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Er provozierte einst Theaterskandale - unumstritten ist er bis heute nicht

Zuckmayer, Carl: Aufklärer und Verklärer

Von René Freund

Die Uraufführung von "Der Hauptmann von Köpenick" hätte wegen eines Alkoholexzesses des Hauptdarstellers fast nicht stattgefunden. Der große Werner Krauß war am Tag vor der Premiere nach Köpenick gefahren, um dort "Atmosphäre zu atmen". Carl Zuckmayer in seinen Erinnerungen: "Er brauche keine Generalprobe, erklärte er lallend, er käme morgen zur Premiere, bis dahin bleibe er beim Wein in Köpenick . . ."

Als das Maxim-Gorki-Theater mit dem "Hauptmann von Köpenick" bei den Wiener Festwochen gastierte, standen erwartungsgemäß Harald Juhnkes potentielle Trinkexzesse im Mittelpunkt des Interesses.

Daß der Autor dieses modernen Klassikers heuer 100 Jahre alt geworden wäre, wurde nicht einmal im Programmheft erwähnt.

Carl Zuckmayer, so scheint es, ist "out". In der laufenden Saison wurden seine Stücke lediglich an 14 deutschen Bühnen gespielt - mehr als die Hälfte der Aufführungen entfielen auf den "Hauptmann von Köpenick". Kaum zu glauben, daß derselbe Carl Zuckmayer einst ungeheuere Theaterskandale provozierte. Mit seiner heute kaum noch les-, geschweige denn spielbaren Mundartkomödie "Der fröhliche Weinberg" sorgte der junge Autor 1925 für Tumulte in den Zuschauerräumen, brachte die Nazis gegen sich auf - und wurde Millionär.

Ein Problem der zuckmayerschen Stücke liegt sicher darin, daß Mundart heute als unmöglich gilt - als antiquiert galt sie schon damals. Doch auch der Altherrenhumor einer Komödie wie "Der fröhliche Weinberg" kann heute nur noch in seichten Fernsehfassungen präsentiert werden. Ja, selbst "Des Teufels General", die Geschichte rund um einen regimefeindlichen Nazi-Luftwaffengeneral, wirkt heute altbacken, auch wenn das Stück im Deutschunterricht sicher zu den spannendsten Pflichtlektüren gehörte. Doch der männlich-polternde Ton, der von der Hauptfigur General Harras auf das ganze Drama abfärbt, die Bauch-rein-Brust-raus-Geste militärischer Es-gab-auch-anständige-Soldaten-Tadellosigkeit befremdete kritische Geister bereits in den fünfziger Jahren.

Zum Beispiel einen Jugendfreund und Kollegen Zuckmayers, den Dramaturgen, Schriftsteller und späteren Cutter Albrecht Joseph: "Der letzte Akt verkommt zu einer Aneinanderreihung von einstudierten Reden, die im Lob des deutschen Nationalismus und Militarismus schwelgen, eine rechtsgerichtete Philosophie verkünden, die lange vor Hitler schon bestanden hatte, sich selbst für integer und zum Nazismus in Opposition stehend hielt, aber tatsächlich der Nährboden gewesen war, auf dem die Kräfte heranwuchsen, die Deutschland in Diktatur und zwei Weltkriege stürzten." Eine Aussage, die bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren hat.

Auch in Zuckmayers Erinnerungen mit dem legendären Titel "Als wär's ein Stück von mir" klingt seine vitalistische, bedingungslose Lebensbejahung immer wieder durch. Das aufmunternde Schulterklopfen, auch angesichts von Krieg, Tod und Elend, mag für manchen Leser eher erschlagend wirken. Anderseits klingen auch sehr oft lyrische, verletzliche, herzliche Töne an. Zuckmayer war schließlich ein Dichter. Er glaubte an eine geheimnisvolle Harmonie hinter allen Dingen, an die Kraft der Schönheit, der Natur und der Liebe. Daß er dabei sein Schicksal stets mit vertrauensvoller Gelassenheit hinnahm, mag als Fatalismus erscheinen, der übrigens auch manchen seiner Bühnengestalten eigen ist. Aber dennoch sind seine Erinnerungen äußerst lesenswert. "Zuck", wie ihn seine Freunde nannten, hat einiges zu berichten - über Katastrophen, Niederlagen, Triumphe.

