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Letzte Überreste der alten Fetischhäuser im Süden Ghanas

Die Tempel der kleinen Götter

Von Thomas Veser

Die Sonne spiegelte im Goldschmuck, den der König der Ashanti und sein Hofstaat zu Ehren der britischen Gäste angelegt hatten. "Schmale Goldreifen mit Münzen, Ringen und Tierabgüssen reihten sich an ihren Hand- und Fußgelenken aneinander", schrieb Delegationschef Thomas Edward Bowdich in seinen 1817 publizierten Reiserinnerungen. Aus massivem Gold bestanden selbst die Kastagnetten an Fingern und Daumen des Ashantehene genannten Monarchen, der damit seinen Untertanen Ruhe gebot.

Nur wenige Jahre nach Bowdichs Besuch in der Residenzstadt Kumasi im südlichen Teil der damaligen Goldküste lieferten sich Briten und Ashanti-Armee erste Gefechte. England beanspruchte die Herrschaft über ein dichtes Netz von Handelsniederlassungen entlang der Küste. Diesen Landesteil wollte jedoch auch der Ashantehene seinem Verband aus Fürstentümern zwischen dem heutigen Togo und der Elfenbeinküste einverleiben.

Nach dem siebten Krieg musste die Ashanti-Armee endgültig die Waffen strecken. Nach jeder Niederlage hatten die Sieger den Geschlagenen Reparationsabgaben in Form von Gold auferlegt. Alleine 1874 schafften sie über eineinhalb Tonnen des Edelmetalls außer Landes. Heute können die reifsten Leistungen westafrikanischer Goldschmiede im Britischen Museum in London bestaunt werden.

Ihren Ashantehene haben die Ashanti bis heute behalten, seine einstmals unumschränkte Machtfülle gehört jedoch der Vergangenheit an. Wie seine Vorgänger schwärmt König Otumfuo Nana Osei Tutu II. für prunkvolle Hofhaltung. Bisweilen lässt der symbolische Gebieter über zwei Millionen Ashanti auch seine Untertanen daran teilhaben.

Inszeniert die Königsfamilie auf dem Rasen vor dem Kulturzentrum von Kumasi einen traditionellen "Durbar", trägt der Asantehene ein reich besticktes Adinkra-Gewand und üppigen Goldschmuck. Links und rechts des Thrones verharren Würdenträger, unter ihnen die Oberpriester und die legendären Asantehemaa, die Queen Mothers, wie sämtliche engeren weiblichen Verwandten des Monarchen genannt werden. Niemand kennt die königliche Genealogie und das komplexe Hofritual besser als diese Beraterinnen, die nach dem Tod des Vorgängers Otumfuo Opoku Ware II., 1999 auch dem jetzigen Herrscher den Weg zum Thron geebnet haben.

Er steht im Audienzsaal des modernen Königspalasts, hinter dessen Mauern Ratsuchende und Bittsteller empfangen werden. Historische Gebäude sucht man in der rund 500.000 Einwohner zählenden Stadt vergebens; die meisten der prächtig verzierten Wohngebäude und Tempel wurden beim letzten Ashantikrieg verbrannt. Was übrig blieb, wurde im Laufe der Zeit so stark modernisiert, dass keine Bezüge zur ursprünglichen Architektur mehr erhalten sind. Und so bleiben nur Bowdichs Bücher, in denen er Aussehen und Bauweise in Texten und Zeichnungen festgehalten hat.

"Die Blühende", wie Kumasi im

19. Jahrhundert apostrophiert wurde, trug ihren Übernamen nicht

ohne Grund: Entlang breiter Alleen leisteten sich die Wohlhabenden ausgedehnte Wohnpaläste. Sie bestanden - nach dem überall gleichen Bauprinzip - aus vier Einzelgebäuden mit Empfangshalle und Balustrade. Tiermotive und geometrische Muster schmückten die Außenwände aus Holzrahmen und Strohlehm.

Die quadratischen Fußplatten unter den Säulen und alle unteren Mauerteile wurden mit einer roten

Lateritschicht bedeckt, die oberen Abschnitte der Hausmauern mit hellem Lehm überzogen. Bis zu

60 Grad steile Dächer, die mit Stroh oder Palmwedeln gedeckt wurden, krönten die Einzelgebäude. Lehm und Blätterdach sorgten auch bei großer Hitze im Wohnbezirk für erträgliche Temperaturen.

Letzte Relikte der verschwundenen Architektur von Kumasi findet man noch in einem Dutzend Dörfer rund um die Königsstadt. Es sind überwiegend Tempel, die den Schutzgöttern der Ashanti-Naturreligion geweiht wurden. Missionare aus Portugal nannten die Baudenkmäler "Fetischhäuser", worin das portugiesische Wort für "machen" auftaucht. Denn dort verfertigten Priester einen "Zauber" aus Lehm, Perlen und Kaurimuscheln, die in einem Metallbehälter zerstoßen wurden.

