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Filmemacher Nathaniel Kahn folgt dem Werk des Architekten Louis Kahn

Suche nach dem Vater

Von Von Bernhard Widder

Filme, in denen Architektur eine Hauptrolle spielt und in denen etwa das Lebenswerk eines Architekten zum Protagonisten wird, der gleichsam in einem Spielfim agiert, sind sehr selten.

Es gibt natürlich Architekturfilme, die, von der Idee des dokumentarischen Films geprägt, Bauwerke und ihre Erfinder porträtieren. Sie beschränken sich aber meist auf die Darstellung von Werken in ihrem Entstehungszeitraum, die Biografie des Architekten und die Beschreibung des historischen und kulturellen Umfelds, in dem diese Werke entstanden sind. Das Material solcher Filme besteht aus Lebensdokumenten, Zeichnungen, Plandarstellungen und Interviews, die filmische Darstellung kann sich manchmal bis in die Bereiche des Experimentalfilms hinbewegen.

Der Film "My Architect - A Son's Journey" des 1962 in Philadelphia geborenen Regisseurs Nathaniel Kahn befolgt alle Vorgaben eines ausführlichen Dokumentarfilms. Aber an die Stelle einer akademischen Darstellung von Leben und Werk des Architekten Louis Isidore Kahn (1901 bis 1974) setzte der Sohn Nathaniel einen eigenen Filmtyp, der einem dramaturgisch spannend gelösten Spielfilm ähnlicher sieht als einer puristischen Dokumentation.

Leben und Werk

"My Architect" ist ein vielschichtiges, fast monumentales Werk von zwei Stunden Länge, dessen Komplexität auf drei Erzählsträngen aufbaut. Das Grundthema ist die Darstellung von Biografie und Werk Louis Kahns, der zu den Meistern der zweiten Generation der modernen Architeken des 20. Jahrhunderts zählt (zu dieser Generation zählen auch Alvar Aalto, Philip Johnson, Marcel Breuer, Luis Barragán, um nur einige Namen zu nennen).

Um das Werk seines Vaters zu porträtieren, begab sich Nathaniel Kahn auf eine Reise, die ungefähr vier Jahre lang dauerte. Sie führte ihn an all die Orte, an denen exemplarische Bauwerke Kahns zu finden sind. Der Film zeigt nicht das gesamte Werk des Vaters, sondern eine Auswahl an Bauten und nicht realisierten Projekten, die zwischen 1953 und 1973 entstanden sind oder zum Zeitpunkt von Louis Kahns Tod im Bau waren: in den USA, in Israel, Indien und Bangladesch.

Zugleich zeigt der Film die Spurensuche des Sohns, der seinen Vater nur als Kind gekannt, aber nicht mit ihm zusammen gelebt hat. Als Louis Kahn 1974 starb, war Nathaniel zwölf Jahre alt. Im Film agiert Nathaniel als Hauptdarsteller, der Bauwerke besucht, mit heutigen Benützern spricht, frühere Mitarbeiter und Architektenkollegen interviewt. Die Selbstdarstellung Nathaniels könnte übertrieben sein, wäre da nicht die sympathische, zurückhaltende Art, in der er seine Fragen stellt.

Der Sohn, dessen Erinnerungen an den Vater nur aus der Kindheit stammen, versucht, den Architekten und Künstler Louis Kahn verstehen zu lernen. Bewusst nähert er sich dem Werk von außen, fern jeder architekturbezogenen Betrachtung. Sein eigener Blick ist nicht der eines Architekten, sondern der eines Filmkünstlers. Die ausdrucksstarken, im späten Werk magisch-utopisch wirkenden Bauwerke Louis Kahns werden nicht mit besonderen Einstellungen bedacht. Nathaniel betrachtet die Bauwerke, lässt Zeugen zu Wort kommen, hört deren Aussagen genau zu. Die Reisen zu den Bauten interessieren ihn, da sie den Schlüssel zum Werk bieten. Am Ort selbst beschäftigt ihn dann der Hintergrund des Werks, die Umstände des rastlosen, "nomadischen" Lebens, die Frage nach der besonderen, rätselhaften Persönlichkeit des Vaters.

Komplizierte Verhältnisse

Ein dritter Erzählstrang innerhalb des Films betrifft die private Person Louis Kahn und dessen kompliziertes Familienleben. Kahn war seit 1929 mit Esther Israeli verheiratet, die 1940 eine Tochter, Sue Ann, gebar. Eine weitere Tochter hatte Kahn mit der Architektin Anne Tyng, die lange seine Mitarbeiterin war (ein frühes gemeinsames Bauwerk ist das jüdische Badehaus in Trenton, New Jersey, das Nathaniel im Film mit der heute 80-jährigen Anne Tyng besucht). Nathaniels Mutter ist die Landschaftsarchitektin Harriet Pattison, die in einem einsamen Haus an der Küste von Maine im Nordosten der USA lebt.

Die unterschiedlichen Familiengeschichten werden in verschiedenen Interviews dargestellt, wobei die Vielfalt der Stimmen auffällt. Das Werk des berühmten Architekten ist dabei kaum ein Thema, da sich die Verwandten und Freunde nicht dafür interessieren. Nathaniels Kunstgriff besteht in seiner größtmöglichen Offenheit für eine Vielzahl verschiedener Meinungen und Stimmen. Er ist ein geduldiger und genauer Forscher, mit Humor versehen, der Wahrheit sucht, nicht Vorurteile bestätigt haben will. Auch wertet er nicht, sondern lässt die anderen ausführlich reden - wobei einige Personen ausführlich bewerten.

Eine der komischsten Szenen ist ein Gespräch mit seinen beiden Tanten, die mit Kunst nichts anfangen können. Ein Gespräch mit zwei jüdischen Rabbis, entfernten Cousins seines Vaters, verliert sich im Geflecht einer verstreuten Familie, deren Mitglieder einander kaum kennen. "Lou", wie Louis Kahn genannt wurde, ist da nur irgendein Name, nicht der des bedeutenden Künstlers. In einem Einfamilienhaus, das Louis Kahn 1960 geplant hatte, trifft Nathaniel seine Halbschwestern Sue Ann und Alex. "Können wir eine Familie sein?", fragt er.

In der Union Station von Los Angeles trifft Nathaniel im Warteraum Richard Katz, der eine auffallende Ähnlichkeit mit Bob Dylan hat. Der Grund für das Treffen mit Katz waren Louis Kahns Todesumstände: Eine Fotografie zeigt Louis Kahn am 16. März 1974 auf dem Campus der von ihm geplanten Universität von Ahmedabad in Indien. Er befand sich allein auf der Rückreise von Bangladesch und Indien nach New York. Am 17. März kam Kahn in New York an, fuhr zum Bahnhof Pennsylvania Station. Er suchte die Toilette des Bahnhofs auf und erlitt dort einen tödlichen Herzinfarkt.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch Richard Katz in der Toilette. Nathaniel erkundigt sich nach dem Hergang, Katz zeichnet eine kleine Skizze. Die Szene ist berührend, weil Katz die Beziehung von Vater und Sohn anspricht, seinen eigenen Sohn erwähnt, dann "social conventions" murmelt. Nachdenklich, mit einem schwarzen Stetson am Kopf, verlässt er den Warteraum.

Die drei "Erzählungen" des Films betreffen also die Werke Kahns, sein privates Leben sowie die Reise des Sohns. Die biografischen Stationen und Daten bilden die Struktur, die auch die letzten und größten Bauten Kahns umfasst, die auf dem indischen Subkontinent entstanden sind.

Narben im Gesicht

Am Anfang des Films wird der Tod Kahns erwähnt. Später erzählt seine Frau Esther in einem eingespielten Filmdokument von Kahns Herkunft. Lou war eine markante Persönlichkeit von besonderem Aussehen. Auf unscharfen Fotos hat er eine Ähnlichkeit mit Andy Warhol. Von kleiner Statur, sportlich trainiert, eine weiße Haarmähne über einem Gesicht, dessen rechte Seite so vernarbt war wie seine rechte Hand. Im Film wird die Geschichte dieser Narben erzählt, die Kahn in seiner Schulzeit in Philadelphia viel Spott einbrachten - die Kinder nannten ihn "Scarface".

Kahn stammte aus einer jüdischen Familie und verbrachte die ersten Lebensjahre auf der Insel Ösel in Estland, damals Teil des Russischen Reiches, die Familie seiner Mutter hatte auch einen österreichischen Hintergrund. In der frühen Kindheit Kahns wurde zu Hause Jiddisch und Deutsch gesprochen.

Das Holzhaus, das die Familie auf Ösel bewohnte, wurde mit einem Kohleofen geheizt. Kahn, damals etwa drei Jahre alt, war fasziniert von dem grünen Feuer, das er im Ofen sah, und wollte das grüne Licht herausholen, wobei er selbst Feuer fing und sich die Hand und das Gesicht verbrannte.

Die Familie emigrierte 1905 in die USA, lebte in ärmlichen Verhältnissen in Philadelphia. Als Kind fiel Kahn durch seine zeichnerischen Fähigkeiten auf, die dank einiger Stipendien bis zum Studium der Architektur gefördert wurden. Eine weitere Begabung war die Musik: Er lernte früh und offenbar mühelos Klavier spielen, ohne je Noten lesen zu können. Als Student spielte er die damals übliche Klavierbegleitung zu Stummfilmen, was stundenlangem Improvisieren gleichkam.

Erste künstlerische Erfolge hatte Kahn bereits 1929 und 1930 mit Ausstellungen von Zeichnungen und Aquarellen von Reisen durch Europa. Erstaunlich ist der Umstand, dass sein eigenständiges Werk als Architekt erst in den späten vierziger Jahren begonnen hat. Das erste größere Bauwerk, das die Handschrift Kahns in vollem Umfang trägt, ist die Kunstgalerie der Yale University in New Haven (1953): die Abwendung vom "Internationalen Stil", von Fassaden aus Stahl und Glas, ist klar sichtbar. Kahn verwendete massive, geschlossene Fassaden aus Ziegel, Beton, manchmal mit Füllelementen aus Holz oder Edelstahl.

Immaterielle Qualitäten

Nathaniel Kahn zeigt auch eine besondere Entdeckung: die Kamera fährt durch das heute abgewohnte Wohnviertel in Philadelphia, wo sein Vater aufgewachsen ist. Ein raues, schäbiges Ambiente von hohen "Redbricks" aus dem 19. Jahrhundert, dazu Musik von Neil Young und Jefferson Airplane. Ein Haustyp fällt auf: ein hohes Wohnhaus mit etwa fünf Geschoßen, quadratischem Grundriss, fast ein Würfel, wären da nicht die Ecken des Gebäudes, die abgeschrägt sind. Eines der Meisterwerke Kahns ist der Komplex von Bibliothek und Mensa der Philip Academy in Exeter in New Hampshire (1972). Die Außenform der Bibliothek scheint von den düsteren Zinshäusern in Philadelphia inspiriert gewesen zu sein.

"My Architect" endet mit den größten verwirklichten Werken Kahns: dem Campus von Ahmedabad in Indien (ab 1963), dem Regierungszentrum "Banglanagar" in Dacca, Bangladesh (ab 1962). Zwei an diesen Bauten beteiligte Architekten sprechen über ihre Haltung zu den indischen Bauwerken Kahns: B. V. Doshi lobt mit eindringlichen Worten die immateriellen Qualitäten des Campus in Ahmedabad, spricht von "Spirituality", von einer geistigen Kraft, die das Wesen dieser Architektur bestimme, ihr besonderes Leben verleihe.

Im Parlamentskomplex von Dacca erzählt Shamsul Wares, dass dieses Bauwerk, das Louis Kahn entworfen hatte, dem neuen Staat Bangladesh die Demokratie vermittelt hätte.

Solche Wertschätzung hat Louis Kahn in den USA zu Lebzeiten nur sehr selten erfahren, trotz seiner insgesamt sieben Ehrendoktorate. Jonas Salk, Nobelpreisträger für Biochemie und Auftraggeber des "Salk Institute" in La Jolla, Kalifornien (1965), schrieb in einem Nachruf auf Louis Kahn: "Und was wir sehen, ist nicht bloß Entdeckung dessen, was schon vor dem war, noch eine neue Auslegung von alten Vorstellungen. Er wies uns eine neue Wirklichkeit."

"My Architect - A Son's Journey." Der Film von Nathaniel Kahn (USA 2003) ist am Sonntag, dem 6. März 2005, 13 Uhr, im "Film Casino", 1050 Wien, Margarethenstraße 78, zu sehen.

Im Anschluss an die Vorführung findet eine Podiumsdiskussion statt: Raimund Abraham, Heinz Tesar, Lorenz Potocnik, Michael Hofstätter und Wolfgang Pauzenberger sprechen über das Thema "Kahn heute".

Die Diskussion, die von Liesbeth Waechter-Böhm moderiert wird, ist der vierte und letzte Teil einer Veranstaltungsreihe zu Louis Kahn, die Helmut Weihsmann kuratiert hat.

Freitag, 04. März 2005

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