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Zum 60. Geburtstag des Regisseurs, Fernsehspielleiters und Schriftstellers

Szyszkowitz, Gerald: Endlich Zeit zum Schreiben

Von Jürgen Koppensteiner

Obwohl er nun bereits seit einigen Jahren nicht mehr beim ORF ist, gilt Gerald Szyszkowitz, der am 22. Juli seinen 60. Geburtstag feierte, für viele noch immer als der Fernsehspielproduzent.
Nicht ganz zu Unrecht. Immerhin verdanken ihm die Fernseher Produktionen wie die "Alpensaga" von Turrini und Pevny, "Schöne Tage" von Innerhofer und Lehner, "Das Dorf an der Grenze" von Pluch und
Lehner, "Eine blaßblaue Frauenschrift" nach Werfel von Corti und "Radetzkymarsch" nach Joseph Roth, ebenfalls von Axel Corti. Für Hunderte Fernsehfilme war Szyszkowitz verantwortlich, und er
arbeitete mit den besten Regisseuren und den bekanntesten Autoren des Landes zusammen. Wenn man heute mit ihm spricht, so scheint er jedoch seine Rolle als langjähriger, einflußreicher und
erfolgreicher TV- und Kulturmanager eher beiseitezuschieben. Doch, daß die "Süddeutsche Zeitung" erst vor kurzem seine Leistungen als langjähriger Fernsehspielchef würdigte, hat ihn sichtlich
gefreut. Ansonsten jedoch möchte er, wie er immer wieder betont, nur mehr das sein, was er seit seinem zwölften Lebensjahr sein wollte: Schriftsteller.

Mit dem Roman "Puntigam oder Die Kunst des Vergessens" war er mir 1988 erstmalig als Schriftsteller aufgefallen, und mit dem "Puntigam" hat sich Gerald Szyszkowitz international als Schriftsteller
einen Namen gemacht. "In Erinnerung an unseren Sieg in Monterey", schrieb er mir, etwas pathetisch zwar, aber nicht ganz unzutreffend, im November 1988 in mein Exemplar des Romans. Kurz zuvor
hatte er in der kalifornischen Hafenstadt, von mir eingeführt, vor etlichen hundert Deutschlehrern gelesen und großen Eindruck hinterlassen. "Die Deutschlehrer in den USA", meinte er später,
"waren überrascht", denn neunzig Prozent hätten ihn ja nicht gekannt. Und voll Überzeugung fügte er hinzu, daß ihn vierzig oder fünfzig Prozent nicht so schnell vergessen würden. Das Thema sei
schließlich bei sehr vielen Menschen mit eigenen Assoziationen besetzt. Nun, was Amerika betrifft, gibt es darüber keine empirischen Befunde, wenn auch der Gedanke nicht von der Hand zu weisen ist.
Fest steht, daß "Puntigam" sehr schnell ins "Amerikanische" und in mehrere andere Sprachen übersetzt wurde, u. a. ins Russische, Polnische und Slowenische.

Kunst des Vergessenes

Im Falle des "Puntigam" boten sich Übersetzungen aus mancherlei Gründen an. Die Waldheim-Affäre hatte das wirklichkeitsverzuckerte Image Österreichs mehr als nur angekratzt. Österreich war · nicht
nur in Amerika · im Gespräch. Und der Untertitel des Romans, "Die Kunst des Vergessens", die wörtliche Übersetzung einer Titelgeschichte aus dem Nachrichtenmagazin "Time", mußte ein Aha-Erlebnis
auslösen. Darauf spielt Simon Wiesenthal in seinem Vorwort zur US-Ausgabe an, wenn er schreibt: "Der amerikanische Leser, der in den letzten drei Jahren sein Wissen über Österreich aus den
Schlagzeilen seiner Zeitungen erworben hat, gewinnt mit diesem Buch einen Einblick in das Leben in Österreich während der Nazizeit." Konnte dies aber ausreichend Grund sein, einen Roman, der doch
zuallererst für eine österreichische Leserschaft gedacht war, dessen Figuren sich im Umkreis der aktuellen österreichischen Politik bewegen, gerade in Amerika aufzulegen? Oder in Rußland, in Polen?
Eignet sich Szyszkowitz überhaupt, so muß man weiterfragen, für "fremdkulturelle" Leser, gar für Übersetzungen, oder handelt es sich bei ihm nicht geradezu um ein perfektes Beispiel eines
milieugeprägten Autors, der über die soziokulturellen Grenzen seines Landes nicht transportierbar ist?

