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Zum 125. Geburtstag des Tausendsassas Egon Friedell

Friedell: Der geniale Dilettant

Von Friedrich Weissensteiner

Egon Friedell war ein Wiener Original und ein Universalgenie. Er war ungeheuer vielseitig und trug viele Masken: die des wortgewandten, geistreichen Kabarettisten, des Kulturphilosophen, des Feuilletonisten, des Kritikers, des Dichters, am liebsten die des Schauspielers. Er war gebildet, witzig, schlagfertig, komisch und rührend.

Egon Friedell, dessen Geburtstag sich am 21. Jänner zum 125. Mal jährt, war ein lebendes Paradoxon. Er konnte ebenso großzügig wie knausrig sein, bescheiden wie ruhmsüchtig, apathisch wie hitzköpfig. Der eingeschworene Junggeselle, der seine große Wohnung von einer Haushälterin betreuen ließ, arbeitete nach einem genauen Tagesplan, wenn er nicht gerade eine Zechtour absolvierte oder sich der Muße hingab. Friedell trieb gerne Schabernack, schoss auf der Bühne und mit seiner spitzen Feder in alle Richtungen scharfe Pointen ab, liebte das Publikum und war doch gerne allein und ungestört. Überhaupt war sein ganzes Leben voller Paradoxa. Er war ein Anti-Bürger und entstammte dem strengen bürgerlichen Milieu eines Wiener Textilfabrikanten, was ihn zu der für ihn typischen Äußerung veranlasste, in "seinen Adern fließe Samt und Seide".

Friedell hieß mit seinem Geburtsnamen Friedmann. Der Name scheint ihm missfallen zu haben. Weshalb er ihn bei seiner ersten bedeutenden Veröffentlichung, seiner Dissertation "Novalis als Philosoph", kurzerhand ablegte. "Ich weiß nicht, ob dem lieben Leser bekannt ist, dass mir Gott bei meiner Geburt den Namen Friedmann zugedacht hat", lautete die Erklärung für seinen doch eher ungewöhnlichen Schritt, "ein zweifellos schöner Name, den ich jedoch abgelegt habe, weil er so gar nicht zu meinem Naturell passt, und weil ich nicht mit anderen Leuten desselben Namens verwechselt werden will." Das Pseudonym wurde 1916 anerkannt.

Egon Friedell wurde zwar in materiell gesicherte Verhältnisse hineingeboren, seine Kindheit und Jugend standen jedoch unter einem familiären Unglücksstern. Die Mutter brannte mit einem Sprachlehrer durch, der kränkliche Vater konnte sich kaum um seine Kinder kümmern. Als er 1891 starb, wurde der 13-jährige Egon von einer Tante in Frankfurt am Main in Obhut genommen. Völlig aus der Bahn geworfen, leistete er sich am Gymnasium einen dummen Streich nach dem anderen und wurde von der Schule verwiesen. Es folgte eine Odyssee durch verschiedene Ausbildungsstätten in Österreich und Deutschland, ehe es ihm im vierten und letzten Anlauf gelang, am Königlich-Preußischen Gymnasium in Bad Hersfeld das Abitur abzulegen.

Friedell kehrte nach Wien zurück, erkämpfte sich in einem Rechtsstreit mit Verwandten und Vormündern das Verfügungsrecht über seinen Anteil am Vermögen des Vaters, von dem er bequem leben konnte, und belegte an der Universität die Fächer Philosophie und Germanistik. Das Studium beendete er in der kürzest möglichen Zeit, in acht Semestern. Schon vor der Erwerbung des Doktortitels schloss sich Friedell jener Runde von Literaten an, die im Café Central täglich beisammen saß, um im geselligen Kreis Gedanken auszutauschen und über Gott und die Welt zu philosophieren. Hier schloss das literarische Greenhorn Freundschaft mit dem dichtenden Bohemien und Lebenskünstler Peter Altenberg, dem er später das Buch "Ecce poeta" widmete und den er mit liebevoller, großartiger Treffsicherheit so charakterisierte: "Er ist kein Lyriker, denn er hat keine Form. Er ist kein Epiker, denn er hat keine Handlung. Er ist kein Philosoph, denn er hat kein System. Seine Gedanken sind barock, sein Stil ist salopp, seine Pathetik ist überheizt. Und im Leben ist er ein Narr."

Einakter über Goethe

Im Central lernte er auch Alfred Polgar kennen, mit dem er den berühmt gewordenen Einakter "Goethe" schrieb. Der große Dichter, das war der originelle Einfall, muss sich an Stelle eines vor Angst schlotternden Prüfungskandidaten den Fragen von "Goetheologen" über sein Leben und Werk stellen - und fällt prompt durch. Friedell hat mit dem amüsanten, geistreichen Stück auf Kabarett- und anderen Bühnen jahrzehntelang Triumphe gefeiert. Friedell verspottete mit seinem Goethe-Stück den hohlen Bildungsbegriff seiner Zeit. Er schrieb aber auch für Zeitungen Theaterkritiken, übersetzte Werke aus dem Englischen und Französischen und brachte eine "Judastragödie" zu Papier, die 1923 am Wiener Burgtheater zur Aufführung gelangte, aber nach sieben Pflichtvorstellungen wieder aus dem Repertoire genommen wurde.

Die ganz große Liebe des Vielseitigen gehörte dem Theater: von Jugend an hatte er schauspielerisches Talent. Der Tausendsassa lernte anlässlich eines Gastspieles in Berlin den großen Regisseur und Bühnenmagier Max Reinhardt kennen, der ihn als Schauspieler und Dramaturg engagierte. Friedell bewährte sich in Bernhard Shaws "Androklus und der Löwe" in der Rolle des Caesar und spielte später in der Wiener Josefstadt, die einige Jahre von Reinhardt geleitet wurde, den Dottore in Carlo Goldonis "Der Diener zweier Herren", den "berühmten Mann" in Hugo von Hofmannsthals Komödie "Der Schwierige" und trat auch in Stücken von Molière, Schiller und Shakespeare auf. "Ich arbeite mit niemandem lieber und besser als mit einem talentierten Dilettanten", meinte Reinhardt einmal. Der Satz war auf Friedell gemünzt. Insgesamt verkörperte Friedell, dessen Körperfülle von Jahr zu Jahr wuchs, rund 60 Bühnenrollen.

Friedell hielt von genialen Dilettanten mehr als von gelehrten Fachidioten. "Dilettantismus ist die einzige Form, in der ein kultivierter Intellekt sich überhaupt zu äußern vermag", meinte er, "dieser allein sei poetisch und schöpferisch, während die Spezialisierung zum Verlust umfassender Sinngebung führe."

Seine großartige dreibändige "Kulturgeschichte der Neuzeit", sein Opus magnum, das ihm Lob von vielen bedeutenden Persönlichkeiten eintrug, wollte er als das Werk eines dilettierenden Historikers verstanden wissen. Friedell hatte eine eigenwillige Auffassung von Geschichte. Die Zeit ist ganz und gar die Schöpfung des großen Mannes, urteilte er, jedes Zeitalter ist ein Produkt des Genies. Das sind provokante Feststellungen, die zum Widerspruch reizen. Aber gerade darauf kam es ihm an: durch Provokationen und Paradoxien zum Denken anzuregen.

Vor der politischen Realität verschloss Egon Friedell allerdings die Augen. Er wollte sich die geistige Welt, in der er lebte, nicht zerstören lassen. Nach der Okkupation Österreichs durch die Nazis rieten ihm Freunde zu emigrieren. Friedell wies den Rat zurück. Er war 60 Jahre alt. Ein Leben in der Fremde kam für ihn nicht in Frage. Er hatte sich dazu entschlossen, den sicheren freiwilligen Tod dem ungewissen unfreiwilligen vorzuziehen. Als am Abend des 16. März 1938 SA-Männer in seine Wohnung eindrangen, sprang er aus einem Fenster im dritten Stock in die Tiefe. Sein Freitod blieb weithin unbeachtet. Menschen vom Schlag und Rang eines Egon Friedell waren jetzt unerwünscht.

Erstdruck in: Große Österreicher des 20. Jahrhunderts. Verlag Ueberreuter.

Freitag, 17. Jänner 2003

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