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Talent der Kunst, Genie des Lebens

Wilde, Oscar: Ein filmreifes Leben

Von Andreas P. Pittler

Der Ire Oscar Fingal O'Flahertie Wills Wilde war schon eine Cause Celebré, als er noch keine einzige nennenswerte Zeile publiziert hatte. Am Beginn seines Ruhms stand nicht das Werk, sondern das Selbst. Wie er später - eigentlich nur in dem kurzen Zeitraum von 1891 bis 1895 - seine Texte künstlerisch erschaffen sollte, so schuf er zunächst einmal sich. Seine unorthodoxe Reformation der Kleidung, die er, der Meister des Apercu, für wesentlich wichtiger hielt als die seinerzeitige Reformation der Religion, machte ihn im viktorianischen London a priori zum Blickfang, sicherte ihm jene Aufmerksamkeit, die er brauchte, um ihn mit seinen geschliffenen Bonmots zum Householdname aufsteigen zu lassen. Viele jener wundersamen Anekdoten aus seinen frühen Jahren konnten niemals definitiv verifiziert werden, aber darauf kam es auch gar nicht an. Wichtig war, daß man solche Begebenheiten dem Oscar Wilde jederzeit zutraute. Und damit dies auch so blieb, arbeitete Wilde fleißig an seiner Stilisierung.

Was von den Jugendjahren des 1854 in Dublin geborenen Sohns eines Ophtalmologen historisch gesichert ist, kann beim besten Willen nicht als außergewöhnlich bezeichnet werden. Wilde wuchs in einem guten Mittelstandshaushalt in der besseren Wohngegend der irischen Hauptstadt auf. Zu seiner Familie zählten Dichter wie Charles Maturin, dessen Hauptwerk "Melmoth the Wanderer" Wilde später zu seinem Pseudonym im Exil anregte, Advokaten und hohe Beamte. Auch Wildes Vater griff gerne zur Feder und schrieb so manchen Irlandreiseführer, der zu seiner Zeit gerne gelesen und benutzt wurde. Wildes Mutter schließlich, die unter dem Namen "Lady Speranza" bekannt wurde, schuf als begeisterte irische Nationalistin ein umfangreiches Çuvre, und sie war es wohl auch, die Oscar die Liebe zur Literatur vererbte. Wiewohl Wilde senior ein anerkannter Arzt war, verdankte Oscar seine Ausbildung diversen Stipendien, vor allem, seit ein fragwürdiger Vergewaltigungsprozeß 1864 das Image, vor allem aber den Wohlstand der Familie nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen hatte. Dank öffentlicher Zuwendungen konnte Wilde zunächst am Trinity College in Dublin, später am Magdalen College in Oxford studieren.

Auf diese Tage beziehen sich die ersten Legenden über den späteren Genius. Als er im Fach Altgriechisch einen bekannten Bibeltext übersetzen mußte, hörte er auch nicht auf, als der Lehrer meinte, es sei nun des Tuns genug. Dabei soll Wilde erklärt haben, der Text sei so spannend gewesen, daß er unbedingt wissen wollte, wie die Geschichte endet. Derlei grenzte selbst dann noch an Blasphemie, als Wilde, zu Ruhm und Ansehen gekommen, solche Schnurren relativ gefahrlos zum Besten geben konnte. Als namenloser Student freilich wäre er spornstreichs relegiert worden, zumindest aber hätte man ihm das Stipendium entzogen. Wilde aber erwarb 1878 seinen Universitätsabschluß als Bachelor of Arts. Im gleichen Jahr übrigens heiratete seine Jugendliebe Florence Balcombe einen anderen: Bram Stoker, der fast zeitgleich mit Wilde durch seinen Roman "Dracula" berühmt werden sollte.