Die glücklichste Zeit seines Lebens verbrachte Zuckmayer in Österreich. "Wenn man mich damals gefragt hätte, wo das Paradies gelegen sei, so hätte ich ohne Zögern geantwortet: in Österreich, sechzehn Kilometer östlich von Salzburg an der Reichsstraße, dicht beim Wallersee." Hier, in Henndorf, stand die alte Wiesmühle, die Zuckmayer gekauft hatte, nachdem "Der fröhliche Weinberg" auch zu einem finanziellen Erfolg geworden war. Die Wiesmühle steht übrigens noch heute hier und kann nach Voranmeldung besichtigt werden.

Carl Zuckmayer, 1896 in Nackenheim am Rhein geboren, wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen in Mainz auf: "Ich habe eine glückliche Kindheit gehabt. Ich weiß, man hört das nicht gern, und es ist eine kühne Behauptung, aber alles andere wäre gelogen."

Sein Großvater mütterlicherseits stammte aus einer seit Jahrhunderten in diesem Gebiet ansässigen jüdischen Familie - Zuckmayer war also laut NS-Terminologie ein Mischling. Der Begriff des Mischlings, schrieb er später, sei "ein barer Blödsinn, eine Erfindung hirnwütiger Blindgänger". Seinen Eltern, die während der Nazidiktatur in Deutschland geblieben waren, geschah durch die Hilfe eines Parteifunktionärs, der die jüdische Herkunft vertuschte, nichts. Vielleicht war diese Gefährdung der Eltern mit ein Grund dafür, daß Zuckmayer sich im Exil "nur" als politisch, und nicht als rassisch verfolgter Schriftsteller bezeichnete.

Bei vielen Zeitgenossen stieß allerdings Zuckmayers Satz auf Unverständnis, wonach er ein "geradezu unverbesserlicher Deutscher" sei. Noch 1938 schrieb der bereits exilierte Zuckmayer, er vertraue "einer übergeordneten und unveräußerlichen Gemeinschaft, die sich auf Kultur und Überlieferung, auf das Gewachsene und Gewordene, auf Treue und Echtheit gründet". Und deshalb glaube er - "mit einem Gedankensprung, der in einem Geist-Olympia des unerreichbaren Rekords sicher wäre", wie Alfred Polgar sarkastisch anmerkte - an das "Deutschtum". Es gehörte schon eine gewisse Hartnäckigkeit dazu, sich die Bindung an dieses "Deutschtum" nicht von Nazis austreiben zu lassen. Zuckmayer, der religiöse oder besser: gnostische Sozialist, besaß diese Hartnäckigkeit.

Der prägende Eindruck in Zuckmayers Jugend war zweifellos der Erste Weltkrieg. Mit 17 noch schien es ihm völlig undenkbar, "auf andere Menschen zu schießen. Da laß' ich mich lieber einsperren." Mit 18 wurde er von der allgemeinen "Wollust des Mit-Erlebens, Mit-Dabeiseins" ergriffen, die ja auch vor den meisten Intellektuellen der Zeit nicht Halt machte.

