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Von Villers, Alexander: „Die Blüten lächeln mich an . . ."

Alexander von Villers · Briefliterat und heiterer Gärtner

Von Andrea Traxler

„Ich glaube an die Kraft der Wünsche. Was ich je als Wunsch empfunden, als Wunsch bewahrt, genährt und gepflegt habe, alles hat sich erfüllt. Die Kunst dabei ist nur, die Erfüllung zu erleben." Keineswegs nur graue Theorie
für Alexander von Villers, Verfasser dieser Konzentration. 1812 wurde er geboren in Moskau, dem Fluchtziel seiner Eltern vor der französischen Revolution. Gemeinsam gründete das Ehepaar die „Pension
noble de l'Université de Moscou", wo die adeligen Deszendenten logieren und der französischen Sprache habhaft werden konnten. Der Einmarsch Napoleons bedeutete das Ende des strebenden Wirkens der
Villers, der Vater wurde vermeintlich als französischer Spion festgenommen, die Mutter veranlaßt mit Alexander nach Leipzig zu fliehen. Eineinhalb Jahre später war die Familie zwar verarmt, aber
wieder vereint. Eine gemäße Anstellung fand Vater Villers bald, weswegen nach Dresden, dem Geburtsort seiner Frau, übersiedelt wurde, die gesamte Situation an Tristesse verlor und pekuniäre
Beweglichkeit ermöglichte.

Musik und Botanik

Entsprechend später wurde Alexander dem Verlagshaus Tauchnitz in Leipzig überantwortet, wo er die Kunst des Schriftsetzens erlernen sollte, nachdem Schul- und Privatunterricht mit seinem Wesen
unvereinbar war. Die Arbeit am Setzkasten empfand er aber deprimierend und demütigend. Dies ausgleichend, ließ er sich zuweilen mit einer Sänfte in sein Domizil tragen. Das nächtliche Herumtreiben in
Wirtshäusern, ein liederlicher Lebenswandel en général, vertrug sich nicht mit den Vorstellungen seines Brotgebers und führte zu einem endenwollenden Eklat mit selbigem.

Der exaltierte Sproß wurde in die elterliche Fürsorge zurückverbannt, wo geplante Versuche, ihn doch zu einem Schulbesuch zu bewegen, scheiterten. Als Volontär schickte ihn der Vater 1830 nach Paris,
wo er sich im Verlagshaus Firmin Didot verdingen sollte. Dort, weniger Didot, dafür aber die Pariser Salons frequentierend, fand er eine seiner geistigen Regheit entsprechende Atmosphäre vor. Durch
sein umtriebiges Gesellschaftsleben lernte er Franz Liszt kennen, wodurch sich ihm musikalische Sphären erschlossen. Vier Jahre später als Hauslehrer bei Madame de Clermont, begann er, sich ernsthaft
der Musik- und Naturwissenschaft zu widmen, der Rahmen der geordneteren Lebensform schien dafür günstig.

Im selben Zeitraum lernte er Gustave Thouret (1817 bis 1875) kennen, einen ambitionierten Botaniker, der die berühmteste gartenarchitektonische Attraktion der Côte d'Azur bepflanzte, in Antibes.
Diese Freundschaft war tief und prägend für Villers Flora-Interessen, der Tod des Freundes traf ihn sehr. Ein Brief an seinen Freund Alexander Freiherr v. Warsberg (1836 bis 1889, begeisterter
Orientalist, ausgedehnte Reisen verbuchend) enthält dazu eine berührende Textstelle: „Es würde mir nichts helfen, es zu verschweigen, weil es mich doch ganz beherrscht. Gustav Thouret ist
gestorben, den Sie einst in Antibes besuchen sollten, und ich habe nicht geglaubt, daß mich noch irgend etwas so leidend machen könnte. Auf hundert Meilen Weite stirbt ein Mensch, und rings um uns
ist alles tot. Keine Arbeit mehr, keine Freude, kein Zweck mehr. So bin ich auch nicht fähig, jetzt nicht, Ihnen etwas zu schreiben, wie ich Ihnen auch danke für Ihren Brief von jenem Orte, den ich
nicht kenne und von dem her Sie mir ein Lavendel schicken. Sie konnten nicht ahnen wie passend. Denn ein Meer von Lavendel wogt wild auf Antibes. Ich wollte Samen von dort haben, gerade von dort, und
schrieb es meinem armen Freunde, der mich, wie immer, deshalb mußt ich ihn lieben, auslachte und antwortete, solches Zeug schicke man nicht. Freilich seltene Palmen waren Gras in seinem Garten. Nun
kam Ihr Lavendel zugleich mit der Nachricht von seinem Tod. Was können Blumen von uns wissen, und wie erschütternd können sie zu uns reden."

