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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Die Pflanzerkolonien der Karibik funktionierten durch Sklaverei

Der Reichtum Westindiens

Von Martin Luksan

Ein Kupferstich von 1570 zeigt die Herstellung von Zucker: Arbeiter füllen die flüssige Zuckermasse in charakteristische kleine Kegel ab. Das war einmal. Heutige Fabriken stehen in der Regel nicht neben den Pflanzungen, sodass das mit der Machete geschlagene Zuckerrohr meistens per Zug oder Maultier herangebracht werden muss. Erst dann setzen die industriellen Arbeitsgänge voll ein: Der Zucker wird gepresst, mit Kalkmilch versetzt, bis zum Verdampfen gekocht, ehe der Sirup in Metallkörben gedreht wird.

Das barocke Bild (siehe Illustration rechts) zeigt die Zuckergewinnung allerdings auf keiner westindischen Insel, sondern in Südspanien. Das erklärt, warum keine nackten Farbigen auf dem Bild zu sehen sind, sondern spanische Arbeiter mit Spitzbärten in der Tracht einfacher Männer. Um 1500 gab es noch gar kein Zuckerrohr in der Karibik. Kolumbus suchte die Inseln, auf denen er der Reihe nach landete, immer primär nach Bodenschätzen ab. So war etwa Puerto Plata (Dominikanische Republik) eine Zeit lang sein "Silberhafen", obwohl er selbst - und alle nach ihm - dort niemals Silber fanden.

Die Spanier brachten das Zuckerrohr in diese vulkanische Region mit dem reinen Seeklima und den gleichmäßigen Temperaturen erst zu einem Zeitpunkt, als sie die mangelhafte landwirtschaftliche Nutzung der Inseln drastisch vor Augen hatten. Dies war der historische Moment, als Westindien durch einen Völkermord, der die Inseln stärker getroffen hatte als das Festland, nahezu entvölkert war und die spanischen Herrenmenschen auf Feldern und in Erzgruben zu wenige Arbeitskräfte vorfanden.

Wie der spanische Missionar Bartolomé de Las Casas beschrieb, waren die Indianer auf den Inseln bereits in den 1540er Jahren überwiegend zum Verschwinden gebracht, während sie auf dem Festland "nur" dezimiert und in eine Sklavenschicht verwandelt waren. Was nun geschah, überschritt das bisherige Verhalten der Eroberer und Kolonisatoren: Die gewünschten Arbeitskräfte wurden aus einer anderen Kultur, aber einer ähnlichen Klimazone, in das menschenleere Inselparadies gebracht.

Dieser transatlantische Sklavenhandel wurde von den Portugiesen eingeführt. Um 1518 begannen von Elmina aus, einem Ort an der Goldküste, der 1482 gegründet worden war, die ersten Transporte über den Atlantik. Die "menschliche Ware" wurde anfangs nicht nach Westindien gebracht, sondern landete in den damals sehr ärmlichen Besitzungen in Bahia und Pernambuko. Erst Transporte, die mehr als 20 Jahre später erfolgten, brachten Schwarzafrikaner in die Karibik und damit in den Einflussbereich der Spanier, den die Portugiesen laut Vertrag kolonialistisch nicht nutzen durften. Die Portugiesen hatten damit ein Geschäft realisiert, das etwa der große, mit Fachbehörden verbundene "Indische Rat" der Spanier um 1520 nur angedacht hatte.

Die "Handelsjagd nach Schwarzhäuten" südlich der Saharazone in Afrika wurde in der Folge nicht nur für die Portugiesen, sondern auch für die anderen Seefahrernationen des christlichen Europas innerhalb von drei Jahrhunderten zu einem einträglichen Geschäft. Diese drei Jahrhunderte, die zugleich die romantische Seefahrerzeit repräsentieren, brachten die Entvölkerung der westafrikanischen Küsten sowie die Verschiebung von etwa

100 Millionen Westafrikanern in

die beiden Amerika (16., 17. und 18. Jahrhundert).

Auf den bunten Seiten der Entdeckungen ist das Kapitel der Sklavenschiffe über Jahrhunderte hin ein großer schwarzer Fleck. Es ist, als ob Las Casas (der das ausschließlich für die Indianer tat) der letzte Zeuge für diese Verbrechen an der Menschheit hätte bleiben sollen. In der Tat galten die Sklaventransporte nicht als verbrecherisch, sondern als banal; sie zu beschreiben wäre der Schilderung einer Fieberkrankheit gleichgekommen. Dieser Handel war banal und begehrt zugleich, denn die Portugiesen, die sich anfangs selbst belieferten, hätten gern das Monopol darauf gehabt. Doch die Engländer (und die Holländer) tauchten nunmehr in Westafrika auf und beunruhigten die Forts und die Handelswege der Portugiesen.