Die Antwort fällt widersprüchlich aus. Ich stehe jedenfalls zu meiner Empfehlung im Nachwort der US-Ausgabe des "Puntigam", der Roman möge in jeder amerikanischen Familie gelesen werden (ich weiß,
daß dies ein irrealer Wunsch ist), schon weil die "Kunst des Vergessens" universell praktiziert wird und es angebracht ist, dies den Menschen überall und immer wieder vor Augen zu führen. Szyszkowitz
bestätigt das, wenn er sagt, daß die Russen zum Beispiel das Buch verlegt hätten, "weil die russischen Leser an die Erfahrungen mit ihrem eigenen brutalen Militarismus denken können." Und bei
den Polen sei es ganz ähnlich, für sie sei es nicht so sehr eine österreichische als ihre eigene Geschichte. So wendehalsig, wie Friedemann Puntigam sich zwischen Schuschnigg, Hitler und Figl
aufgeführt habe, verhielten sich auch viele polnische Würdenträger, die eine Metamorphose von Kommunisten, über Übergangssozialisten bis zu Katholiken durchmachten. Nicht viel anders sei es bei den
Slowenen, die Angst vor ihrem eigenen Nationalismus hätten.

Wenn Szyszkowitz auch in seinen jüngsten Prosawerken nie von seiner Maxime abgeht, "so unterhaltsam wie möglich" zu schreiben, was ihm Vorwürfe eingebracht hat, ein "Autor anmutiger Belletristik"
oder "leicht antiquarischer Unterhaltungsprosa" (Ulrich Weinzierl) zu sein, so verfolgt er im Grunde immer wieder lehrhafte Ziele. Er will die Empfindlichkeit seiner Leser treffen, und er wünscht
sich, daß seine Bücher "zwischen Leoben und Radkersburg" zum Nachdenken anregen, Ängste abbauen und Vorurteile in Frage stellen.

Im "Puntigam" geht es ihm darum, zu zeigen, daß nicht Treue und Pflicht als Begriffe an sich wichtig sind, sondern ausschließlich, wem man die Treue hält. Der Jugendroman "Auf der anderen Seite"
(1990) ist ein Plädoyer gegen Engstirnigkeit und Fremdenhaß und eine Warnung vor Ausländerfeindlichkeit. In "Moritz und Nathalie" (1971) wiederum erweckt Szyszkowitz nicht nur Verständnis für die
Probleme eines Blinden, der seine innere Sicherheit und Geborgenheit nur dadurch bewahren kann, daß er sich immer wieder in seine eigene kleine Welt zurückzieht, sondern er läßt auch durchblicken,
daß in bestimmten Situationen politisches Engagement den Vorrang vor privatem hat, auch wenn dies mit einem Verzicht auf persönliches Glück erkauft werden muß. Auch der Roman "Der Liebe lange Weile"
(1992) hat letztlich · ungeachtet der ihm von der Kritik verliehenen Etiketten "locker" und "flott" · ein lehrhaftes Ziel. Liebe, das scheint doch die Aussage zu sein, schließt Pflicht ein. Die zu
erfüllen, bedarf es übermenschlicher Mühe.