Die Ernüchterung folgte bald: Das große Sterben hatte nichts Edles, nichts Heroisches: "Zuckmayer stand häufig im Gefecht", schreibt Jugendfreund Albrecht Joseph, "er sah, wie Freunde von Granaten zerfetzt wurden und starben. Einmal lag er mit einem tödlich verwundeten Kameraden unter feindlichem Feuer. Der Unglückliche in seinen Todesqualen bat ihn, seinem Leiden ein Ende zu machen. Zuckmayer erfüllte ihm diese Bitte und schoß ihn mit seiner Pistole durch den Kopf (. . .) Das Entsetzen über seine Tat erschütterte ihn immer noch tief. Ein Rohling war er niemals, und sein betont männliches Auftreten war häufig Maskerade." Dennoch klingt so etwas wie Stolz durch, wenn Zuckmayer in seinen Erinnerungen schreibt: "Ich habe auch selten, fast nie, vom Krieg gesprochen, besonders nicht mit Leuten, die nicht dabei waren. Und mit den anderen genügte ein Stichwort - ,Sommer 1916`, ,Flandern Juli 17` - zur Verständigung, dann schwieg man lieber."

Im Krieg reifte sein Entschluß, Schriftsteller zu werden. Zuckmayer schickte Gedichte und andere Beiträge an Franz Pfemfert, den Herausgeber der sozialistischen Zeitschrift "Aktion". Beiträge, in denen Zuckmayer die Greuel der Schützengräben beschrieb und für die Beendigung des großen Gemetzels plädierte, woraus sich eine eigenartige Doppelexistenz ergab: "Ich führte meine Leute in die Stellung, ich tat meinen Kriegsdienst, wie er mir auferlegt war, bedingungslos. Aber meine Gedanken und mein Empfinden, mein Glaube und meine Hoffnung waren bei der ,Internationale der befreiten Völker`, wie sie in der ,Aktion` gepredigt wurde, und meine Verse und ersten Prosastücke erschienen dort."

Doch noch etwas anderes bewirkte der Krieg. Zuckmayer lernte die Menschen kennen, ihre Motive, ihre Nöte, ihre Hoffnungen, ihre Sprachformeln: "Es gab in dieser Zeit, zwischen meinem 18. und 22. Jahr ( . . . ) kaum einen deutschen Volksstamm, kaum eine Berufsschicht oder Menschensorte, die ich nicht kennenlernte - aus der intimsten Nähe, mit ihren Sonderheiten, Dialekten, Charaktereigenschaften, und im wörtlichen Sinn: wie sie leben und sterben." Das sollte sich später als reiche Fundgrube für die grandiosen Rollen in seinen Stücken erweisen.

Nach Kriegsende sah sich Zuckmayer auf der Universität um: In Frankfurt studierte er Jus und Philosophie, in Heidelberg Zoologie und Botanik. Als wichtiger erwiesen sich jedoch die Eindrücke des expressionistischen Theaters, die Zuckmayer vor allem in Frankfurt empfing. Das anarchisch-pathetische Aufwerfen von Lebensfragen lag dem Vitalisten Zuckmayer, der Gesellschaft liebte und unbeschadet nächtelang durchtrinken konnte, mehr als die trockene Wissenschaft. Er schrieb sein erstes eigenes Drama: "Kreuzweg", ein verworrenes Stück rund um einen Bauernaufstand. Das Stück, von dem sich der Autor übrigens später selbst distanzierte, wurde in Berlin uraufgeführt, von der Kritik zerrissen, vom Publikum verschmäht und nach wenigen Aufführungen abgesetzt.

Zuckmayer ließ sich nicht entmutigen und blieb in Berlin. Doch die finanzielle Situation machte dem jungen Autor zu schaffen. "Zuck" arbeitete als Werber für illegale Nachtlokale, später sogar als Kokaindealer. Ein Intermezzo führte ihn nach München, wo er als Bänkelsänger und Kabarettist auftrat.

Während eines Aufenthalts in seinem Mainzer Elternhaus traf er seinen Freund Kurt Elwenspoek wieder, der gerade Intendant in Kiel geworden war und ihm eine Stelle als Dramaturg anbot. Zuckmayer nahm an. Er erwies sich als katastrophaler Dramaturg: "Von Büroarbeit hielt ich nichts, und vor Leitz-Ordnern hatte ich einen physischen Abscheu. Der Mann, der einmal mein Nachfolger wurde, muß mich verflucht haben, als er die Schubladen auszumisten hatte, in die ich ,Laufende Korrespondenz`, beantwortet oder nicht, hineinstopfte."

