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Erinnerungen an einen genialen "Blitzdichter"

Hammerschlag, Peter: Ein vergessener "Lieber Augustin"

Von Oliver Bentz

Hätte sich nicht Friedrich Torberg - der umtriebige Förderer junger und Wiederentdecker vergessener Autoren - Anfang der siebziger Jahre seines Werkes angenommen und die in alle Himmelsrichtungen verstreuten und verschütteten Gedichte gesammelt, wäre er sicher heute gänzlich vergessen. Die Rede ist von Peter Hammerschlag, einem der im Laufe der Jahrzehnte dem Gedächtnis entfallenen Käuze und Originale der Wiener Kaffeehaus- und Kabarettszene der Zwischenkriegszeit. Torberg, der Peter Hammerschlag als eine der "originellsten Begabungen, die im Wien der Ersten Republik (. . .) zwischen Cabaret und Literatur hin und her pendelten", bezeichnete, legte 1972 mit dem Band "Der Mond schlug grad halb acht" eine aus dem Gedächtnis, alten Programmheften und Zeitungsausschnitten zusammengestellte Sammlung jener Groteskgedichte vor, die im "Lieben Augustin" vorgetragen wurden - der Kleinkunstbühne, die Stella Kadmon 1931 im Keller des Café Prückel eröffnete. Das von Bill Spira illustrierte, heute leider vergriffene Bändchen bietet somit auch in unseren Tagen jenen, die tiefer in das Wesen der in Hochblüte stehenden Literaturperiode Wiens - von der Jahrhundertwende bis zum Anschluß an Nazideutschland im Jahr 1938 - eindringen wollen, die Möglichkeit, einen äußerst interessanten aber weithin unbekannten Charakter dieser Epoche kennenzulernen.


Peter Hammerschlag, nach Torberg 1905 im Wien Kaiser Franz Josephs geboren (nach anderen, mittlerweile gesicherten Quellen am 27. Juni 1902, also heute vor 95 Jahren), trat als Conférencier, Schauspieler, Rezitator und "Blitzdichter" auf, der Zurufe aus dem Kabarettpublikum zu spontanen Gedichten ausbaute. Seine Schöpfungen waren Produkte des Augenblicks, die nicht für den Druck und die "literarische Ewigkeit" gedacht waren, sondern wie Sternschnuppen auftauchten und sofort verglühten. Einen "konstitutionellen Dichter", nannte ihn Hans Weigel, "es dichtet in ihm und aus ihm heraus". Peter Hammerschlag, der Stella Kadmon vom "Wiener Tagblatt"-Redakteur Egon Pisk für ihr neues Kabarett empfohlen wurde, sollte für die erste Hälfte der dreißiger Jahre der Hausdichter des "Lieben Augustin" werden. Er verkehrte in den diversen Zirkeln der Wiener Kaffeehausliteraten und führte das Leben eines unsteten Bohemien.


Manche seiner Dichtungen, die er als "Hausdichter" des "Lieben Augustin" schuf, erachtete er jedoch für würdig, gedruckt zu werden. Diese legte Hammerschlag, der es mit Form, Reim und Rhythmus oft nicht so genau nahm, seinem Freund Torberg (den er in der Kindersprache, in der beide verkehrten, "Prokoperl" nannte) mit der Aufforderung "Prokoperl bitte Gedichti schneuzen!" zur Prüfung vor. Torberg schneuzte und gab den genialischen Einfällen Hammerschlags die für den Druck geeignete Form. Hammerschlag, der Torberg in handwerklichen Fragen als Instanz ansah, akzeptierte dessen Bearbeitung und bedankte sich mit den Worten: "Wenn du möchtest kriegen eine schöne, eitrige Mittelohrentzündung, könnt' sich wenigstens der Papa bei dir revanchieren." (Der Vater, Professor Viktor Hammerschlag, war ein bekannter Ohrenspezialist.)


Gerade diese Anekdote weist in die beiden Bereiche, in denen Peter Hammerschlag - der komische Kauz mit der skurrilen Begabung - seine Gedichte, die Torberg für ihn im "Querschnitt", im "Simplicissimus" oder dem "Prager Tagblatt" unterbrachte, mit Vorliebe ansiedelte: Das Gebiet der Kinder- und Tierwelt und des "schwarzen Humors", der ihn auch für Helmut Qualtinger - den großartigen Entdecker und Interpreten zahlreicher vergessener österreichischer Autoren - in den sechziger Jahren interessant machte. Ein Paradebeispiel seiner "unendlich liebevollen Einfühlsamkeit in die kindliche Seele", so Torberg, gibt das Gedicht


"Wie der kleine Affe Jodokus bescheiden wurde":


Der Affenknabe Jodokus


Turnt fröhlich durchs Gelände


Und rief: Es ist ein Hochgenuß!


Ich hab statt Füße Hände!"


