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Lernet-Holenia, Alexander:Eine recht unbequeme Individualität

Von Günther Berger

Am 28.September 1960 langte in der Redaktion der "Wiener Zeitung" folgendes Schreiben ein:


"St.Wolfgang in Oberösterreich


den 27. September 1960


Sehr geehrte Herren,


es wird mir eine Auszeichnung sein, der "Wiener Zeitung" gelegentlich etwas Feuilletonistisches vorlegen zu dürfen. Zudem - ohne aber im geringsten in die Gebiete des von mir so besonders verehrten Hofrats Rollet eindringen zu wollen - würde es mich aufrichtig freuen, hin und wieder auch eine zusammenfassende Betrachtung über das Wiener Theater zu veröffentlichen. Um dafür die Grundlagen zu schaffen, möchte ich Sie, um die Mitte der kommenden Woche, in Wien anrufen und Sie aufsuchen.


Sehr ergeben, Ihr


Lernet Holenia"


Wer war der Autor jener mit schwarzem Kugelschreiber locker hingesetzten Zeilen? Ein an Rilke, später auch Trakl, Pindar, Ossian, D'Annunzio und Benn orientierter vielsprachiger Lyriker? Ein nur an verregneten Wochenenden arbeitender Dramatiker? Ein von rätselhaften Naturerscheinungen, Halluzinationen, magischen Vorfällen und übernatürlichen Fähigkeiten kündender Romancier? Ein die eindeutige Identität von Personen leugnender Philosoph? Ein überaus belesener Essayist? Ein konservativer Revolutionär? Ein austrophiler Legitimist? Der illegitime Sohn eines Erzherzogs oder ein Abkömmling der Anjous? Ein Grandseigneur, manchmal ohne aristokratische Contenance? Ein Satiriker, der sich autobiographischer Festlegung entzog?


Kind einer flüchtigen Affäre Geboren wurde Alexander Maria Norbert Lernet am 21. Oktober 1897 in der Reisnerstraße nahe der Redaktion der "Wiener Zeitung" . Seine Mutter war die aus erster Ehe verwitwete Baronin Sidonie Josefa Friederike Sara von Boyneborgk-Stettfeld geborene Holenia, die bereits einen elfjährigen Sohn Walter hatte. Vater dürfte der Marineoffizier Alexander Franz Norbert Lernet gewesen sein. Die Heirat fand erst knapp vor der Geburt des unerwarteten Kindes in der evangelischen Garnisonskirche in der Schwarzspanierstraße statt. Jüngste genealogische Forschungen Charlotte Gambers ergaben, daß dem jungen Marineoffizier von Sidonie von Boyneburgk-Stettfeld die Heiratskaution und ein Heiratsgut gezahlt wurden und die Ehedauer bis 10. September 1899 limitiert wurde. Da Lernet sein Heiratsgut in eine Erfindung fehlinvestierte, entführte er jedoch zu Weihnachten 1899 den zweijährigen Alexander. Ein Ehrenrat der Marine fand, daß der Linienschiffsleutnant I. Klasse die Standesehre verletzt habe. Dies führte zur Degradierung sowie zum pensionslosen Ausschluß aus der k.u.k. Marine. Alexander verblieb nach damaligem Recht auch nach der Scheidung seiner Eltern beim Vater in der Josefstadt. Die Mutter wohnte ab 1903 im Palais Traun, Weihburggasse 26.


Im Herbst 1908 kam Alexander in die k.u.k. Staatsrealschule in Klagenfurt, 1913 in die NÖ Landesrealschule Waidhofen an der Ybbs. Noch im Maturajahr 1915 meldete er sich als Einjährig-Freiwilliger. Als Fähnrich im Dragonerregiment Nr. 9 "Erzherzog Albrecht" erlebte er den Zusammenbruch an der Front in Rußland. Im Krieg begann er aber auch, seine seit der Matura gesammelten Gedichte seinem Vorbild Rainer Maria Rilke zu senden. Die Rilke- Begeisterung reichte bis zur stilistischen Imitation, so daß Karl Kraus das Bonmot eines "Sterilke" prägte.