Freilich verpackt Szyszkowitz · und das ist sein Erfolgsrezept · seine Botschaft stets in eine griffige Story und schafft so auch in seinen Post-"Puntigam"-Romanen ein Lesevergnügen, das keine
Langeweile aufkommen läßt. Der Fast-Liebesgeschichte zwischen einer eigenwilligen niederösterreichischen Bauerntochter und einem jungen Tschechen ("Auf der anderen Seite") folgt die bittersüße,
einfühlsame Erzählung von der Beziehung einer impulsiven jungen Journalistin aus Slowenien und einem blinden, verletzlichen Österreicher ("Moritz und Nathalie"). Ein Happy-End scheint sich zu
verbieten, wohl nicht nur wegen der politischen Turbulenzen in Europa, die in den Romanen mehr als nur eine Kulisse bilden. Der Autor kreiert zwar seine Königskinder, läßt sie jedoch nie
zusammenkommen. Nicht anders verhält es sich im Roman "Der Liebe lange Weile", in dem Szyszkowitz sein Thema mit Variationen gestaltet, den "glücklichen Traum einer ewigen Nähe" am Ende jedoch
platzen läßt. Toni und Erich, die nicht mehr so jungen Hauptfiguren, leiden zwar an der Langeweile ihrer Liebe, erkennen aber zugleich deren "lange Weile". Trotz mehrerer Ausbruchsversuche und Tonis
"Flug in die Unabhängigkeit" am Ende gelingt es den beiden nicht, sich voneinander zu lösen.

Die Prosawerke von Szyszkowitz vermitteln sehr viel vom Lebensgefühl und von der innenpolitischen Situation im Österreich der achtziger und neunziger Jahre. "Auf der anderen Seite" dokumentiert die
Öffnung der Grenze zur Tschechoslowakei und bietet Momentaufnahmen der österreichischen Reaktion auf die Vereinigung Deutschlands und einer politischen Partei, die auf Populismus setzt und deren
Erfolg, ungeachtet einiger Rückschläge in jüngster Zeit, scheinbar nicht aufzuhalten ist. In "Moritz und Nathalie" wiederum bilden die Ereignisse, die auf Sloweniens Unabhängigkeitserklärung folgten,
der brutale Krieg der jugoslawischen Bundesarmee gegen die "abtrünnige" Republik, die Debatte um die internationale Anerkennung des neuen Staates, nicht nur einen Hintergrund, sondern sind integraler
Teil der Handlung. Ähnlich verhält es sich mit dem Roman "Der Liebe lange Weile", in dem aktuelle österreichische Zeitgeschichte, die Wahl Kurt Waldheims 1986 und jene Thomas Klestils (1992),
geschickt in den Alltag der Romanhelden transponiert werden.

Nicht anders verfährt Szyszkowitz in seinen letzten beiden Romanen, "Die Badenweiler oder Nichts wird bleiben von Österreich" (1995) und "Anna oder Der Flügelschlag der Freiheit" (1996), aber auch in
dem erst dieser Tage erscheinenden Band mit Erzählungen, "Die Lesereise der Katja Thaya". "Badenweiler" verknüpft die Liebesleiden und erotischen Sehnsüchte dreier Frauen mit aktuellem politischen
Geschehen. Haider-Sprüche werden im Original zitiert, der neue Innenminister kommt vor, und daß die Briefbomben von Oberwart das auslösende Moment für den Roman waren, bestätigt der Autor
ausdrücklich. Und bei "Anna" handelt es sich um einen Schlüsselroman über Moral und Sex. Anspielungen auf die Affäre Groer werden kaum verhüllt, ja die Enthüllungen eines Wochenmagazins über den
ehemaligen Wiener Kardinal gaben den entscheidenden Anstoß für die Geschichte des Theologiestudenten Josef, der sowohl von einer reifen Frau, Anna, und einem Priester, Erik, umworben wird. "Die
Lesereise" schließlich hat alle möglichen Schauplätze und führt von Teheran, wo keiner die Wahrheit sage und wo alles verboten sei, über Ostslawonien, wo Österreichs Exaußenminister mitten in einer
Lesung auftaucht, bis nach Brüssel mit seiner Europaschule und nach Rom, wo noch einmal das Thema Kirche und Homosexualität gestreift wird.

Literatur als Pickel

Der vom Grazer Historiker Stefan Karner bei einer Diskussion über "Puntigam" geäußerte Gedanke, daß die literarische Aufbereitung eines historischen Themas der Wahrheit näher komme, als es die
sachliche, oft trockene, weniger berührende Wiedergabe eines Historikers vermag, trifft besonders für die in den neunziger Jahren verfaßten Romane von Szyszkowitz zu. "Die Literatur", meint der
Autor selbst dazu, "ist ein Pickel gegen das Eis in uns selber. Sie kann uns sensibler machen, kritischer, nachdenklicher." Und er wolle den Horizont seiner Leser ausweiten, das "Provinziale"
überschreiten und seinen eigenen Beobachtungsraum vergrößern.