Piraten und Strategen

John Hawkins, ein Verwandter und Lehrmeister von Francis Drake, raubte 1562 eine Ladung Negersklaven an der Guineaküste, die er 1563 in Santo Domingo, der damals größten Stadt in der Karibik, an die Spanier verkaufte. Er war damit der erste Nichtkatholik im afroamerikanischen Sklavenhandel, der auch als Erster für einen Raub-akt dieser Art von der Krone demonstrativ belohnt wurde. Er bekam von der Königin ein größeres und neu überholtes Schiff, auf dem er als Schiffszeichen einen "Negersklaven in Ketten" anbrachte.

Die in Westafrika und Inselindien bereits präsenten Holländer drangen um 1621 in die Karibik ein. Auf dieses Datum war ein Stillhalteabkommen mit Spanien befristet, das aber lediglich die Holländer genutzt hatten. Zu ihrem strategisch richtigen Verhalten im 17. Jahrhundert gehört nicht nur die Besetzung Indonesiens zu einer Zeit, als dort die Portugiesen die Muslime in Schach hielten, sondern auch das Eindringen in die amerikanische Welt von Spanien und Portugal in einem Moment, als die Spanier noch nicht kriegsbereit waren. Letzteres geschah durch die Westindische Holländische Kompanie, die, 1621 gegründet, 1648 schon überall Fuß gefasst hatte. Während die Ostindische Kompanie in Afrika Stützpunkte errichtete, setzte sich jene zweite Gesellschaft, die nach Westen segelte,

vor allem auf den Kleinen Antillen fest. Zwar gehörte ihr bald auch Delaware und Neu-Amsterdam, aber das große Geschäft wurde damals mit Sklaven, nicht mit Pelzen gemacht. In Bonaire florierte für die holländischen Mijnheeren der illegale Verkauf von Afrikanern an

die spanischen Kolonisten in der Karibik.

Der holländische Handel mit Negersklaven war mindestens so zielstrebig wie der portugiesische. Da die katholische Missionsaufgabe fehlte, wurde die Brutalität der Versklavungsmethode sogar besonders deutlich. Von den Buren (in Südafrika) abgesehen, waren die Holländer als Händler erfolgreicher denn als Siedler - auch das eine Ähnlichkeit mit den Portugiesen. Anders als diese hielten sie jedoch den Sklavenhandel von ihren Heimathäfen fern, wohingegen das fromme Lissabon vor 1600 mindestens zehn Prozent afrikanische Sklaven im Stadtgebiet hatte.

Die anfangs so erfolgreiche Westindische Kompanie erhielt durch den von England erzwungenen Tausch von Neu-Amsterdam und Delaware gegen das Urwaldgebiet Surinam einen ganz empfindlichen Schlag. Sieben Jahre später (1674) löste man in Holland die Gesellschaft auf und gründete sie mit gleichem Namen sofort wieder. Diesmal band man sie aber - nach dem Vorbild Spaniens und Portugals - ziemlich eng an den niederländischen Staat. So wurden ausgerechnet calvinistische Republikaner, wie sie auf den Bildern von Rembrandt-Schülern detailreich dargestellt sind, in Westindien zu Spezialisten für das schmutzige Geschäft.

Die Franzosen griffen in dem Moment nach den westindischen Inseln, als sie schon über mehrere Riesenbesitzungen verfügten, wie etwa in Kanada. Ihr damaliger Drang nach Süden hatte einen banalen Grund: Ihre nördlichen Besitzungen waren für die meisten Pflanzungen klimatisch ungeeignet - und sie wollten Kolonialprodukte nicht im Zwischenhandel kaufen. Richelieu etwa hielt es für einen Akt der Staatsräson (und für eine "Säule der französischen Wirtschaft"), dass Frankreich seinen Zucker und Tabak selbst anpflanzte. Dieser Hintergedanke wurde 1635, in einem Erfolgsjahr der Franzosen, realisiert, als man Guadeloupe mit den beiden unterschiedlichen Inseln sowie das vulkangeschüttelte Martinique dem Kolonialreich einverleibte. 1697 kam Haiti hinzu,

wo die Franzosen einmal nicht in einer menschenleeren Gegend anfingen (die mit Afrikanern erst bevölkert werden musste), sondern auf eine funktionierende Pflanzerkolonie zurückgriffen, die ihnen die Spanier gleichsam eingerichtet hatten.