Dafür saugte er gierig die Theaterluft ein, inszenierte sogar und sorgte mit seiner Bearbeitung des "Eunuchen" von Terenz für einen handfesten Skandal: Eine Schauspielerin trat nackt auf, was die fristlose Entlassung des Intendanten und seines Dramaturgen zur Folge hatte.

Der Coup war gelungen: Zuckmayer hatte sich in der deutschen Theaterwelt einen kleinen Namen gemacht. Er wurde in der Folge am Münchner Schauspielhaus angestellt, ebenfalls als Dramaturg. Er arbeitet noch weniger als in Kiel, dafür lernte er Klaus und Erika Mann sowie Bert Brecht kennen. Der erst 25jährige Brecht hinterließ einen großen Eindruck bei Zuckmayer, der in seinen Erinnerungen notierte: "Ich war damals der politisch stärker ,Engagierte`, mit der Zeit hat sich das in gewisser Weise umgedreht."

Brechts Einfluß erwies sich für den Dramatiker Zuckmayer allerdings als nicht besonders segensreich: Die Uraufführung seines zweiten Stücks "Kiktahan oder Die Hinterwäldler" 1925 fand zwar unter der Regie von Heinz Hilpert und in Anwesenheit von Albert Einstein, Else Lasker-Schüler, Max Pechstein und Gustav Stresemann statt. Es kam allerdings bei Publikum und Kritik noch weniger an als das erste Stück. Der gefürchtete Kritiker Alfred Kerr urteilte sogar, man solle den Autor Zuckmayer getrost vergessen. Ein Urteil, das er noch im selben Jahr revidieren sollte.

Denn der energische Zuckmayer ließ sich nicht unterkriegen, sondern versuchte, wie immer positiv denkend, aus den Fehlern zu lernen. In erster Linie also, sich nicht den Einflüssen anderer hinzugeben, sondern seinen eigenen Stil zu finden. Zuckmayer ging (wie auch Brecht) zurück nach Berlin, an Max Reinhardts Deutsches Theater. Hier, in Berlin, lernte Zuckmayer die Frau seines Lebens kennen.

Alice von Herdan fiel ihm bei einer ausgelassenen Künstlergesellschaft, zu der manche Herren nur in Badehose und Smokingschlips, manche Damen "oben ohne" erschienen waren, dadurch auf, daß sie ein einfaches, bis zum Hals geschlossenes Kleid trug. Die österreichische Schauspielerin brachte die Tochter Michaela und - wie Zuckmayer - die Erfahrungen aus einer mißglückten Ehe in die neue Gemeinschaft ein.

Alice Herdan brachte ihm Glück. In den ersten Monaten der Ehe schrieb er in rheinhessischer Mundart sein Lustspiel "Der fröhliche Weinberg", das zunächst von einigen Theatern abgelehnt wurde. Schließlich kam es aber 1925 zur Uraufführung am Theater am Schiffbauerdamm. Noch vor der Premiere bekam Zuckmayer für das Stück den Kleist-Preis verliehen. Die Uraufführung wurde zum Triumph: "Inmitten all der Menschen, denen vor Lachen die Tränen herunterliefen und die Frackhemden knitterten - während fremde Leute sich gegenseitig auf die Schulter schlugen -, waren nur zwei Personen todernst und verzogen keine Miene: das waren meine Frau und meine Mutter."

Noch in der Nacht erwarben Dutzende Bühnen die Aufführungsrechte. Die Begeisterung ist heute ebensowenig nachzuvollziehen wie die Empörung der Nazis über die harmlosen antinationalistischen Späße oder die gezählten 63 Theaterskandale, die das dezent verbalerotische Stück verursachte.

