Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Notizen zur Biografie eines Sklavenhändlers

Tippu Tip und die Weißen

Von Birgit Schwaner

Am Anfang das Wort - und die Ordnung der Namen. Vielleicht traditionell abendländischer Stil: Der Besetzung eines Landes mit Waffengewalt geht die Besetzung mit Namen voraus. Die Umbenennung strategisch wichtiger oder spektakulärer "Landschaftsteile" wie Flüsse, Gebirge, Wasserfälle geschieht im Sinn der künftigen "Herren" (bzw. kündigt deren Auftreten an). Doch geschieht sie noch nicht durch diese selbst, sondern erst einmal durch eine Art Vorhut aus Einzelnen und kleinen Gruppen, den sogenannten Entdeckern, den Wissenschaftern und Missionaren.

Wie sonderbar etwa der beginnende Ansturm von Europäern auf Afrika in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die dortigen Einwohner gewirkt haben muss - bevor ihnen klar wurde, dass man ihnen das Land nahm - ist aus heutiger Sicht leicht nachvollziehbar. Zumal der europäische Traum vom Entdeckertum sich heute nicht mehr unschuldig träumen lässt.

Oder? Man lese ein Buch von Jules Verne, zum Beispiel die 1872 erschienene "Reise zum Mittelpunkt der Erde". Wenn dort nach dem Abstieg in den Vulkan der ehrgeizige Professor Lidenbrock einem unterirdischen Meer gegenübersteht, mit den Worten: "das Lidenbrock-Meer. Und ich wette, dass kein Seefahrer mir die Ehre und das Recht streitig machen wird, es nach mir zu benennen" . . . - dann ist die Geste einer Meer-Benennung (mit dem eigenen Namen) heutzutage auch eines: absurd. Dabei ist Herr Lidenbrock vielleicht tatsächlich der erste Mensch, der das Meer erblickt . . .

Was man von den Herren, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Afrika durchquerten, nicht behaupten kann. Die Engländer Burton und Speek, der Schotte Livingstone, der Amerikaner Stanley, der Deutsche Emin Pascha - um nur einige zu nennen - bereisten einen für sie "dunklen Erdteil", der immerhin seit Jahrhunderten nicht mehr als "unberührt" gelten konnte. Sondern der - so die Afrikanistin Barbara Plankensteiner - "bereits vor der Ankunft der ersten Europäer, der Portugiesen im 15. Jahrhundert, in den Welthandel eingebunden war, sei es durch den Saharahandel im Westen, die Kontakte mit dem alten Ägypten oder den Handel mit dem asiatischen Raum, ausgehend von der Ostküste. Der Kontinent war von Handelsrouten durchzogen, die von der Südspitze bis an die Mittelmeerküste reichten und aus den entferntesten Gebieten der Regenwälder und Savannen gespeist wurden. Auf diesen Routen zirkulierten Waren und Ideen."

Im 19. Jahrhundert hatten sich einige zumeist arabische Händler auch politisch durchgesetzt und einheimische Herrscher verdrängt. Sie kontrollierten die Routen und ihre Stationen waren Umschlagplätze für Informationen und Waren: Sklaven und zunehmend Elfenbein. Das Innere des Landes war oft nur mit ihrer Hilfe halbwegs sicher zu durchqueren. Wobei die Sicherheit wohl entweder auf der Furcht der anderen oder ihrer Verwandtschaft beruhte.

So hieß es auch von Tippu Tip, außer der Möglichkeit, dass seine Truppen einmal nichts zu essen fänden, fürchte er nichts. Wo einer nichts fürchtet, ist es an den anderen, sich vorzusehen, wenn er erscheint.

Tippu Tip, um 1830 auf Zanzibar geboren, hieß mit eigentlichem Namen Hamed bin Muhamed und war in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts einer der mächtigsten Händler in Ost- und Zentralafrika. Nicht zufällig besagt eine Erklärung des Beinamens Tippu Tip, daß er durch das "tip, tip" von vielen Gewehren initiiert worden sei. (Eine andere bezieht sich allerdings auf das häufige einäugige Blinzeln Hamed bin Muhameds).

Wie immer auch: wer sich mit dem Vorspiel der kolonialen Inbesitznahme Zentralafrikas durch Belgien, Deutschland und England beschäftigt oder wer die Abenteuerberichte des 19. Jahrhunderts liest - wird früher oder später auf den Namen Tippu Tip stoßen. Und damit auf eine Biografie, die nicht zuletzt die neue Form der Gewalt sichtbar macht, mit der die industriealisierten Kolonialmächte das Land überfielen. Dies umso mehr, als es sich bei Tippu Tip selbst um einen handelte, der mit List, Lüge und Annektionen vertraut war. Einen Händler und Despoten, der schnell begriff, dass ihm der Elfenbeinmarkt streitig gemacht wurde, und sei es mittels Aufrufen zur Zivilisierung und Missionierung Afrikas.

Heinrich Brode, ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Zanzibar ansässiger deutscher Linguist, schreibt in seinem Buch über Tippu Tip, dass dieser als Sechzehnjähriger seine erste "Reise" unternahm und zwei Jahre später, von seinem Vater - der hauptsächlich in der Handelsniederlassung Tabora an der Nordostküste des Tanganyika-Sees wohnte - zu einer größeren Expedition veranlasst wurde. Mit Tauschgütern wie Perlen, Muscheln und Stoffen handelte man Sklaven und Elfenbein ein, die in Zanzibar mit Gewinn verkauft wurden . . .

Es folgten für Tippu Tip immer weitere, erfolgreichere Handelszüge ins Landesinnere, die ihn zwölf Jahre von Zanzibar fernhielten und bei denen die gute Bewaffnung seiner Begleiter eine wesentliche Rolle spielte, um die Kreditfähigkeit bei den indischen Kaufleuten und Geldgebern der Küste zu steigern.

Das Elfenbein war im Inneren des Landes oft noch günstig zu erhalten (besonders dort, wo man sich noch eher für das Fleisch der Elefanten interessierte und die Zähne allenfalls als Palisadenzaun um das Dorf herum aufstellte) und wurde seiner Qualität entsprechend verkauft. Weiche Zähne waren gut zu bearbeiten, deshalb teurer als harte. Die größten, wenig gebogenen wurden zu Billardkugeln verarbeitet. Zähne der nächstbesten Sorte exportierte man zur Herstellung von Klaviertasten nach Europa, und weitere von etwas geringerem Wert nach Indien, als zukünftige Arm- und Beinreifen.

Das Elfenbein wurde zunehmend zum rücksichtslos verfolgten Ziel europäischen Begehrens. Was den Sklavenhandel betrifft, so war er eben noch ein einträgliches Geschäft. Auch auf den (Gewürz-)Nelkenplantagen der Insel arbeiteten Sklaven; für jeden Verkauf erhielt der Sultan von Zanzibar, damals Said Majid (von 1856 bis 1870) eine Kopfsteuer.

Bekehrungseifer

In Großbritannien hingegen, wo seit 1830 die Sklaverei abgeschafft war (in Frankreich 1848), fühlte man sich zunehmend auch für Afrika verantwortlich. Joseph Ki-Zerbo verweist in seiner "Geschichte Schwarzafrikas" darauf hin, dass noch stärker als eminente wirtschaftliche oder wissenschaftliche Absichten zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Sklaverei verantwortlich für ein erneutes Interesse Europas an Afrika gewesen sei, an einem Afrika, das bereits "durch den vier Jahrhunderte währenden Sklavenhandel auf allen Seiten geschwächt" war:"Nach einer völligen Umkehr ihrer Standpunkte des 15. Jahrhunderts waren die Kirchen nun im Begriff, in der Hauptsache die englischen Protestanten, ein erstaunliches Kapital an Bekehrungseifer, Hingabe und Großmut, aber manchmal auch an Naivität nach Afrika zu bringen.

Im 15. Jahrhundert wurde noch für gut befunden, Afrika die Schwarzen zu entreißen, um ihre Seelen zu retten. Als man im 19. Jahrhundert aber an Ort und Stelle das dadurch angerichtete Elend sah, empörten sich viele Missionare über den Völkermord. Sie ermutigten Europa, Afrika zu überwachen, ja, sogar, es zu erobern, um den Massakern ein Ende zu bereiten!".

Der berühmteste europäische Missionar in Afrika wurde zweifellos David Livingstone. Der Schotte reiste 1841 im Alter von 26 Jahren erstmals in das aus europäischer Sicht weitgehend unbekannte südliche Afrika, von wo aus er allerdings vornehmlich zum Forscher und Entdecker wurde (etwa der großen Wasserfälle des Sambesi, die er nach der englischen Königin "Victoria-Fälle" taufte; wieder zurück in London, trat er aus der Missionsgesellschaft aus).

Bekanntschaft mit Tippu Tip schloss er auf seiner dritten Afrikareise, die ihn - im Wunsch, die Quellen des Nil zu finden - auch in die Nähe des Tanganyika-Sees führte. Die erste Begegnung geschah, laut Livingstones Journal am 29. Juli 1867. Der Sklavenhändler verhält sich gemäß den Gesetzen der Gastfreundschaft: Er schenkt Livingstone "eine Ziege, ein Stück weißen Kattun" und anderes mehr, verpflegt ihn mehrere Tage, geleitet ihn zum Muerusee, schreibt ein Empfehlungsschreiben und lässt Livingstones Kisten zum Handelsstützpunkt Ujiji (am nördlichen Ostufer des Tanganyika-Sees) bringen. Livingstone selbst hat hervorgehoben, dass sich die arabischen Sklavenhändler der Gegend vorteilhaft von jenen unterschieden, die er andernorts getroffen habe.

