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McCullers, Carson:Schreiben aus Menschenliebe

Von Gabriele Vasak

Tennessee Williams bezeichnete sie einmal als die "bedeutendste Autorin Amerikas, wenn nicht der Welt", und sie wurde oft mit literarischen Größen wie Dostojewski Melville und Faulkner verglichen. Trotzdem ist sie eine jener Autorinnen, deren Name der breiten Öffentlichkeit nie besonders viel sagte. Wären da nicht die Bühnenfassungen und Verfilmungen ihrer Werke, von denen wahrscheinlich jeder zumindest eine gesehen hat, so wäre Carson McCullers ein Name, den nur wenige literarisch Hochinteressierte im Mund führen würden. Dabei hatte die Amerikanerin schon mit ihrem zweiten Buch beachtlichen Erfolg. Mit "The Member of the Wedding", ("Das Mädchen Frankie"), der Geschichte eines pubertierenden Mädchens, gelang ihr - allerdings erst lange Zeit nach Erscheinen des Romans - der Sprung an die große Öffentlichkeit: Der Roman wurde in seiner Theaterfassung in den fünfziger Jahren über 500mal am Broad~way aufgeführt und war damit eines der erfolgreichsten Broadway-Stücke. Ähnlich erfolgreich war die Verfilmung einer dunkel-grotesken Geschichte um die Besitzerin eines Cafés, die sich in einen Zwerg verliebt. "Die Ballade vom traurigen Café" war vor einigen Jahren in den österreichischen Kinos zu sehen und war ein vielbeachteter Film. Ihr wichtigstes Werk, "The Heart is a lonely hunter" ("Das Herz ist ein einsamer Jäger"), wurde ebenfalls fürs Kino verfilmt und war bereits einige Male im Fernsehen zu sehen. Mit diesem Roman, den sie im Alter von 23 Jahren geschrieben hatte, wurde ihr schlagartig kurzfristige Berühmtheit zuteil, und diese Geschichte ist zugleich wahrscheinlich die exemplarischste für das Werk und die Person der Carson McCullers.


Einfühlendes Verständnis und Mitleid mit den von ihr beschriebenen Personen kennzeichnen ihr Werk. "Wie kann sich ein Mensch ohne Liebe und ohne die von der Liebe herrührende Intuition in die Lage eines anderen Menschen versetzen? Wie kann man ohne Liebe und ohne den zur Liebe gehörenden Kampf einen Charakter erschaffen?", so drückte sie selbst es aus. Und ihr Mitgefühl gilt vor allem den Außenseitern und Einsamen. Denn Einsamkeit dürfte ein entscheidender Moment in ihrem eigenen Leben gewesen sein.


Carson McCullers wuchs in Columbus, Georgia, amerikanische Kleinstadt par excellence, auf. Mit 22 brach sie nach New York auf, um dort Klavier und Literatur zu studieren. Der Traum vom genialen Talent - eine Idee, die ihre Mutter ihr eingeimpft hatte - zerbrach zunächst am schnöden Mammon. Carson verlor kurze Zeit nach ihrer Ankunft in New York ihre gesamten Ersparnisse, und von nun an waren es Gelegenheitsjobs, von denen sie sich Kurse in "creative writing" und das nackte Leben finanzierte.


Auch die Liebe brachte ihr nicht das große Glück und auch nicht die traute Zweisamkeit. Ihre Ehe mit dem Kadetten Reeves McCullers war im ersten Anlauf problematisch, der zweite Versuch - fünf Jahre später - endete mit dem Selbstmord des Kadetten im Delirium.


Trotzdem ist in den Büchern der Carson McCullers die Welt noch in Ordnung. In "Das Herz ist ein einsamer Jäger" gibt es Gut und Böse und Schwarz und Weiß. Die Sommer sind heiß und drückend, die Männer brummig und wortkarg, die Polit~agiteure beredt und fanatisch; 14jährige Mädchen sind verwirrt auf der Suche nach der Liebe, und die Randständigen der Gesellschaft bemitleidenswerte Existenzen ohne Chance. Das Amerika der dreißiger Jahre, eine häßliche heiße Industriestadt im Bundesstaat Georgia, die Diskriminierung der Schwarzen, die Monotonie von Fabriken, Alkoholismus und Kleinkriminalität, politischer Fanatismus, ungewollte Arbeitslosigkeit und Krankheit; das leidenschaftliche Engagement eines versoffenen kommunistischen Einzelkämpfers, die schmierige Atmosphäre eines Rummelplatzes, die traurige Realität und die schillernden Träume einer einsamen Vierzehnjährigen: Das ist das Inventar einer Welt, in der einsame Jäger rastlos auf der Suche nach Sinn und Gerechtigkeit, Leben und Liebe sind.


Zwei Figuren sind es, um die sich die anderen Personen des Romans gruppieren, die als Bindeglieder zwischen den einzelnen einander fremden Protagonisten fungieren. Da ist einerseits Biff Brannon, der brummig-nachdenkliche Besitzer des Café New York, in dem sich alles trifft. Ihn quält eine seltsam rauhe, traurig-verwirrte Liebe zu dem 14jährigen Mädchen Mick. Mick aber liebt den taubstummen Mister Singer. Von ihm fühlt sich die Vierzehnjährige verstanden. Mit ihm kann sie ihr Wandern zwischen der glasklar harten Realität mit Schule, Verantwortung und Straßenspielen und der Welt der Schwärmerei von fremden Ländern und der 9. Symphonie von Beethoven teilen. Dann ist da noch Jake Blount, ein vagabundierender Säufer, der seine kommunistische Agitation leidenschaftlich und fanatisch betreibt, mit trunkenem Pathos Marx zitiert, gegen die Ausbeutung der Arbeiter kämpft und sich selbst als einen der wenigen Wissenden sieht. Und Doktor Copeland,~ ein schwarzer Arzt, den die Wut über die Ungerechtigkeit der Welt so zynisch gemacht hat, daß seine Familie ihn verlassen hat, und der jetzt verbittert den Kampf für die Schwarzen kämpft. Das Aufeinandertreffen zweier Ideologien, die in ihrer Radikalität ebenso konsequent wie verblendet und intolerant sind, schildert Carson McCullers mit scheinbarer Unbeteiligtheit, doch spürt man die Empathie, die sie für diese beiden fanatischen Einzelkämpfer hegt. Ein Grund dafür, daß man ihr Werk bisweilen auch als radikale Kritik am kapitalistischen Amerika interpretiert hat.


Das Mädchen Mick, der schwarze Doktor Copeland und der Einzelkämpfer Jake Blount - sie alle werden zu ständigen Gästen des taubstummen John Singer, der zweiten Zentralfigur des Romans. Sein Leben war lange Zeit hindurch bestimmt vom gleichförmigen Rhythmus seiner ungleichen Freundschaft zu dem ebenfalls taubstummen Griechen Spiros Antonapoulos. Adrett, ordentlich, dynamisch organisiert, fürsorglich und kommunikativ der eine, schmuddelig, chaotisch, schläfrig, gleichgültig und lethargisch der andere, hatten die beiden ihr Leben gemeinsam organisiert und aufeinander abgestimmt, bis zu dem Tag, da der Grieche ins staatliche Irrenhaus eingewiesen wird. Von diesem Augenblick an ist für den anderen die Welt nicht mehr in Ordnung, fehlt ihm der wichtigste Bezugspunkt seines Lebens. Vereinsamt organisiert er sich ein neues Leben mit neuen Bekanntschaften, die sich ergeben, weil andere ebenso einsam sind wie er. Sie alle laden ihre Träume, Sehnsüchte, Ängste und Verletzungen und ihre Wut bei ihm ab. Singer selbst aber bleibt distanziert. Trotzdem aber wird er zum Mythos der Stadt: "Die Gerüchte über ihn wurden immer abenteuerlicher . . . Die Reichen meinten, er wäre reich, und die Armen hielten ihn für ihresgleichen. Da diese Gerüchte nie widerlegt wurden, trieben sie wunderbare und ganz wahrscheinlich anmutende Blüten. Jeder schilderte den Taubstummen so, wie er ihn sich wünschte."


Am Ende wird alles prekär. Die Konsequenz des Lebens dieser von vornherein zum Scheitern Verurteilten endet im tatsächlichen Scheitern, und die Frage nach dem Warum stellt sich für alle noch einmal mit aller Härte, Klarheit der Ausweglosigkeit: Die Einsamkeit der vier Menschen, die durch die freundlich-unaufdringliche Aufmerksamkeit des Taubstummen eine Zeitlang verborgen gewesen war, bricht nun wieder mit aller Konsequenz hervor: Blount hat im Rausch einen Schwarzen niedergestochen und muß wieder eine Stadt verlassen. Doktor Copeland~ endet vereinsamt, krank, von allen verlassen. Für das Mädchen Mick, das schon mit 14 einen Job annehmen muß, um die Familie miterhalten zu helfen, zerbrechen mit einem Schlag alle Träume. Und Biff, der Caféhausbesitzer, bleibt - verlassen wie alle - allein in seinem Café zurück.


Carson McCullers hat keine Antworten auf die Fragen nach dem Warum und keine Erklärungen für das Ausmaß der Tragik, die ihre Romane beherrscht. Vermuten läßt sich nur, daß sie selbst jene Einsamkeit und Unberechenbarkeit des Schicksals, die der Triebmotor ihrer Werke sind, intensiv verspürt und erlitten hat. Carson McCullers war ab ihrem 29. Lebensjahr nach drei Schlaganfällen halbseitig gelähmt; ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie im Rollstuhl; sie starb im Alter von 50 Jahren am 29. September 1967.

Dienstag, 31. März 1998

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