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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Zum 100. Todestag von Theodor Fontane

Fontane, Theodor: „Mir ist die Freiheit Nachtigall . . ."

Von Wenzel Müller

Ein Baron heiratet eine blutjunge Frau. Er ist ein „Mann von Charakter und guten Sitten", sie kann dennoch in der Ehe keine Erfüllung finden. Nicht aus Leidenschaft, eher, wie man damals zu
sagen pflegte: par dépit, läßt sie sich auf ein Verhältnis mit einem Hausfreund ein. Sechs Jahre später erfährt der Ehemann zufällig von dieser Affäre. Seine Ehre sieht er in Gefahr. Er fordert
· aus Komment · den Verführer zum Duell und erschießt ihn. Von seiner Frau läßt er sich scheiden. Die geht zurück zu ihren Eltern, wo sie bald darauf stirbt.

Der Inhalt von „Effi Briest" ist mit wenigen Sätzen wiedergegeben, dieses sicher berühmtesten Romans von Theodor Fontane, dessen Todestag sich am 20. September zum 100. Mal jährt. Ein Pamphlet
gegen den preußischen Ehren- und Sittenkodex! So wird der Roman gerne gelesen und der Autor als scharfer Gesellschaftskritiker gefeiert.

Vielleicht zuviel der Ehre. Für den 1819 in Neuruppin, nördlich von Berlin, geborenen Autor hatte nach eigener Aussage die Hauptgeschichte nie eine zentrale Bedeutung. Den Reiz des Schreibens sah er
vor allem darin, auch die vermeintlich unbedeutenden Nebenfiguren genau zu zeichnen, auch bei den scheinbar nicht so wichtigen Nebenhandlungen größte Sorgfalt walten zu lassen. Um ein plastisches
Bild zu entwerfen, um der Geschichte Glaubwürdigkeit und Tiefe zu verleihen. „In meinen ganzen Schreibereien suche ich mich mit den sogenannten Hauptsachen immer schnell abzufinden, um bei den
Nebensachen liebevoll, vielleicht zu liebevoll verweilen zu können. Große Geschichten interessieren mich in der Geschichte, sonst ist mir das Kleinste das Liebste."

In „Effi Briest" sind Effis Vetter Dagobert, ein junger Offizier und Kavalier, oder der alte bucklige Apotheker Alonzo Gieshübler, der stets ein Auge für die junge Frau hat, mit der gleichen
Genauigkeit gezeichnet wie die „Hauptfigur" Baron Geert von Innstetten.

Kein Glattschreiber

Für sich selber nahm Fontane in Anspruch, ein Stilist besonderer Art und Vielfalt zu sein, nämlich „nicht einer von den unerträglichen Glattschreibern, die für alles nur einen Ton und eine Form
haben, sondern ein wirklicher. Das heißt also ein Schriftsteller . . . der immer wechselnd seinen Stil aus der Sache nimmt, die er behandelt."

Ein besonderes Anliegen war dem Autor die sorgfältige Gestaltung der Figurenrede: „Es hängt alles mit der Frage zusammen: Wie soll man die Menschen sprechen lassen? Ich bilde mir ein, daß nach
dieser Seite eine meiner Forcen liegt, und daß ich auch die Besten (unter den Lebenden die Besten) auf diesem Gebiet übertreffe. Meine ganze Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet, die Menschen so
sprechen zu lassen, wie sie wirklich sprechen. Das Geistreiche geht mir am leichtesten aus der Feder, . . . doch ich weiß genau, wo die geistreiche Causerie hingehört und wo nicht."

Die Dialoge benutzte Fontane in „Effi Briest" auch dazu, um so indirekt vom Seitensprung seiner Protagonistin erzählen zu können.

Dieser Roman war ihm gelungen, obwohl oder gerade weil er ihm überhaupt keine Mühe gemacht hatte. Fontane schrieb ihn wie in einem Fluß nieder, das berichtet er am 2. März 1895 in einem Brief an den
Verlegersohn Hans Hertz: „Sonst kann ich mich immer der Arbeit, ihrer Mühe, Sorgen und Etappen erinnern · in diesem Fall gar nicht. Es ist wie von selbst gekommen, ohne rechte Überlegung und ohne
alle Kritik."

