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Gesundheitsvorsorge im Westen Madagaskars

Afrika: Unterhalb der Armutsgrenze

Von Thomas Veser

Seiner vorzüglichen Qualität wegen war Reis aus dem Mündungsdelta des Flusses Betsiboka früher sogar außerhalb Madagaskars begehrt. Mit den Einnahmen leisteten sich
die wohlhabenden Reisfeldbesitzer der Stadt Marovoay prächtige Kolonialvillen, die sie mit großzügig angelegten Gärten umgaben. Um die subtropische Hitze im äußersten Westen der großen Insel besser
ertragen zu können, ließen die Herren aus Europa im ganzen Stadtgebiet eine Vielzahl schattenspendender Palmenalleen anlegen.

Für ihre Pflege ist kein Geld mehr vorhanden; von Wind und Wetter gezeichnet, verschwanden die verwitterten Fassaden der Kolonialpaläste hinter der Vegetation ihrer verwilderten Gärten. „Wo viele
Krokodile sind", so die deutsche Übersetzung von Marovoay, teilt seit dem Zusammenbruch des Reisanbaus im Jahre 1972 das Schicksal der meisten madagassischen Städte, deren Architekturerbe aus der
Kolonialzeit allmählich zerfällt.

Mitte der siebziger Jahre schöpften die Einwohner der Hauptstadt des einstigen Sakalava-Reiches Boina letztmals die Hoffnung, daß es wieder aufwärts gehe. Französischen Vorbildern nachempfunden,
bildete das neueröffnete Distriktskrankenhaus den modernen Gegenentwurf zur Altstadt mit ihrem morbiden Charme. Vollständig von der Europäischen Gemeinschaft finanziert, wurde das Prestigeprojekt
damals überschwenglich als größtes und bestausgestattetes Krankenhaus in der ganzen Provinz Mahajanga gefeiert.

Fehlplanungen und Engpässe

Die Begeisterung legte sich schneller als erwartet. Alleine der Betrieb der Kühlstation für verderbliche Medikamente, so stellte man entsetzt fest, verschlang ein Drittel des Stromverbrauchs der
ganzen Stadt. Wohl standen 60 Krankenbetten zur Verfügung, schwere Fälle konnten im Bezirksspital jedoch gar nicht behandelt werden. Weil der Architekt ausgerechnet in die Mitte des OP-Saals einen
wuchtigen Pfeiler einbauen ließen, blieb nicht genügend Platz für den Operationstisch. Es sollte noch schlimmer kommen: Seit der Eröffnung des überdimensionierten Krankenhauses im Jahre 1975 wurde
nicht ein einziger Patient behandelt. Nach Ärzten und Pflegepersonal hielt man dort stets vergeblich Ausschau. Es diente lediglich als kostenfreies Nachtlager für durchreisende Regierungsbeamte und
hat damit seine eigentliche Bestimmung nie erfüllt.

Von den medizinischen Geräten, die bei der Eröffnung des schlüsselfertig übergebenen Spitals gleich mitgeliefert wurden, ist schon lange keine Spur mehr zu sehen. Auch Fenster, Türen und selbst
Steckdosen verschwanden im Laufe der Jahre auf mysteriöse Weise. Termiten setzen die Demontage durch den Menschen fort und holen sich Stück für Stück die hölzernen Flügeltüren, durch die Besucher in
das verwaiste Geisterkrankenhaus gelangen. In weiten Teilen der 150.000 km² großen Provinz Mahajunga, sah die Lage vor einem Jahrzehnt kaum besser aus. Viele der Bezirksspitäler, die internationale
Kreditgeber finanzierten, haben sich als bald als hoffnungslos überdimensioniert erwiesen.

Mit einer heute kaum noch nachvollziehbaren Blauäugigkeit hatten vor allem Weltbank und Europäische Gemeinschaft der Regierung unter Präsident Didier Ratsiraka, der sich 1972 an die Macht geputscht
hatte, alle Wünsche von den Augen abgelesen. Daß die hohen Investitionskosten über die Nutznießer später einmal zurückgeholt werden können, stand damals außer Zweifel.

Tatsächlich hat die wirtschaftliche Leistungskraft der Großen Insel, die 1960 die Unabhängigkeit erlangte, kontinuierlich abgenommen. Rund 75 Prozent der Bevölkerung lebt heute unterhalb der
Armutsgrenze. Mittlerweile wurde Ratsiraka nach mehrjähriger Ruhepause wieder zum Staatspräsidenten gewählt.

Seit der Staat kaum noch in das Bildungswesen investiert, ist die Analphabetenquote deutlich gestiegen; es steht zu befürchten, daß Madagaskar in einigen Jahren zu den wenigen Ländern zählen wird, in
denen die jüngeren Generationen einen geringeren Bildungsstand besitzen als die vorangegangenen.

Kein Centime für die Provinz

Weil das nationale Gesundheitsministerium mit seinem Jahresbudget gerade einmal mit Mühe und Not das eigene Personal in der Hauptstadt Antananarivo entlöhnen kann, bleibt für den Gesundheitsdienst
in den sechs Provinzen kein Centime mehr übrig: Die meisten Krankenstationen sind seit Jahren verwaist. Ein ähnliches Bild bot sich auch in der Provinz Mahajanga, in der die Deutsche Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ) seit 1987 planmäßig einen Basisgesundheitsdienst nach westlichem Vorbild aufbaut. Bis dahin hatte sich in diesem Teil Madagaskars das nationale Institut Pasteur dem
Kampf gegen die weitverbreitete Bilharziose verschrieben. Ihre Erreger lauern vor allem in den stehenden Gewässern der Reisfelder. Um Bilharziose und andere Krankheiten wirksam einzudämmen und die
Erkrankten mit den nötigen Medikamenten zu versorgen, mußte das gesamte Gesundheitssystem der Provinz gründlich neugeordnet werden. Denn fehlende Straßenverbindungen und Hochwasser, das viele
Ortschaften in den ausgedehnten Mangrovensümpfen jedes Jahr mehrere Monate von der Außenwelt abschneidet, waren dafür verantwortlich, daß den meisten Bewohnern die nötigen Medikamente vorenthalten
blieben.

Daher ließ die GTZ zunächst in acht Distrikten zusätzliche Krankenstationen eröffnen. Zu groß angelegte Spitäler wurden verkleinert und auf den wirklichen Bedarf hin ausgerichtet. Für die
zwanzigjährige Laufzeit des Projekts stellten das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie die Kreditanstalt für Wiederaufbau umgerechnet 63 Mill.
Schilling bereit. Auch Weltbank und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF beteiligen sich an diesem Modell, das später auf die übrigen fünf Provinzen übertragen werden soll. Als GTZ-
Experten Ende der achtziger Jahre im gleichnamigen Provinzhauptort Mahajanga ihre Arbeit aufnahmen, galt es zunächst einmal, die eigenartigen Gepflogenheiten der sozialistischen Periode Madagaskars
zu überwinden. Der Verfassung nach hatte zwar jeder Madagasse kostenfreien Zugang zu Medikamenten und medizinischen Leistungen; weil jedoch Apothekenbesitzer, Ärzte und Pfleger mit den staatlichen
Hungerlöhnen nicht überleben konnten, verlangten sie von den Patienten ganz unverblümt Geld.

Für viele Patienten mit schweren Krankheiten kam die Einlieferung in ein Spital nicht selten einem Todesurteil gleich: Eines von sechs Kindern stirbt in Madagaskar bei der Geburt, die
Müttersterblichkeit ist nur unwesentlich geringer. „Bei einem Monatslohn von umgerechnet 1.050 Schilling waren diensthabende Ärzte prinzipiell nicht verfügbar, weil sie es vorzogen, zahlende
Privatpatienten zu behandeln. Benötigtes Material besorgten sie ohne Gewissensbisse aus dem staatlichen Krankenhaus", berichtet der GTZ- Projektleiter und Arzt Thomas Kirsch-Woik. Während wirksame
Medikamente systematisch im „Parallelmarkt" verschwanden, beschränkte sich das Angebot der Krankenstationen, deren Personal meist schlecht ausgebildet war, meist auf Arzneien mit überschrittenem
Verfallsdatum. Fühlte sich ein Madagasse ernsthaft krank, stellte er die Diagnose in der Regel selbst auf und begab sich auf den Markt, um dort nach einem Blick in sein Portemonnaie den zwischen
Bananen und Gemüse feilgebotenen Pillen fragwürdiger Herkunft den Vorzug einzuräumen.

Im Kampf gegen die lebensbedrohenden Auswüchse der Korruption entwickelte die GTZ ein Prämiensystem: An der Zahl behandelter Patienten ausgerichtet, ergänzen die Zulagen die schmalen Gehälter der
Ärzte und des Pflegepersonals und verhindern, daß sie außerhalb der staatlichen Krankenhäuser einem Nebenerwerb nachgehen müssen. Außerdem hat die GTZ vor einigen Monaten im Hauptort Mahajanga das
erste Fortbildungszentrum für medizinische Heilberufe in Betrieb genommen.

Wer heute als Patient Medikamente und ärztliche Leistungen will, bezahlt gestaffelte Eigenbeiträge, „die sich im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten in diesem Landesteil halten", versichert der GTZ-
Experte und Mediziner Johannes Wantzen. Seither ist in der Provinz Mahajanga für eine Sprechstunde beim Arzt umgerechnet etwa drei Schilling fällig, eine Entbindung kostet fünfmal soviel. Wer sich
bei der Familienplanung beraten lassen will, zahlt hingegen nichts, denn nur auf diesem Gebiet verzeichnet Madagaskar Jahr für Jahr beängstigende Zuwachsraten. Mit gutem Grund verzichtet man auch bei
Vorbeugemaßnahmen gegen Geschlechtskrankheiten und Aids auf Gebühren: Die Zahl der Aids-Kranken hat inzwischen selbst auf der großen Insel drastisch zugenommen.

Dennoch bleibt die tödliche Infektionskrankheit als Thema in der Öffentlichkeit weiterhin tabu. Nur die Marionettenspieler, die im Auftrag der GTZ durch die Provinz ziehen und madagassische
Volksmärchen inszenieren, dürfen sich erlauben, die als peinlich empfundene Sexualität in ihre Stücke miteinzubeziehen. Sie leisten damit einen wertvollen Beitrag zur Gesundheitsaufklärung des
Publikums.

Wiederentdeckung

der Dorfgemeinschaft

Wie Umfragen zeigen, hat der Wissenstand der Menschen mittlerweile deutlich zugenommen. Und seit der Schwarzmarkt für Medikamente in weiten Teilen der Provinz weitgehend ausgetrocknet
ist, verweist die Verkäuferin in der Dorfapotheke von Maroala, das man während der Hochwasserzeit nur mit dem Boot erreicht, stolz auf ihr wohlsortiertes Angebot. Müssen die Bewohner weiter entfernt
liegender Dörfer strapaziöse Fußmärsche und lange Pirogenfahrten zu den größeren Ortschaften in Kauf nehmen, findet man in Maroala neben Impfstoffen, die in einem mit Sonnenenergie betriebenen
Kühlschrank ruhen, auch Medikamente gegen Bilharziose, Malaria und die am häufigsten auftretenden Infektionskrankheiten.

Wie in anderen Ortschaften kümmert sich in Maroala ein Zusammenschluß mit dem Namen „Association des amis de la santé" (Vereinigung der Freunde der Gesundheit) darum, daß im kommunalen
Gesundheitswesen alles mit rechten Dingen zugeht. Er besteht aus angesehenen Dorfbewohnern, die nicht im Verdacht stehen, sich damit persönlich bereichern zu wollen.

Wenn künftig die Zivilgesellschaft ihre Belange auf diese Weise selbstverantwortlich regelt, wird die Korruption im Gesundheitswesen bald überwunden sein, hoffen die GTZ-Mitarbeiter. Dieser Ansatz
entspricht der „Initiative von Bamako", die 1987 von der UNICEF formuliert wurde. Demnach kann das Gesundheitswesen in Entwicklungsländern mit zentralistischen Verwaltungsstrukturen nur dann
funktionieren, wenn die traditionelle Dorfgemeinschaft wieder jene aktive Rolle übernimmt, die ihr früher schon zugekommen war. Tragischerweise stieß die Gesundheitsaufklärung jedoch selbst im
Vorzeigedorf Maroala auf unerwarteten Widerstand: Die Frauen weigern sich weiterhin standhaft, den Kleinkindern Eier zu geben, um den nötigen Proteinbedarf zu decken. Dabei beriefen sie sich auf ein
in dieser Gegend verbindliches Fady (Verbot), dessen Mißachtung Kinder blind und taub machen würden. Und um die dorfeigene Entbindungsstation schlagen heute nicht nur werdende Mütter lieber
einen großen Bogen, waren dort doch kurz hintereinander gleich zwei staatliche Gesundheitsinspektoren auf Stippvisite verstorben.

Freitag, 16. Juli 1999

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