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Über Tiere und Menschen im Settler Country in Südafrika

Raum für afrikanische Träume

Von Walter Sontag

Am 15. Jänner 1822 ging James Lydford Collett in der Algoa Bay von der Salisbury an Land, nicht weit vom 1799 gegründeten Port Elizabeth, der heute fünftgrößten Stadt der Südafrikanischen Union. Collett hatte General Campbell, dessen dritte Frau mit vier kleinen Kindern sowie drei Töchter und zwei Söhne aus einer der früheren Ehen auf dem Zweimaster begleitet und gehörte zu den 4.000 Settlers, die vom britischen Mutterland in das Ostkap entsandt worden waren. Denn daheim lag die Wirtschaft danieder, und für die aus den Napoleonischen Kriegen zurückgekehrten Soldaten hatte man auf der Insel keine Verwendung. Zwischen Algoa Bay und der Mündung des Great Fish River drangen die neuen Siedler bis 300 km in das Landesinnere vor bis zum Beginn der Karroo, dem steinigen trockenen Inlandsplateau mit schroffen Felsen und mächtigen Berg-massiven. Hier erst fängt das wirkliche Afrika mit seinen unendlichen Weiten an.

Diese Besiedlungswelle drückt auch heute noch der Region vom Quellgebiet des Great Fish bis zum Indischen Ozean ihren Stempel auf und gibt diesem Teil des Ostkaps das charakteristische englische Ge-präge, besonders auffällig in Cradock und Grahamstown, dem Ox-ford Südafrikas mit zahlreichen Colleges und Internaten. Von weit her, vor allem aus dem unsicheren Norden, schicken Gutbetuchte und Besserverdienende ihre Sprösslinge hierhin zur Ausbildung. In Cradock, dem Handelszentrum nahe dem Oberlauf des Great Fish, wurde die Kathedrale der burischen Reformierten gar der Londoner Kirche St. Martin's in the Fields nachempfunden. Der Boden kann hier - wenn das Wetter mitmacht - gute Erträge bringen, und somit ist die Umgebung zum Farmland prädestiniert. Hier erreicht man auch, eine gute dreiviertel Autostunde nörd-lich der Stadt, das Land der Colletts, der Nachkommen des Neuankömmlings von 1822. Sie sind Farmer, Lehrer und Orchideenzüchter.

In unmittelbarer Nachbarschaft des Great Fish River bewirtschaften sie ihr Reich, in der Grenzenlosigkeit der Karroo lediglich eine bescheidene Insel, für europäische Maßstäbe jedoch von gewaltiger Dimension: verstreute Schafherden, Milchvieh auf der Koppel, Strauße im geräumigen Auslauf, kleine Häuser für die angestellten Xhosa und deren Familien und viel, viel Land, bereit zu langmütiger Nutzung. Unter den kümmerlichen ariden Bedingungen benötigt allein ein einziges Schaf eine Fläche von 3 ha, um auf Dauer überleben zu können. Von der umgebenden Anhöhe aus, die zugleich die Territo-riumsgrenze markiert, wirkt das Kernareal allerdings wie eine blü-hende Oase. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem mit Teichen und Kanälen versorgt die Felder und Weiden mit dem Notwendigsten und macht, zumal in der Regenzeit, die ursprüngliche Kargheit dieser Landschaft leicht vergessen. Das meiste Wasser stammt freilich nicht aus dem vorbeiströmenden Fluss, sondern vom Orange River. Von dort wird der knappste und kostbarste Rohstoff der Region durch einen 82 km langen, unterirdischen Tunnel in den Great Fish River umgeleitet. In den peripheren Bereichen des Farmgeländes wird die Vegetation wieder dürftig. Vor der Kulisse langgezogener Bergrücken und im Fluchtpunkt eines mächtigen Felskegels am Horizont gegenüber verlieren sich die Pump-türme. Wenn eine Brise auf-kommt, drehen sich ihre Windräder und fördern Wasser aus der Tiefe der Karroo für das Vieh.

Was macht die Faszination dieser scheinbar menschenleeren Gesteinsebenen und Felsformationen aus? Die Frage, was die Karroo eigentlich sei, lässt sich kaum griffig oder sachlich beantworten. Denn die Karroo kann vieles sein, je nach Ort und Jahreszeit. Am eindeutigsten fällt noch die geologische Charakterisierung aus - und auch die ist monumental. Drei mächtige, fossilreiche Sedimentsschichten lagern übereinander: die unterste bildet die 900 m messende Dwyka-Schicht, darüber erstreckt sich die 3.000 m dicke kohlereiche Ecca-Formation und zuoberst liegt die 5.000 m mächtige Beaufort-Schicht, in der sich etwa auch Überreste von Dinosauriern finden.

Zwei Drittel des südlichen Afrika werden von dieser Urgesteinstriade, deren Geschichte 150 bis 250 Millionen Jahre zurückreicht, bedeckt. Früher dürften anstelle der heutigen schütteren Vegetation zeitweise üppige feucht-tropische Urwälder gediehen sein.

Unternehmen Kolonisation

Die Geschichte Südafrikas in historischer Zeit wurde bislang weitgehend als Besiedlungs- und Kolonisationsunternehmen durch die europäischen Einwanderer verstanden. Nach der Entdeckung der See-wege um das Kap wurde die Er-schließung Südafrikas vornehmlich von der Holländisch-Ostindischen Gesellschaft angetrieben. All die Siedlermythen, wie Landnahme im Settler Country, Großer Treck mit den drei markanten Erkundungstrupps ins Landesinnere, die nach-folgenden mannigfachen kleineren Ortsgründungen oder die Voor-trekker in ihrem offenen Ungehorsam gegen die Rechte des Mutter-landes, die burisch-englischen Auseinandersetzungen, das ist die eine Seite: die Geschichte des weißen Mannes. Die andere Seite, nämlich die Vergangenheit der schwarzen Bevölkerung, fand in der Geschichtsbetrachtung namentlich dann gebührende Aufmerksamkeit, wenn sie sich dem Vordringen der weißen Rasse in den Weg stellte, beispielsweise, als 1819 Tausende Xhosa unter ihrem charismatischen Anführer Makana im noch jungen Grahamstown einfielen und nach einem blutigen Gemetzel 1.000 ihrer Krieger tot auf dem Schlachtfeld zurückließen. Solche spektakulären Waffengänge trugen entscheidend zur bis in die Gegenwart wirkenden spezifischen Legendenbildung und Siedlermentalität bei. Schon zuvor hatten die Briten, nun zum zweiten Mal Herren am Kap, den alteingesessenen Xhosa in unmissverständlicher Deutlichkeit den Raum zugewiesen, in dem ihr Stamm geduldet wäre, nämlich jenseits des Great Fish. Die 20.000 Aufrührer und Stammesgenossen, die nicht verstehen woll-ten, wo ihre Südgrenze sei, wurden kurzerhand über den Fluss verjagt. Freilich wurde auch unter der schwarzen Bevölkerung, nämlich zwischen den Stämmen, fleißig gemordet. Die gegenwärtige Strömung der so genannten Afrikanisierung versucht die verdrängte schwarze Kultur und deren Werte wieder zu entdecken.

Bereits in vorgeschichtlicher Zeit bewohnten Ureinwohner diesen Raum, die Jäger und Sammler der San (Buschmänner) seit 10.000 Jahren, die Hirten der Khoi seit immerhin 2.000 Jahren. Die Felsmalereien der San gehören heute gewissermaßen zum Besuchsprogramm des Reisenden. Sanfter Tourismus ist en vogue.

Nach der Entlassung aus der Apartheid hat die Union mit enormen Strukturproblemen zu kämpfen, auch in der Landwirtschaft. Neue Einnahmequellen werden gesucht. In der äußerst kritischen Lage drängt sich die "Vermarktung" der von Superlativen strotzenden Naturräume geradezu auf. Zwar beging der Mensch auch in diesem Teil der Erde ökologische Todsünden; die europäischen Kolonial-herren wüteten in der üblichen Manier des weißen Manns, rotteten Großtiere wie Blaubock, Quagga, Kaplöwe restlos aus, andere wie Kap-Bergzebra und Buntbock bis auf wenige Individuen. Doch aus-gedehnte Flächen blieben unversehrt; zudem bedeuteten die mei-sten Eingriffe in den endlosen Weiten keinen Totalverlust an Natur-raum. Günstige Voraussetzungen also, Verlorenes wiederzugewinnen. Landesweit setzte eine Gegenbewegung zur Strategie der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen ein. Der Krüger-Park, ungefähr so groß wie Israel, entstand, zahlreiche Schutzgebiete folgten, in neuerer Zeit kamen zahllose Privatreservate hinzu. Farmer taten sich zusammen, um einige vor dem endgültigen Aus stehende Weidegängerarten für die Nachwelt zu erhalten. Die Tierbestände erholten sich zusehends, leer geschossene Gebiete wurden wieder frisch besiedelt; Elefant, selbst die beiden Nashornarten, Weißschwanzgnu und Zebras kehrten wieder heim.

Die Rettung des Bergzebras

Auch im Ostkap begreift man die wirtschaftliche Chance. Überdies blieb die "kultiviert-englische" Pro-vinz bislang von der sprichwörtlichen Kriminalität weitgehend ver-schont und ist mithin, ausgestattet mit einer breiten Palette von Land-schaftstypen, für den Reisenden von bestechendem Reiz. Soeben wird der anfangs ganze 40 km² kleine Addo Elephant Park zum drittgrößten Nationalpark der Union erweitert. Hier sollen auf 4.000 km² nicht nur die Big Five, also die großen Landsäuger vom Löwen bis zum Kaffernbüffel, beobachtet werden können, sondern auch zwei symbolträchtige Meeresungetüme, der Südliche Glattwal und der Weiße Hai.

Eine der Erfolgsgeschichten vom Umdenken stellt die Rettung des Kap-Bergzebras dar, ein Unterfangen, das sich für den Touristen in einer grandiosen Bergkulisse in der Karroo, nur wenige Kilometer von Cradock entfernt, manifestiert. In diesem Fall diente eine der vier erhaltenen Zebraformen Südafrikas (von ursprünglich sechs) als Flaggschiff für den Schutz eines ganzen Ökosystems. Das Schicksal des Bergzebras schien bereits besiegelt.

Die relativ standorttreue Spezies bildet kleinere Verbände. Die Kap-Rasse, erkenntlich an der schwarzen Schwanzquaste, war 1653, als sich die Holländer an der Table Bay niederließen, so häufig, dass ein Berg in der Nähe von Kapstadt "Paardeberg" benannt wurde. In den dreißiger Jahren war der Gesamtbestand auf unter 100 Exemplare geschrumpft. Einige Bergzebras, darunter eine Stute, hatten auf der Farm Babylon's Toren überlebt. Um die Spezies doch noch vor dem Untergang zu bewahren, wurde die Farm in ein Schutzgebiet umgewidmet: Der Mountain Zebra National Park, zunächst ein winziges Reservat mit 14 km², war gegründet. Ein Hengstfohlen wurde noch geboren, doch viel mehr brachten die alten Klepper nicht mehr zustande. Das Blatt wendete sich erst, als ein Nachbarfarmer 1950 elf Bergzebras zur Verfügung stellte. Von diesem Zuchtnukleus ausgehend, erholte sich die Population am Bankberg langsam wieder: Das - im Unterschied zu den südlichen Steppenzebras - fast ebenmäßig gezeichnete Zebra mit der Kehlwamme lebt fort. Nachkommen wurden von hier aus auf andere Schutzgebiete am Kap

verteilt, so dass die Art als nicht mehr gefährdet eingestuft werden darf.

Doch nicht nur eine Tierart wurde gerettet. Denn dem Park wurden zusätzliche Flächen angegliedert, zunächst in den sechziger Jahren; neuerdings ist eine Erweiterungs-welle im großen Stil in Gang gekommen. Zerklüftete Felsformationen neben mächtigen glattgescheuerten Gesteinsplatten, Galeriewald und Furten im Talboden, die Hochebene mit fantastischem Panoramablick: Raum für afrikanische Träume, Raum für die Lebensgemeinschaft der Karroo. Typische Bewohner sind neben dem Bergzebra etwa Springbock, Großer Kudu und das ebenfalls einmal fast aus-gerottete Weißschwanzgnu. Auf dem Hochplateau äsen Kuh- und Elenantilopen. Die putzigen Klippschliefer, kleine gedrungene Gestalten, aus phylogenetischer Sicht Verwandte der Elefanten, verharren still unter Felsklippen. Kaulquappen tummeln sich in flachen, hand-tellergroßen Pfützen in der gleißen-den Sonne. Als höchste Erhebung ragt der 2.000 m hohe Spitskop auf. In der kältesten Jahreszeit fällt hier Schnee. Überhaupt sind die saisonalen Gegensätze drastisch; wer die ausgeglühte und darbende Vegetation nur aus den heißen Monaten kennt, wird sich kaum den floristischen Artenreichtum vorstel-len können, vom Blumenmeer und saftigen Grün des Frühjahrs nicht zu reden. Und nicht jedem be-schert ein Wolkenbruch unter Donner und Blitz eine afrikanische Lehrstunde: Wo gerade noch das Leben von der Hitze gelähmt schien, meldet sich gewissermaßen aus dem Nichts die Tierwelt über dem dampfenden Boden lärmend zurück.

Sanfter Tourismus ist hier, unweit des Great Fish River, nicht nur ein Wort: Ein unauffälliges Camp am Rand des Talkessels, ein geschmackvoll eingepasstes Restaurant mit Shop, ein versteckt eingesenkter Swimming-Pool, das ist alles. Ansonsten bester Service - ohne Gedröhne. Finde einer so etwas in unserer Alpenwirklichkeit. Ein täglich wechselndes Programm ermöglicht die Teilnahme an Exkursionen, die von ortskundigen Führern geleitet werden. Für Kinder gibt es ein eigenes Betreuungsangebot, bei dem sie spielerisch etwas über Flora und Fauna erfahren können. Es bleibt zu hoffen, dass solche geglückten Beispiele nachhaltiger Nutzung dem von Armut, Aids und sozialen Spannungen geschüttelten neuen Südafrika wenigstens in einem Beschäftigungszweig eine sinnvolle Perspektive für die Zukunft eröffnen.

Freitag, 23. November 2001

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