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Die Serengeti, das riesige Naturschutzgebiet im Osten Afrikas

Afrika: Mythischer Boden

Von Walter Sontag

Vor exakt einem halben Jahrhundert wurden dicht am Äquator fast 12.000 km² Grassavanne, Dornbusch und Trockenwald knapp vom Viktoriasee bis jenseits des Ngorongoro-Kraters als Serengeti National Park ausgewiesen. Obgleich ein Stück kleiner als die 1940 ausgerufene Reservatfläche, entspricht dies immer noch dem knapp dreißigfachen Territorium des Bundeslandes Wien. Und damit stand fast die Hälfte des gesamten Serengeti-Ökosystems unter Total-schutz - zumindest nominell. Die "Abgleichung" der ursprünglich anvisierten auf die schließlich verwirklichte Parkgröße deutet an, dass bereits damals, zu Zeiten der Engländer, um die Zuteilung des Raums heftig gerungen wurde. Mit dem dramatischen Bevölkerungszuwachs der letzten Jahrzehnte gilt das heute um so mehr. Denn mittlerweile drängen sich in den unmittelbar an den Park grenzenden Regionen drei bis vier Millionen Menschen.

Die Serengeti, das ist das Land der hochgewachsenen Massai mit ihren Viehherden, das sind die Savannen mit ihren gewaltigen Huftierherden - das ist Afrika schlechthin: Hitze, Weite, vermeintlich unendlicher Tierreichtum. Hier findet sich das, was den schwarzen Kontinent von allen anderen Regionen des Erdballs unterscheidet, vor allem auch aus der abendländischen Perspekti-ve. Durch das preisgekrönte Dokumentarfilmepos "Serengeti darf nicht sterben" von Bernhard und Michael Grzimek erfuhr alle Welt von den beeindruckenden saisonbedingten Wanderungen der Weißbartgnus, Steppenzebras und Thomsongazellen. In der Serengeti ballt sich alles: die Individuen- und die Artenzahl der Weidegänger und Beutegreifer. Selbst der in den 80er Jahren verschwundene Afrikanische Steppenelefant kehrte nach dem Elfenbeinhandels-Moratorium wieder zurück. Sogar Geparde halten sich hier; die hochbeinige, grazile Raubkatze vermag sich an anderen Orten neben dem Löwen kaum zu behaupten. Allein der gelb-schwarz-weiß gescheckte Wildhund, ein inzwischen global äußerst gefährdeter Raubsäuger, fehlt seit einigen Jahren. Noch in den 60er und 70er Jahren entstanden in der Serengeti grandiose Stu-dien zum Jagdverhalten und Gruppenleben dieses schon damals seltenen, gefürchteten hochsozialen Savannenbewohners, der im Rudel täglich zweimal zur Jagd ausrückt und spätestens beim dritten Versuch Erfolg hat.

Eine Rinderpest mit Folgen

Die genauere Geschichtsbetrachtung der Serengeti beginnt mit einem verheerenden Einschnitt, dem Auftreten der Rinderpest 1889. Das Virus war von Italien aus über das ehemalige Abessinien (Äthiopien) ins frühere Deutsch-Ostafrika eingeschleppt worden und raffte nun Vieh und freilebende Huftiere in Massen dahin. Die Seuche übte eine so nachhaltige Wirkung aus, dass die beiden Grzimeks vermutlich über das wahre ökologische Potential dieser Savannenlandschaft getäuscht wurden. Beim Überfliegen mit ihrem Kleinflugzeug, einer Pioniertat der zoologischen Feldforschung, waren sie mit ihren Schätzungen auf eine Kopfzahl von insgesamt 365.000 Großtieren gekommen. Doch die Ziffern für die eigentlich von diesem Ökosystem verkraftbaren Pflanzenfresser liegen noch weit höher, wie sich nach erfolgreicher Immunisierung der Viehbestände der umliegenden Gebiete herausstellte. Gegenwärtig sind allein die Gnus mit rund 1,3 Millionen Individuen vertreten! Mit dem Durchimpfen der Rinder verschwand das Virus auch unter den Wildtieren. In der Folge schwollen die Bestände der Steppenbewohner an. Als Nutznießer des erhöhten Beuteangebots nahmen dann Löwen und Fleckenhyänen an Zahl ebenfalls beträchtlich zu.