Die Kultstätte als Museum

Von vielen Fetischhäusern sind nur noch Teile erhalten. Nach welchem Prinzip die wohl überwiegend im 19. Jahrhundert entstandenen Gebäude errichtet wurden, zeigt der mit westlicher Hilfe originalgetreu rekonstruierte Tempel von Besease. Seine Rolle als Kultstätte hat er eingebüßt, der wieder entstandene Tempel dient heute als Ashanti-Architekturmuseum. Schon in den 1980er Jahren hatte die UNESCO alle erhaltenen Kultstätten der Ashanti-Religion auf die Welterbeliste gesetzt. Ein Jahrzehnt zuvor waren sie in großem Umfang restauriert worden. Termiten und Tropenregen setzen den Baudenkmälern aus leicht vergänglichem Material fortwährend zu.

Als einzigartige Architektur- und Religionszeugnisse stehen sie für eine 300-jährige vorkoloniale Periode, die in der Geschichte des heutigen Ghana und des westlichen Afrika eine zentrale Rolle spielte. Die Tempel der kleinen Götter vermitteln eine Vorstellung von Pracht und Größe der vernichteten Stadtpaläste, nach deren Vorbild sie gestaltet und verziert worden waren.

Geweiht wurden sie meist den Abosom, wie die Schutzgötter in der Ashanti-Sprache heißen. Als oberste Gottheit verehren die Ashanti den unnahbaren Schöpfergott Nyame. Seine Gemahlin Asaase symbolisiert die Erde. Ihre Söhne erfreuen die Irdischen in Gestalt von Landschaften, Seen und Flüssen. Auf der tiefsten Stufe dienen die "minderen Götter" als Bindeglied zwischen den Menschen und Nyame, den Sterbliche niemals persönlich anrufen dürften. In der Ashanti-Mythologie gelten die Abosom als zeitweise auftretende Manifestationen einer spirituellen Kraft, die sich in besonderem Maße in Naturerscheinungen äußert.

Animisten bringen ihren kleinen Göttern dieselbe Ehrerbietung entgegen wie weisen Älteren oder Dorfchefs. Einzelne Menschen in einer persönlichen Notlage wenden sich ebenso an die Abosom wie Dorfgemeinschaften, die von den Schutzgöttern reiche Ernten, Kindersegen und Beistand im Kampf gegen Übeltäter erhoffen. Bevor die Schutzgötter angerufen werden, findet in dem Innenhof des Tempels eine Serie von Zeremonien und Tänzen statt. Priester und Priesterinnen tragen weiße Kleidung und bestreichen ihre Gesichter mit weißem Lehmpulver.

Wie die Wohnpaläste bestehen alle Tempel aus vier Gebäuden um einen quadratischen Innenhof. Eines der vier zum Hof hin offenen Gebäude ist der Trommlergruppe vorbehalten, in einem anderen befindet sich der Chor, der üblicherweise aus Frauen besteht. Während der dritte Raum als Küche zur Zubereitung des Opfersuds dient, darf das Gebäude, im dem das Allerheiligste untergebracht ist, nur vom Oberpriester und seiner engsten Gefolgschaft betreten werden.

Pro-Forma-Zeremonien

Nur erfahrene Zeremonienmeister können die Wirksamkeit des Zaubers entfalten. Sie dienen als Medien, von denen die Schutzgötter zeitweilig Besitz ergreifen. Durch die in Trance versetzten Männer sprechen die Abosom nach animistischer Vorstellung an die Gemeinschaft. Wenn nach dem Tod eines Priesters kein geeigneter Nachfolger zu finden ist, verliert der Schrein seinen Sinn. Oftmals beschränkt sich die Gemeinschaft dann auf Pro-Forma-Zeremonien, wie etwa das Darbringen eines Trankopfers. Dabei gießt man zunächst einige Tropfen aus der Schnapsflasche auf den Boden des Innenhofs, bevor man sich den Rest selbst genehmigt und dann nach Hause zurückkehrt.

Gemessen an seiner Ausdehnung, gehörte der Tempel im Dorf Abirim einst zu den eindrucksvollsten Baudenkmälern. Mehr als sein Altarraum ist jedoch nicht erhalten. Dort zeigen mit schwarzer Patina überzogene Gefäße gekreuzte Krokodile mit drei Köpfen, acht Beinen und einem Schwanz. Über die Bedeutung ist man sich nicht mehr ganz einig. Es steht wohl für die Abhängigkeit der Familienmitglieder, könnte jedoch auch verdeutlichen, dass Stammeskämpfe letztlich allen Beteiligten zum Nachteil gereichen. "Die Schlange erklimmt den Raffia-Baum" symbolisiert jedenfalls Geradlinigkeit, Umsicht und Sorgfalt, da diese Palmenart einen dornenübersäten Stamm besitzt. Insgesamt umfasst das Ashanti-Repertoire mehr als 100 Symbole. Man findet sie auf Kultgegenständen und an den Mauern, sie werden aber auch mit kleinen Stempeln auf den typischen Adinkra-Stoffen angebracht. In jedem Symbol sind Sprichwörter und feste Redewendungen verschlüsselt. Der Mythologie nach wurden sie den Priestern durch die Schutzgötter übermittelt. Allerdings nimmt das Wissen um die Bedeutung der verbindlich festgelegten Symbole ab.