Das Beispiel Haiti

Haiti (im heutigen, geografisch eingeschränkten Sinn) gilt als abschreckendes Beispiel für den Verfall eines Paradieses durch Demokratie. Dies ist ein kolonialistischer Mythos. Das einstige "Klein-Spanien" war auch in der Goldenen Ära der Franzosen (1740) alles andere als ein Paradies. Fünf Prozent der Bevölkerung betrieben die Ausbeutung der gesamten Insel, holten Sklaven ohne jede Planung ins Land, nur weil der französische Staat für jeden eingeführten Negersklaven eine Prämie bezahlte. Auch Martinique wurde auf diese Weise übervölkert. Der Präferenzzoll (besonders niedrige Grenzsteuern) für Kolonialwaren kam ebenfalls nur den wenigen Feudalherren zugute, die in Haiti deswegen weder Straßen noch Wasserleitungen bauten.

Weil Frankreich seinen Kolonisten größere Freiheiten einräumte als Spanien den seinen, entstand der Mythos von der "milden Kolonisation" der Franzosen. Er trifft für Kanada kaum - und für die Zuckerinseln in der Karibik absolut nicht zu. Die im Vergleich mit Spanien größeren Freiheiten erklären sich fast ausschließlich aus der militärischen Schwäche Frankreichs in Westindien. Da die französische Krone ihre Siedler in der Karibik gegen die Engländer und diverse Seeräuberflotten nicht wirksam schützen konnte, mussten es die Siedler selbst tun. Auch die Herbeischaffung der afrikanischen Sklaven besorgten sie zeitweise selbst, sodass von einer "Mildheit" der französischen Kolonisation nicht die Rede sein kann.

Die Engländer praktizierten in Westindien rund 100 Jahre lang eine halbherzige und zögerliche Politik. Die englische Krone ließ entweder Siedlerschiffe an der Ostküste Nordamerikas anlaufen oder sie rüstete Seeräuber aus, die sie bei Erfolg im Nachhinein konzessionierte. Das im Atlantik - etwas außerhalb der Antillen-Kette - gelegene Barbados machten die Engländer 1628 zu ihrer Kolonie. Die Insel war menschenleer und nicht als Land, sondern nur als Ankerplatz interessant, weil die englische Atlantikflotte bei ihrem Eintritt in die Karibik immer an dieser Stelle vorbei kam.

Jamaika, auf der gleichen Route gelegen, wurde erst 1655 spontan erobert. Bei der militärisch ungeordneten Aktion retteten sich spanische Herren, die nach Kuba übersetzten, ebenso vor den englischen Musketieren wie Negersklaven, die in die Wälder flüchteten. Sie und ihre Nachkommen führten in Jamaika über 200 Jahre lang das Leben von Waldmenschen.

Englische Buchhalter

Die englische Krone investierte ungern in Besitzungen, aus denen sie keinen raschen wirtschaftlichen Profit ziehen konnte. Für den Ausbau englischer Kolonien stellte der Staat lange Zeit kein Kapital zur Verfügung. Zu Recht erblickte er in seinen Besitzungen nördlich von Charleston (Nordamerika) nur Siedlerkolonien, deren Unterhalt ihm mehr kostete als das Land an Erträgen abwarf. Der geopolitische Wert eines Gebietes, der den Spaniern (und Portugiesen) so wichtig war, spielt für die Anfänge des englischen Seereiches kaum eine Rolle. In diesem Sinn hat das Wort von George Bernard Shaw - "All English are bookkeepers" - eine tiefere Bedeutung. Einem Buchhalter ist die Vorstellung von "Kulturschöpfung" fremd. Er rechnet nur mit gegebenen Faktoren, nicht mit virtuellen, und schränkt so mit seinem Rechenstift die Allmachtsfantasien des Ausbeuters ein. Die frühen spanischen Kolonisatoren aber nahmen nur sich selbst und das leere Land als vorgegeben hin, alles andere glaubten sie beliebig herbeiholen zu können, die Arbeitskräfte genauso wie den Werkstoff.

Wenn in Peru und in Mexiko Teile der Urbevölkerung überlebten, so sind das die beiden großen Ausnahmen, denn in der Regel wurden die Gebiete der beiden Amerika, vor allem die dünn besiedelten, entvölkert. Speziell auf den "ausgemordeten" karibischen Inseln wurde der spanische Schöpfungswahn zur Realität. Er wurde es durch die Spanier, die damit begannen, aber auch durch die Holländer oder durch die Franzosen oder Engländer. Es gab zwar Unterschiede in den Praktiken der Sklaverei, die die Unterschiede von Zeiten und Nationen widerspiegeln, aber es gab keinen Unterschied in der Logik einer Pflanzerkolonie.

Freitag, 09. Jänner 2004

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