Ähnliches gilt für Zuckmayers nächstes Stück, der dramatisierten Moritat vom Räuberhauptmann Johann Bückler, genannt "Schinderhannes". Die rustikale Geschichte vom deutschen Robin Hood findet heute kaum mehr den Weg auf die Bühne. 1927, bei der Uraufführung in Berlin, bescherte sie Zuckmayer einen schönen Erfolg. Einen Erfolg, der kalkuliert war: "Zuck" hatte sich, nach dem Triumph mit dem "Fröhlichen Weinberg", ein gutes Jahr Zeit gelassen, um den "Schinderhannes"-Stoff sorgfältig und in Ruhe zu bearbeiten. Das Know-how der Dramaturgie, der Personencharakterisierung und des Handlungsaufbaus beherrschte er mittlerweile perfekt, den Ton des "Volkes" zu treffen wie kein anderer. Der Kritiker Alfred Kerr, Zuckmayer mittlerweile gewogen, notierte treffend: "Zuckmayers pro: Das Volkstum. Zuckmayers contra: Das Volkstümliche."

Genau das zeigte sich auch in seinem folgenden Werk, "Katharina Knie". Untertitel: "Ein Seiltänzerstück." Das 1929 erschienene, rührselige Drama aus dem Zirkusmilieu, diesmal in rheinpfälzischer Mundart geschrieben, brachte ihm eine heftige Liaison mit der Hauptdarstellerin Käthe Dorsch ein, für die er kurzfristig sogar Frau und Kinder verließ. Das Stück selbst zeichnet Zuckmayer als hervorragenden Handwerker aus. Doch gerade in "Katharina Knie" kommt die gekünstelte Perfektion des Handwerklichen vielleicht allzu deutlich zur Geltung; die Konflikte sind romantisiert, die ganze Geschichte allzu rührselig. Zuckmayer hatte das "Volkstümliche", das sich die Nazi-"Volksbewegung" an die Fahnen heftete und gleichzeitig verriet, völlig ungebrochen und unüberdacht als die einzig gesunde und natürliche Kraft hingestellt. Solche Tendenzen zeigten sich zum Teil auch in seinen Lyrik- und Prosawerken, die er neben seinen Bühnenarbeiten stets weiterverfolgte.

So überschätzt aus unserer heutigen Sicht seine Volksstücke auch sein mögen, so unterschätzt sind seine Drehbucharbeiten. Zuckmayer selbst ist daran nicht ganz unschuldig, weil er das Schreiben von Drehbüchern nicht als Kunst, sondern als reinen Broterwerb ansah und dementsprechend minder schätzte. Doch neben Marlene Dietrich war der Welterfolg des Josef von Sternberg-Films "Der blaue Engel" sicher der Kunstfertigkeit zu verdanken, mit der Zuckmayer Heinrich Manns Stoff für den Film adaptierte. Auch andere Drehbücher, die Zuckmayer schrieb, wurden bekannt: Etwa jenes zu "Rembrandt", mit Charles Laughton in der Titelrolle, oder jenes für den Max-Ophüls-Film "De Mayerling~ à Sarajevo."

Dennoch: Anfang der dreißiger Jahre war Zuckmayer mit seinem dramatischen Schaffen in eine Krise geraten. Ein großes "Eulenspiegel"-Projekt, über das er nachdachte, kam nicht vom Fleck. Da erhielt er von dem Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner die Anregung zu einem Stoff, der sich als zeitgemäße Eulenspiegel-Story erwies: Die Geschichte des "Hauptmanns" von Köpenick, bzw. des arbeitslosen Schusters Wilhelm Voigt, der im Jahr 1906 in einer geliehenen Hauptmannsuniform Soldaten rekrutierte, den Bürgermeister festnehmen ließ und die Stadtkasse beschlagnahmte. Nach kurzer Gefängnishaft wurde der originale "Hauptmann" übrigens vom amüsierten Kaiser begnadigt; er reiste dann durch die Städte Deutschlands und verkaufte signierte Postkarten, die ihn in Uniform zeigten. Zuckmayer sah ihn 1910 in Mainz. Damals ahnte er noch nicht, daß er rund um das Meisterstück des Schusters Voigt sein eigenes Meisterstück schreiben sollte.