In den Lebensbeschreibungen Tippu Tips ist diese Schilderung der Begegnung mit einem europäischen Reisenden, die erste in einer Folge ähnlicher Treffen. Immer wieder wird das große Entgegenkommen des arabischen Händlers erwähnt. Die Lektüre seiner Biografie bietet dafür keine Erklärung - er mag, wie viele seiner Kollegen die "weißen Männer" teils für Narren gehalten haben, wenn sie in abgerissener Kleidung die unwirtliche, oft gefährliche Gegend durchforschten, um etwa dem Lauf eines Flusses nachzugehen.

Heinrich Brode, der Autor der Biografie, erklärt dieses Phänomen allerdings auf eine Art, die vor allem Aufschluß über kolonialherrschaftliche Ignoranz gibt: "Außerdem fühlt sich Tippu Tip zu Europäern hingezogen. Er war schon sehr früh von der Minderwertigkeit seiner arabischen Stammesgenossen überzeugt und mochte schon damals ahnen, daß die Europäer eine überlegene Rasse waren" usw.

Stanleys Feuerwaffen

Immerhin ließ ein anderer Europäer den mächtigen Händler hören, dass er die bessere Feuerwaffe besaß: Es war Henry Morton Stanley, ein amerikanischer Journalist, der im Auftrag des "New York Herald" den "verschollenen" Livingstone fand, ihn very british mit "Dr. Livingstone, I presume?" begrüßte und daraufhin einen Bestseller schrieb . . .

Bezeichnenderweise erwähnte der eloquente Stanley die folgende Begebenheit nicht: Tippu Tip erinnerte sich, dass Stanley ihn gegen Ende 1876 erstmals besuchte und ihm ein Gewehr zeigte, mit dem Kommentar: "Mit diesem Gewehr kann man jedesmal fünfzehn Kugeln abfeuern". "Aus einem Lauf?" fragte der Händler und bat um eine Demonstration. Als er merkte, der Amerikaner wolle keine Kugel verschwenden, fügte er an: "Am Lomani ist ein Bogen, auf den tut man 20 Pfeile, und wenn man ihn abschnellt, so fliegen alle 20 auf einmal fort und jeder Pfeil trifft einen Mann." Stanley sei daraufhin aus dem Haus gegangen und habe zwölf Schüsse abgefeuert, dazu sechs aus einer Pistole.

Stanley, der vor allem mittels Schusswaffe imponieren wollte, wurde bekannt dafür, dass er bei Expeditionen auf seine einheimischen Träger wenig Rücksicht nahm. Des weiteren ist er , teils in Begleitung Tippu Tips, bis zur Westküste dem Lauf Lualaba gefolgt, worauf dieser als Kongo identifizierbar wurde. Bei der Expedition starb ein Großteil der Beteiligten. Als Stanley am Ende aus einem kleinen Wald in die Nähe des Meeres trat, stand er einem weißgedeckten Tisch gegenüber, auf dem sich Kristallgläser befanden, neben knusprigem Gebäck, Karaffen mit Whisky, Champagner und Portwein. Ein Europäer begrüßte ihn, in makelloses Weiß gewandet, wie es heißt.

Nach der Berliner Konferenz 1884/84, bei der Afrika zunächst auf dem Papier unter den europäischen Mächten aufgeteilt wurde, trat Stanley in den Dienst des belgischen Königs Leopold II., der das Wissen des Afrika-Reisenden zur Inbesitznahme des Landes nutzte. Auf Stanleys Betreiben wurde auch Tippu Tip zum belgischen Gouverneur ernannt. Er hatte die Pflicht, überall, wo er hinkam, die belgische Fahne zu hissen. Den blutigen, menschenverachtenden Teil der Geschichte möge man anderswo nachlesen. Am Ende der Lebenserinnerungen des nicht gerade weichherzigen, menschenfreundlichen Tippu Tip wird dennoch klar: was kam, war schlimmer. Den Entdeckern folgten die Maschinerien der Justiz, des Kapitals, des Militärs; von Gleichheit und Menschenrecht vorerst keine Spur. Nur der Typus des Sklavenhändlers war am Ende. Er verlor sich in den neuen, abstrakten Herrschaftsverhältnissen. Darin glich er dem Entdecker.

Literatur u. a.:

Barbara Plankensteiner: austausch. Kunst aus dem südlichen Afrika um 1900. Ausstellungskatalog, Museum für Völkerkunde, Wien 1998.

Heinrich Brode: Tippu Tip. Lebensbild eines zentralafrikanischen Despoten, Berlin 1905.

Henry M. Stanley: Wie ich Livingstone fand. Stuttgart 1983.

Freitag, 28. April 2000

Aktuell

erlesen: Zwei verwandte Meister der kleinen Form
Kronauer, Brigitte: Sprache, Klang und Blick
Zum Werk der Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer
Mann, Erika: Des Dichters Liebling
Zum 100. Geburtstag von Thomas Manns ältester Tochter Erika

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum