Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Ein Besuch in Thomas Bernhards Vierkanthof

Bernhard, Thomas: Des Dichters „Denk-Kerker"

Von Oliver Bentz

„S ehr geehrte Redaktion, jedesmal, wenn ich aus dem Ausland zurückkomme, denke ich, daß ich in eine der allerschönsten Gegenden der Welt heimkehre und Gmunden
ist ganz sicher auch im Salzkammergut der absolute Höhepunkt, was Stadt und Umgebung betrifft (. . .)", hieß es in einem Leserbrief in der „Salzkammergut-Zeitung", in dem sich Thomas
Bernhard für den Erhalt der Gmundener Straßenbahn einsetzte. Es ist dies die wahrscheinlich letzte öffentliche schriftliche Äußerung, die der Sterbenskranke kurz vor seinem Tod im Februar 1989
verfaßte. Der freundliche Blick, den der Autor Thomas Bernhard hier zuletzt auf seine Heimat warf, widerspricht „den bösen Blicken aus dem Ohrensessel", die Österreich und vor allem dessen Bewohnern
galten, sein gesamtes Werk durchstreifen und regelmäßig zu Protesten und Skandalen führten.

Ihren Höhepunkt erreichte die öffentliche Hysterie, die seit den sechziger Jahren das Erscheinen fast jedes Bernhard-Werkes begleitete, in der Auseinandersetzung um sein letztes Stück
„Heldenplatz" (1988), in dem er aus Anlaß des 50. Jahrestages des Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland radikal mit den alten und neuen Dämonen seines Heimatlandes abrechnete, mit altem
und neuem Nazismus und Antisemitismus. Eine empörte Öffentlichkeit protestierte damals, angestachelt von einer sensationswütigen Presse und großteils opportunistischen Politikern und Klerikalen,
gegen Bernhards „Nestbeschmutzung" und die „Beleidigung des österreichischen Volkes". Viele forderten das Verbot des Stückes sowie Maßnahmen gegen den Autor und benahmen sich schließlich so, wie
Bernhard es ihnen immer wieder vorgeworfen hatte. Eine wochenlange Pressekampagne auch gegen den Regisseur von „Heldenplatz", den deutschen Burgtheater-Direktor Claus Peymann, und schließlich auch
körperliche Attacken gegen den Autor waren der Vorlauf einer Theaterpremiere, die letztendlich in einem überwältigenden Erfolg für Autor und Regisseur enden sollte.

Österreich, seine Menschen und Landschaften, waren das Material, aus dem der „Übertreibungskünstler" und „Sprachmonomane" Thomas Bernhard seine Obsessionen speiste. Bernhard · einer der
streitbarsten, umstrittensten und bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit · griff in seinen Werken nicht nur auf autobiographische Erlebnisse als literarische Vorlage zurück; er verwendete auch
Alltagsgeschichten und Orte aus seiner unmittelbaren Lebensumgebung. So wurzelt die von ihm geschaffene „Weltliteratur" oft in dem konkreten, regionalen Raum, in Oberösterreich, der Umgebung von
Gmunden.

Die Trutzburg

Obernathal, ein Flecken nahe der Autobahn Salzburg·Wien, 5 km nördlich von Gmunden, der Gemeinde Ohlsdorf zugehörig · zwei Bauernhöfe, eine Handvoll Häuser ·, war die Trutzburg Thomas Bernhards.
Hier, in seinem in einer Talsenke gelegenen Vierkanthof (der Form des typischen Traunviertler Bauernhofes), den er 1965 von dem Geld seines ersten Literaturpreises als Ruine erwarb, mit viel Akribie
restaurierte und zu einem Herrensitz ausbaute, schottete sich der „Alpenkönig und Menschenfeind" ab von der für ihn lebensfeindlichen Umwelt. Ein moderner Kuhstall für drei Kühe, Obstgarten, Wiesen
und Wald, ein Keller voll Most, ein Traktor (mit dem Blechschild „Thomas Bernhard, vulgo Bauer zu Nathal") · alles funktionslos, aber bei Bedarf funktionsfähig · sollten ihm die Möglichkeit
verschaffen, „autark" zu leben, jederzeit selbständig und unabhängig.

Einsamkeit und Unabhängigkeit als Maxime eines Schriftstellers, dessen lebensgeschichtlicher Hintergrund außergewöhnliches Unglück ist: Kindheit in den Wirren des Krieges, Jugend in den
Erziehungsmühlen des Nationalsozialismus und des menschenfeindlichen Katholizismus, frühe Verlassenheit, erniedrigende Armut, lebensbedrohende Krankheit · eine Misere, in der Literatur zum Mittel der
Selbstbehauptung wurde.

Vom Vierkanthof aus entspringen die Wege, auf denen sich Thomas Bernhard bewegte und die Abgründe der „österreichische Seele" erkundete, in naher Umgebung liegen die Orte der Handlung vieler seiner
Romane und Theaterstücke. Entstanden aber sind die meisten Bernhard-Werke nicht hier, sondern in mediterranen Ländern, in denen er sich, seiner von früher Jugend an schweren Lungenerkrankung wegen,
vor allem im letzten Lebensjahrzehnt regelmäßig über mehrere Monate aufhielt.

Wenige Meter von Bernhards Hof entfernt findet sich der Schweinestall, aus dem jenes Grunzen kommt, das Bernhards Stück „Der Theatermacher" leitmotivisch durchzieht.

Durch einen nahegelegenen Wald erreicht man eine Schottergrube, die in „Watten" zum Schauplatz wurde; Wirklichkeitspartikel, die Bernhard nicht realistisch abgebildet hat · „in meinen
Büchern ist alles künstlich", sagte er einmal ·, die man nicht beim Wort nehmen darf, die aber als tatsächlich vorhandene Orte der Handlung benannt werden können.

In dieser Lebenswelt Bernhards finden sich die Orte und Namen, die ihn interessierten und magisch anzogen, die zu Metaphern für Wirklichkeit wurden; hier finden sich jene Herrenhäuser, in deren
„Einsamkeits-Kerkern" und „Ich-Zellen" die egomanischen Figuren seiner Stücke und Romane hausen; Orte, die zugleich Festung und Gefängnis sind; Orte, an denen die Wölfe hausten, wie das
Schloß „Wolfsegg", der Schauplatz des Romans „Auslöschung", Bernhards großem Sittengemälde unserer zu Ende gehenden Epoche.

Der Bauernhof selbst, in äußerster Strenge gehalten und eingerichtet, ist Zeugnis von Bernhards Leben und seiner Entwicklung geworden.

Möglichst kahle Wände

Die Ausstattung mit kostbaren Antiquitäten, Schränken, Truhen, Gemälden und Stichen hat er selbst in vielen Jahren zusammengetragen. Anderes, wie Sessel, Lampen und Vorhänge wurde von ihm selbst
entworfen, bis ins letzte Detail geplant und oft verändert. Viele der individuell eingerichteten, aber so gut wie nie benutzten Räume glaubt man aus den Werken Thomas Bernhards zu kennen. Es scheint,
als stünde der Besucher hier in Theaterkulissen, die vom Autor auf der Bühne mit Leben gefüllt wurden. So spiegeln das Entstehen und das Wesen des Hauses auch die Entwicklung seines literarischen
Werkes wider.

Die enge Verbindung dieses Ortes mit seinem Werk bestätigt Bernhard im Interview „Drei Tage": „Mein Haus ist eigentlich wie ein riesiger Kerker, ich habe das sehr gern, möglichst kahle Wände, es
ist kahl und kalt, es wirkt sich auf meine Arbeit sehr gut aus. Die Bücher oder was ich schreibe gleicht ganz dem, worin ich hause. Manchmal kommt mir vor, daß die einzelnen Kapitel in einem Buch so
wie einzelne Räume in diesem Haus sind. Die Wände leben. Die Seiten sind wie Wände. Und das genügt. Man muß sie nur intensiv anschauen. Wenn man eine weiße Wand anschaut, stellt man fest, daß sie ja
nicht weiß, nicht kahl ist, wenn man lange allein ist, sich ans Alleinsein gewöhnt hat, im Alleinsein geschult ist, entdeckt man überall dort, wo für den normalen Menschen nichts ist, immer mehr. An
einer Wand entdeckt man Risse, kleine Sprünge, Unebenheiten, Ungeziefer. Es ist eine ungeheure Bewegung an den Wänden. Tatsächlich gleicht Wand- und Buchseite sich fast vollkommen."

Gab es in den frühen Jahren in der Einrichtung noch helle Farben, war in den ersten 15 Jahren das Haus noch für ihn gesellschaftlich wichtig, überwogen zunehmend die dunklen Farben, wurde alles
extrem streng, eine Entwicklung, die sowohl der Person Bernhards als auch den Tendenzen seines Werkes entspricht. Er habe „sein Herz an Österreich gehängt wie an eine Hauswand", bemerkte
Bernhard anläßlich eines Interviews, „und ab und an tropft noch ein Tropfen Blut heraus". Daß diese Tropfen im Laufe der Jahre immer bitterer wurden, hing nicht zuletzt mit den Attacken
zusammen, denen er sich in Österreich immer wieder ausgesetzt sah.

Aufgrund seiner mehr als ein Jahrzehnt dauernden Todeskrankheit war er gezwungen, sich immer mehr aus dem Haus zurückzuziehen. Obwohl er den Hof noch regelmäßig aufsuchte, bekam das Anwesen einen
immer stärker musealen Charakter. Vor zehn Jahren, am 12. Februar l989, nicht lange nach der Heldenplatz-Kampagne, die ihn tief traf, starb Thomas Bernhard in Gmunden. Auf dem Grinzinger Friedhof
in Wien wurde er in aller Stille bestattet. Während er in seinem letzten Bannfluch gegen den österreichischen Staat, seinem Testament · das unter anderem die Aufführung seiner Theaterstücke in
Österreich verbietet und sich jede Annäherung von seiten dieses Staates verbittet · seine radikale Ablehnung bekundete, sollte der Ohlsdorfer Vierkanthof nach Bernhards dezidiertem Wunsch zu seinem
Andenken erhalten bleiben.

Freitag, 12. Februar 1999

Aktuell

erlesen: Zwei verwandte Meister der kleinen Form
Kronauer, Brigitte: Sprache, Klang und Blick
Zum Werk der Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer
Mann, Erika: Des Dichters Liebling
Zum 100. Geburtstag von Thomas Manns ältester Tochter Erika

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum