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Abenteuer eines fahrenden Beobachters

Grillparzer, Franz: Die Leiden eines Reisenden

Von Barbara Allmann

Eigentlich ist es ihm zuwider, das Reisen. Schon die eingeweidezermürbenden Postkutschen und seekrankheitserregenden Schiffe dämpfen seine Lust auf Fortbewegung beträchtlich. Straßenstaub legt sich verstopfend in seine Nase und auf das sensible Gemüt. Sonnenglut verbrennt die blasse Bürokratenstirn, und eisige Kälte erzeugt Frostbeulen an müden Dichterfüßen. Der Lästigkeiten sind es nie genug: Sitzt Grillparzer nicht gerade angeekelt in unbekannten Gasthöfen und verweigert das ihm aufgetragene Essen, dann wälzt er sich gequält in fremden Betten oder lamentiert über unangenehm auffallende Mitmenschen. Und doch begibt er sich auf Reisen. Immer wieder!


Der große Raunzer empfiehlt sich im März 1819 nach dem Tod seiner Mutter in Richtung Italien. Ihr Selbstmord erschüttert Grillparzers Psyche und Soma aufs heftigste. Die geschäftige Ineffizienz der pedantischen, unbeweglichen und hierarchischen Bürokratie erfordert lähmende Vorbereitungen, auch in Reisepaßangelegenheiten. Beschwerlichkeiten der Fortbewegung zu Lande und zu Wasser folgen.


Trotz seiner Abneigung gegen das Fahren, kommt Grillparzer, bis auf die Knochen durchgeschüttelt, im österreichischen Triest an. Versöhnt vom milden Klima, wird dem Dichter beim Anblick des Meeres eine erste Erhebung zuteil: "So sanft und mild, das starre ungebändigte Element, wie eine besänftigte Geliebte, die doppelt schön ist wenn sie gezürnt hat und getobt", fantasiert Grillparzer vor sich hin. Aber nicht zu lange. Mit der Realität regelmäßig in Konflikt, fällt er aus dem Traum auf den Boden seiner schnöden Tatsachen. Vieles, aus Reisebeschreibungen überwältigend erhofft, wird in unterschiedlichen Stärkegraden von seiner erlebten Wirklichkeit unterboten: Die Schiffe im Hafen sind kleiner als gedacht, Venedig mißfällt ihm auf den ersten Blick, der Petersdom spottet nicht mehr jeder Beschreibung und überhaupt erscheinen die öffentlichen Gebäude der Ewigen Stadt einer Miniatur entsprungen zu sein.


Seine Reisebetrachtungen bestehen vorwiegend aus querulanten Mißlaunigkeiten. Seekrankgrün im Gesicht, kann er den geliebten Sonnenuntergängen nichts mehr abgewinnen. Menschlich. Verständlich auch, daß er - von römischer Hitze entnervt - die zahllos auf ihn einfallenden Kunstwerke als bedrohliche Anmaßung empfindet. Aber nicht immer spielt ihm die Welt so übel mit. Während der Reise schon spricht der vom Amt Beurlaubte dem ausgezeichneten italienischen Wein zu, findet er den Café doch ungenießbar. Grillparzer notiert: "Des anderen Morgens fand ich mich unausgekleidet auf meinem Bette . . . aber ohne Kopfweh und vollkommen reiserüstig."


In einer neuen Welt Naturbetrachtungen mildern schlechte Laune und steigern sich zu kurzer Glückseligkeit. Auch Venedigs Kunstschätze können ihn im höchsten Maße für die Anstrengungen der Reise entschädigen: "Ich bin in einer neuen Welt und befinde mich darin um so besser, je weniger die alte nach meinem Sinne war", freut sich Franz über die gelungene Distanz - zu Wien. Im österlichen Rom lauscht er hingebunsvoll dem Miserere in der Sixtinischen Kapelle, bestaunt das Kolosseum, ergeht sich in den Vatikanischen Museen und entspricht im übrigen perfekt dem Bild des kunstinteressierten, bildungsbürgerlichen Touristen, der, mit Stadtplan gerüstet, Sehenswürdigkeiten abklappert.


Obligat und offensichtlich unverzichtbar bleiben dem Dichter die Entrüstungen, die seine Reiseaufzeichnungen durchsetzen. Die Dynamik der faszinierenden "ersten Eindrücke" wird ihm alsbald zuviel, und er meint daran ernsthaft zu erkranken. Auch wird ihm die Zwiesprache mit der Kunst allzu oft durch touristisch drängelnde Menschenmassen verleidet. Besonders impertinent benehmen sich anscheinend die "derben Naturen" der Engländer.


