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In Madagaskar wird der Wald wieder zum Allgemeingut

Das Hochland-Projekt

Von Thomas Veser

Rund um die Lehmhäuser der winzigen Siedlung bilden Gemüseäcker, Reisterrassen und Wälder ein reizvolles Mosaik. Nahe der Stadt Ambatolampy erinnert die anmutige Landschaft an Südostasien. Geschickt nützen die Bauernfamilien auf dem bis zu 1.500 m hohen Hochland im Herzen Madagaskars die Wasserströme. Sie kultivieren damit vor allem Reis, unverzichtbares Grundnahrungsmittel auf der viertgrößten Insel der Welt. Wo das Gelände für die Landwirtschaft zu steil ist, behauptet sich Naturwald, so weit das Auge reicht.

Das ist ungewöhnlich für Madagaskar: Jahr für Jahr verliert die Insel im Indischen Ozean rund 20.000 ha Naturwald, der für landwirtschaftliche Zwecke niedergebrannt wird. Nahe der "Stadt der Felsen", wie Ambatolampy auf Deutsch heißt, ist die Welt noch in Ordnung. Wie verfügbares Land überlegt genützt werden kann, versucht dort die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) mit den einheimischen Partnern in einem Bewirtschaftungsplan verbindlich festzuhalten.

Als die Deutschen im Bezirk Ambatolampy Ende der achtziger Jahre ihr Hilfsprojekt aufnahmen, hatte die Schweiz schon Vorarbeit geleistet und Kiefernwälder aufgeforstet. Zudem führten die Eidgenossen den Weinbau ein und richteten Madagaskars erste Siloanlage für Forstsämereien ein.

Jetzt hat Bern beschlossen, die Zusammenarbeit mit dem Land ganz einzustellen. Die Schweiz will nicht mehr weiterhin zusehen, wie ihre finanziellen Beiträge weitgehend wirkungslos versickern. Madagaskar, so stellte der eidgenössische Entwicklungsdienst klar, besitze keine funktionierende Zivilgesellschaft, dafür eine durch und durch korrupte Verwaltung.

Die Deutschen hingegen wollen bleiben. Denn ihr Hochland-Projekt, mit dem zunächst die Forstbewirtschaftung gefördert werden sollte und dann um weitere Bereiche - vor allem Landwirtschaft und Kleingewerbe - erweitert wurde, hat sich nach Einschätzung der GTZ positiv entwickelt und könnte als Vorbild für andere Regionen der Insel dienen.

Seit 1992 nennt die GTZ das langfristig angelegte Vorhaben "Integrierte Forstentwicklung". Als Projektleiter gewannen die Deutschen den Innerschweizer Forstingenieur Guido Besmer (50). Vom kommenden Jahr an wird die Verantwortung für das Projekt an die madagassischen Partner übergeben.

Funktional sauber voneinander getrennte Nutzflächen sind im Distrikt Ambatolampy seit einigen Jahren keine Seltenheit mehr. Noch bevor Besmer seine Arbeit aufnahm, "standen die Uhrzeiger in forstwirtschaftlicher Hinsicht auf fünf vor zwölf", erinnert er sich. Obwohl die Einheimischen den sagenumwobenen Naturwald Manjakatompo nahe der Bezirksstadt als "heilig" betrachten, sei er stark geschädigt worden.

Bewohner der Anrainerdörfer hatten dort immer wieder illegal Bäume gefällt. Aus dem verbrannten Laub gewann man ein Produkt, das mit Rindertalg gemischt eine Art Seife ergab. Um die anhaltende Zerstörung des Naturwaldes zu unterbinden und ihm eine Ruhepause zu verschaffen, bereitete die GTZ eine intensive Nutzung der schneller nachwachsenden Kiefernforste vor. In den siebziger Jahren angelegt, sollten sie als Schutzschild für den bedrängten Naturwald dienen. Denn er braucht bedeutend mehr Zeit, um sich zu erholen.

Erstmals sollte im integrierten Projekt auch die Bevölkerung, die seit jeher von der Nutzung des Staatswaldes ausgeschlossen blieb, am natürlichen Reichtum teilhaben. Kamen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg kommunale und private Interessen am Wald wieder zum Zug, blieben Madagaskars Wälder selbst nach der Unabhängigkeit 1960 Tabuzonen. Übergriffe gehörten zur Tagesordnung. "Da ihn die Menschen nicht offiziell nutzen durften, betrachteten sie den Wald als eine Art soziales Niemandsland, in dem sich vorzugsweise illegale Neusiedler einschlichen", erklärt Guido Besmer. Lediglich Holzhändler, die sich beim Staat das Einschlagsrecht besorgt hatten, konnten vom Reichtum der Wälder profitieren.