Zum Schulhaus hopste er geschwind


Und lernte buchstabieren:


"Seht her, ich bin ein Wunderkind!


Ich schreib mit allen Vieren!"


Er nahm - das freut ihn königlich -


In jede Hand 'ne Feder


Und kritzelte und dachte sich:


Das kann halt nicht ein jeder.


Doch ach, damit war's nicht weit her.


Er glaubte, daß er hexe -


Und macht an Fehlern viermal mehr


Und achtmal soviel Klechse.


Klein-Jodokus, bald kommst du drauf:


So bunt darf man's nicht treiben.


Drei Hände heb für später auf -


Lern erst mit einer schreiben!


Im Bereich des "schwarzen Humors" entwickelte Hammerschlag eine Virtuosität, Visionen unheimlicher Bildkraft, die wunderbar groteske Sprachschöpfungen zum Vorschein brachten: "Die Ballade vom Lustmörder Alois Blawatschek", "Die Schwergewichtsmaitresse" ("Wer nie mit Steinbruch Unzucht trieb / Der ahnt nicht wie sie mich begrub . . .") geben Zeugnis darüber. Im "Krüppel-Fox", einem anderen makaber-markanten Beispiel, dessen Rezitation im ORF durch Helmut Qualtinger 1979 einen Skandal auslöste, das aber zu einer Zeit entstand, als die political correctness noch nicht die tägliche Rede war, heißt es beispielsweise:


"Wird mir das Leben gar zu toll


Dann geh ich zu die Blinden


Da lach ich mir den Buckel voll


Wenn sie die Tür nicht finden.


Die Lahmen lock ich in ein Haus


Wohl in ein dunkles Gangerl


Zieh ihnen die Prothesen aus


Und spiel mit ihnen Fangerl.


Und der Refrain:


Krüppel haben so was Rührendes


Krüppel haben was Verführendes


Wenn ich bei einem echten Krüppel bin


Freut sich sowohl mein Herz als auch mein Sinn.


"Ein in die Welt gestoßenes Kind, ein vom Intellekt heimgesuchter Tor, ein entlaufener Bürger", so charakterisierte ihn Hans Weigel. Die Wiener Mädchen, häufig Thema seiner Gedichte, hatten es nicht leicht mit Hammerschlag - und er es nicht mit ihnen. Er bedenkt das Stubenmädchen Lissi, schmachtet vor einem unerreichbaren Proletariermädchen als "armer kleiner Jud", der kein scharfes Messer hat, und faßte resigniert seine Gesamtsituation in einem "Mir ins Stammbuch" überschriebenen Vers zusammen:


Ich liebe zärtliche Blondinen


Und läge schrecklich gern auf ihnen.


Sie weigern sich. Auch die Brünetten


Sind gern allein in ihren Betten.


Die Schwarzen gleichfalls, die ich möchte,


Versagen mir die kleinsten Rechte.


Und auf den Bettchen von die Roten


Steht "Eintritt Hammerschlag verboten."


Mensch, bleibe was du bist:


Onanist.


Wäre Peter Hammerschlag zwei oder drei Jahrzehnte früher zur Welt gekommen, hätte ihm seine originelle Begabung in der deutschen Grotesk~lyrik sicher einen Platz zwischen Christian Morgenstern und Joachim Ringelnatz gesichert. So aber ist sein ohnehin schmales Werk so gut wie vergessen und Peter Hammerschlag - wenn überhaupt - nur noch ein paar Eingeweihten und Literaturhistorikern bekannt.


Nach dem Anschluß Österreichs im Frühjahr 1938 wurden die Kabaretts - die den Nazis ein grundsätzlicher Dorn im Auge waren - für fast ein Jahr geschlossen. Dem Juden Peter Hammerschlag gelang mit Hilfe von Freunden die Flucht nach Jugoslawien. Der erste Versuch, ein Visum nach Übersee zu bekommen, scheiterte. Hammerschlag wurde Ende 1938 von den jugoslawischen Behörden abgeschoben und kehrte deprimiert nach Wien zurück.


Er lebte zunächst in der Wohnung seiner Eltern, von den Nazis wurde er zur Zwangsarbeit im Straßenbau eingesetzt. Kurz vor der Deportation seiner Familie im Juni 1942 tauchte er unter. Er überlebte mit Hilfe des Kapellmeisters und Komponisten Alexander Steinbrecher, in dessen Wohnung, als sogenanntes "U-Boot" versteckt. Es ist durchaus möglich und nicht einmal unwahrscheinlich, daß er sich bis Kriegsende so hätte durchschlagen können. Doch eines Abends, irgendwann im Jahr 1942, so sagt es Friedrich Torberg, als ihm die Zigaretten ausgingen, wollte er in einer Gaststätte Nachschub besorgen. Dabei wurde er von einem SA-Trupp verhaftet. Am 17. Juli 1942 wurde er ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert.

Dienstag, 31. März 1998

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