Im Jahre 1930 machte sich Zuckmayer an die Arbeit. Im selben Jahr waren die Nationalsozialisten im Reichstag die zweitstärkste Partei geworden. Dem "Uniform-Taumel", der Deutschland überschwemmte, wollte Zuckmayer "Mutterwitz und menschliche Einsicht" entgegensetzen.

Das "deutsche Märchen", wie der Untertitel des Dramas lautete, fand im Jahr 1931 am Deutschen Theater in Berlin statt. Unter der Regie von Heinz Hilpert, mit Werner Krauß in der Titelrolle, wurde die Uraufführung zu einem fulminanten Erfolg. Zuckmayer: "Das Stück wurde, von Freund und Feind, als das Politikum begriffen, als das es gemeint war . . . Es gab keine Theaterskandale, doch wütende Beschimpfungen von seiten der Nazipresse, vor allem in dem jetzt von Goebbels redigierten Berliner ,Angriff`, der mir, mit Hinblick auf eine Szene im Zuchthaus, verkündete, ich werde bald Gelegenheit haben, ein preußisches Zuchthaus von innen kennenzulernen. Auch wurde mir schon damals - für die kommende Machtergreifung - mit Ausbürgerung, Landesverweisung oder schlichtweg mit dem Henker gedroht . . ."

Nach Hitlers Machtergreifung 1933 zog sich Zuckmayer mit seiner Familie in die Wiesmühle in Henndorf zurück. Die Aufenthalte in Wien und die Nähe der Stadt Salzburg bewahrten die Zuckmayers, so heißt es in den Lebenserinnerungen, vor allzu großer "Verbauerung". Ein großer Freundes- und Bekanntenkreis wurde auch in Zeiten des ländlichen Idylls gepflegt: Max Reinhardt gehörte ebenso dazu wie Werner Krauß, Emil Jannings, Franz Werfel und seine Alma, Alexander Lernet-Holenia, Erich Maria Remarque, Thornton Wilder, Gerhart Hauptmann oder Thomas Mann. Andere, etwa Albrecht Joseph, Franz Theodor Csokor oder Ödön von Horváth arbeiteten wochen- oder monatelang in dem kleinen Gästehäuschen der Zuckmayers.

In Henndorf entstanden die Stücke "Der Schelm von Bergen" und "Bellmann"; daneben kleinere Prosawerke, Naturlyrik. Zuckmayer mied es, zu tagespolitischen Fragen Stellung zu nehmen, vielleicht, weil er übersah, daß die "Tagespolitik" auch jahrelange Konsequenzen haben kann. Das sollte er nur allzu bald zu spüren bekommen.

In der nationalsozialistischen Propaganda wurde Zuckmayer als gefährlicher Volkszersetzer angegriffen. Er hatte dem Pomp-und Uniform-Fanatismus eine gefährliche Waffe entgegengesetzt: Den Humor. Auch sein Roman "Salwàre oder Die Magdalena von Bozen", 1935 im Fischer-Verlag herausgekommen, wurde von den Nazis beschlagnahmt und vernichtet.

Nach dem "Anschluß" Österreichs im Jahr 1938 flüchtete Zuckmayer unter abenteuerlichen Umständen in die Schweiz. Von dort reiste er mit seiner Familie in die USA. Wie fast alle schreibenden Emigranten versuchte er sich in Hollywood, das er unerträglich fand, als Drehbuchautor zu etablieren. Bei einer Sonntagsgesellschaft im Hause Max Reinhardts sagte er: ",Hier bleib ich nicht lange. Das ist kein Leben für mich`. Es erhob sich ein schallendes Gelächter. Jeder, belehrte man mich, habe das nach den ersten drei Wochen gesagt, jeder, der hier sitze, aber jeder sitze noch hier - mancher schon viele Jahre."

"Zuck" blieb nicht. Nach einem kurzen und wenig einträglichen Intermezzo als Dozent an der Theaterschule der New School for Social Research in New York zog er es vor, in die Einsamkeit der Berge zu gehen. Mit seiner Familie bezog er eine Farm in Barnard, Vermont - jene "Farm in den grünen Bergen", die Alice Herdan-Zuckmayer in ihrem gleichnamigen Buch verewigte. Das Indianerleben im Geiste des geliebten Karl May - die Zuckmayers hatten ihre zweite Tochter "in etwas infantiler Laune" ,Winnetou` genannt - mißfiel ihm nicht, obwohl ihm die Betreuung von Haus, Hof und Tieren fast keine Zeit zum Schreiben ließ. Seine einzige politische Stellungnahme in all den Jahren war sein "Aufruf zum Leben", den er unter dem Eindruck des Selbstmords seines Freundes Stefan Zweig schrieb: "Vergiß nicht, wie Brot schmeckt. Vergiß nicht, wie Wein mundet - in den Stunden, in denen Du hungrig und durstig bist. Vergiß nicht die Macht Deiner Träume. Gebt nicht auf, Kameraden!"

Nach dem Krieg meldete sich Zuckmayer mit einem Drama zurück, das in Vermont entstanden war: "Des Teufels General" wurde 1946 in New York uraufgeführt, die europäische Erstaufführung fand im selben Jahr in Zürich statt. Die Problematik des Dramas, in dem das Naziregime zur Staffage im Hintergrund gerät, wurde bereits bei seinem Erscheinen erkannt. Später sah auch Zuckmayer die Möglichkeit von "Mißdeutungen" ein und ließ, 1963, "Des Teufels General" für die Bühnen der Bundesrepublik sperren.

Damals, gleich nach dem Krieg, zog er durch die zerstörten deutschen Städte, um in zahlreichen Diskussionen vor allem mit Jugendlichen über sein Stück zu reden. Verharmlost hat er dabei nichts. Zuckmayer betätigte sich als einer der ersten Nachkriegsaufklärer in Deutschland.

Doch in diesem Deutschland fühlte er sich nicht mehr richtig zu Hause. 1958 übersiedelte er nach Saas-Fee, wo er in einem wunderschönen Walliser Bauernhaus als Schweizer Staatsbürger die letzten 20 Jahre seines Lebens verbrachte. Er ging zu Festspielen, ließ sich bei Premieren sehen, bekam Preise, publizierte seine Autobiographie. Mit Stücken wie "Das kalte Licht" (1955), "Die Uhr schlägt eins" (1961) oder "Der Rattenfänger" (1975) konnte er an seine großen Erfolge nie wieder anschließen.

Heute steht Zuckmayer in seiner Bedeutung hinter Brecht zurück. Er war nicht der große Gesellschaftskritiker, der kühne Theaterreformer. Er war ein Genie beim Gestalten von Charakteren, auch wenn diese dann in Stücken mitwirkten, die manchmal schon zu ihrer Zeit anachronistisch waren.

1977, im Alter von 80 Jahren, starb Carl Zuckmayer in seinem Haus in Saas-Fee. Und auch wenn seine anderen Stücke allmählich von den Bühnen verschwinden sollten - "Der Hauptmann von Köpenick" wird eine der besten deutschen Komödien bleiben, solange es Uniformen gibt.

Literatur: Thomas Ayck: Zuckmayer, Hamburg 1993. Alice Herdan-Zuckmayer: Die Farm in den grünen Bergen, Frankfurt a. M. 1958. Albrecht Joseph: Portraits, Aachen 1993. Carl Zuckmayer: Als wär's ein Stück von mir, Frankfurt a. M. 1966; ders.: Gesammelte Werke, Frankfurt a. M. 1976.)

Dienstag, 19. Mai 1998

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