Ein Austro-Isländer
Helgi Jonsson: Gloandi
Von Gerald Schmickl
Island hat europaweit die höchste Dichte an Bücherlesern. Aber auch Popmusik wird im hohen Norden gerne gehört – und vor allem gespielt. Björk, Sigur Rós und Leaves sind die international bekanntesten und bisher erfolgreichsten Exporte von der Insel. Nun kommt mit Helgi Jonsson vielleicht noch einer dazu, der seine Singer/Songwriter-Karriere freilich von Österreich aus startet, eine Art Austro-Isländer also.
1979 in Reykjavik geboren, begann Helgi bereits im Alter von sieben Jahren Posaune zu spielen. Mit 19 schloss er das Reykjavik College of Music ab – und studierte fortan an der Kunst-Universität in Graz. Als Mitglied diverser Chöre und Gruppen – unter anderem der Grazer Jazzfolk-rockband "Beefólk" – sang und spielte Jonsson in den vergangenen Jahren bei zahlreichen Anlässen, bevor er nun auf Wolfgang Muthspiels Material Records-Label sein erstes Soloalbum, "Gloandi", herausbrachte.
Darauf überrascht der 26-Jährige mit einer Vielzahl an Sounds und Songs. Vom rockigen, hittauglichen Opener "Make me fall" über zartbesaitete, auf Isländisch intonierte Weisen (wie etwa den Titelsong) bis zu jazzigen Popballaden reicht das Spektrum, das Jonsson mit solider Bandbegleitung auch live überzeugend rüberbringt, wie er bei einer CD-Präsentation in Wien kürzlich zeigte.
Mitunter erinnert der Klang seiner – hohen, androgyn wirkenden – Stimme an David Sylvian, den einstigen Japan-Sänger. Der schlaksig-schüchterne Jüngling hat noch einige weitere hörbare Referenzgrößen, besticht aber durchaus mit einer Eigenständigkeit und stilistischen Reife, die ihn jenseits aller Vergleiche international konkurrenzfähig machen sollte.
Mit seinen prominenten Landsleuten Sigur Rós hat Jonsson bereits gespielt. In diesen Tagen (in Österreich exakt am 12. September) erscheint deren neues Album, "Takk", ihr viertes – und zugleich erstes für EMI. Mit nahezu durchgängig isländischen Lyrics ausgestattet (die sowieso hauptsächlich klangfärberische Funktion haben), sind die elf Songs von jener solemnen Erhabenheit, für die das Quartett (welt-)berühmt geworden ist. Kaum eine andere Band vermag sich an ihre geografische Herkunft derart akustisch anzuschmiegen und Landschaften zum Klingen und Leuchten zu bringen.
So klangmythisch und märchenhaft-koboldisch gerieren sich sonst nur noch Mercury Rev, wenn sie die spirituelle Innenwelt amerikanischer Wälder beschwören. Trotz aller Flächigkeit und Weite behalten die Nummern auf "Takk" allesamt eine Struktur, kreisen um identifizierbare kompositorische Kerne. Inselmusik im weitesten – und besten – Sinne.
Sigur Rós: Takk (EMI).
Helgi Jonsson: Gloandi (Material Records/Monkey Music).
Freitag, 09. September 2005