menschliche und die rättische Population in friedlicher Koexistenz. Doch die nächtliche Aktivität der Untermieter, das Nagen am Holz und
gelegentliche Wettrennen in den langen dunklen Gängen ließ im Hausherrn Entschlußkraft reifen: Ein Gift, das angeblich keine Schmerzen verursachte, wurde in Anwendung gebracht. Als der Erfolg dieser
Unternehmung sich bemerkbar machte, fragte die mitfühlende Hausherrin, ob man die Fütterung des Feindes nicht besser einstellen sollte. Bevor ihr Gatte noch einlenken konnte, hatten sich die Ratten
glücklicherweise aus dem Staub gemacht. Wie John Bayley anmerkt, drang nie auch nur der leiseste Verwesungsgeruch unter den Dielen hervor: „Es war, als ob sie ein letztes Fest veranstaltet hätten
und dann ausgezogen wären."

Das Ehepaar lebte auch sonst unkonventionell: Iris Murdoch leistete sich die Altmodischkeit, auf einem amerikanischen Einreisefragebogen ehrlich anzugeben, daß sie Mitglied einer Jugendorganisation
der Kommunisten gewesen war. Die Folge dieser Offenheit gestalteten private Reisen in die USA unnötig schwierig. In den Jahren ihrer Krankheit wurde Iris Murdoch von ihrem Gatten gepflegt. Ohne große
Klagen und ohne den Schrecken der Alzheimer-Erkrankung zu verkleinern, beschreibt Bayley die tägliche Routine: Das Leben mit einem Menschen zu teilen, der das Geistesleben bleibend beeinflußt hat,
der sich jedoch nicht mehr daran erinnern kann, was einmal war, und der auch keine Vorstellung davon hat, was „morgen" bedeutet, war gewiß eine verstörend anstrengende Erfahrung. Bayleys Beschreibung
der mühevollen Sorge um die Kranke und die Erinnerung an 40 gemeinsame Lebensjahre ist, um das mindeste zu sagen, berührend. Erst wenige Wochen vor Murdochs Tod war es notwendig geworden, sie in ein
Pflegeheim zu bringen.

Das Lebenswerk

Iris Murdoch hat neben philosophischen Publikationen (u. a. „Sartre: Romantic Rationalist" (1953), „The Sovereignty of Good" (1970) und „The Fire and the Sun: Why Plato Banned the
Artists" (1977)) an die 30 Romane verfaßt: 1954 erschien der Erstling „Unter dem Netz", zwei Jahre später folgte „Flucht vor dem Zauberer" (Flight from the Enchanter). 1978 erhielt sie
für „The Sea, The Sea" den renommierten Booker Prize. Im deutschen Verzeichnis lieferbarer Bücher scheinen zum gegenwärtigen Zeitpunkt gerade drei der 28 Romane auf: „Das italienische
Mädchen" erschien 1997 bei Deuticke in Wien. 1998 folgten im selben Verlag „Henry und Cato" und „Der schwarze Prinz".

„Dramaturgisch gesehen wäre es vielleicht am effektvollsten, die Geschichte in dem Augenblick beginnen zu lassen, als Arnold Baffin mich anrief und sagte: ,Bradley, könntest du bitte mal rüberkommen,
ich fürchte, ich habe gerade meine Frau umgebracht.` " So spektakulär beginnt der Roman „Der schwarze Prinz". Der dergestalt zu Hilfe gerufene Bradley Pearson war bis zur Frühpensionierung
Finanzbemater; nun hat er vor, sein eigentliches Lebenswerk, nämlich den wirklich großen Roman, zu schreiben. Er mietet ein Häuschen am Meer an, um dort in der Stille konzentriert zu arbeiten. Mitten
in den Abreisevorbereitungen nimmt er den Anruf von seinem Freund Arnold entgegen, der andeutet, er könnte seine Frau Rachel umgebracht haben. Die Abreise wird selbstredend verschoben. Rachel und
Arnold Baffin führen eine gute Ehe. Ohne Zweifel hat sich manches im langjährigen Zusammenleben etwas abgeschliffen, dennoch lieben die beiden einander. Arnold ist wie Bradley Schriftsteller,
allerdings mit wesentlich größerem Erfolg: Er schüttelt jedes Jahr ein neues Buch aus dem Ärmel, das sich zu seiner Freude und Bradleys Verwunderung auch noch gut verkauft. Bradley sieht sich selbst
als Schriftsteller in einer anderen Klasse starten. Er ist ein ernsthafter Autor, dessen Sätze nicht wie flüssiger Honig herabrinnen, sondern mit Bedacht gemeißelt sind. So ist es nur angebracht, daß
Pearson in diesem 500-Seiten-Roman als Erzähler fungiert. Er entledigt sich seiner Aufgabe mit Eleganz und Präzision: „Ich beabsichtige nicht, mein Leben als Finanzbeamter zu beschreiben. Aus
irgendeinem Grund, der mir nicht ganz klar ist, fordert offenbar der Beruf des Finanzbeamten ähnlich wie der des Zahnarztes Gelächter heraus. Aber ich habe den Verdacht, daß es ein unbehagliches
Gelächter ist. Der Steuerbeamte wie auch der Zahnarzt verkörpern nur zu gut, wovor dem Menschen im Innersten graut: daß er zahlen muß für sein Vergnügen, vielleicht bis zum Ruin, daß alles, was er
hat, nur geborgt ist, nicht geschenkt, und daß seine unersetzlichsten Gaben schon dem Verfall preisgegeben sind, noch während sie wachsen." Bradley Pearson verschiebt seine Abreise immer wieder.