Das hat den Naturschutz nicht etwa verbessert, sondern einen zunehmenden Raubbau nur noch gefördert: "Wer sich dort selbst bedient, protestiert damit gegen ein System, das den Wald als sein Eigentum betrachtet", berichtet Guido Besmer.

Mutwillige Brandstifter

Und dafür ist ein hoher Preis zu zahlen. Wenn die mutwillige Zerstörung in diesem Tempo anhält, wird Madagaskar mit seinen knapp 14 Millionen Einwohnern in spätestens zwei Jahrzehnten keinen Wald mehr besitzen.

Die Asche dient den Brandstiftern als natürlicher Dünger für den kargen Tropenboden, der schon nach einem Jahr völlig ausgelaugt ist und aufgegeben wird. Und auch Grasland wird bedenkenlos angesteckt. Davon versprechen sich die zahllosen Zeburind-Züchter ein besseres Graswachstum in der nachfolgenden Saison.

Wo auf der "Großen Insel" überhaupt noch Wald steht, lodern oft Feuer. Ist der Wald erst einmal verschwunden, setzt die verhängnisvolle Bodenerosion ein. Sie ist im zentralen Hochland aus klimatischen Gründen besonders ausgeprägt. Hinzu kommt ein starkes Bevölkerungswachstum: Ständig werden neue Kulturflächen benötigt.

Hätte die GTZ im Projektgebiet an die Bevölkerung appelliert, den Wald zu schützen, wäre sie auf Unverständnis gestoßen. "Hier konzentrieren sich die Menschen auf die Landwirtschaft, vor allem auf den Reisanbau. Der Wald spielt nur eine Nebenrolle, wenn es darum geht, die Ernährung zu sichern," erläutert Besmer. Seit Mitte der neunziger Jahre sucht Madagaskar nach einem Weg, das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern neu zu definieren. Und dabei kommt auch dem Wald eine andere Rolle zu: Er wird in der Öffentlichkeit zunehmend als natürliches Gut der Allgemeinheit dargestellt.

Über die "Dezentralisierung", wie diese Reform in Anlehnung an Frankreich genannt wird, erhalten Kommunen mehr Vollmachten und gewählte Gemeinderäte. Unter anderem ist vorgesehen, dass sie eines Tages eigenständig Steuern erheben. Für die staatliche Forstaufsicht ist die Aufwertung der unteren Ebene allerdings spürbar mit einem Machtverlust verbunden. Ihre Vertreter sind demnach für die turnusmäßig vorgesehene Kontrolle der Staatswälder verantwortlich. Wie in der "neuen Forstpolitik" weiter vorgesehen ist, muss sich die einst übermächtige Behörde, deren Personal in den letzten Jahren stark abgebaut wurde, mit einer beratenden Rolle abfinden. Madagaskars noch vorhandener Wald soll der lange ausgegrenzten Bevölkerung zurückgegeben werden. Über partizipative Formen der Bewirtschaftung hofft man, dass sich die Menschen allmählich mit dem Wald identifizieren und das Allgemeingut aus eigenem Antrieb schützen.

Gemeinsame Waldwirtschaft

Und so gründete die GTZ auf dem Hochland Madagaskars erste Waldwirtschaftsgemeinschaft, die seit 1998 als "Union forestière d'Ambatolampy" (UFA) rund 4.000 ha Natur- und Kiefernwald bewirtschaftet. Daran beteiligt sind heute etwa 14.000 Bewohner aus über 200 Dörfern. Sie wählen auf Gemeindeebene Vertreter, die den genossenschaftlichen Zusammenschluss nach außen hin vertreten.

Jedes Jahr lässt die UFA gemäß Wirtschaftsplan annähernd 40 ha öffentliches Grasland neu aufforsten. Die nicht gewinnorientiert ausgerichtete Union sucht in den Ortschaften nach Arbeitskräften, die einen leistungsbezogenen Lohn erhalten. Sie legen Neupflanzungen an, bahnen und unterhalten Wege durch den Forst und pflegen Baumschulen. Außerdem durchforsten sie die ausgewiesenen Waldflächen. Gemäß Wirtschaftsplan dürfen sie für den Eigenbedarf Waldprodukte, etwa Astholz, Heilpflanzen oder den Honig wilder Bienen, nutzen. Holzreste, die bei der Verarbeitung anfallen, können sie dafür verwenden, Holzkohle für die Kochherde herzustellen.