Der Ruhm Wilde ging nach London, wo er aber primär durch seine affektierten Verhaltensweisen und seine ungewöhnliche Art, sich zu kleiden, Aufmerksamkeit erregte, so daß er in einigen zeitgenössischen Stücken sogar karikiert wurde, was Wilde zu der Bemerkung veranlaßte, in der Karikatur erweise die Mittelmäßigkeit dem Genie ihre Reverenz. Wildes erstes Stück, "Vera oder die Nihilisten" freilich fand den Weg auf eine Bühne nicht. Dafür fand Wilde Anschluß an die Londoner Künstlerkolonie, wohnte er doch praktisch Tür an Tür mit James McNeill Whistler, von dessen Berühmtheit auch der junge Ire zehren konnte. Doch leben konnte man davon nicht, und so schlug sich Wilde als Rezensent und Kolumnist - letzteres für eine Frauengazette - durch. Seinen ersten Gedichtband veröffentlichte er 1881 in einer Auflage von 250 Stück, wobei es ihm allerdings gelang, fast simultan auch eine Publikation in den Vereinigten Staaten zu erwirken, was ihm eine Einladung zu einer Vortragsreise in die USA verschaffte. Am 2. Jänner 1882 traf Wilde in New York ein, wo er beim Zoll angab, er habe nichts zu verzollen als sein Genie. Diese Tour - mit der auch Brian Gilberts Film beginnt - legte in der Tat den Grundstein zu Wildes späterem Erfolg.

Zurück in London war er derjenige, der "drüben" für Furore gesorgt hatte, dem es gelungen war, Minister wie Miners zu beeindrucken, dessen scharfer Wortwitz von den amerikanischen Zeitungen dankbar aufgegriffen worden war. Anekdoten wie jene, daß er gewarnt worden sei, im - damals noch Wilden - Westen werde man entweder ihn oder aber seinen Manager über den Haufen schießen, worauf er gemeint habe, ihn könne nichts, was man seinem Manager antue, einschüchtern, garantierten ihm auch im Herzen des Empire die Sympathie des Publikums. Daß er auf seinen Reisen - 1883 folgte ein ausgedehnter Aufenthalt in Paris - zahlreichen literarischen Größen wie Walt Whitman, William W. Longfellow, Victor Hugo oder Emile Zola vorgestellt wurde, adelte Wilde sozusagen auch in der Welt der Kritiker. Tatsächlich wurde "Vera" Ende 1883 in der amerikanischen Provinz auf die Bühne gebracht, nachdem das Stück kurz zuvor am Broadway durchgefallen war.

Und doch bleibt der eigentliche Erfolg aus. Zwar kann Wilde immer wieder Short stories in diversen Magazinen unterbringen - darunter auch das später so berühmte und oftmals verfilmte "Gespenst von Canterville" (1887) -, aber abgesehen von einem Märchenband - "The Happy Prince" (1888) - reicht es für Wilde zu keinem eigenen Buch. Auch seine dramatischen Werke verstauben in der Schublade. Erst mit den Essaybänden "Pen, Pencil and Poison" sowie "The Decay of Lying" (beide 1889) gelingt ihm ein erster kleiner Durchbruch, den er, getreu seiner eigenen Maxime "There's only one thing worse than being talked about, and that's not being talked about" durch sein Auftreten geschickt zu vermehren versteht. Als 1891 "The Picture of Dorian Gray" , das ultimative Porträt des Dandytums, erscheint, hat Wilde endlich erreicht, wonach er so lange strebte: nun wird auch seine Kunst des geschriebenen Wortes gewürdigt. Nun scheint sein Erfolgslauf nicht mehr zu bremsen. In kurzer Abfolge werden seine Theaterstücke an den bedeutendsten Bühnen Englands gegeben: "Lady Windermere's Fan" (1892), "A Woman of no Importance" (1893), "An Ideal Husband" und "Bunbury or the Importance of Being Ernest" (beide 1895) machen ihn zum vielumjubelten Liebling der Londoner Gesellschaft, und Wilde ist heißbegehrter Ehrengast auf unzähligen Empfängen. Selbst seine Gedichte werden nun wieder aufgelegt und finden zahlreiche Leser. Wilde ist gerade 40 und auf der Höhe seines Ruhms.

