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Die Frauen in Äthiopien und Somalia beschreiten neue Wege

Wüstenblumen

Von Lisa Fischer

Der Sand ist durstig in Afrika. Er trinkt viel in sich hinein, verschluckt Wasser, Tränen und Blut. Dann lässt er sich selbst unberührt zurück. In der ständig wiederkehrenden Sonne strahlt er die Klarheit des Tages und im Dunkel der Nacht wird er weise. Er gibt Gerechtigkeit zu den Spuren - dem Wasser bringt er Blumen, Oasen und Leben, den Tränen der Frauen die Sprache, dem Blut die Erinnerung. Die Weite des Landes scheint aufgespannt zwischen den Sternen.

Die Zeit läuft hier anders. Seit Jahrhunderten ziehen nomadische Stämme über das Hochland von Äthiopien, wohnen in runden Hütten und folgen dem männlichen Führer. Er hält das Gesetz und das Recht. Die Clans sind zahlreich, über 80 Sprachen und 60 Millionen Menschen. Sie grenzen sich voneinander ab und bekämpfen sich. Nicht nur der Konflikt zwischen Äthiopien und Eriträa fordert seinen Blutzoll, sondern auch die immer wieder aufflammenden Stammesfehden.

Die Zeiten haben sich erneuert. Nun tragen die Männer im Busch nicht nur ihr traditionelles Messer, sondern auch ein Gewehr. Eine Kalaschnikov gegen ein Kamel, das ist der Tauschwert der verdoppelten Phallokratie. Auch in Äthiopien bedarf es zusätzlicher Mittel, um die Männlichkeit zu demonstrieren und aufrechtzuerhalten. Wenngleich im afrikanischen Tempo, so entdeckt sich hier eine Erosion alter Machtsysteme. Die Männlichkeit bleibt nicht mehr unhinterfragt.

Die Stärke der Frauen

Es sind die Frauen, einzelne von ihnen, die jetzt die Stimme erheben. Über Generationen hinweg tragen sie die Gesellschaft. Sie nehmen den Kampf mit den täglichen Erfordernissen auf, gebären fünf, zwölf manchmal auch mehr Kinder und wenn sie dabei nicht sterben, müssen sie eine Stärke entwickeln, die bewundernswert ist.

Der Eintritt in das Frauenleben ist jedoch in ein strenges Ritual eingebettet. Die Inititation des Mädchens erfolgt durch die Beschneidung. Jedes Mädchen erwartet sie mit Freude, denn die Schmerzen darum werden gekonnt als Geheimnis gewahrt und auch die Gefahren. Wesentlich wird die damit verbundene Aufnahme in die Gesellschaft. Wer nicht beschnitten wird ist ausgestoßen und nicht heiratsfähig. Es sind die Frauen, die ihren Kindern die Wunden zufügen, ebenso wie sie ihnen selbst zugefügt worden waren. Über Jahrhunderte hinweg hielten sie das System aufrecht.

Es sind die Enkelinnen, die nun aufbegehren. Zwei Bücher, in den letzten drei Jahren publiziert, beschreiben den Weg in die Freiheit. "Wüstenblume" von Waris Derie und "Aman".

Ersteres ist eine selbstverfasste Autobiographie letzteres eine von einer amerikanischen Ethnologin mit der Oral-History-Methode aufgeschriebene Lebensgeschichte. Beide Bücher enthalten die gleichen Grundzüge. Zwei junge Frauen verlassen ihre Familie, ihren Clan und ihr Land Somalia. Sie brechen aus den ihnen vorgezeichneten Bahnen aus und wählen ihr Schicksal. Der äußere Weg führt sie über Äthiopien, Kenya, England, schließlich nach Amerika. Der innere aber führt sie in die Freiheit. Ihre Beschreibungen werden zu Dokumenten der Selbstschöpfung. Sie wagen den Sprung in doppelter Hinsicht - in lokaler und emotionaler.

Amans Lebensgeschichte wurde von einer amerikanischen Freundin aufgezeichnet und der des Schreibens unkundigen Autorin zur Korrektur vorgelesen. Das Resultat ist die Erzählung einer Frau, die die somalischen Traditionen zu hinterfragen beginnt. Sie berichtet die Geschichte der Mutter und Großmutter und orientiert sich somit an den weiblichen Linien und nicht den männlichen Clanchefs.

Es ist eine Geschichte des Aufbruchs, begleitet von den sozialen Umbrüchen, die diese Gesellschaft miterlebte. Offen und bildhaft wird die Konfliktstruktur zwischen dem nomadischen und dem Stadtleben dargestellt, wird der Gegensatz zwischen den weißen Kolonialherren und der schwarzen Bevölkerung offenkundig. Aman entwickelt Strategien des Aufbruchs, sie widersetzt sich und verlässt das Land. Ihre Geschichte wird zu einem Dokument des Widerspruches.

Trotz der persönlichen Tragik, die sie durch die Beschneidung erlebt, sieht sie die Aufrechterhaltung dieser Tradition auch als einen eigenständigen Akt, gegen eine weitere Kolonisation durch die westliche Welt zu opponieren. Ihr Zeugnis bleibt dennoch radikal. Es zeigt eine Frau, die sich über alle nur erdenklichen Hürden hinweg selbst zu retten wagte.

Schreiben und kämpfen

Damit trifft sich ihre Geschichte mit der von Waris Derie. Ihr Buch ist aber nicht nur ein Zeugnis persönlicher Befreiung. Mit dem Buch "Wüstenblume" macht sich Waris Derie zur Stimme für viele afrikanische Frauen. Sie schreibt und sie kämpft. Sie erzählt vom harten Weg ihrer Befreiung. Als sie mit 13 an einen alten Mann verheiratet werden soll, läuft sie in die Wüste. Damit widersetzt sie sich dem Gesetz des Vaters, mit dem stillen Beistand der Mutter.

Ihre abenteuerliche Reise führt sie nach London und schließlich als Model nach New York. Erst die Distanz macht es ihr möglich, ein Tabu zu brechen und das Leiden zu benennen. Aus einer Kultur stammend, in der nichts nach außen getragen wird, bedeutet ihre Erzählung gleichzeitig, wie sie sagt, das Ablegen ihrer Würde.

Nun lebt sie ohne Würde. Das Geheimnis der Beschneidung preiszugeben macht sie nackt und verletzbar. Ihre Erzählung wird somit ein Schritt gegen ihre Kultur und Herkunft, gegen die Tradition - ein Sprung in den Aufbruch.

Sie beginnt ihr Buch mit den Sätzen: "Auf dem Weg des Lebens - sei es in tobenden Stürmen, im wärmenden Sonnenschein oder mitten im Auge eines Zyklons - hängt es allein vom Willen ab, ob man überlebt oder nicht. Deshalb widme ich dieses Buch der Frau, auf deren Schultern ich mich stütze und deren Kraft nie versagt: meiner Mutter Fattuma Ahmed Aden."

Von ihr hatte sie die Kraft und die Ausdauer gelernt, die sie durch die Wüste und in eine neues Leben gelangen ließ. Ihre Mutter war es, die ihr und ihren zwölf Geschwistern Zuversicht vermittelte. Sie war es jedoch auch gewesen, die die Tradition der Beschneidung aufrechterhielt und durchführen ließ, um ihren Töchtern einen Platz in der Gesellschaft zu ermöglichen. Trotz der Tatsache, dass eine Schwester von Waris die Prozedur nicht überlebte, wurde das Schweigen darüber gewahrt.

Auch Waris hütet ihr Geheimnis lange. Das Unaussprechliche mittelbar zu machen gelingt ihr erst in einem anderen Kontinent. In England werden ihre Menstruationsschmerzen so unerträglich, dass sie oft ohnmächtig wird und erst mit der Unterstützung einer Freundin das Gespräch mit einem Arzt wagt. Er operiert sie und von nun an wird jeder Gang auf die Toilette zu einem schmerzfreien Erlebnis, zu einer Erleichterung und zu einem langsamen Heilungsfaktor.

Sie schreibt: "Mit zunehmendem Alter und Wissen erkannte ich, dass ich nicht allein war. Millionen von Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt quälen die gleichen Probleme wie mich seit meiner Beschneidung. Nur wegen einer Tradition, die aus Unwissenheit fortgeführt wird, muss ein Großteil der Frauen in Afrika ein Leben unter Schmerzen führen. Wer hilft diesen Frauen in der Wüste, die wie meine Mutter weder Geld noch Macht besitzen? Jemand muss für das kleine, stumme Mädchen die Stimme erheben . . .

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen ist diese Praktik bisher bereits bei 130 Millionen Mädchen und Frauen angewendet worden. Zwei Millionen Mädchen laufen jedes Jahr Gefahr, die nächsten Opfer zu sein - das sind 6.000 täglich. Die Beschneidung wird normalerweise unter primitiven Bedingungen von einer Hebamme oder einer Frau aus dem Ort durchgeführt; es wird kein Betäubungsmittel verabreicht. Die Frauen benutzen zum Schneiden alle möglichen Geräte, von Rasierklingen, Messern, Scheren, Glasscherben bis zu scharfen Steinen - in manchen Regionen auch Zähne.

Die Schwere der Verstümmelung ist je nach geographischer Lage und kultureller Tradition unterschiedlich. Der geringste Schaden entsteht, wenn nur die Spitze der Klitoris entfernt wird, was zur Folge hat, dass das Mädchen niemals Lust beim Sex empfinden wird. Das andere Extrem ist die ,pharaonische Beschneidung´, die in 80 Prozent der Frauen in Somalia durchgeführt wird und die auch ich erlitt. Infolge des Eingriffs kommt es häufig zu Komplikationen, unter anderem zu Schockzuständen, Infektionen, Schädigungen der Harnröhre und After, Vernarbungen, Tetanus, Blasenentzündungen, Blutvergiftungen, Aids und Hepatitis B."

Bei der "pharaonischen Beschneidung" werden nicht nur die äußeren, die inneren Schamlippen und die Klitoris weggeschnitten, die Mädchen, ihr Alter ist meist zwischen fünf und zehn Jahren, werden auch zugenäht. Nach der Prozedur werden ihre Beine mit einem Tuch zusammengebunden und sie müssen unter Schmerzen alleine in einer Hütte ihre Wunden heilen lassen.

Überlebt das Mädchen den körperlichen und emotionalen Schock so bleibt eine oft nur streichholzgroße Öffnung, die dem Mann die Jungfernschaft sichern soll. Das Mädchen erleidet dadurch jedoch dauerhafte Schmerzen beim Urinieren oder Menstruieren. Es kann zu Blutstau kommen, der immer wieder zum Tod führt.

Die Hochzeitsnacht entwickelt sich zum nächsten Alptraum, denn in dieser muss die oft jugendliche Braut, meistens wird das Mädchen zwischen 12 und 16 verheiratet, aufgeschnitten werden, um den Akt zu ermöglichen. Sexualität wird eine dauerhafte Folter.

Waris resümiert: "Vielmehr wird diese Praktik schlicht von Männern unterstützt und gefordert, von unwissenden, egoistischen Männern, die sich damit ihr alleiniges Anrecht auf sexuelle Dienste ihrer Frauen sichern wollen. Deshalb verlangen sie, dass Frauen beschnitten sind. Die Mütter fügen sich und lassen die eigenen Töchter beschneiden, aus Angst sie könnten sonst keinen Ehemann finden. Denn eine Frau die nicht beschnitten wurde, gilt als schmutzig und mannstoll und kann daher nicht verheiratet werden."

Zwischen den Kulturen

Waris Derie gelang es, der Zukunft mit einem vorbestimmten Ehemann zu entkommen. Ihre internationale Karriere zu einem Top-Model ließ sie ihr Leben neu definieren. In ihrer autobiographischen Erzählung wird eine Frau sichtbar, die nicht nur dem afrikanischen Kontinent bewiesen hat, dass seine Beschneidungstraditionen zu hinterfragen sind, sie hat auch dem westlichen Klischee von der Einfalt eines Models den Riegel vorgeschoben.

Waris Derie erscheint als mutige und kluge Frau, die sich zwischen den Kulturen zu bewegen versteht. Sie lebt in der Welt des Jetsets und hat in ihrer Erinnerung die Weite des afrikanischen Himmels bewahrt.

Als Sonderbotschafterin der UNO ist sie politisch geworden. Sie sagt: "Mein Ziel ist es, den Frauen in Afrika zu helfen. Ich möchte, dass sie stärker werden, nicht schwächer. Die Verstümmelung ihrer Genitalien schwächt sie körperlich und seelisch. Da die Frauen aber das Rückgrat Afrikas sind und die meisten Arbeiten verrichten, male ich mir gern aus, wie viel sie erreichen könnten, wenn man sie als Kinder unversehrt ließe und nicht für den Rest des Lebens verstümmelte."

Wenn die weiblichen Stimmen aus den Weiten Afrikas laut werden, wenn sie von innen heraus ihre Forderungen stellen, dann hat sich die Zeit gewendet und ist unaufhaltsam geworden.

Freitag, 28. April 2000

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