Außerdem unterhält man ein Arboretum (Forstgarten), in dem auf 5 ha mehr als 100 verschiedene Baumarten wachsen. Mittlerweile erzielt die Union mit ihren Produkten im freien Verkauf gleich hohe Erlöse wie die einst marktbeherrschenden Holzhändler, die in dieser Vereinigung nicht vertreten sind.

Damit hat der wirtschaftliche Druck auf die Männer abgenommen: Da ihnen die Arbeit im Wald ein zusätzliches Auskommen bietet, müssen sie nicht mehr als Tagelöhner ihre Familien verlassen und in anderen Landesteilen Arbeit suchen.

Allerdings wird die Landwirtschaft weiterhin die Schlüsselrolle behalten. Mittlerweile verbesserten Experten die Reisanbautechniken. Es ist nun möglich, die Ernte um das fünf- bis sechsfache zu steigern.

Stand zu Beginn des Projekts die Wiederaufforstung im Vordergrund, bemühen sich die Verantwortlichen jetzt vorrangig darum, die Bodenerosion zu stoppen. Wer kleine Betriebe gründen will, wird beraten und kann sich um einen bescheidenen Kredit bemühen. Damit entstand unter anderem eine Bouillonwürfelfabrik, die ihre Starthilfe nach kürzester Zeit an die Dorfkasse zurückzahlen konnte.

Ambatolampy hat bereits Schule gemacht: Seit benachbarte Gemeinden zunehmend Interesse zeigen, überlegt man, wie sich der erfolgversprechende Ansatz auf andere Gebiete übertragen lässt.

Dabei denken die Verantwortlichen an einen benachbarten Naturwald, der weiter östlich eine Fläche von 20.000 ha umfasst. Dorthin gibt es noch keine Zufahrtsstraßen und daran sollte sich, so Guido Besmer, vorläufig auch nichts ändern. Denn je leichter ein Naturgebiet zugänglich ist, desto schneller wird der Wald für Zuckerrohr- und Reisfelder abgebrannt. Um das Projekt zu vervollständigen, wollen die Verantwortlichen einen landwirtschaftlichen Beratungsdienst aufbauen. Neue Erkenntnisse auf den Gebieten Pflanzenschutz, Veterinärwesen und Gesundheitsdienst, würden auf diese Weise zügig an die Bevölkerung weitervermittelt. Diesen Service könnten dann ausgebildete Mitarbeiter der nationalen Forstbehörde übernehmen. Dass etwa Besitzer kleinerer Forstflächen im Bezirk Ambatolampy dann für diese Beratung Geld bezahlen, ist allerdings kaum mehr als eine Illusion, da die Bauernfamilien so gut wie keinen finanziellen Spielraum haben.

Wenn die Mitarbeiter der technischen Forstdienste heute Kontrollgänge im Wald unternehmen und beraten, zahlt ihnen die GTZ aus ihrem Projektbudget Prämien. Und damit übernimmt die deutsche Entwicklungshilfe eine nicht vorgesehene Rolle: Sie entlastet nationale Ministerien, deren Haushaltsmittel zum überwiegenden Teil von Frankreich geliefert werden.

Bisweilen erinnert der aufgezeigte Weg im zentralmadagassischen Hochland an Entwicklungen, die in Europa vor noch nicht allzu langer Zeit stattfanden; im Allgäu, dessen Bauern im Laufe des 19. Jahrhunderts zu Besitzern des Jahrhunderte lang staatlich verwalteten Waldes wurde, entstanden kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Waldbauernvereinigungen. Ihre Angehörigen mussten sich erst allmählich daran gewöhnen, Holz aus ihren Wäldern gemeinsam zu verkaufen, Maschinen zusammen zu benützen und sich ständig fortzubilden. Als sie verspürten, dass diese Arbeit Früchte brachte, verbesserte sich auch ihre "Waldgesinnung". Den kostenlosen staatlichen Beratungsdienst anzunehmen, ist für sie inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden. Mit der schonenden Nutzung des natürlichen Reichtums praktizierten die Allgäuer Bauern schon vor einem halben Jahrhundert eine Form der Waldwirtschaft, die heute gerne mit dem Modebegriff "nachhaltig" bezeichnet wird.

Freitag, 15. September 2000

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