Im entscheidenden Moment mangelt es ihm nicht nur an einem kleinen bißchen Mehr an Entschlußkraft: Einmal schneit seine in Eheschwierigkeiten befindliche Schwester herein, dann kehrt überraschend
seine geschiedene Frau nach London zurück, und das Allerschlimmste setzt sich noch oben drauf: Mit 58 Jahren verliebt sich der E-Schriftsteller in ein blutjunges Mädchen. Pearson schreibt übrigens
sein Hauptwerk, es ist autobiographisch, mehr soll nicht gesagt werden, denn jedes weitere Wort würde die Spannung verderben.

Die außerliterarische Welt

Das Wunderbare an Iris Murdochs Erzählweise ist, daß sie nie vergißt, daß sie eine Geschichte erzählt, die beim Leser Aufmerksamkeit erregen muß. Gleichzeitig jedoch beschränkt sie sich nicht
darauf, nur eine Geschichte zu erzählen. Kunstvoll arbeitet sie Themen aus der außerliterarischen Welt in ihre Geschichten ein. Bradley Pearson zum Beispiel kann der Psychoanalyse nichts abgewinnen,
insbesondere deswegen, weil sie „halbgebildete Theoretiker" beflügelt, „die die Auseinandersetzung mit der einzigartigen Geschichte eines Menschen so fürchten, daß ihnen jede platte
,symbolische` Erklärung lieber ist". Wie nebenbei wird Shakespeares „Hamlet" in die Geschichte gewoben, und irgendwann in der langen, bizarren Liebesgeschichte bringt noch der Strauss'sche
„Rosenkavalier" gehörig Bewegung in die Szene.

„Der Schwarze Prinz" endet nicht als Liebesroman. Die Autorin überschreitet die Genregrenzen vom Liebes- zum Gesellschafts- und Kriminalroman mehrfach in beide Richtungen. Murdochs Helden sind
Suchende. Sie streben nach einem ungekannten Guten und Höheren · und verstricken sich dabei in höchst dramatische irdische Schwierigkeiten. Die Transzendenz spielt im Murdochschen Erzählkosmos eine
nicht unwesentliche Rolle.

Die Schriftstellerin selbst war, schreibt ihr Gatte, religiös, ohne deswegen einer bestimmten Religion nahezustehen. „Glücklich gottlos" war die Kindheit der Autorin wie die von Cato Forbes aus
„Henry und Cato": Als Sohn eines freidenkerischen Vaters wird er Priester, katholischer noch dazu. Als seine Umgebung sich endlich darein zu schicken beginnt, einen Pfarrer zum Bruder und
Freund zu haben, regen sich in Cato erste Glaubenszweifel, die schließlich ihn, seine Schwester und seinen Freund Henry in die Hände von Erpressern bringen.

Nun, nach ihrem Tod, das ist absehbar, wird Iris Murdoch den deutschsprachigen Raum mit ihren Romanen ein zweites Mal erobern: „Der Schwarze Prinz" und „Henry und Cato" haben im deutschen
Feuilleton hymnische Kritiken erhalten, und der Wiener Deuticke-Verlag bringt im kommenden Herbst einen weiteren Murdoch-Titel heraus. In England arbeitet der Literaturwissenschafter Peter Conradi
seit geraumer Zeit mit der Unterstützung von John Bayley an einer ausführlichen Murdoch-Biographie.

Iris Murdoch, Der Schwarze Prinz. Roman. Aus dem Englischen von von Stefanie Schaffer-de Vries. Deuticke-Verlag, Wien 1998. 527 Seiten.

Iris Murdoch, Henry und Cato. Roman. Aus dem Englischen von Mechthild Sandberg-Ciletti. Deuticke-Verlag, Wien 1998. 494 Seiten.

John Bayley, Iris. A Memoir of Iris Murdoch. Duckworth, London 1998. 189 Seiten. (Die Übersetzungen im Text stammen von der Verfasserin.)

Freitag, 19. Februar 1999

Aktuell

erlesen: Zwei verwandte Meister der kleinen Form
Kronauer, Brigitte: Sprache, Klang und Blick
Zum Werk der Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer
Mann, Erika: Des Dichters Liebling
Zum 100. Geburtstag von Thomas Manns ältester Tochter Erika

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum