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In Teheran werden Irans Widersprüche besonders deutlich

Iran: Freeway und Theokratie

Von Walter M. Weiss

In der Zukunft wird der Islam die satanische Überlegenheit des Westens zerstören. Die Worte von Revolutionsführer Ali Khamenei, die am Mehrabad International Airport in Teheran ankommende Passagiere auf leuchtenden Neontafeln willkommen heißen, spiegeln ziemlich exakt den Geist wider, der seit 1979 die Vorstellungen über den Iran im Westen geprägt hat. Eine blutige Revolution, ein langer, opferreicher Krieg, ein Theokratenregime, kompromisslos und sittenstreng. Fanatische, fäustereckende Demonstranten, Revolutionswächter, langbärtige Mullahs, die Frauen - in Schwarz gehüllte, verhuschte Gestalten. Und darüber, allgewaltig und unerbittlich, die Figur des obersten Führers, Ayatollah Khomeini. All diese auf den postaufklärerisch liberalen Europäer so unzeitgemäß und abschreckend wirkenden Bilder sind zweifelsohne Realität. Allerdings nur ein Teil von ihr - und ein in jüngster Zeit dramatisch schrumpfender noch dazu.

Der Iran an der Wende des Jahrtausends ist ein facettenreiches, in sich gespaltenes, ungemein spannendes Land. 20-mal so groß wie Österreich und halb so groß wie Indien, ist er nicht nur das Kerngebiet des schiitischen Glaubens, sondern die Heimat eines der geschichtsträchtigsten Kulturvölker der Erde. Er verfügt über eine heutzutage im Abendland kaum bekannte Fülle von grandiosen Landschaften, Kunstschätzen und archäologischen Stätten. Und eine Bevölkerung, deren Warmherzigkeit, Gastfreundschaft und Neugier gerade auch gegenüber Besuchern aus dem westlichen Ausland alle Klischees von kollektiver Feindseligkeit Lügen strafen. Der Iran ist zeitlos alt und zugleich extrem jung, stockkonservativ und höchst dynamisch. Zwei Drittel seiner derzeit 65 Millionen Bewohner sind unter 25 Jahre alt.

Radikales Nord-Süd-Gefälle

Es gibt wohl nicht viele Metropolen auf der Welt, die ein so klassisch ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle aufweisen wie Teheran. Und zwar sowohl in topographischer, als auch in sozialer Hinsicht. Die etwa 600 km² große Stadt liegt auf einer riesigen schiefen Ebene, die von den Abhängen des Elburs-Gebirges (zirka 1.700 m) gleichmäßig bis an den Rand der großen Salzwüste Dasht-e Kavir (zirka 1.000 m) abfällt. Als Agha Mohammed Khan, der erste Schah aus dem Geschlecht der Qadscharen, 1789 die bis dahin zweitrangige Siedlung zum Standort seiner neuen Residenz erkor, mutierten die ehemaligen Viehweiden am Fuß des Towchal, Teherans Hausberg, umgehend zum bevorzugten Wohngebiet der privilegierten Schichten. Angehörige der Königsfamilien, Adelige und ausländische Gesandte schufen sich dort, wo die Luft kühl und frisches Wasser reichlich vorhanden war, als Refugien für die heißen Sommer von weitläufigen Gärten eingefasste Paläste. Wenig später zogen ihnen betuchte Bürger nach. Und alsbald wurden Dörfer wie Shemiran, Niyavaran, Punak, Vanak oder Evin zu eleganten, ganzjährig besiedelten Villenvierteln. Der Süden der Stadt hingegen blieb mit all seinem Schmutz und Lärm, dem Mangel an Wasser und Hygiene, von Beginn an den Armen und Landflüchtlingen vorbehalten.