Obgleich Alexander Lernet an der Wiener Universität als Jusstudent inskribiert war, übersiedelte er 1919 als freier Schriftsteller nach Klagenfurt und nahm am Kärntner Abwehrkampf teil. In Kärnten war er mit den Schriftstellern Josef Perkonig, Emil Lorenz und Johannes Lindner befreundet. 1921 erschien sein erster Gedichtband "Pastorale." Der Rilke-Einfluß war auch im zweiten Lyrikband "Kanzonnair" noch so stark, daß der Insel-Verlag trotz Rilkes Fürsprache erst die dritte Überarbeitung 1923 publizierte. Hermann Bahr zählte Lernet zu den "stärksten Hoffnungen" und pries ihn als "Glücksfall für unsere Dichtung" und Hofmannsthal gefiel die Spannweite der Begabung.


Am 28. Dezember 1920 wurde Alexander Lernet durch Selma Holenia in die Familie seiner Mutter adoptiert und hatte fortan seinen Doppelnamen zu verwenden.


1925 verfaßte er sein erstes Theaterstück "Demetrius", das er mit der von Stranitzky übernommenen Bezeichnung "Haupt- und Staatsaktion" versah. Für seine 1926 herausgebrachte "Österreichische Komödie" und den Einakter "Ollapotrida" erhielt er den angesehenen Kleistpreis.


1926 verließ Lernet-Holenia Kärnten für drei Jahrzehnte, um sich zunächst in Wien, bald jedoch auch auf dem von seiner Mutter um die Jahrhundertwende erworbenen Anwesen in St. Wolfgang aufzuhalten. In Salzburg befreundete er sich mit dem Schauspieler Emil Jannings und mit Carl Zuckmayer sowie Stefan Zweig, mit dem er 1928 unter dem Pseudonym Clemens Neydisser die Komödie "Quiproquo" verfaßte, die zum ersten großen Erfolg der Schauspielerin Paula Wessely wurde. Für die Szenen "Saul" und "Alkestis" erhielt er den Goethepreis der Stadt Bremen. Die aphorismenreichen Salonkomödien "Erotik", "Flagranti" (1927), "Die Frau in der Wolke" (gemeinsam mit Rudolf Lothar) "Tumult" (mit Paul Frank, 1929) und "Kavaliere" wurden Bühnenerfolge in Wien und Berlin. Als die Komödie "Die Attraktion" (gemeinsam mit Paul Frank, 1930) einen Plagiatsskandal auslöste, weil sie angeblich die Grundidee von Karl Streckers Drama "Das Krokodil" übernommen hatte, schlug Lernet-Holenia vor, den Kleistpreis zurückzugeben. Er wünschte nur seine königl.-bayr. Ruhe, könne ohnedies die ganze Literatur nicht leiden und schriebe seine Stücke nur der Tantiemen halber. Als die Kleist-Stiftung dann jedoch die Geldsumme zurückwollte, erwiderte Lernet-Holenia, daß er die 1000 Mark bereits einer verarmten Mutter geschenkt habe und sich nicht noch weiter in Auslagen stürzen wollte, sondern lieber den Kleistpreis einfach wieder zurücknehme.


Sein populärstes Genre: Der Abenteuerroman Mit der Prosafassung seines Dramas "Die nächtliche Hochzeit" wandte sich Alexander Lernet-Holenia 1930 seinem kommerziell erfolgreichsten Genre, dem Abenteuerroman zu. "Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen" sind keine aventiure mittelhochdeutscher Ritterepik, sondern eine Kritik am Militär und vor allem dem die Donaumonarchie zerstörenden Pangermanismus. In der Zeit des Zusammenbruches des russischen Zarenreiches handelt der Roman "Ljubas Zobel" (1932). Danach folgten der Kriminalroman "Ich war Jack Mortimer" , der Beziehungsroman "Jo und der Herr zu Pferde" und, ursprünglich für die "Berliner Illustrierte" bestellt: "Die Standarte".