Der Skandal Doch just zu diesem Zeitpunkt wendet sich das Schicksal des Dichters. Galt er bis 1895 als treusorgender Familienvater - er hatte 1884 Constance Lloyd geheiratet und mit ihr zwei Söhne, Cyril und Vyvyan -, so sorgte ein von Wilde selbst angestrengter Ehrenbeleidigungsprozeß für seinen raschen Fall. Kurz vor Neujahr 1887 hatte Wilde Robert Ross, seinen späteren Nachlaßverwalter kennengelernt, der Wilde bald mehr war als bloß ein guter Freund. Durch Ross machte Wilde 1891 auch die Bekanntschaft von Lord Alfred Douglas, mit dem er alsbald eine homoerotische Liebesbeziehung einging, die sie schließlich immer offener zur Schau trugen. Douglas' Vater reagierte daraufhin mit einer öffentlichen Beschimpfung Wildes als "Sodomiten" (womit in jenen Tagen noch Homosexuelle bezeichnet wurden), worauf Wilde wegen Ehrenbeleidigung klagte. Es gelang dem Verteidiger des Beleidigers, Lord Edward Carson - der Führer der nordirischen Protestanten und nach der Unabhängigkeit Irlands erster Premier der bei Britannien verbliebenen Nordprovinz -, zahlreiche Zeugen für Wildes Tun zu benennen, so daß Alfreds Vater freigesprochen wurde, was nun wiederum für Wilde eine Anklage wegen Sodomie bedingte. Jene, die ihm eben noch so stürmisch zugejubelt hatten, verdammten ihn nun öffentlich, und Alfred Douglas, der ohnehin nur darauf ausgewesen war, Wilde nach Strich und Faden auszunutzen, ließ diesen sträflich im Stich.

Das Urteil war vernichtend: zwei Jahre Arbeitslager. Damit war nicht nur Wilde, sondern auch seine Familie ruiniert. Constance mußte mit den Söhnen in die Schweiz und weiter nach Italien emigrieren, wo sie auf Druck ihrer Verwandten gar einen falschen Namen annahm. Wilde selbst litt unter den unerträglichen Zuständen in den britischen Gefängnissen, aber auch unter seiner vollkommenen Vereinsamung. Nur wenige standen in diesen Tagen zu ihm, neben Ross der französische Maler Toulouse-Lautrec und der liberale Parlamentsabgeordnete Lord Haldane, der sich allgemein für eine Humanisierung der Haftbedingungen einsetze. Wilde freilich mußte seine Strafe bis zum letzten Tage absitzen, was seine Gesundheit vollkommen zerrüttete. Überdies war ein Konkursverfahren abgewickelt worden, Wilde also bankrott und völlig mittellos, als er sich im Sommer 1897, kaum dem Kerker entronnen, sofort nach Frankreich einschiffte, wo er als "Sebastian Melmoth" bei Ross in Dieppe Quartier nahm. In seinen letzten Lebensjahren, die überschattet waren von weiteren Schicksalsschlägen - 1898 starb seine Frau Constance, 1899 sein Bruder William, schon während Wildes Haft war auch seine Mutter gestorben -, veröffentlichte Wilde unter dem Pseudonym "C 3.3" (seine Häftlingsnummer) nur noch ein Werk, "The Ballad of Reading Goal", eine Abrechnung mit Lord Douglas. Und dennoch kam er von jenem Menschen, der ihn in den Abgrund geführt hatte, zeitlebens nicht mehr los. Immer wieder suchte Wilde die Nähe Alfreds, der sich allerdings erst nach dem Tod Wildes am 30. November 1900 zum ersten Mal selbst großzügig erwies: Er übernahm die Bestattungskosten. Daß sich noch zu seinen Lebzeiten eine erste Wende zu seinen Gunsten vollzog, durfte Wilde ebensowenig mitbekommen haben, wie Douglas's Geldspende.

Immerhin gelang es bereits 1899 wieder, Werke von Wilde in Britannien zu verlegen, seine Stücke fanden sich wieder auf den Spielplänen, 1905 schließlich schuf Richard Strauß auf der Grundlage eines Wilde-Spiels seine Oper "Salome", und 1908 publizierte Methuen in London Wildes Gesammelte Werke in 14 Bänden. Ein Jahr später wurde Wildes Sarg in ein Ehrengrab auf dem Pariser Friedhof P_re Lachaise überführt. Sein Bann hatte kaum länger gedauert als sein Triumph. Für Wilde jedoch kam die Rehabilitation zu spät.