In diesem Brief erfahren wir auch Grundsätzliches über Fontanes Schreibweise: Er pflegte in einem ersten Entwurf seine Gedanken zunächst spontan, ohne weiteres Nachdenken, zu Papier zu bringen. Was
ihm eben die Intuition bzw. Inspiration gerade eingaben. Die Surrealisten sollten diese Schreibweise später das automatische Diktat der Fantasie nennen, Fontane sprach von „Psychographie" und
„Dunkelschöpfung". In dieser Rohfassung steht, so der Dichter, „in der Regel Dummes, Geschmackvolles, Ungeschicktes neben ganz Gutem, und ist Letzteres überhaupt da, so kann ich schon zufrieden
sein."

In einem zweiten Schritt überarbeitete Fontane dann die erste Version, von der er sagte, daß er oft selber nicht wüßte, „woher sie kommt", besserte sie aus und brachte sie zur endgültigen Form. Erst
das freie Spiel der Fantasie, dann die Feinarbeit. In einem Brief vom 11. November 1895 schreibt Fontane an einen Freund: „Der alte Witz, daß man Mundstück sei, in das von irgendwoher
hineingetutet wird, hat doch was für sich, und das Durchdrungensein davon läßt schließlich nur zwei Gefühle zu: Bescheidenheit und Dank."

Der Spätberufene

Theodor Fontane vollendete „Effi Briest" mit 76 Jahren, drei Jahre vor seinem Tod. Der Dichter ist ein klassischer Vertreter der sogenannten Spätberufenen. Erst in seinem letzten
Lebensviertel kam er dazu, sich ganz der freien Schriftstellerei zu widmen.

Gelernt hatte er Apotheker, genauso wie sein Vater. Doch von Berufung zu diesem Metier kann keine Rede sein. Als Gehilfe schätzte er an der eintönigen Arbeit des „Giftmischens" höchstens, daß sich
dabei ganz gut dichten ließ. „So saß ich denn, tagaus tagein, mit einem kleinen Ruder in der Hand, an einem großen eingemauerten Zinnkessel, in dem ich, unter beständigem Umherpätscheln, die
Queckensuppe kochte . . . Wenn 12 Uhr herankam, wo wir unser Räuberzivil abzulegen und uns zu Tisch zurecht zu machen hatten, benutzte ich die dadurch gebotene Freistunde jedesmal zum Niederschreiben
all dessen, was ich mir an meinem Braukessel ausgedacht hatte."

Den ganzen Tag in der Apotheke stehen, das liegt ihm nicht. Bald spricht er auch nur noch von der „Giftbude". Er wagt den großen Schritt und gibt mit 31 Jahren seinen Brotberuf auf. Von da an lebt er
vom Schreiben. „Mir ist die Freiheit Nachtigall, den anderen Leuten das Gehalt."

Fontane arbeitet in der Berliner Zensurbehörde und geht später für einige Zeit als Korrespondent nach London. Es sind die bewegten Jahre der 1848er-Revolution, in der der Autor im übrigen nicht
eindeutig Stellung bezieht. Ohne größere Gewissensbisse kann er einmal für die reaktionäre „Kreuzzeitung" schreiben und dann für die liberale „Vossische". Jede einseitige Parteinahme
scheint ihm suspekt zu sein, außerdem braucht er dringend Geld.

Fontane muß nicht allein für sich selber aufkommen, er hat eine Familie mit vier Kindern (plus zwei unehelichen). Der Verantwortung als Familienvater ist er sich bewußt, trotzdem ist da der stete
Drang nach Ungebundenheit und Freiheit. Er wechselt öfters den Arbeitgeber, und gefällt ihm eine Stelle überhaupt nicht, wie die als Sekretär an der Königlichen Akademie der Künste, kann er sie auch
von einem Tag auf den anderen aufgeben, ohne zu wissen, von was er fortan leben soll.

Immer am Abgrund

Die Finanzlage der Familie ist immer gespannt. Darunter leidet vor allem Fontanes Ehefrau Emilie. Trotz dieser Belastung kommt es aber nicht zum Bruch der Ehe, die über 50 Jahre hält. Geheiratet
hatte Fontane 1850 · im selben Jahr hatten sich im übrigens kurz vorher seine Eltern getrennt.