1840 ging Villers zurück nach Dresden, holte 1843 das Abitur nach, bestand im darauffolgenden Jahr das juridische Staatsexamen und erhielt eine Anstellung im Ministerium für auswärtige
Angelegenheiten dortselbst. Als Legationssekretär kam er 1853 in die sächsische Botschaft nach Wien, wo er bis 1870, ab 1860 als Legationsrat, in Stellung blieb. Durch diese Tätigkeit war zwar seine
existentielle Grundlage gesichert, entsprach aber nicht der ersehnten Imagination.

Glück im Wiesenhaus

Für deren Realisierung fand er 1872, als letzte entscheidende Wende in seinem Leben, einen vielversprechenden Nährboden vor: das Wiesenhaus bei Neulengbach. „Ein großer Reiz des Landlebens
liegt in der Beschränkung", meint Villers in einem Brief an Warsberg, zwei Jahre bevor er dem städtischen Leben entsagen konnte. Der Reiz des Land-lebens en détail wird noch zu verfolgen sein.
Zuweilen schrieb er ein Feuilleton, seine prosaischen Bemühungen blieben Fragmente. Eine Selbstreflexion über Schreibambitionen, verbrieft deponiert an den Freund Rudolph Graf Hoyos (1821 bis 1896,
vermögend, Passion: Park- und Gartengestaltung): „. . . die Feder, aus der Briefe fließen, kann deshalb nicht auch Bücher schreiben. Im Brief red' ich zu einem, dem ich, wie wir beide nun sind,
etwas zu sagen habe. Schrieb' ich ein Buch, wer stünde vor mir? Niemand, oder so viele, die mich stumm machen würden. Dazu kommt, daß ich gerade das, was ich allenfalls zu sagen hätte, um jeden Preis
verschweigen will. Es ist übrigens wenig, ich habe wirklich nichts zu sagen. Zum Sagen gehört vor allem Wissen. Ich weiß nichts, denn einiges ist nichts." Anders im tönenden Rahmen, einige von
Villers komponierte Lieder, Klavierstücke und Quartette wurden durchaus goutiert. „Nach schriftlichen Kompositionen fühl' ich ohne Anregung kein Verlangen; wenn nicht an oder für einen andern,
würde ich nie eine Zeile schreiben. Mir aber, oder niemandem, hab' ich nichts zu sagen. Ganz anders in der Musik; auch da hab' ich gar nichts zu sagen, aber viel zu fragen, und immer gibt sie
Antwort. Das weiß ich so gewiß, daß ich, wissend, daß ich nichts weiß, dennoch zum Klavier gehe und es anrühre. Das ist meine ganze Tätigkeit. Ton ist alles; er klingt und braust auf, führt andere
herbei, die rufen sich einer den andern, und ich bin sicher, etwas zu empfangen, das · was mir das Wichtigste ist · nicht von mir ist."

Seine Briefe, primär an die Freunde Warsberg und Hoyos gerichtet, fesseln durch leichtfüßigen Sprachgebrauch und geistreich-originelle Auffassungen, u. a. zu Philosophie, Literatur, Sprach-Sophistik:
„Diese deutschen Schriftsteller schreiben zu schleuderisch, und daß es ihnen an Geschmack fehlt, ist, nachdem Madame de Stael es vor siebzig Jahren gesagt hat, auch heute noch wahr. Feineres
Sprachgefühl und besseren Geschmack zu manchem Guten, das sie haben, würden uns eine ganz respektable Literatur sichern." Selbst aber: „Ich lese meist nur schlechtes Zeug, um die Gedanken an
das, was mich ernstlich beschäftigt, loszuwerden; auch der Geist kriegt zuletzt Hühneraugen, . . . Am liebsten las ich: „Es war einmal ein Mann, der hieß Bimbam"; aber so gute Bücher sind selten. Im
übrigen glaub' ich alles was gedruckt dasteht, und laß' es mir gefallen, auch wenns mir nicht gefällt. Von Zeit zu Zeit ein Schillersches Stück mit Entzükken. Solange Schiller spricht, hat er recht.
Mehr verlang' ich nicht; . . ."

