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Emigrantin aus Not und aus Liebe

Blum, Klara: Schlaflos in Shanghai

Von Gabriele Anderl

Sie trug einen wohlklingenden chinesischen Namen: Bailan - "weiße Orchidee" -, und betonte doch gleichzeitig stolz ihre jüdische Herkunft; sie besaß, im Laufe ihres Lebens, vier verschiedene Staatsbürgerschaften: die österreichische, die rumänische, die sowjetische und schließlich die chinesische. Das Ungewöhnlichste an der Schriftstellerin Zhu Bailan, die eigentlich Klara Blum hieß, war jedoch die Unbeirrbarkeit, mit der sie 30 Jahre lang ruhelos nach einem verschollenen Geliebten suchte - mit dem sie nur wenige gemeinsame Wochen verbracht hatte.


In Czernowitz, Moskau, Shanghai, Peking und Kanton hat die chinesische Germanistin Zhidong Yang der verwehten Fährte Klara Blums nachgespürt und mit deren Biographie auch ein spannendes Stück Zeitgeschichte geschrieben: Denn im Leben wie im lyrischen und erzählerischen Werk Blums spiegeln sich vielfältige Einflüsse wider: die ostjüdischen Traditionen ihrer Heimat, der Bukowina, die Reformbewegungen des "roten" Wien, das Moskauer Emigrantenmilieu in den Jahren des stalinistischen Terrors und die Periode des Übergangs vom Kuomintang-Regime zur kommunistischen Herrschaft in China.


Klara Blum wurde 1904 in Czernowitz geboren. 1913 ließ sich ihre Mutter von dem um 26 Jahre älteren, wohlhabenden Ehemann scheiden und zog mit Klara nach Wien. Jahrelang lebten Mutter und Tochter unter ärmlichen Verhältnissen und zogen rastlos von Pension zu Pension. Beeinflußt durch das Engagement ihrer Eltern, entwickelte sich Blum zu einer glühenden Zionistin: Sie schrieb Artikel für die "Ostjüdische Zeitung" und folgte 1928 ihrem Stiefbruder nach Palästina. Doch es gelang ihr nicht, in dem Land im Nahen Osten heimisch zu werden, und noch im selben Jahr kehrte sie enttäuscht nach Wien zurück. Immer mehr wandte sie sich nun der Sozialdemokratie zu und identifizierte sich vor allem mit deren Frauenbewegung.


Ihren Lebensunterhalt verdiente sich Blum als freie Journalistin, unter anderem mit Artikeln für die "Arbeiter Zeitung". 1934 gewann sie bei einem Preisausschreiben der "Internationalen Vereinigung revolutionärer Schriftsteller" eine Studienreise in die Sowjetunion. Wegen der politischen Situation in Österreich wurde aus dem geplanten zweimonatigen Besuch ein elfjähriger Aufenthalt.


In Moskau - auch dort sollte Blum nie wirklich heimisch werden - kam es Ende 1937 zu der wohl folgenschwersten Veränderung in ihrem Leben: Sie verliebte sich leidenschaftlich in den jungen chinesischen Theaterregisseur und Journalisten Zhu Xiangcheng. Zhu, wie Blum Kind eines reichen Großgrundbesitzers, hatte in Shanghai zu den führenden Vertretern der linken Theaterbewegung gezählt. Unter dem Druck seines Vaters war er eine Ehe mit einem Mädchen aus adeliger Familie eingegangen, hatte 1931 aber Frau und Kinder verlassen und war nach Paris übersiedelt. Von dort, wo er als Student getarnt die Europasektion der chinesischen KP geleitet hatte, war er mit einem Wanderzirkus nach Moskau gelangt.


Aus einem Lebenslauf, den Blum für die Komintern verfaßt hat, erfahren wir, daß sie 1935 zwei Monate bei einem chinesischen Schriftsteller namens Emi Tsiau gelebt, dieser sich aber als "verantwortungsloser Mensch" entpuppt hatte. Zhu war sie diesen Unterlagen zufolge bereits 1934 zum ersten Mal begegnet.


Über das persönliche Verhältnis zwischen ihr und Zhu gibt es wenig gesicherte Informationen. Aus Blums autobiographischem Roman ist zu entnehmen, daß sie sich von seiner Bildung und der beherrschten, zurückhaltenden Art angezogen fühlte, ihn wiederum ihre Offenheit und "barbarische" Direktheit gleichzeitig befremdete und faszinierte.


Drei Monate lang besuchte Zhu Blum zweimal pro Woche - drei Monate, die sie später in einem Gedicht "einen Splitter Glück" in ihrem Leben nennen sollte. Dann plötzlich, am 18. April 1938, fand der Traum ein abruptes Ende: Blum erhielt einen letzten Anruf von ihrem Geliebten, dann verschwand dieser spurlos.


Wochenlang wartete Blum verzweifelt auf eine Nachricht und suchte Zhu in ganz Moskau, denn wegen seiner konspirativen politischen Tätigkeit hatte sie nie seine Adresse oder Telefonnummer erfahren. Daß der Geliebte sie verlassen haben könnte, wollte Blum nicht als Möglichkeit in Betracht ziehen; ebensowenig kam ihr in den Sinn, sein Verschwinden mit der Verhaftungswelle in Verbindung zu bringen, die auch in ihrer engsten Umgebung die Reihen der Emigranten lichtete. Sie gelangte vielmehr zu der Überzeugung, daß Zhu in einem geheimen Auftrag von der Partei nach China abberufen worden war, und beschloß, ihm dorthin zu folgen.


Als die sowjetischen Behörden ihren Ausreiseantrag ablehnten, glaubte Blum an eine persönliche Intrige, hinter der sie Spitzenfunktionäre der österreichischen Komintern-Fraktion in Moskau - allen voran Ernst Fischer - als Drahtzieher vermutete. Fischer, den Blum bereits aus Wien kannte, diente ihr später in dem Roman "Der Hirte und die Weberin" als Vorbild für eine skrupellose Figur namens Montini. "Montini" , heißt es dort, "intrigiert mit der Leichtigkeit und Gewandtheit einer Spinne. Eine wegwerfende Handbewegung, ein Naserümpfen, ein paar beiläufige, herabsetzende Worte. Und die Wirkung ist unfehlbar."


Eine Reihe von Dokumenten, die kurz nach Erscheinen von Yangs Biographie von österreichischen Historikern im Moskauer Komintern-Archiv entdeckt wurden, geben Aufschluß über Blums Reaktionen auf die Ablehnung ihres Ausreiseantrages: Blum, so zeigen diese Schriftstücke, bedrängte die Komintern-Führung mit unzähligen Gesuchen und Beschwerdebriefen. Sie werde deshalb als "ein zudringlicher und hysterischer Mensch" charakterisiert, klagte sie 1943 in einem persönlichen Brief an Georgi Dimitrow, den langjährigen Generalsekretär der Komintern in Moskau. "Ihre Entscheidung vom 23. 2. des Vorjahres in bezug auf die Anbahnung einer Verbindung zwischen mir und meinem Mann in China" , hieß es dort weiter, "ist bis zum heutigen Tag resultatlos geblieben." Blum beanstandete auch, "daß Ausländer oder ehemalige Ausländer von den Sowjetorganen als fremde Elemente betrachtet" würden, war sie doch 1939 - nur wenige Monate nach ihrer Aufnahme - aus der Deutschen Sektion des Sowjetischen Schriftstellerverbandes ausgeschlossen worden.


Ungeachtet ihrer verzweifelten Bemühungen durfte Blum erst im Oktober 1945 die Sowjetunion verlassen. Nach einer Odyssee durch halb Europa und einem langen, unfreiwilligen Aufenthalt in Paris erreichte sie im August 1947 Shanghai - gänzlich verarmt und durch die Entbehrungen früh ergraut. Zunächst fand sie Aufnahme in einem Flüchtlingsheim in Hongkew, jenem heruntergekommenen Stadtviertel, in dem während der Kriegsjahre der Großteil der rund 20.000 Naziflüchtlinge aus Mitteleuropa gelebt hatte. Als Blum in der einstigen Wirtschafts- und Kulturmetropole des Fernen Ostens eintraf, tobten hier bereits die Kämpfe zwischen Nationalisten und Kommunisten; die meisten jüdischen Flüchtlinge hatten die Stadt bereits verlassen oder warteten ungeduldig auf eine Transportmöglichkeit.


Die Suche nach Zhu führte Blum auch zu dessen Ehefrau, Wang Jifeng, die in Shanghai lebte. Blum, die sich selbst einmal als überspannt, unbeherrscht und taktlos beschrieben hat, stellte sich Wang ohne die geringste Verlegenheit als Zhus Frau vor. Wang war so fassungslos, daß sie an einen Irrtum Blums glaubte und ein Foto hervorholte: Es zeigte "das schmale, bartlose morgenländische Männerantlitz mit den schrägen Träumeraugen und dem hartnäckig suchenden Zug um den Mund" , wie Blum Zhus Gesicht in ihrem autobiographischen Roman beschrieben hat. Blum rief beim Anblick des Fotos begeistert aus, dies sei genau der Mann, den sie suche, und sie bedrängte Wang, ihr das Foto zu schenken.


Jahrzehnte später entdeckte die Blum-Biographin Zidong Yang auf dem Speicher der Institutsbibliothek an der Zhongshan-Universität Blums Nachlaß und fand in dem verrosteten Eisenkoffer auch jenes Jugendbild von Zhu.


1949, als die Volksarmee nach Süden vorgerückt war und Peking einnahm, reiste Blum, in der Hoffnung, Zhu zu finden, den Kommunisten entgegen. Sie mußte schließlich enttäuscht nach Shanghai zurückkehren, wo sie eine Stelle als Professorin für deutsche Literatur an der Fudan-Universität antrat; später lehrte sie an der Zhongshan-Universität in Guangzhou (Kanton). In China glaubte Blum, endlich eine Heimat gefunden zu haben, jenes Zuhause, das sie seit ihrer Kindheit vergeblich gesucht hatte. 1952 nahm sie einen chinesischen Namen an (der Familienname Zhu war der ihres Geliebten), wenig später auch die chinesische Staatsbürgerschaft. Sie war jedoch nicht in der Lage, das Land, Zhus Heimat, in seiner komplexen Realität wahrzunehmen, sondern sah es mit dem verklärenden Blick einer Verliebten.


Der Beginn der Kulturrevolution 1966 zerstörte die Illusionen der gläubigen Kommunistin jäh: Wie alle anderen Ausländer geriet sie unter Spionageverdacht und wurde von Studenten und Kollegen gemieden. Die plötzliche Erkenntnis, daß sie in Wirklichkeit eine Fremde und Außenseiterin geblieben war, erschütterte sie so fundamental, daß ihr aller Lebenswille abhanden kam. Sie erkrankte an Krebs, lehnte ärztliche Hilfe ab und starb im Mai 1971.

Montag, 31. März 1997

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