Er hätte keine bessere Ehefrau finden können, schreibt der Dichter einmal. Und ein anderes Mal: „Sie wäre eine vorzügliche Predigers- oder Beamtenfrau in einer gut und sicher dotirten Stelle
geworden; auf eine Schriftstellerexistenz, die, wie ich einräume, sich immer am Abgrund hinbewegt, ist sie nicht eingerichtet. Und doch kann ich ihr nicht helfen. Sie hat mich als Schriftsteller
geheirathet und muß sich schließlich darin finden, daß ich, trotz Abgrund und Gefahren, diese Art des freien Daseins den Alltagscarrieren mit ihrem Zwang, ihrer Enge und ihrer wichtigthuerischen
Langeweile vorziehe."

Im Alter, mittlerweile ein angesehener Schriftsteller, sollte Fontane rückblickend meinen, daß Menschen wie er · ohne Stellung, Vermögen und starke Nerven · gar nicht heiraten und andere mit ins
Unglück ziehen sollten. Anderseits, bekennt er auch, „ohne Ehefrau wäre ich gegen mich selber sehr viel flauer gewesen, denn ein Apotheker, der anstatt von seiner Apotheke von der Dichtkunst leben
will, ist so ziemlich das Tollste, was es gibt."

Der Autor, über den im Brockhaus und Meyers Enzyklopädischen Lexikon wortgleich zu lesen ist, daß er „den deutschen Roman aus der erstarrenden Tradition des Bildungsromans gelöst und auf die Höhe
des europäischen kritischen Gesellschaftsromans geführt hat", war unter anderem auch „Kriegsberichterstatter der preußischen Armee", als der er die Bismarckschen Kriege 1864, 1866 und 1870
begleitete. Und über 20 Jahre verfolgte Fontane als Kritiker das Theatergeschehen in Berlin, er brachte es auf nicht weniger als 740 Theaterrezensionen.

Fontane als Kritiker: Er war ein Fürsprecher von dem jungen Gerhart Hauptmann und ein Gegner des anderen „Theater-Erneuerers" Henrik Ibsen. Kein Funken Lebenserfahrung stecke in dessen Stücken:
„Die größte aller Revolutionen würde es sein, wenn die Welt, wie Ibsens Evangelium es predigt, übereinkäme, an Stelle der alten, nur scheinbar prosaischen Ordnungsmächte die freie
Herzensbestimmung zu setzen. Das wäre der Anfang vom Ende. Denn so groß und stark das menschliche Herz ist, eins ist noch größer: seine Gebrechlichkeit und seine wetterwendische Schwäche."

Und ein anderes Mal wird Fontane geradezu ausfällig: „Da quatscht jetzt jeder von Ibsens Wahrheit, aber gerade die spreche ich ihm ab . . . In der Mehrzahl seiner Dramen ist alles unwahr, die
bewunderte Nora, die größte Qatschliese, die von der Bühne herab zu einem Publikum gesprochen hat."

Happy-End: „Der Stechlin"

In der Zeit von 1876 bis 1898 schreibt Fontane 17 Romane und Novellen. Die meisten sind in der Mark Brandenburg angesiedelt, die er mit seinen „Wanderungen" · die freilich immer
Kutschenfahrten waren · genau erkundet hat. Ein Roman, „Graf Petöfy", spielt auch einmal in Österreich-Ungarn. Der kam bei der Kritik allerdings nicht gut an, sie bemängelte, daß der Autor die
Schauplätze offensichtlich nicht aus eigener Erfahrung kenne.

In seinem Todesjahr glückt Fontane mit dem Roman „Der Stechlin" ein weiterer Erfolg, man kann auch sagen: schreibt er sich nachdrücklich in die Literaturgeschichte ein. Ein Happy-End, wie es
ein Hollywood-Film nicht schöner hätte erfinden können. Fontanes Rückblick: „Das Endresultat ist immer eine Art dankbares Staunen darüber, daß man, von so schwachen wirtschaftlichen Fundamenten
aus, überhaupt hat leben, vier Kinder großziehen, in der Welt herumkutschieren und stellenweise (z. B. in England) eine kleine Rolle spielen können. Alles auf nichts andres hin als auf die Fähigkeit,
ein mittleres lyrisches Gedicht und eine etwas bessere Ballade schreiben zu können. Es ist alles leidlich geglückt . . ., aber, zurückblickend, komme ich mir doch wie der ,Reiter über den Bodensee`
vor in dem gleichnamigen Schwabschen Gedicht, und ein leises Grauen packt einen noch nachträglich."

Zitate aus Wolfgang Hädecke: Theodor Fontane. Carl-Hanser-Verlag, München, 1998, 445 Seiten.

Donnerstag, 17. September 1998

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