Grillparzer regt sich also wieder auf. Diesmal über die heilige Aura der Stadt, in der sich das blendende Zeremoniell der Karwoche allzu sehr an der katakombischen Düsterkeit des Religiösen stößt. Größtes Ärgernis bereitet Grillparzer die allgegenwärtige Präsenz des Papstes. Grollend notiert der Dichter die beispiellose Demut, die der oberste Hirte würdig zur Schau trägt und sich als Götze von seinen Schafen feiern läßt. Angeekelt vom "Kirchenpöbel" und marionettenhaften Zeremonienmeistern, bereut Grillparzer zutiefst, an diesem Spektakel teilzuhaben. Es kommt aber noch viel dicker: "3. Juli. Ich habe dem Papst den Pantoffel geküßt", gesteht er entsetzt. Was ist geschehen? Die Strafe Gottes für seinen Mangel an religiöser Pietät bringt Grillparzer in eine schwierige Lage, will er doch seinen Freundinnen in Wien vom Papst persönlich gesegnete Rosenkränze als Geschenk überreichen. Denn der weihende Ritus zwingt ihn unter der drohenden Aufsicht der Schweizer Garde zum Kuß des päpstlichen Greisenfußes, dem sich der Dichter, aufs höchste gedemütigt, fügt: "Hätte ich die hündische Art gekannt, wie der Fußkuß geschieht, ich wäre weggeblieben. Man muß sich dazu, da der schwache Alte den Fuß nicht heben kann, fast auf den Bauch legen. In's Himmelsnamen!"


Katholisch erzogen, von Heiligen- und Wundergeschichten angetan, entwickelt sich der kleine fromme Franz zum großen blasphemieverdächtigen Skeptiker, dessen "eigene Religiosität sich nicht sehr in den kirchlichen Formen bewegte". Durchaus erfreulich findet er die Damenwelt, deren Eroberung - wenigstens in der Fantasie - zu einer seiner Reiselieblingsbeschäftigungen zu zählen scheint. Das Tagebuch jedenfalls enthüllt seine unbegrenzte Eifersucht und den "Hang zur Liebe und Wollust". Im Sommer 1826 in kränklicher und depressiver Verfassung, begibt sich Grillparzer noch einmal auf große Reise und hofft auf die positive Wirkung, die letztlich noch jede Ortsveränderung bei ihm hervorrief. Reisen als "vortreffliches Heilmittel für verworrene Zustände" also.


Das Ziel ist Deutschland. Üble Laune bleibt auch diesmal nicht aus. Vom "blökenden " Dialekt in Sachsen entnervt, sucht Grillparzer in seinem allgemeinen Ärger über Gott und die Welt Zuflucht in der Arbeit. Doch geht das Schreiben nicht so recht vonstatten. Ein Grund mehr, Trübsal zu blasen. Eine Schaffenskrise macht dem Dichter ernste Sorgen und sucht er durch Betrachtung schöner Mädchen zu vertreiben. Und dann die Kunstgalerien in Dresden, für die er voll des Lobes ist. Aber nichts hilft mehr: "Der Welt war ein Dichter geboren und die Prosa hat ihn getötet", klagt Grillparzer über sein Künstlerpech. Besuche bei anerkannten Dichtern und Denkern sind Teil des selbsterstellten Reiseprogramms, dem er ohne allzu großes Vergnügen nachkommt. Die erhoffte Anregung durch neue Erlebnisse bleibt größtenteils aus. Momente der Langeweile, organisatorische Lästigkeiten und körperliches Unwohlsein drängen Grillparzer in seine gewohnte Indolenz zurück. "Ich will wieder nach Hause", fließt es trotzig aus der Feder. Armer Dichter. Da sitzt er nun in Berlin und ist zu Tode betrübt. Im Auf und Ab des Lebens entscheidet sich Grillparzer wieder für das Auf. Skeptisch zwar, findet er doch zunehmend Geschmack am geistigen und kulturellen Leben der preußischen Stadt, die "einem armen Teufel von Österreicher schon des Kontrastes wegen wohltut". Im Vergleich zu österreichischen Zensurmaßnahmen meint Grillparzer in Berlin einen freieren Status von Wissenschaft und Kunst zu erkennen.


Besuch beim Idol In Weimar sucht er Goethe auf und bleibt vorerst enttäuscht, den Dichter "als steifen Minister zu sehen, der seinen Gästen den Tee gesegnete". Dennoch ist ihr Kontakt intensiv. Mehrfach weilt Grillparzer beim dichtenden Idol seiner Jugend. Die Zusammenkünfte sind emotional aufgeladen mit Furcht, Minderwertigkeitsgefühlen, Respekt, Bewunderung und Zuneigung, die Grillparzer dem deutschen Dichter entgegenbringt. Die unter so düsteren Vorzeichen angetretene erste Deutschlandreise findet schließlich einen harmonischen Ausklang im "malzhopfigen" München, wo sich Grillparzer resümierend auch der positiven Begebenheiten erinnert. Das geliebte Wien lockt zu neuen Dichtertaten. Nach kurzer Trennung schwingt er sich wieder zu schöpferischer Höhe auf. Doch öfters noch nimmt Grillparzer Abschied von Wien, um die Freude der Wiederkehr nicht missen zu müssen.


