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Brecht: Soll man ihn noch lesen?

Von Hermann Schlösser

Vor kurzem unterhielt ich mich wieder einmal mit dem Germanisten in mir. Dabei kamen wir auch auf Brecht zu sprechen, wegen des 100. Geburtstags, und es entspann sich folgender innerer Dialog:


Ich: Wie genau kennst du die Werke Brechts eigentlich?


Er: Ich bin mit ihnen aufgewachsen. Kaum war ich für Karl May zu groß, war Brecht schon an der Reihe. Im Deutschunterricht nahmen wir "Leben des Galilei" durch, dabei begriff ich viel von der Lust am Denken und eventuell auch etwas von der Verantwortung der Wissenschaft. Außerschulisch liebte ich eher seine Gedichte: "Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit" und so etwas. Da begriff ich manches andere.


Sehr viel Brecht habe ich dann als Student gelesen, das war Anfang der siebziger Jahre an einer sogenannten "linken" Uni in Deutschland. Da wurde vor allem die "Theorie" vorgenommen, die Schriften zum Radio, zum epischen Theater usw. Das hat mich sehr fasziniert. "Theorie" war damals ja das Größte, und die von Brecht hatte den Vorzug, daß sie sehr verständlich war und eine intelligente, kühle Heiterkeit ausstrahlte. Von allzu vielen Pflichtlektüren meiner Studienjahre kann ich das nicht behaupten.


Gegen Ende des Studiums grassierte dann schon die sogennante "neue Sensibilität" und da habe auch ich bei einer Theatergruppe mitgemacht: In Brechts "Trommeln in der Nacht" spielte ich Herrn Balicke, den Kriegsgewinnler. Von ihm habe ich den Satz gelernt: "Der Sau Ende ist der Wurst Anfang." Der hat, finde ich, nichts von seinem Charme verloren.


Ich: Soweit der Veteranenbericht aus der Jugendzeit. Heute sieht die Welt aber anders aus. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich habe in den letzten Jahren kein Stück von Brecht mehr im Theater angeschaut, keinen seiner Prosatexte, und kaum eines seiner Gedichte gelesen.


Er: Und warum nicht?


Ich(nach einigem Nachdenken): Um die Wahrheit zu sagen, ich fürchtete mich ein bißchen davor.


Er: Das habe ich mir gedacht. Die Forschungen von John Fuegi werfen ja auch kein gutes Licht auf Brechts Manieren, um vom "Charakter" ganz zu schweigen. Und was seinen Marxismus angeht - auch dazu wäre heute mehr zu sagen als 1974, wo es genügte, irgendwie "links" zu sein, um vor sich und anderen zu bestehen. Der Suhrkamp-Verlag preist seinen großen Jubilar zwar zum 100. als "Klassiker der Vernunft" an, aber das ist ja nicht die ganze Wahrheit. In Brechts Lehrstück "Die Maßnahme" z. B. wird der Mord an einem Genossen ausdrücklich gerechtfertigt, weil der im Kampf ein zu gutes Herz gezeigt hat. Wer das für ein klassisches Beispiel von "Vernunft" hält, müßte seinen Vernunftbegriff schon ein wenig erläutern.


Ich: Na also. Was soll es denn für einen Grund geben, einen solch fragwürdigen Autor noch zu lesen?


Er: Eben: seine Fragwürdigkeit.


Ich: Aha. Sehr pfiffig.


Er: Es ist nicht eigentlich meine Art, aber ich möchte doch einmal eine These riskieren: Das 20. Jahrhundert war, so denke ich, eine Zeit der reinen Ideale und der schmutzigen Taten. Und wenn man verstehen will, wie beides zusammenhing, muß man genau die Autoren lesen, die an beidem gleichermaßen Anteil hatten. Dazu gehört auch Brecht, und Besseres kann ich ihm zum 100. Geurtstag nicht nachsagen.

Freitag, 27. Februar 1998

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