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Fortschritt mit Misstönen

Der lange Weg zum Hupverbot in Wien - ein historischer Rückblick
Von Peter Payer

Es tritt (fast) niemals alleine auf, jenes rechteckige Verkehrsschild, das den Beginn der Stadt sowohl pragmatisch als auch signalhaft mittels der vier Buchstaben "W i e n" markiert. Unmittelbar darunter befindet sich eine kreisrunde Tafel mit mindestens ebenso wichtigem Informationsgehalt: Eine rot durchgestrichene Hupe teilt uns jene Verhaltensvorschrift mit, die von hier an für alle Autofahrer zu gelten hat. Wenngleich die dargestellte Hupe reichlich antiquiert anmutet, ist die Botschaft eindeutig und längst durch Generationen von Autofahrern verinnerlicht. Doch wie kam es dazu, dass "Hupen verboten" zur ersten und wichtigsten Botschaft an den Eingängen zur Stadt geworden ist?

Das Auto erobert die Stadt

Blicken wir zurück: Es war im September 1892, als erstmals ein "pferdeloses Vehikel" durch die Straßen Wiens rumpelte. Seine Besitzer waren Siegfried Graf Wimpffen und Hans Graf Wilczek jun., die sich gemeinsam einen französischen Serpollet-Dampfwagen angeschafft hatten. Der 1.800 Kilogramm schwere Koloss war mit Koks zu befeuern (die Grafen waren damit "Chauffeure" in des Wortes ursprünglicher Bedeutung, also Heizer) und wies eisenbeschlagene Räder auf, die auf dem Kopfsteinpflaster einen gewaltigen Lärm verursachten.

Doch war dies zunächst noch eine Einzelerscheinung. Erst vier Jahre später sollte der wirkliche Startschuss zur Verbreitung des Automobils in Wien fallen. Im November 1896 fuhr der erste fabriksmäßig erzeugte Benzin-Motorwagen durch die Stadt, ein "Daimler-Peugeot", erworben vom k. u. k. Hofwagenfabrikant Ludwig Lohner. Andere folgten diesem Beispiel, wie Carl Oplatek, Besitzer einer Maschinenfabrik im 18. Bezirk, der seit Juli 1897 eine "Benz-Victoria" durch die Straßen lenkte. In seinen Erinnerungen schilderte er das Staunen und den Schrecken, den das Vehikel nicht zuletzt aufgrund seiner enormen Geräuschentwicklung hervorrief. Es waren nicht nur die Geräusche des Explosionsmotors, die beeindruckten. Auch die Hupsignale, die naturgemäß sehr laut sein mussten, um sich vom übrigen Lärm abzuheben, gehörten von nun an zum Klangbild des neuen Fahrzeugs. Sie wurden letztlich zum herausragenden Charakteristikum des frühen Automobils und brachten ihm schon bald den lautmalerischen Spitznamen "Töff-Töff" ein.

Mit anderen Großstädten verglichen, setzte sich das Auto in Wien jedoch nur zögernd durch. Die Gründe dafür lagen in den extrem hohen Kosten für die Anschaffung und den Betrieb eines Fahrzeugs und in dem zunächst nur langsamen Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur. Anfang März 1910 waren in Wien 2.545 Autos registriert. Noch war das Auto weit mehr ein luxuriöses Freizeit- und Sportgerät denn ein alltagstaugliches Verkehrsmittel.

Das Image der ersten "Autler" war nicht gerade das beste. Sie waren als Snobs, rücksichtlose Raser (die erlaubte Höchstgeschwindigkeit war 15 km/h) und Rüpel verschrien, die immer wieder schwere Unfälle verursachten und beinahe ständig die Hupe betätigten, um sich den Weg auf der Straße frei zu machen. Vor allem die weithin vernehmbaren Signalgeräusche wurden bald zum heftig diskutierten Thema. Die Auswirkungen des anbrechenden Zeitalters der Geschwindigkeit standen auf dem Prüfstand.

Einer der schärfsten Kritiker war der hochrangige Ministerialbeamte und Pädagoge Michael Freiherr von Pidoll. In seiner 1912 veröffentlichten Streitschrift "Der heutige Automobilismus. Ein Protest und Weckruf" entrüstete er sich über die neuartigen Misstöne mit den seiner Meinung nach abscheulichsten Klangfarben: "Von allen Seiten, an jedem Ort und zu jeder Zeit fährt die Hupe des Automobilisten in der Großstadt auf ihre Opfer los. Scharf, schneidend, schrill wie ein Pfiff, dumpf wie eine Posaune, ein Nebelhorn, oder erschütternd wie eine Petarde. Bald schmettert sie wie eine Trompete, bald kreischt und ächzt sie, fünfzigfach verstärkt, wie ein Lastwagen mit gesperrten Rädern, wie das Rücken eines schweren Möbels."

Zustand der Alarmierung

Pidoll rechnete vor: Ein fahrendes Auto stoße innerhalb von zehn Minuten mindestens 50 Hupsignale aus, wovon jedes Mal 50 bis 100 Menschen betroffen seien, was eine Störung von 2.500 bis 5.000 Personen ergebe. Das scharfe, weithin vernehmbare Signal belästige somit Tausende von unbeteiligten Menschen. Da es ein Alarmsignal sei, befinde man sich ständig im Zustand der Alarmierung. Und dies ohne Unterlass, bei Tag und Nacht, in der Innenstadt genauso wie am Stadtrand. "Nicht bloß in frequenteren Straßen, auch in abgelegenen Regionen der Stadt ist es schon gegenwärtig kaum mehr möglich, die Fenster offen zu halten, wenn man nicht jeden Augenblick durch die laut kreischenden Hupensignale aufgeschreckt werden will. Insbesondere bei Nacht! Jeder Hygieniker weiß, wie wertvoll das Offenhalten der Fenster für die Gesundheit ist."

Die aufrüttelnden Mahnungen Pidolls wurden jedoch nicht von allen geteilt. Während die einen sich gegen die Auswirkungen des "Molochs Verkehr" zu wehren begannen, war der - zweifellos gestiegene - Lärm der Großstadt für andere schlichtweg Ausdruck einer Entwicklung, die Wien endlich zur Weltstadt machte. Dies konnte man beispielsweise an der Opernkreuzung feststellen, einem der wichtigsten Repräsentationsräume der Wiener Bourgeoisie, der sich denn auch in vielen Wien-Beschreibungen, in der Literatur und in den ersten Dokumentarfilmen der Gebrüder Lumière, findet. Für den Feuilletonisten Ludwig Hirschfeld hatten die hier vernehmbaren Verkehrsgeräusche geradezu zukunftsweisenden Charakter: "Dieses Durcheinander von Rufen, Hupensignalen und Motorgeknatter. Da hat man zum ersten Mal den Eindruck: Weltstadt und bekommt ungefähr eine Ahnung, wie es in dem morgigen Wien ausschauen wird."

Letztlich setzten sich aber die Kritiker durch und das Hupen wurde zumindest in den Nachtstunden verboten. Hygienisch-medizinische Argumente wogen angesichts der latenten Überreizung der Nerven in der Großstadt mehr als etwaige Prestigewünsche.

Doch warum entzündeten sich die Gemüter gerade an den Hupgeräusche derart heftig? Gab es doch zahlreiche andere Geräusche im Straßenverkehr, die nicht minder laut und belästigend waren, wie das Getrappel der Pferde auf dem Kopfsteinpflaster, das Kreischen und Quietschen der elektrischen Straßenbahn oder die Pfiffe der Lokomotiven. Eine Antwort darauf mag zunächst in dem Umstand zu finden sein, dass mit einem Automobil nur wenige Personen befördert werden konnten und es zudem ausschließlich den begüterten Klassen zur Verfügung stand. Die Masse der Bevölkerung kam nicht in den Genuss des neuen Gefährts, war lediglich mit den störenden Auswirkungen desselben konfrontiert.

Zum anderen war das "Hupensignal" ein künstlich erzeugtes Geräusch, technoid, unharmonisch und unmelodiös, sodass es schon von seiner Klangfarbe her als extrem nervig erlebt wurde (später wunderbar veranschaulicht in der Filmkomödie "Saps at Sea", in der die beiden Protagonisten Stan Laurel und Oliver Hardy in einer Hupenfabrik arbeiten, um schließlich völlig entnervt einen Beruhigungsurlaub anzutreten). Und nicht zuletzt spielte wohl auch der Umstand eine Rolle, dass das Hupensignal meist überraschend auftrat und das Gehör der übrigen Verkehrsteilnehmer beinahe überfallsartig attackierte. Es drückte wie kein anderes Geräusch den Schock der Moderne aus und symbolisierte die beträchtlichen auralen Adaptionsprobleme im Umgang mit den neuen technischen Errungenschaften.

Lärmmessungen

Rein quantitativ hielt sich die Verbreitung des Automobils auch noch in der Zwischenkriegszeit in Grenzen. Erst die Abschaffung der Kraftwagenabgabe 1933 bewirkte einen größeren Zuwachs an Fahrzeugen. Die Anzahl der in Wien gemeldeten Autos verdoppelte sich von rund 12.000 im Jahr 1927 auf 24.000 im Jahr 1938. Erneut entbrannte eine Hupen-Diskussion. "Noch immer herrscht im Straßenlärm der Großstadt der Hupenton der Automobile und Motorräder vor", klagten so manche Zeitgenossen. Etwaige Gewöhnungseffekte waren durch die nun doch beträchtliche Zunahme der Fahrzeuge längst zunichte gemacht.

Im Wiener Magistrat führte man erstmals Lärmmessungen durch und überlegte Maßnahmen zur flächendeckenden Eindämmung der Hupgeräusche. Das entscheidende Argument dabei war die Sicherheit. War sie ohne Hupen noch zu gewährleisten? Eigene Versuchsfahrten wurden unternommen, um zu prüfen, ob der Straßenverkehr auch ohne den Einsatz einer Hupe gefahrlos bewältigt werden konnte.

Für den weit gereisten Fürsten Ulrich Ferdinand Kinsky war die Sache klar. Er trat für ein absolutes Hupverbot ein und forderte im Oktober 1936 in der "Neuen Freien Presse": "Die Benützung von Hupensignalen im Großstadtverkehr muss jedem, der den hupenlosen Verkehr in anderen Großstädten mitgemacht hat, als eine veraltete und völlig überflüssige Gepflogenheit erscheinen. Das allgemeine Hupverbot zieht bestimmt ein vorsichtigeres und rücksichtsvolleres Fahren der Kraftwagenlenker ebenso nach sich wie ein disziplinierteres Verhalten des Fußgängers und Radfahrers."

Die Unfallstatistiken in anderen Städten würden dies, so Kinsky, eindeutig beweisen und es sei hoch an der Zeit, dass sich auch Wien dieser Neuorganisation des Verkehrs anschließe.

Doch es sollte noch bis in die Nachkriegszeit dauern, ehe derartige Forderungen erfüllt werden konnten. Zunächst einmal setzte nach dem Zweiten Weltkrieg die große Entwicklung der Motorisierung ein. Die Anzahl der in Wien gemeldeten Autos stieg bis 1960 auf 160.000, zehn Jahre später waren es bereits 356.000. Der Besitz eines eigenen Fahrzeugs war zum Indikator für den gestiegenen Wohlstand geworden und zum Inbegriff für Mobilität und Freiheit.

Angesichts dieser rasanten Entwicklung war man nun auch seitens der Stadtverwaltung gezwungen, effiziente Maßnahmen zur Reduzierung des Verkehrslärms zu ergreifen. Im Jahre 1954 wurde die erste "Lärmkarte" der Öffentlichkeit vorgestellt, die genau jene Bereiche auswies, an denen die Belästigungen am größten waren (Gürtel, Ring, Lastenstraße, Wiental). Vier Jahre später wurde der "Österreichische Arbeitsring für Lärmbekämpfung" gegründet, der erstmals im Frühjahr 1960 eine "Lärmfreie Woche" ausrief. Begleitend dazu konnte man im Technischen Museum die Ausstellung "Weniger Lärm - gesünder und produktiver!" sehen.

Derartige Initiativen erwiesen sich aber nur in beschränktem Maße als Erfolg, klangen in den Ohren vieler wie ein Versprechen, das nicht gehalten werden konnte. Forderungen nach einer vehementen Verschärfung des Lärmschutzgesetzes tauchten auf: die Rede war von einer stärkeren Bestrafung von Lärmsündern und von einem rigorosen Hupverbot auch während des Tages. Letzteres wurde schließlich im Sommer 1966 von der Straßenverkehrskommission beschlossen. Diese Maßnahme sollte sich, so hoffte man, auf "die Ohren aller Wiener wohltätig auswirken" und die bisher recht mangelhafte Hupdisziplin der Autofahrer erhöhen.

Ab 1. Oktober 1966 trat die neue Verordnung in Kraft. Sie verbot nunmehr "die Betätigung von Vorrichtungen zur Abgabe von Schallzeichen" im gesamten Stadtgebiet von Wien. Ausgenommen von dem Verbot waren lediglich Einsatz- und Schienenfahrzeuge sowie Situationen, in denen Hupen das einzige Mittel darstellt, um Gefahren von Personen abzuwenden. Wie ernst es dem Gesetzgeber diesmal war, zeigt die Schwere der Strafe bei Nichteinhaltung: eine Geldstrafe bis zu 10.000 Schilling oder Arrest bis zu zwei Wochen.

Damit hatte sich die Stadt endgültig zur hupfreien Zone entwickelt. Ein Übel, das sich die Zivilisation zwar freiwillig eingehandelt hatte, mit dem sie aber lange Zeit nicht zurecht kam, war beseitigt. Erst jetzt schien die Moderne in der Stadt in akustischer Hinsicht bewältigt zu sein.

Freitag, 04. Februar 2005

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