1836 erreicht er Paris und ist peinlichst darauf bedacht, französischen Schriftstellern aus dem Wege zu gehen. Er hält sie für außerordentlich arrogant und in Sachen Literatur geradezu ungebildet. So trifft Grillparzer in der Weltstadt auf nur zwei interessante Persönlichkeiten. Franzosen sind sie nicht: Ludwig Börne und Heinrich Heine. Politische und literarische Dispute bringen sie einander näher. Mit Börne schließt Grillparzer Freundschaft, zu Heine hält er kritische Distanz. Er mag es nun einmal nicht, daß Heine sich im Hause Rothschild zum Essen laden läßt, um sich hinterher über seine Gastgeber lustig zu machen.


Alsbald setzt Grillparzer nach Britannien über und sorgt sich über seine englische Ausssprache, die allem Anschein nach einer linguistischen Katastrophe gleichkommt. Oder übertreibt er? Aus Angst, sein angeborener, durch große Disziplin beseitigter Sprachfehler könnte wieder zum Vorschein kommen? Sein Bemühen um Perfektion jedenfalls ist groß.


Aufmerksam verfolgt er öffentliche Gerichtsverhandlungen und Parlamentsdebatten und genießt die angenehm langsame und bedächtige Sprache der Advokaten und Abgeordneten. Neue Bekanntschaften und Einladungen in "gute" Häuser halten ihn in Bewegung. Obwohl ihm das englische Essen sehr oft mundet, bleibt er dabei: "Mir war aber immer das Reisen zuwider, nur die Nachwirkung tat mir wohl."


Tanzende Derwische 1843 packt Grillparzer die Koffer für Konstantinopel. Traurig winkt ihm zum Abschied Kathi Fröhlich, seine ewige Braut. Denn die Reise ist weit und vielleicht nicht ungefährlich. Keine unmittelbare Bedrohung scheint von den bunten Häusern und imposanten Moscheen Konstantinopels auszugehen. Um sich etwas Aufregung zu verschaffen, begibt sich Grillparzer ins Gefängnis der schmachtenden Galeerensklaven. Allein, der Nervenkitzel fehlt. Österreichische Kerkerbedingungen scheinen dem Dichter ungleich härter zu sein. Tanzende Derwische haben mehr zu bieten. Unter ihnen ein Knabe, der Grillparzers sinnlich-verliebte Bewunderung erweckt: "Die Verzückung einer süßen Begeisterung auf den Lippen sah so reizend aus, als ein Mann nur immer eine Mann finden kann", schwärmt der poetische Direktor des Hofkammerarchivs.


Nach allgemeiner Stadterkundung kommt ihm die Abreise Richtung Athen gerade recht. Großartig flaggen die österreichischen Konsulate bei seiner Einfahrt in die Dardanellen. Der geschäftige Empfang hat ein dreitägiges Besichtigungsprogramm zur Folge, bei dem Grillparzer in Gesellschaft österreichischer Diplomaten gerät. Immerhin wird auf dieser Tour des Dichters Liebe zu Sonnenuntergang und Meer erfüllt und ihm einer der schönsten Tage seines Lebens beschert.


Auf der Insel Syra eine Panne. O Graus! Die Pestflagge wird gehißt und Quarantäne verhängt. Neun öde Tage - langweilig bis zur Unleidlichkeit - verbringt Grillparzer mit dem Studium der Philosophie. Die Bücher liegen im Koffer griffbereit: "Die Seiten wurden gezählt und fünfzig für jeden Tag schien genug, um die neun Tage der Gefangenschaft auszufüllen."


Kaum ist die schwarze Gefahr gebannt, nimmt die griechische Reise ihren Verlauf und stößt alsbald an die nächste Hürde: Revolution. Aufstände und große Abenteuer sind Grillparzers Sache nicht. Gleich fühlt er sich bedrängt von "lärmenden Haufen", die Athen durchstreifen. An Landexkursionen ist unter diesen widrigen Umständen nicht zu denken. So verzichtet er auf das Hauptziel seiner Reise: den Parnaß und Delphi. Einige Jahre später grüßt er als Kurgast Baden und Gastein. Trotz wohltuender, ausdauernder Bewegung auf weiten Wanderungen klagt der Dichter weiterhin über seine angegriffene Gesundheit.


Später noch macht sich der alternde Grillparzer in den ungarischen Badeorten zu schaffen, von denen er viele nörglerische Notizen hinterläßt. In den Kriegsjahren 1859 und 1866 sucht der nunmehr pensionierte k. u. k. Hofrat Trost im steirischen Römerbad und in Bad Hall. Dort endet auch sein sporadisches Zigeunerleben, dem er sich nicht mehr gewachsen fühlt. In Ehrendoktorwürden lebt er zurückgezogen in der Heimatstadt, denn eigentlich ist's ihm ja zuwider, das Reisen.

Dienstag, 31. März 1998

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