Auch nach dem Ausbruch der großen Rinderseuche erkannte man den Wildreichtum in einer einzigartigen Kulisse: weite Ebenen, von Hügeln und jähen Inselbergen (sogenannten Kopjes) unterbrochen, von Wasserläufen durchzogen, die in der Trockenzeit freilich fast ausnahmslos versiegen oder zu Rinnsalen und Wasserlöchern schrumpfen. In der Regenzeit verwandeln sie sich in reißende Flüsse, deren Fluten Hunderte durchziehender Huftiere verschlingen.

Nun bereits unter englischer Herrschaft, wurde 1921 das erste Schutzgebiet für Mähnenlöwen proklamiert; acht Jahre später erfolgte die Ausweisung von über 2.000 km² Land um Seronera, dem Sitz des Hauptquartiers des heutigen Nationalparks, als Wildreservat. Im Osten wird die Hochebene vom großen Grabenbruch und der begleitenden Kraterszenerie begrenzt, die sich bis in dreieinhalbtausend Meter Höhe emporhebt. Nur der Oldoinyo Lenai entfaltet noch vulkanische Aktivität und wirft seine Asche auf die Salai-Ebene. Das imposanteste Monument vergangener Erdgewalten stellt freilich das mächtige Rund des Ngorongoro-Kraters dar. Auf seinem 16 Kilometer breiten Grund leben gewissermaßen eingekesselt Zehntausende Großsäuger aus der klassischen Artengemeinschaft der ostafrikanischen Savanne gleichsam in einem natürlichen Versuchslaboratorium für die Feldforschung. Die häufigsten Spezies dieses Lebensraums sind hier fast vollständig versammelt. Hier ist Afrika auf einen Punkt verdichtet, in höchster Intensität spürbar. Nicht weit von diesem naturgeschaffenen Amphitheater, in dem der Lebenskampf zwischen Jägern und Verfolgten täglich tausendfach durchgespielt wird, liegt die Olduvai-Schlucht. Dort stieß das legendäre Anthropologenehepaar Mary und Louis Leaky auf die bis dahin ältesten Reste der Menschengattung Homo.

Kein Zweifel: Das Reich von Ngorongoro und Serengeti ist mythischer Boden. Hier zog es alle hin, die in der Freilandforschung heute Rang und Namen haben: George B. Schaller enttarnte die Serengeti-Löwen als leidenschaftliche Aasfresser, Hans Kruuk Fleckenhyänen als ambitionierte Jäger. Jane Goodall, die in den siebziger Jahren als Schimpansenforscherin Weltruhm erlangte, verdiente sich unter Leakys Fittichen in der Olduvai-Schlucht ihre ersten Meriten. Später untersuchten sie und ihr Mann in der Serengeti und im Ngorongoro Hyänenhunde, Goldschakale und Tüpfelhyänen, unschuldige Mörder, wie ihr gemeinsames Buch betitelt ist.

Der weltweite Nimbus, die Bewahrung dieses Landstrichs südlich des Kilimandscharo in seiner Schönheit bis in die Gegenwart und darüber hinaus die Erhaltung weiter Naturräume Ostafrikas von Uganda bis Tanzania sind in erster Linie auf auf das Wirken des charismatischen Vater-Sohn-Gespanns Bernhard und Michael Grzimek zurückzuführen. Im Dezember 1957 brechen der Frankfurter Zoodirektor und sein junger Begleiter im einmotorigen Flieger nach Afrika auf. Die zebragemusterte Propellermaschine "D-Ente" bringt es auf ungefähr 220 Stundenkilometer, doch über dem Mittelmeer setzt der Motor zum ersten Mal aus. Der 10.000 Kilometer lange Flug führt über algerisches Kriegsgebiet und die Nilebene bis zur Serengeti. Vor dem Zensus gehen die Grzimeks von einer Million Steppenbewohnern aus; ihre Zählungen ergeben freilich nur ein Drittel der erwarteten Bestandsgröße. Nichts erscheint naheliegender, als die erwiesenermaßen weit verbreitete Wilderei als Ursache der Diskrepanz anzunehmen.

Gegenwärtig werden im Nationalpark jährlich allein 15.000 Schlingen beschlagnahmt und geschätzte 40.000 Tiere gewildert. Direkte Verfolgung erreicht das Ausmaß eines ganzen Industriezweigs. Nach einer Schätzung von 1995 sind 18.000 "Arbeitskräfte" mit dem Töten und Verwerten von erbeuteten 160.000 Tieren beschäftigt. So galt der Ngorongoro-Krater als ein Ort, an dem Touristen das Spitzlippennashorn stets antreffen konnten. Doch die begehrten Nasenhörner wurden den urtümlichen Riesen zum Verhängnis. Zeitweise starben in der Serengeti pro Jahr mindestens dreißig der seltenen Hornträger eines unnatürlichen Todes. Die östliche Rasse des Spitzlippennashorns verschwand nahezu restlos aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet, auch im Ngorongoro. Einige wenige Exemplare entkamen dem Schlachten. Seither wird jedes einzelne Rhino überwacht. Und von hier aus schickte sich der Koloss sogar an, die Serengeti selbst wieder zu besiedeln. Anfang der neunziger Jahre machte sich ein Nashornbulle - von Rangern beschützt - auf den Weg dahin und traf auf die beiden letzten dort überlebenden Nashorndamen. Die drei legten bei der Nachkommenproduktion ein Rekordtempo vor. So könnte ein Feinschmecker unter den Pflanzenfressern die Grassavanne zurückerobern und sie mitformen. Das Charakteristikum der Serengeti ist nämlich: Gras, Gras, Gras. Spitzmaulnashörner ernähren sich allerdings besonders gern von Zweigen, die sie mit ihrer spitzen Oberlippe ergreifen. So "picken" sie sich zwergenhafte Akazien aus den Grasteppichen heraus. Die prägenden Huftierherden weiden dagegen mit verteilten Rollen die Grasdecke ab: die Zebras fürs Grobe, die Heerscharen der Gnus für die Gräser der mittleren Höhe, Gazellen fürs Feine.

Suche nach Weidegründen

Freilich findet sich im gesamten Ökosystem keine Stelle, die den hohen Nahrungsbedarf der Hornträger- und Zebrakonzentrationen das ganze Jahr über zu decken vermöchte. Die Suche nach Weidegründen treibt die Tierherden zu den Wanderungen an, deren Muster sich alljährlich wiederholt - wie wir heute wissen. Vor der Erfindung der Flugzählung war dies jedoch Spekulation. Vor dem Hintergrund, dass der Nationalpark andere Grenzen erhalten und die Ngorongoro-Region verlieren sollte, wollten die Grzimeks diese Wanderungen mit Hilfe ihrer Flugente erkunden. Serengeti und Ngorongoro gehörten aus der Sicht der Grzimeks untrennbar zusammen, so wie auch Leben und Namen der beiden Deutschen stets mit diesen Orten verknüpft blieben. Nahe dem Krater verunglückte Bernhard Grzimeks "einziger wirklicher Freund", sein Sohn Michael, 24-jährig beim Zusammenprall seines Flugzeugs mit einem Zwerggänsegeier tödlich. Im gleichen Jahr wurde der Film des jugendlichen Helden, zudem Vertreter eines Deutschland nach Hitler, mit dem Oscar ausgezeichnet - eine Überhöhung im Tod, ein Fanal für den Naturschutz.

Der tödliche Einsatz des kongenialen Vater-Sohn-Teams, Hartnäckigkeit, Ausstrahlung und ungemein geschickter Umgang des Star-Zoologen mit Politikern und Öffentlichkeit in den Folgejahren versetzten der Entwicklung des Naturschutzes in ganz Ostafrika den entscheidenden Schub. Mit den von Grzimek initiierten Fotosafaris wurde der Tourismus in den jungen, mittellosen Staaten angestoßen. Anders wäre nicht denkbar, dass allein die Nationalparks in Tanzania zu Beginn dieses Jahrtausends 6 Prozent der Landesfläche einnehmen. Paradoxerweise hatten die Grzimeks geglaubt, unterlegen zu sein, doch ihr Mythos und ihre Wirkung schweißten Serengeti und Ngorongoro zusammen - sozusagen von Afrika nach Hollywood und zurück. Die weltgrößte Caldera erhielt mit der Ausrufung zum Ngorongoro Conservation Area einen eigenen Status: Den einheimischen Massai ist zwar die Nutzung erlaubt, gleichzeitig herrscht jedoch vollständiges Jagdverbot. Die Serengeti selbst mussten 7.000 Angehörige der Massai und anderer Stämme mit ihrem Vieh verlassen. Man führe sich ein solches Vorgehen hierzulande vor Augen!

Was im Computerzeitalter über GPS und GIS, also Peilsender, Satellitennavigation und die Verknüpfung geographischer Informationen bewältigt wird, versuchten die beiden Frankfurter Zoologen durch direkte Beobachtung der ziehenden Kolonnen herauszufinden. Zahlreiche Zebras und Gazellen versahen sie mit Ohrmarken und farbigen Halsbändern. Die Sorge bestätigte sich, dass die Herden auf ihrer Wanderschaft die Parkgrenzen überschreiten und eine Zeitlang außerhalb der eigentlichen Schutzzone leben würden. In der großen Regenzeit halten sich die Zebras und Gnus zu Füßen des Ngorongoro-Kraters in der Serengeti-Ebene auf und kalben - eine Phase geradezu paradiesischer Zustände für die Beutegreifer. Mit dem Ausbleiben des Niederschlags ziehen die Herden in den feuchteren Korridor im Westen, danach in den Norden bis in das bereits auf kenianischem Territorium liegende Mara-Schutzgebiet. Dort fällt unter der geophysischen Wirkung des Großen Grabenbruchs sogar in der Trockenzeit etwas Regen. Die Route hierhin führt durch unsicheres Land, wo Wilddiebe lauern. Zudem müssen die Scharen Wasserläufe durchqueren, häufig über klitschige Steilpfade. Am berüchtigten Mara River etwa endet für viele der Weg.

Die besonders wichtigen Nahrungsareale jenseits dieses Flusses wurden 1968 dem Nationalpark zugeschlagen. Auf lange Sicht liegt der Schlüssel für Erhaltung des Migrationskreislaufs freilich in der Schaffung großer Pufferzonen um den eigentlichen Park, die sich Mensch und Tier in Koexistenz teilen. Der Bevölkerungsdruck ist enorm, Vieh und Wildtiere konkurrieren um Weideflächen, und mit der grünen Revolution lösen neue Bewirtschaftungsformen althergebrachte Nutzungsweisen der ansässigen Stämme ab. Einige bereits bestehende Game Reserves in der Randzone des Ökosystems gewähren einen gewissen Schutz. Die bisher übliche Community Conservation, bei der den Dorfgemeinschaften aus den Parkeinkünften passiv Geld zufließt, bietet den Bewohnern jedoch kaum Anreize zu echter Identifikation. Große Hoffnungen ruhen allerdings auf den geplanten Wildlife Management Areas, in denen die Einheimischen mit dem Wildvorkommen nachhaltig Geschäfte machen können. Nein, die Serengeti darf nicht sterben.

Literaturempfehlung zum Thema: Reinhard Radke, Serengeti - Fenster zur Schöpfung. Mit Bildern von Anup und Manoj Shah. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 1999, 288 Seiten.

Freitag, 23. November 2001

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