Seit der islamischen Revolution haben sich Bausubstanz und soziale Struktur durch die unkontrollierte Zuwanderung aus den Provinzen, durch Konfiszierungen und den Bau aberhunderter Hochhäuser und Satellitensiedlungen stark verändert. Doch blickt man aus einer Kabine der Seilbahn, die auf den fast 4.000 m hohen Gipfel des Towchal führt, auf Teheran hinab, so kann man dessen urbanes Grundschema noch ganz gut erkennen: In den nördlichen, den bis heute prestigeträchtigsten und deshalb teuersten Bezirken stehen nach wie vor viele stattliche Villen, und der Anteil der Grünflächen ist immer noch verhältnismäßig groß.

Vom Flughafen westwärts, bis nach Karadj, prägen wie zu Zeiten des Schahs Industrieanlagen und die gigantischen Wohnsilos der Arbeiterschaft das Stadtbild. Gegen Süden hin flacht das von einem Netz aus breiten Alleen und Stelzenautobahnen zerschnittene Häusermeer ab, um sich, je nach Dichte des Smogs, nach 20 bis 30 km allmählich dem Blick zu entziehen. Nur an den seltenen klaren Tagen erkennt man ganz unten, am Horizont, das Khomeini-Mausoleum und, ein Stück weiter östlich, die riesige Raffinerie von Ray mit ihrer vom abgefackelten Gas gespeisten ewigen Flamme.

An solchen Tagen kann man dann auch, etwas näher, im alten Herzen der Stadt, das Areal des Basars von Teheran erahnen; jenes berühmten Brennpunkts der traditionellen iranischen Wirtschaft, der sich zwar hinsichtlich Schönheit und Charme mit seinen Konkurrenten in Täbris, in Schiras oder gar in Isfahan nicht messen kann, dafür aber dank seiner zehntausenden Läden und Werkstätten, in denen über eine halbe Million Menschen beschäftigt sind, und dank seiner insgesamt 10 km langen Gassen den Superlativ für sich in Anspruch nehmen darf, der größte überdachte Basar der Welt zu sein.

Veränderungen zum Positiven

Wer im Auto durch die heutige 12- (oder 13? oder 14?)-Millionen-Metropole Teheran fährt und weiß, wie diese Stadt noch vor wenigen Jahren ausgesehen hat, wird mit Erstaunen manche Veränderung hin zum Positiven feststellen. Natürlich, der Verkehr ist immer noch wahnwitzig dicht, ja hat eher zu- als abgenommen. Und dementsprechend atemberaubend ist nach wie vor der CO2 - und Bleigehalt der Luft.

Auch die Zahl jener arbeits- und mittellosen Männer und Kinder, die den Autofahrern an den Straßenkreuzungen ihre Dienste als Scheibenputzer anbieten oder ein paar Bananen, Kaugummi, ein Päckchen billiger Bahman-Zigaretten zum Verkauf durchs Fenster reichen, scheint eher gewachsen. Doch anders als noch vor wenigen Jahren sind die Grünflächen entlang der Schnellstraßen, über deren wohl aus der Schahzeit beibehaltenen, amerikanisch anmutenden Bezeichnungen wie "Express Highway", "Fly-over" oder "Freeway" ich mich jedesmal von neuem wundere, äußerst gepflegt. Man sieht Rasensprinkler, Blumenrabatte, Bänke zum Ausruhen und keinerlei Abfall auf den Straßen. In den großen, von chenars, den iranischen Platanen, gesäumten Nord-Süd-Avenuen sind die jubes, die zwischen Gehsteig und Fahrbahn entlang geführten, offenen Kanäle, wieder intakt, sodass das Schmelzwasser aus dem Elburs-Gebirge, was in den Achtzigern keinesfalls selbstverständlich war, wieder ungehindert talwärts fließen kann. Man sieht Verkehrspolizisten, die Strafmandate schreiben - ein Indiz dafür, dass sie zumindest ein Mindestmaß an Autorität wieder gewonnen haben. Und an mehreren Stellen warnen riesige Plakate die Jugend mit drastischen Bildern vor Drogenmissbrauch.

Seit dem Ende des Kriegs gegen den Irak und mehr noch seit Gholam Hassan Karbastschi, der frühere Bürgermeister von Isfahan, während der Neunziger dieses Amt in Teheran innegehabt hat, ist auch eine deutliche Verbesserung des kulturellen Klimas zu spüren. Zwar ist das öffentliche Angebot an Unterhaltung immer noch minimal. Mit gutem Grund stellte ein liberaler Kritiker kürzlich fest, einer der fatalsten Fehler der Islamischen Republik liege darin, der Bevölkerung keinerlei Freude zu verschaffen. Doch immerhin existieren mittlerweile ein gutes Dutzend vom Staat unterstützter Kulturzentren mit Bibliotheken, Galerien für Ausstellungen, Theaterräumen und einem beachtlichen Kursangebot für Handwerk und bildende Künste. Und im Sommer 1998 wurde in diversen städtischen Parks erstmals und mit großem Erfolg ein internationales Marionettenfestival veranstaltet.

Was aber die Atmosphäre noch viel mehr entspannt, ist die Tatsache, dass sich die pasdaran, jener direkt der religiösen Staatsführung unterstellte paramilitärische Sicherheitsdienst, dessen revolutionäre, vorwiegend aus martialisch dreinblickenden Jugendlichen bestehende Rollkommandos vor drei, vier Jahren noch ständig auf der Suche nach Verbotenem durch die Straßen patrouillierten, aus der Öffentlichkeit- zumindest vordergründig - weitgehend zurückgezogen haben.

Unzufrieden seit Revolution

20 Jahre nachdem eine bunte Koalition aus Klerikern und Kommunisten, Nationalisten, Sozialisten und Liberalen Schah Mohammed Resa Pahlevi - den letzten in einer langen Reihe persischer Monarchen, die bis zu Kyros ins 6. Jahrhundert vor Christus zurückreichte - gestürzt und Ayatollah Khomeini gemeinsam mit einem Teil der schiitischen Geistlichkeit die Islamische Republik begründet hat, herrscht Unzufriedenheit im Land.

Frauen, aufgebracht über die ihnen auferlegten und nicht enden wollenden Einschränkungen; Medienleute, Künstler, Intellektuelle generell, die unter den engstirnigen Zensoren stöhnen; Arbeiter und Geschäftsmänner in Sorge ob des heftig schlingernden wirtschaftspolitischen Kurses der Regierung und der allerorten grassierenden Korruption; und vor allem die Jugend, die "Babyboomer" der achtziger Jahre, auf der vergeblichen Suche nach Zukunftsperspektiven - sie alle fordern immer unmissverständlicher einschneidende Reformen.

Am bisher deutlichsten zeigte sich der kollektive Unmut im Mai 1997, als, selbst für Kenner der politischen Szene völlig überraschend, der als gemäßigt geltende Geistliche Mohammad Khatami mit 70 Prozent der Stimmen zum Staatsoberhaupt gewählt wurde. Seither hat sich das politische Klima radikal gewandelt. Jene Diskussion um Freiheit, demokratische Rechte und die bürgerliche Zivilgesellschaft, die Khatami selbst in Gang gebracht hat, zieht immer weitere Kreise. Bis vor kurzem schossen liberale Zeitungen wie Pilze aus dem Boden und wurden, wann immer die Regierung sie verbot und ihre Chefredakteure abstrafte, sofort unter neuem Namen, doch mit der alten Courage wiedergegründet. Langjährige Tabu-Themen bis hin zur Trennung von Staat und Religion werden debattiert. Es wird öffentlich protestiert und, ebenso wichtig, wieder Lebensfreude gezeigt. Im Frühjahr 1999 bei den Kommunalwahlen und - wichtiger noch - bei den Parlamentswahlen ein knappes Jahr später erzielten die Reformkräfte weitere wichtige Etappensiege. Eine erfrischende Brise Perestroika und Glasnost weht durch das Land und lässt die Hoffnungen, aber auch die Ungeduld wachsen. Auf der anderen Seite halten die konservativ-klerikalen Hardliner die Zügel immer noch unerbittlich fest in der Hand und versuchen die Liberalisierung brutal zu bremsen.

Da werden Oppositionspolitiker und kritische Schriftsteller ermordet, Versuche des Präsidenten, zarte Bande zum Westen zu knüpfen, mit bewusst herbeigeführten diplomatischen Eklats hintertrieben und Symbolfiguren der Reformkräfte wie Bürgermeister Karbastschi mit fragwürdigen Argumenten der Korruption geziehen, ihres Amtes enthoben und vor Gericht gestellt. Im Handstreich werden - so geschehen im Frühjahr und Sommer 2000 - sämtliche Zeitungen reformerischen Inhalts verboten. Und immer noch spucken allwöchentlich beim Freitagsgebet auf dem Gelände der Teheraner Universität gewisse Geistliche in wohlgesetzten Reden Gift und Galle gegen jede Art von gesellschaftlicher Öffnung, und lassen ihre Anhänger die alten Gesänge - "Marg bar Amrika", "Nieder mit Amerika" - intonieren.

Republik und Gottesstaat

Den Keim für diese Polarisierung hat Ayatollah Khomeini selbst gepflanzt, indem er 1979 in der Verfassung ein merkwürdig zwittriges Staatswesen festschrieb: eine Kombination aus republikanischem System und Gottesgnadentum. Es gibt ein Parlament mit einem Präsidenten, der - wie in den USA - nur zweimal gewählt werden darf. Doch parallel gibt es den von einer 86-köpfigen Expertenversammlung auf Lebenszeit gewählten faqih, den Obersten Rechtsgelehrten (der seit dem Tod von Revolutionsführer Khomeini Ayatollah Ali Khamenei heißt). Er bestimmt nach den Prinzipien von welajat-e faqih, der Doktrin von der Herrschaft des Klerus über den Staat, als oberste geistliche Autorität sämtliche Richtlinien der Politik, kontrolliert die Armee, die Revolutionsgarden, die staatlichen Medien, die Justiz, und hat bei innen- und außenpolitischen Entscheidungen das letzte Wort. Unterstützt wird er vom sogenannten Wächterrat, dessen zwölf Mitglieder zu prüfen haben, inwieweit vom Parlament verabschiedete Gesetze mit den Grundsätzen der Scharia, des islamischen Rechts, vereinbar und Kandidaten für Wahlen religiös und ideologisch zuverlässig sind.

Solch institutionelle Doppelgleisigkeit erhöht bei den Machthabern naturgemäß die Neigung zur Uneinigkeit und fördert die Entstehung gesellschaftlicher Schizophrenien. Die Phase der extremsten Radikalismen aus der Frühzeit der theokratischen Herrschaft, als man Fotos gefolterter und exekutierter Regimegegner stolz in den Straßen verkaufte und angeblich unislamisch gekleidete Mädchen auspeitschte, mit Säure überschüttete oder zum medizinischen Erweis ihrer Jungfräulichkeit zwang; als sich das Regime mit dem Gedanken trug, Nouruz, das altpersische Neujahr, als heidnisches Relikt aus dem Festkalender zu streichen, und in Persepolis vom neuen Geist beseelte Revoluzzer mit dem Caterpillar die "gottlosen" Ruinen der achaimenidischen Residenzstadt beinahe platt gewalzt hätten, ist zwar gottlob Vergangenheit. Und auch weltliche Musik und Schachspiel, beide von Khomeini zwischenzeitlich als lasterhafter Zeitvertreib untersagt, werden mittlerweile wieder geduldet.

Die Regierenden sind pragmatischer geworden, haben erkannt, dass Sachzwänge oft stärker sind als Dogmen. Dass sie angesichts einer Verdopplung der Bevölkerung seit der Revolution auf 65 Millionen und einer Arbeitslosigkeit, die offiziell bei 13, in Wahrheit aber bei 30 bis 50 Prozent liegt, flexibel sein und Lösungen anbieten müssen, um politisch zu überleben. Iran ist verglichen mit seinen Nachbarn in Zentral- und Südasien keineswegs eine verarmte Nation. Doch ist das jährliche Durchschnittseinkommen seit der Revolution relativ um ein Drittel auf 1.800 Dollar gesunken. Bis 1999, als ein neuer Preisboom begann, hatten sich die Einnahmen durch den Export von Erdöl, das dem Land rund vier Fünftel seiner Devisen bringt, halbiert. Ein großer Teil der früheren Elite - Geschäftsleute, Wissenschaftler, Ingenieure, Ärzte - ist nach 1979 ausgewandert und nur ein sehr kleiner bisher zurückgekehrt. Zusätzlich zu schaffen machen der Wirtschaft der in Kernbereichen nach wie vor aufrechte Handelsboykott der USA, die dem Regime Unterstützung des internationalen Terrorismus vorwerfen, und das durch frühere rigorose Beschlagnahmungen und Nationalisierungen sowie die fortgesetzte Subventionierung der Preise für Grundnahrungsmittel, Elektrizität und Benzin erklärliche Fehlen ausländischer Investoren.

In einer entscheidenden Frage, nämlich der Familienplanung, haben Teherans Theokraten aber bereits einen radikalen Wandel vollzogen. In den ersten Jahren nach der Revolution ermunterten, oder besser: ermahnten sie ihre Untertanen, zum Nutzen des Vaterlandes so viele Kinder wie möglich in die Welt zu setzen. Eine Iranerin gebar damals in der Regel sechs Kinder und die Bevölkerung wuchs um eine Million pro Jahr. Doch bald wurde die Sackgasse, in die sie sich manövrierten, als solche erkannt. Also verteilte man kostenlose Verhütungsmittel und startete, vor allem in den Dörfern, massive Aufklärungskampagnen, in denen man die Vorzüge kleinerer Familien hervorstrich. Und siehe da: Seither hat sich die Durchschnittsgröße der Familien nahezu halbiert. Wobei allerdings im Gegenzug die Lebenserwartung von 60 auf 72 Jahre gestiegen, und die Säuglingssterblichkeit von 90 Toten pro tausend Geburten auf 26 gesunken ist.

Die Widersprüche in Politik und Gesellschaft, der Kampf zwischen den bewahrenden und den auf Reformen drängenden Kräften, zeigt sich an vielen Fronten und bisweilen auch in kuriosen Details. Da sind zum Beispiel die öffentlichen Busse in der Hauptstadt bis heute durch Gitter in zwei Zonen - die vordere für Männer, die hintere für Frauen - geteilt. In den weit engeren Sammeltaxis hingegen schert sich kein Mensch um die Trennung der Geschlechter. Da herrscht für das Gros an Konsumgütern ein offizieller Einfuhrstopp, und doch findet - vornehmlich in Schmuggelbooten von Dubai übers Meer - so gut wie alles, was man für Geld kaufen kann (Alkohol inklusive), seinen Weg in das Land. Der Besitz von Satellitenschüsseln ist - zumindest theoretisch - immer noch untersagt. Zugleich gibt es im Iran pro Kopf so viele Computer mit Internet-Anschluss wie nur in wenigen anderen Ländern Asiens.

Präsident Khatami drängt die Kulturen der Menschheit zum Dialog und sucht via CNN sogar die Annäherung an den Erzfeind USA. Trotzdem existieren in Teheran noch Häuser, auf denen als 15, 20 m hohe Wandmalereien amerikanische Flaggen mit Totenköpfen an Stelle der Sterne und fallende Bomben an Stelle der Streifen prangen. Und vor dem Komplex der ehemaligen US-Botschaft, in der kurz nach der Revolution Dutzende Amerikaner 15 Monate lang in Geiselhaft saßen, schwingt man alljährlich zum Jahrestag am 13. Aban, also im November, immer noch Hassreden gegen den "großen Satan". Doch einige der studentischen Besetzer von einst gehören zu den prominentesten Reformern von heute. Und die Demonstrationen sind zu einem inhaltsleeren Ritual für ein unverbesserliches Grüppchen Ewiggestriger verkommen.

Besonders deutlich offenbart sich die Gespaltenheit des Daseins in der Situation der Frauen. Denn auf den ersten Blick bestätigen sich viele Klischeevorstellungen, die man über sie im Westen pflegt. So behandelt etwa das iranische Zivil- und Strafrecht die beiden Geschlechter nach wie vor äußerst unterschiedlich: Frauen gelten beim Erben ebenso wie bei der Beurteilung von Zeugenaussagen oder bei Kapitalverbrechen prinzipiell nur halb so viel wie Männer. Mädchen können schon in der Pubertät verheiratet werden und dürfen ohne Einverständnis ihres Vaters keine Ehe eingehen. Einmal vermählt, brauchen sie, um außer Landes reisen zu können, wie zu Zeiten des Schahs die schriftliche Genehmigung ihrer Gatten. Eine Vergewaltigung wird meistens der Frau angelastet. Und im Falle von Ehebruch droht ihnen per Gesetz die Steinigung.

Eigene Eingänge für Frauen

Männer hingegen können bis zu vier Ehefrauen haben, sich ungleich leichter scheiden lassen, und behalten in der Regel auch im Kampf um die Zuerkennung der Kinder die Oberhand. Dazu kommt, dass Frauen zumindest theoretisch keinem Mann - es sei denn, er ist ein naher Blutsverwandter - die Hand geben dürfen. Joggen, Radfahren oder Schwimmen ist ihnen nur in ganz bestimmten, von Männerblicken strikt abgeschirmten Bereichen gestattet. Und dann ist da natürlich noch der berühmt-berüchtigte Schleierzwang, demzufolge sie gegen Androhung drakonischer Strafen ihre Haare, den Hals und die Formen ihres Körpers in der Öffentlichkeit vollkommen zu verbergen haben. "Eine sittsam gekleidete Frau gleicht einer Perle in ihrer Muschel." Leitsprüche wie dieser finden sich an Hotelrezeptionen und Bushaltestellen, in Läden und Ämtern im ganzen Land. Und sämtliche Regierungsgebäude, Universitäten, Flughäfen besitzen eigene Eingänge für Frauen, an denen man sie auf Nagellack, Lippenstifte und andere gefährliche Waffen durchsucht.

Solchen Repressionen stehen freilich erstaunliche Errungenschaften gegenüber. Die iranischen Frauen zählen zu den gebildetsten und selbständigsten in der gesamten islamischen Welt. Drei Viertel von ihnen können lesen und schreiben. Zu Zeiten des Schahs konnten dies gerade 35 Prozent. Sie stellen ein Drittel der Arbeitskräfte im Land, ein Drittel aller Ärzte, und an den Universitäten fast die Hälfte der Studenten. Sie lenken ihr eigenes Auto, erledigen Einkäufe, leiten Firmen und, was noch wichtiger ist, gehen wählen und besetzen politische Ämter (wenngleich von den 270 Abgeordneten im Parlament derzeit gerade drei weiblich sind). Alles Umstände, die in vom Westen verhätschelten Nachbarländern wie Saudi-Arabien oder Kuwait undenkbar wären.

Der vorliegende Text ist, stark gekürzt, dem soeben in der "Bibliothek des Orients" (Edition Christian Brandstätter) erschienenen opulenten Text-Bild-Band "Iran. Land der Rosen und des Schleiers" von Walter M. Weiss mit Fotos von Kurt-Michael Westermann entnommen. (Wien 2000, 208 Seiten mit zahlreichen Farb- und Schwarz-weiß-Bildern)

Freitag, 17. November 2000

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