In diesem Meisterwerk Lernet-Holenias, das Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg während der Gestapohaft 1939 las und als österreichische Totenmesse empfand, riskiert Fähnrich Menis sein Leben, um den Fetisch nach Wien zurückzubringen, wo man jedoch keine Verwendung mehr für die Standarte hat. Robert von Dassanowsky analysierte, daß sowohl die simplifizierend mit Joseph Roths Vergangenheitsbeschwörung verglichene "Standarte" als auch viele der folgenden Romane Kritik des Autors an der Zwischenkriegszeit und Warnungen vor kommenden Unheil enthalten. Die Novelle "Der Baron Bagge" (1936) arbeitet z.B. das Motiv des Zwischenreiches zwischen Leben und Tod aus. Und in der Erzählung "Strahlenheim" (1938) wird der Wolfgangsee zum unheimlichen Schauplatz eines Unwetters, dem ausgerechnet ein vor dem Krieg warnender Amerikaner zum Opfer fällt.


Von den Einnahmen aus seiner literarischen Produktion konnte sich Lernet-Holenia in diesen Jahren viele Reisen durch Europa, aber auch nach Ägypten sowie Nord- und Südamerika leisten. Er traf Bert Brecht, Ödön von Horvath, und war mit Ernst Lothar, Heimito von Doderer und Friedrich Torberg befreundet. Als einzigen zeitgenössischen Schriftsteller aber schätzte er Leo Perutz, dessen nachgelassenen Roman "Der Judas des Leonardo" er 1959 posthum herausgab.


Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kehrte Alexander Lernet-Holenia von einem mehrmonatigen Südamerikaaufenthalt zurück. Im August 1939 mußte er als Oberleutnant zu einer Waffenübung im Kavallerieschützenregiment Nr. 10 einrücken und kurz darauf den Polenfeldzug mitmachen. 1940 wurde er durch Intervention des Ullstein-Verlages als Chefdramaturg zur Heeresfilmstelle nach Berlin beordert. Andererseits gelang es Lernet-Holenia vom 15. Dezember 1939 bis 15. Februar 1940 den einzigen österreichischen Widerstandsroman während des Krieges zu schreiben. Dieser Roman erschien zuerst in Fortsetzungen in der vom Ullstein-Verlag herausgegebenen Zeitschrift "Dame" . Die vom S. Fischer Verlag vorbereitete Buchausgabe "Mars im Widder" wurde 1941 wahrscheinlich wegen der Schilderung des wohlgeplanten Einmarsches in Polen, der tapferen polnischen Gegenwehr und der Schilderung österreichischer Widerstandskämpfer verboten. Bei den Luftangriffen auf Leipzig 1943/44 verbrannte die gesamte im Verlagslager deponierte Auflage restlos. Nur durch ein probeweise gedrucktes Fahnenexemplar im Besitz Lernet-Holenias war 1947 eine Veröffentlichung in kleinerer Auflage durch Bermann-Fischer in Stockholm möglich.


1942 traf er erstmals Gottfried Benn in Berlin und schrieb seinen lyrischesten Roman "Beide Sizilien" , vom mysteriösen Sterben ehemaliger Offiziere eines Dragonerregiments.


Kampf gegen das Finanzamt Nach der Abrüstung im Mai 1945 zog sich Lernet-Holenia nach St. Wolfgang zurück, wo er am 17. November Eva Maria Vollbach ehelichte und von der evangelischen zur römisch-katholischen Konfession konvertierte. 1945 bürgte er übrigens auch mit drei anderen Personen, daß Karl Heinrich Waggerl kein Kriegsverbrecher gewesen sei.


Da Alexander Lernet-Holenia den Fremdenverkehr nicht leiden konnte, zog er 1952 nach Wien in die Hofburg, Batthyánystiege. "Leider um auch hier schlimme Erfahrungen zu machen. Denn was im 2. Weltkrieg die Nazis waren, wurde nun das Finanzamt, das auch mein ständiger Gegner wurde, sodaß ich gezwungen war, mehrere Werke gegen diese Einrichtungen zu schreiben und zu veröffentlichen" , erzählte er 1972. Er schrieb jedoch nicht nur ein Drama und einen Roman "Das Finanzamt" , sondern erhielt in der "Furche" die eigene Glosse "Der allwöchentliche Ärger". Es blieb aber nicht bei wohlformulierten Essays und Leserbriefen, ein vor seinem Eingangstor in St. Wolfgang falsch parkender Autofahrer etwa oder ein unvorsichtiger Fußgänger konnte ihn sogar zur Verabreichung von Ohrfeigen reizen.


1948 kommentierte Hans Weigel: "Die österreichische Literatur besteht derzeit aus zwei Autoren, aus dem Lernet und dem Holenia". Tatsächlich veröffentlichte der Autor eine Fülle von Essays, Erzählungen, Übersetzungen aus dem Italienischen und Englischen. Sein stilistische modernster Roman ist "Der Graf von St. Germain" , aufgrund seiner verschiedenen, ineinander verschachtelten Realitätsebenen und ausgedehnten Innenlebensschilderungen. Bei den anderen Romanen tritt eine immer stärkere Tendenz zu seitenlangen genealogischen, mythologischen, heraldischen, historischen und lexikalischen Exkursen, aber auch zu vortrefflicher Zeitkritik in Erscheinung.


Am 24. Jänner 1969 wurde er von den damals 180 Mitgliedern des österreichischen PEN-Clubs zum Nachfolger des seit 1947 amtierenden, verstorbenen Präsidenten Franz Theodor Csokor gewählt. Am 19. Oktober 1972 teilte er seinen Rücktritt mit, weil der für die "verbrecherische Baader-Meinhof-Bande" intervenierende Heinrich Böll Präsident des internationalen PEN geworden und auch noch den Nobelpreis erhalten hatte und schlug Hilde Spiel als Nachfolgerin vor.


Das Präsidium und die Mehrheit des Vorstandes beeilten sich, sich von diesem Rücktrittsgrund zu distanzieren und in Graz bildete sich daraufhin die "Grazer Autorenversammlung."


Im Dezember 1972 ernannte der österreichische Schriftstellerverband Alexander Lernet-Holenia zum Ehrenmitglied, und im Sommer 1976 auch der PEN-Club. Seine letzten größeren Werke waren die anekdotenhafte Untersuchung "Die Geheimnisse des Hauses Österreich" (1971) und der Roman "Die Beschwörung" (1974, unter dem Pseudonym G. T. Dampiere). Am Samstag, 3. Juli 1976 starb Alexander Lernet-Holenia an Lungenkrebs im St. Rochusheim in Penzing und wurde am 12. Juli uf dem Hietzinger Friedhof begraben.


Aufgrund seiner zeitlebens gepflegten Parteiunabhängigkeit und seiner oft recht unbequemen Individualität - Ordensrücksendung aus Protest gegen eine ungerecht erscheinende Amtshandlung eines Polizisten! - war kein offizieller Vertreter der österreichischen Bundesregierung beim Begräbnis. Der Bürgermeister genehmigte jedoch am 17. August 1976 die Ruhestätte Gruppe 30 Nr. 23 ehrenhalber auf Friedhofsdauer zu widmen und in die Obhut der Stadt Wien zu übernehmen.


Seine Werke stehen nicht nur auf dem Schreibtisch Umberto Ecos. Seine Romane wurden in viele Sprachen übersetzt. In Österreich gibt es Dissertationen über ihn oder seine Werke, Fernsehverfilmungen, Radiolesungen und manchmal wird sogar eine Komödie aufgeführt. Langsam wird Alexander Lernet-Holenia also wieder entdeckt, um von Klischees befreit, endlich in seiner vielseitigen Bedeutung erkannt zu werden. Einen ersten Anfang stellen die Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr dar, die Lesungen Fritz von Friedls und das am Sonntag, 28. August 1997 enthüllte Denkmal von Prof. Josef Symon vor dem Ferienhort am Wolfgangsee, das aus einer transparenten Inschrifttafel mit einem Gedicht Lernet-Holenias besteht:


"Gingen wir, wir kehrten wieder,


da zerann der letzte Schnee,


und nun duftet schon der Flieder,


blüht auch bald Jasmin am See.


Was verfließt, ist schon verflossen


doch es folgen wunderbar


immer wieder Schnee und Rosen


auf einander Jahr um Jahr."

Dienstag, 31. März 1998

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