Der Film Das nun in Österreich laufende Biopic über den großen Iren hatte von Anfang an einen Motor. Schon 1990 hatte Stephen Fry nach Wegen gesucht, ein Projekt über Wilde zu realisieren. Doch sein Versuch, mit dem Iren Kenneth Branagh, der 1988 mit "Henry V" berühmt geworden war, einen Wilde-Film zu drehen, zerschlug sich ob verschiedenster widriger Umstände. Im Frühjahr 1995 freilich unternahm Fry einen neuen Anlauf. Aus Anlaß des 100. Jahrestags von Wildes Fall war in der Westminster Abbey eine Inschrift für Wilde enthüllt worden, wobei der irische Nobelpreisträger Seamus Heaney die Laudatio hielt und Wildes hochbetagte Schwiegertochter Arm in Arm mit der Nachfahrin des Lord Douglas die Einweihung vornahm. Wenige Tage danach traf sich Wilde mit Brian Gilbert, und endlich kam Bewegung in die Sache. Auf der Basis eines Drehbuchs von Julian Mitchell begannen noch im gleichen Jahr die Dreharbeiten, wobei es Gilbert gelang, neben Fry weitere Stars des britischen Kinos wie Vanessa Redgrave und die bekannte Austen-Darstellerin Jennifer Ehle vor die Kamera zu holen. Ehle gibt Constance, Wildes Frau, der erstmals auch Gerechtigkeit widerfährt. Allen mißlichen Umständen zum Trotz verweigerte sie ihrer eigenen Umgebung die Trennung von Oscar und hielt diesem bis zu ihrem frühen Tod die Möglichkeit zur Rückkehr offen.

Klar haben Gilbert und Fry auch die Grundlagen der Wildeschen Tragödie herausgearbeitet. Wiewohl Wilde die victorianische Gesellschaft eigentlich aus innerster Seele verachtet, so verzehrt er sich doch nach ihrem Applaus. So klar und analytisch Wildes Geist in literarischer und künstlerischer Hinsicht zu arbeiten versteht, so allumfassend bricht sich sein Gefühl bei Alfred Douglas vulgo "Bosie" Bahn, was Wilde einen unvernünftigen Schritt nach dem anderen setzen läßt, ihn sehenden Auges in den Abgrund führt, weiß Wilde doch in seinen hellsichtigen Momenten durchaus, daß sein Opfer vergeblich sein wird.

Der Streifen orientiert sich an den beiden großen Wilde-Biographien von Richard Ellmann und Montgomery Hyde (erstere bei Piper, letztere bei Heyne in München auf Deutsch erschienen), dabei ein Zitat Wildes gleichsam zum Motto machend: "In meine Werke habe ich nur mein Talent gesteckt, in mein Leben hingegen mein ganzes Genie." Und da Wildes Leben in seiner Tragik wohl jeden Roman übertrifft, endet der Film mit einem anderen Satz des Dichters: "In dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien. Die eine ist, nicht zu bekommen, wonach man begehrt, die andere ist, es zu bekommen." Und da im multimedialen Zeitalter auch Oscar Wilde mit der Zeit gehen muß, gibt es ihn unter "http://www.oscarwilde.com" auch im Web.

Stephen Fry gelingt mit seiner Darstellung des Oscar Wilde ein weiteres Bravourstück. Wiewohl hierzulande immer noch nicht so bekannt, wie er es sich eigentlich verdiente, zählt Fry in Britannien längst zu den "big names" im Showbiz. Als Schauspieler verdiente er sich seine Meriten in Branaghs "Peter's Friends", an der Seite von Rowan Atkinson in "Black Adder" und als Butler mit Hugh Laurie in P.G. Wodehouses "Jeeves und Wooster". In englischen Gazetten ist er ein mehr als gerngesehener Kolumnist, und nicht zuletzt wurden auch seine Romane wie "Das Nilpferd" oder "Der Lügner" (auf Deutsch bei Haffmans erschienen) ein durchschlagender Erfolg.

Fry gilt nicht nur als Parade-Bohemien unserer Tage, was ihn gleichsam zu einem Nachfahren Wildes macht, als bekennender Homosexueller ist er auch wie geschaffen, die zentrale Botschaft des Falles Wilde manifest zu machen: das Scheitern eines großen Menschen am kleinen Geist seiner Zeit.

Dienstag, 19. Mai 1998

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