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Im Geburtsort des Dichters und Revolutionärs wurde ein Museum eröffnet

Büchners späte Heimkehr

Von Oliver Bentz

S eit Herbst 1998 ist das kleine hessische Dorf Goddelau eine Anlaufstelle für einige der bekanntesten Vertreter der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Tankred Dorst, Günter Grass, Durs Grünbein, Sarah Kirsch, Reiner Kunze, Adolf Muschg und Martin Walser
treibt es zu Lesungen in den wenige Kilometer südwestlich von Darmstadt gelegenen Ort, um durch Benefizaktionen ein Projekt zu unterstützen, das einige rührige Goddelauer Bürger über Jahre mit großem
Engagement vorantrieben und Mitte Oktober zum Abschluß brachten: den Ausbau des Geburtshauses des berühmtesten Sohnes der Gemeinde Goddelau zum Museum.

Alle oben genannten Autoren haben eines gemeinsam: Sie sind Träger des von der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung" ver1iehenen bedeutendsten deutschen Literaturpreises, des Büchner-Preises
· und der berühmte Sohn, den die Goddelauer jetzt feiern, das ist Georg Büchner, seines Zeichens Dichter, Revolutionär und Naturwissenschafter, zu Goddelau am frühen Morgen des 17. Oktober 1813, am
zweiten Tag der Völkerschlacht von Leipzig, geboren; im Schweizer Exil am 19. Februar 1837 als „Dr. philos. und Privatdocent an der Universität Zürich" an Typhus gestorben. Die Eröffnung des
Goddelauer Büchner-Hauses ist der vorläufig letzte Akt einer Folge von „Wiedereingemeindungen" eines Schriftstellers und Revolutionärs in die hessischen Lande, den die Obrigkeit 1835 durch Verfolgung
ins Exil trieb.

Büchners Vater, der nach seinem Sanitätsdienst bei holländischen und französischen Truppen unter Napoleon seit 1812 als Distriktarzt des Amtes Dornberg wirkte, ließ sich in dem engen Fachwerkhaus im
Örtchen Goddelau nieder. Dort brachte seine Frau Caroline, die er im selben Jahr geheiratet hatte, als erstes Kind den Sohn Karl Georg zur Welt. Wenige Jahre nur lebte der junge Büchner in dem
verschlafenen Nest, bevor seine Familie 1816 nach Darmstadt übersiedelte, wo Büchner seine Kindheit und Jugend verbrachte. Die Ausstellung „Von Goddelau zur Weltbühne · Leben und Werk Georg
Büchners" folgt den Lebensspuren des Verfassers der revolutionären Schrift „Der hessische Landbote" und zeigt die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte seiner Werke bis in die heutige Zeit.

Da sich aus Büchners kurzem Leben nur sehr wenige originale Lebenszeugnisse erhalten haben, bedient sich die Goddelauer Ausstellung oft · zusätzlich zu der Chronologie eines das Haus durchziehenden
biographischen roten Lebensbandes · eingefügter symbolischer Objekte. So steht ein von mehreren Stühlen umgebener Tisch für Büchners Goddelauer Kindertage und das Leben im hiesigen Elternhaus. Auf
dem Tisch ausgebreitete Text- und Bildmappen ermöglichen dem verweilenden Besucher, sich mit all jenen bekanntzumachen, die dem jungen Büchner nahestanden: die Eltern, Geschwister, Freunde und
schließlich die Straßburger und Gießener Studentenkollegen.

Büchners Kampf für Demokratie und soziale Gerechtigkeit, der von der Obrigkeit verfolgt wurde und ihn ins Exil trieb, ist die nächste Abteilung der Ausstellung gewidmet. Im „Hessischen Landboten"
, in dem Büchner sowie sein Freund und Mitstreiter Ludwig Weidig 1834 die Agitation gegen den Staat als Maschinerie der Unterdrückung und Ausbeutung in den Händen der Mächtigen führten, richteten
sie scharfe Angriffe gegen die Herrschenden. Im verdunkelten Ausstellungsraum fällt ein greller Lichtstrahl auf einen Packen F1ugschriften, wie sie von Büchner, Weidig und den Weggefährten ihres
freiheitlichen Geheimbundes, der „Gesellschaft für Menschenrechte", verfaßt und verteilt wurden: ein symbolischer Lichtblick in düsterer Zeit.

Die Reaktion der Staatsmacht auf diesen Beitrag zur Abschaffung der sozialen und gesellschaftlichen Mißstände in Hessen ließ nicht lange auf sich warten: Der Steckbrief Georg Büchners sowie ein
angedeuteter Grenzstreifen, der durch eine Leiter überwunden wird, erinnern an des Dichters Flucht im März 1835 und sein Leben im französischen und Schweizer Exil. Verschiedene Mappen dokumentieren
das Schicksal der verfolgten und verhafteten Freunde.

An einem mit Manuskripten und Büchern überfüllten Schreibtisch sitzt · angedeutet durch eine Drahtfigur · Georg Büchner, vertieft in seine schriftstellerische und wissenschaftliche Arbeit.
Fieberhaft, Tag und Nacht arbeitend, sitzt er an seiner Dissertation über das Nervensystem der Flußbarbe; im Exil entstehen in weniger als zwei Jahren die Erzählung „Lenz", das Lustspiel
„Leonce und Lena" sowie das Drama „Woyzeck". Von der Decke dieses Raumes hängen Schilder mit Zitaten aus Büchners Werken herab. Im Oktober 1836 ruft man ihn als Privatdozent für
Vergleichende Anatomie an die Universität Zürich. Hier ereilt ihn der frühe Tod am 19. Februar 1837.

Mit Ausnahme des Revolutionsdramas „Dantons Tod"(1835) und des „Hessischen Landboten" hat Büchner die Veröffentlichung seiner Schriften nicht mehr erlebt. Nach seinem Tod in Vergessenheit
geraten, erlebten Büchners Werke, die formal an den Sturm und Drang erinnern und thematisch auf den Naturalismus und Expressionismus hinweisen, erst um die Jahrhundertwende ihre Wiederentdeckung.
Heute gehören sie zum Kanon der deutschen Literatur und werden auf den renommiertesten Bühnen gespielt. Ausschnitte aus herausragenden Büchner-Inszenierungen sowie Stellungnahmen von bedeutenden
Gegenwartsautoren verbindet eine Video-Collage am Ende der Ausstellung. Die Goddelauer, die ihren „berühmten" Sohn jetzt mit einem eigenen Museum und einer angeschlossenen Galerie, in der
Wechselausstellungen geplant sind, ehren, ärgerte während der Eröffnungsfeierlichkeiten vor allem eines: Auf dem Züricher Büchner-Gedenkstein ist als Geburtsort fälschlicherweise Darmstadt angegeben.

Information

„Von Goddelau zur Weltbühne: Georg Büchner 1813 bis 1837 · Leben und Werk."

Dauerausstellung im Büchner-Haus Goddelau,

64560 Riedstadt-Goddelau, Weidstraße 9.

Öffnungszeiten: Do. 10 bis 12 und l4 bis l6 Uhr, So. 14 bis 18 Uhr. Tel: 0 61 58-46 21. Fax: 0 61 58-91 61 96.

Freitag, 20. November 1998

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