Der Luxus, ein Bauer zu sein

Im Wiesenhaus begann für Villers die glücklichste Lebensphase · Derivat einer Sentenz aus einem Brief an Warsberg 1782: „Im großen und ganzen (. . .) ist mir zumut wie einem Karpfen, der seine
Jugend in polnischer Sauce zugebracht hat und auf seine alten Tage einen Teich entdeckt. Der Bauer, der sechzig Jahre in mir schlummerte, ist hier erwacht, reckt die Glieder, reibt sich die Augen,
reißt das Maul auf und fragt sich: Wo war ich so lange?" Sein stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Unabhängigkeit war Movens, an gesteckten Zielen auch anzukommen, wenngleich sie durch mangelnde
Erfahrung nicht sofort umzusetzen möglich waren. „Mein Ziel ist, mir hier eine Insel herzustellen, die, unabhängig vom großen, unwirtschaftlich werdenden Kontinent, das Notwendige hervorbringe,
was ich für mich und meinen Hausstand brauche. Etwa zwei Joch Grund als Acker, Wiese und Gemüsgarten, wie ich sie, sicher eingefangen, hier besitze, müssen als wohlgeordnete Wirtschaft dazu
ausreichen. Nicht sobald. Aber in zwei Jahren längstens. Bis dahin will ich für die Instruierung kein Opfer und kein Lehrgeld scheuen." Die gewünschte Lebensform hatte Villers bis ins kleinste
Detail durchdacht und stellte sie wiederholt der verabschiedeten gegenüber: „Mäßig leben von Feldfrüchten, ein freier Mensch sein, ohne Heucheln und Betteln und Schmarotzen, voll ausatmen, in
einer Holzhütte leben, in einer verwetterten Kutsche fahren, wenn das einzige Roß nicht gerade Dünger aufs Feld zu führen hat, solch bescheidenes Dasein ist heute Luxus. Wohlfeil ist, lackierte
Stiefel zu tragen und Glacéhandschuh, sich an Teetischen herumtreiben, bei anderen auf Schlössern wohnen, bei anderen an Tischen sitzen und Trüffelsaucen von Tellern aufschlecken; wer nicht leben
will wie eine Laus am Kopf eines Edelmannes, der muß nach dem Luxus trachten, ein Bauer sein zu können." Villers war jenes „wohlfeile" Leben keineswegs fremd: „Ich habe Schlösser bewohnt mit
herrlichen Parkanlagen, voll blühender Büsche und Blumenrabatten; Bediente trugen Kaffeebretter mit Frühstück darauf vor mir her auf Terrassen, wo es zog und wo die Sonne von ungeschickten Astronomen
irregeleitet zur unrechten Zeit hinschien, . . . ich sah Alpen und das Meer, Felder von Lavendel, Myrten und Thymian . . . · gefreut aber hat mich nichts wie dieser kleine Platz in einem kleinen
Garten, . . ." Er war ein veritabler Hedonist: „Früh sechs Uhr wird die Tür von meinem Schlafzimmer geöffnet; mein Bett steht so, daß ich geradeaus durch alle meine vier Zimmer bis auf das
Fenster sehe, vor dem der große Ahorn seine schönen grünen Zweige schüttelt. Wie das wohltut, so zu erwachen! Dann kommt das Aufstehen; es ist alles so bequem im Schlafzimmer und so hübsch, daß man
sich möchte Schönheitspflästerchen aufkleben, um auch so gut auszusehen. Beim Rasieren über eine Wiese in Kastanienbäume zu blicken, da muß man beim Barte des Propheten schwören, ja, das Leben ist
doch schön." In den Wiesenhaus-Briefen finden sich Passagen in Vielzahl, die zeigen, daß die getroffene Entscheidung eine unbedingte war: ". . . ein paar Scheibtruhen guter Erde werden mir zu
Reichtum, und ich folge mit den Augen dem Wachstum von ein paar Salatblättern; ich spendiere mir als Luxus ein paar Tagelöhner und schwelge in Spatenstichen wie in teuren Konzerten und Theatern."
Nicht nur das Arbeiten selbst, auch das Resultat wurde lustvoll erlebt: „Der kleinste Garten ist eine Welt von Sorge, Fleiß und Lohn, von sicherem Lohn, wie er sonst kaum zu erwarten. Was ich
allein schon gejätet habe in diesem durch so viele Jahre in Beamtensitz gottlos verwahrlosten Winkel, wo Unkraut in Samen schoß und sich jährlich frisch aussäte! Die Beete lagen, der Bodenneigung
folgend, in einer von der Sonne abfallenden Senkung; ich hab sie umgekippt, und nun erhält jede Pflanze ihren Sonnenstrahl mitten in die Brust, daß ihr das Herz lachen muß und mir auch."
Gelegentliche Reisen beunruhigten und waren unbefriedigend anstrengend. Nach einer Paris-Reise: „Höhere Bildung hab ich sonach aus Paris nicht davongetragen; bin ein sehr schlechter Reisender
und noch schlechterer Beobachter. Das Interessante interessiert mich nicht; halb Maulwurf, halb Schnecke, ganz Einsiedler, verlangt es mich nicht aus meinem engen Kreis heraus; Käse, Obst, Butter,
Kochherd, Türschlösser, Küchenschürzen, Stoffe für Hausröcke und Hemden, Gemüsesamen und wie man Flußsand, Schotter reutern muß, das zog mich an; aber Eleganz, Politik, Personen, Welt, Theater, das
eigentliche Paris von Paris hab ich eher gemieden als aufgesucht." Besuchen aber war er keineswegs abhold, wie eine Einladung an Warsberg dokumentiert: „Meine Rosen würden Sie nicht verachten,
und trau ich Ihnen auch kein Interesse für die fünftausend Rüben zu, die ich pflanzte, so hätt ich Erdbeeren, Sie um so gewisser zu betören. Maienbutter, gelb wie Bernstein, Radieschen gleich
Rosenknospen, Backhendl zart wie Pfirsiche, und keine Generalversammlungen · das sind so meine Freuden, die ich mit Ihnen teilen möchte."