Der mit Abstand am besten erhaltene Schutzgöttertempel steht im Dorf Bawjwiasi, selbst seine Verzierungen sind unversehrt. Wirbel- und Kreismuster haben in der Ashanti-Tradition eine komplexe Bedeutung und spielen bei der Dekoration eine Schlüsselrolle. Über dem Eingangsbereich des Altarraumes schufen die Handwerker auf Pfeilern ein "Zwergenschemel" genanntes, filigranes Holzornament aus Ovalbögen, die von Winkelmustern überlagert werden.

Es bedurfte großer Erfahrung und Fingerfertigkeit, um in den noch feuchten Lehmschichten der Wände Kunstwerke zu erschaffen. Zunächst markierten die Handwerker mit Bambussplittern das vorgesehene Grundmuster. Es wurde mit Gras umhüllt und mit Lehmpaste überstrichen und so lange bearbeitet, bis die erwünschten Strukturen mit Farbe verziert werden konnten.

Neben dem Fetisch von Bawjwiasi werden sieben stilisierte Puppen-skulpturen aufbewahrt. Diese Fruchtbarkeitssymbole übergab der Zeremonienmeister früher allen Frauen mit Kinderwunsch.

Die einzige, vollständig erhaltene Eingangsfassade eines Fetischhauses ziert den Tempel im Dorf Adwenase. Sein Wandfeld zeigt Palmnüsse und ein riesiges Krokodil mit einem Fisch im Maul. Während in Asrimaso eine Decke aus Palmzweigen in Fischgrätmuster erhalten ist, besticht der Tempel in Kenyasi durch kunstvoll geschnitzte und vergoldete Fensterläden.

Moderne Konkurrenz

Doch wer diese Meisterwerke einer ausgereiften Handwerkskunst bewundern will, muss zunächst ein abenteuerliches Sammelsurium an Möbel, Holzbrettern und Haushaltsgeräten zur Seite räumen. Kenyasis Tempel dient einer Großfamilie als Wohnstätte, die im Innenhof Mahlzeiten zubereitet.

Dass immer mehr Schreine ihre ursprüngliche Funktion verlieren, ist weniger auf den Erfolg christlicher oder muslimischer Missionare zurückzuführen; vielmehr ist den traditionellen Fetischhäusern eine andere Konkurrenz erwachsen. Moderne Tempel aus Beton, Zement und industriell vorgefertigten Dekorationselementen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Im Dorf Bosore kehrten die Menschen Ende der 1960er Jahre der alteingesessenen Gottheit Tano Bobodwo den Rücken und huldigten einem neuzeitlichen Schutzpatron, dem man ein Betongebäude errichtet hatte. Sein Fetisch setzte sich aus europäischen Statussymbolen zusammen: Kleider, Rasierzeug, Zigaretten und ein Kassettenrekorder symbolisierten in diesem inzwischen verschwundenen Tempel Hoffnungen auf Glück und Wohlstand.

Seit einigen Jahren betätigen sich die Priester der zeitgenössischen Kultstätten als Exorzisten. Betroffen sind vor allem angeblich von bösen Geistern besessene Frauen, die für Todesfälle in der Familie und für Unwetter verantwortlich gemacht werden. Inzwischen schiebt man diesen unglücklichen Frauen, die im Verdacht der Hexerei stehen, auch die Schuld für die Wirtschaftsmisere in die Schuhe. Einen gründlicheren Bruch mit der Schutzgöttertradition kann man sich kaum vorstellen. Statt die gütigen Abosom um Beistand zu bitten, kämpft der Priester gegen Unheil bringende Mächte.

Etliche der herausragenden Schutzgötterstätten sind inzwischen verschwunden oder werden nicht mehr benützt. So etwa der Tempel im Dorf Samaan bei Kenyasi. Dort haben Handwerker am Eingangsbereich des Tempels Wandtafeln mit teilstilisierten Priesterfiguren geschaffen. Im Innenhof werden die Reliefs mit Blechhüllen vor dem Monsunregen geschützt. Nachdem der Ashanti das Vorhängeschloss am Türriegel des Altarraumes geöffnet hat, lässt sich die holzgeschnitzte Tür nicht bewegen. Er stemmt sich gegen das Hindernis, bis es mit herausgerissenen Angeln in den düsteren Raum kippt. Angesichts der Spinnennetze in den Ecken steigt die Ahnung auf, dass die Schutzgötterwelt ihre Glanzzeiten hinter sich hat.

Freitag, 09. Jänner 2004

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