Was den Vorwurf der "Unterhaltungsprosa" betrifft, bekennt sich Szyszkowitz nicht nur dazu, Unterhaltung zu liefern, er verstärkt diesen Zug in seinem Werk. Besonders das Thema Liebe und Erotik wird
immer häufiger abgehandelt, in allerlei Varianten dargeboten. (Die dreizehnteilige Grazer TV-Soap Opera "Lieben wie gedruckt" mit ihren komplizierten Liebesaffären, in die mehrere Familien
verstrickt sind, muß hier erwähnt werden.) Kritikerlob erhält er dafür eher wenig, überhaupt scheint sich die Kritik in letzter Zeit kaum um Szyszkowitz zu kümmern. Dem Autor ist dies nicht
entgangen, und er schreibt dies vielerlei Faktoren zu: den vielen Korrespondenten, die seine Bücher früher besprachen, ältere Herren, die ihn "adoptiert" hätten und die es nicht mehr gibt, aber auch
der Überproduktion von Romanen, die nicht zuletzt auf die Verlagsförderung zurückzuführen sei. Entmutigt fühlt sich Szyszkowitz deswegen noch lange nicht, ganz im Gegenteil, er ist voller Pläne. Drei
neue Romane warten auf ihren Verleger, und ob diese als literarisch qualitativ und wertvoll angesehen werden, ist ihm gleich. Mit "germanistischen Einstufungen" sei er zu wenig beschäftigt, als daß
er wüßte, "wer was schätzt".

Rückschau hält Gerald Szyszkowitz anläßlich seines 60. Geburtstages eher nicht. Seine ORF-Tätigkeit sieht er heute als "Ventil der eigenen Produktivität", in Wirklichkeit habe er sich auch als
Fernsehspielleiter stets als Autor gesehen. Geschrieben habe er in den Nächten, "und heute habe ich", betont er immer wieder, "endlich genug Zeit für meine große Lust, zu lesen und zu schreiben."
Ohne Wehmut sagte er bei seinem Ausscheiden vom ORF: "Ich bin nur mehr, was ich hab' sein wollen, ein Schriftsteller. Nichts mache ich lieber als schreiben." Und an Stefan Zweig denkt er
manchmal. "Meine ,Welt von gestern' möchte ich noch schreiben, für meine Enkelkinder in Israel." Die sollten doch auch wissen, ergänzt er, was dieses, sein Österreich war.

Romane und Erzählungen von Gerald Szyszkowitz:

Der Thaya. Wien: Zsolnay, 1981.

Seitenwechsel. Wien: Zsolnay, 1982.

Osterschnee. Wien: Zsolnay, 1983.

Furlani oder Die Zärtlichkeit des Verrats. Wien: Zsolnay, 1985.

Puntigam oder Die Kunst des Vergessens. Wien: Zsolnay, 1988.

Auf der anderen Seite. Wien: Neuer Breitschopf Verlag, 1990.

Moritz und Nathalie oder Die Angst vor der Sehnsucht. Wien: Neuer Breitschopf Verlag, 1991.

Der Liebe lange Weile. Wien: Boesskraut & Bernardi, 1992.

Lieben wie gedruckt. Wien: Boeskraut & Bernardi, 1993.

Der Vulkan. Wien: Boesskraut & Bernardi, 1994.

Die Badenweiler oder Nichts wird bleiben von Österreich. Boesskaut & Bernardi, 1995.

Anna oder Der Flügelschlag der Freiheit. Wien: Edition Va Bene, 1996.

Die Lesereise der Katja Thaya. Wien: Edition Va Bene, 1998.

Jürgen Koppensteiner ist Professor für deutsche Sprache und Literatur an der University of Northern Iowa in Cedar Falls, Iowa (USA).

Freitag, 24. Juli 1998

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