Die stete Heiterkeit

Durch Villers Briefe aus den grünen Jahren zieht eine stete Heiterkeit, auch wenn er über einschlägige Dinge berichtet. Man könnte den Eindruck gewinnen, sein Garten hätte sich in gleichem Maße
über seinen Betreuer erheitert. Farbe für dieses etwas seltsam anmutende Bild liefert Villers in Töpfen. Ein Topf, der an Hoyos ging, soll geleert werden: „Nach sechs Jahre langem vergeblichen
Warten brechen heuer meine Spaliere von Zukunftsobst. Schneeweiß die Birnen, rosenrot die Pfirsiche. Die Blüten lächeln mich an und scheinen zu sagen. ,Da kommt er.` Er · der bin ich! Und gehe an
allen vorüber, sehr freundlich, sehr wohlwollend, greife auch zuweilen an die Mütze und sage: Ich danke. In allem Ernste, das ist sehr hübsch, und man wäre ein Narr, kein Narr zu sein, wenn mans
haben kann!"

Man muß nicht notwendigerweise am Land leben, um Villers Briefe zu schätzen, die 1881, ein Jahr nach Villers Tod, erstmals von Hoyos unter dem heute noch aktuellen Titel Briefe eines Unbekannten,
in einer Auswahl der Öffentlichkeit vorgelegt wurden. 1887 folgte die zweite Auflage um einen Band erweitert, von Hoyos wie folgt eingeleitet: „Mein Wunsch hat sich erfüllt, meine Hoffnungen sind
übertroffen worden, denn nicht nur einzelne, sondern eine große Leserzahl hat mit Villers gelacht, geweint, und denkend sich erhoben."

Freitag, 20. November 1998

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