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Albert Drach als Schwammerlsucher

Drach: Anwalt des Knollenblätterpilzes

Von Daniela Strigl

Jeder hat etwas, woran er hängt. Bei mir sind es die Vögel einerseits und die Pilze anderseits. Aber die Pilze esse ich und die Vögel nicht. Wie ernst es Albert Drach mit seiner Liebeserklärung an die Pilze war, zeigt ein Brief, den er 1964 an den ehemaligen KP-Stadtrat Viktor Matejka schrieb, der Drach nach dem Erfolg des "Großen Protokolls gegen Zwetschkenbaum" ein Treffen vorgeschlagen hatte: "Es würde mich sehr freuen, wenn ich Sie wieder einmal sehen könnte, doch müsste ich Sie dann bitten, mir einmal einen Besuch zu machen, weil ich selbst mit meiner dreifachen Tätigkeit als Autor, Anwalt und Mykologe ganz besonders überlastet bin und über fast keine Freizeit mehr verfüge."

Die "dreifache Tätigkeit als Autor, Anwalt und Mykologe" wahrt zwar eine Hierarchie, adelt jedoch zugleich die profane Beschäftigung des Schwammerlsuchens zur wissenschaftlichen Praxis und zu semiprofessionellem Tun. Ein Freizeitvergnügen ist die Mykologie eben dezidiert nicht.

Noch Anfang der fünfziger Jahre scheint Drach sich seiner Sache weniger sicher gewesen zu sein, freilich ohne deshalb den Mund weniger voll zu nehmen. Da verbringt er, wie er in seinem Tagebuchroman "Das Beileid" schildert, seinen Urlaub in Zell am See:

"Ich bin das erste Mal in dieser Gegend und trage mich ins Meldebuch als Mykologe ein, das bedeutet in meinem Fall nichts anderes als Schwammerlsucher, das ist Pilzkundler mit geringer wissenschaftlicher Vorbildung. Mittels solcher Eintragung will ich diesmal der meiner Berufung als Autor sowie der meines Berufes als Advokat entgehen, wie dies einmal vor Zeiten Anton Wildgans gelungen war, als er sich als Astigmatiker in den Meldezettel eintrug und demgemäß als ebensolcher in der Kurliste aufschien. Dadurch war er jeder Behelligung enthoben. Anders als ihm, glückte mir mein Unternehmen in dieser Hinsicht nicht. Denn schon am nächsten Tag stellten sich, von der Hauswirtin angeführt, die Sammler von raren Exemplaren der Pilze ein, die eigene Wurzelsepperei mit fremder auf griechisch behaupteter Wissenschaftlichkeit koppeln wollten, sodass ich genötigt war, mich in der als Beruf ausgegebenen Liebhaberei geschäftig zu zeigen. Erst als meine Auskünfte den behaupteten Wahrheitsgehalt augenscheinlich nicht enthielten, ließ man mich (. . .) in Frieden."

Hier hat Drach sich also unter der Trias seiner Tätigkeiten für die Mykologie entschieden und seinen Ehrgeiz, wenigstens auf dem Papier von der Wurzelsepperei zur Wissenschaft aufzusteigen, mit einer Niederlage gebüßt. Und Drach bekennt eine zweite, durch die Anwesenheit von Damen verschlimmerte Schmach: Seinem Auftritt auf dem Internationalen Mykologischen Kongress, wo er über den legendären Kaiserling spricht, ist ein veritabler Misserfolg beschieden: "Ich glaubte, dass ich zu dem, was ich selber gefunden hätte, vorerst sagen sollte, was andere besser wussten als ich. Man unterbrach mich an der langweiligsten Stelle. (. . .) Nina (. . .) wurde Zeugin meiner Niederlage. Sie saß neben Greten, die mir schon deshalb zuzuhören versuchte, weil sie sich mit Nina nicht verstand. (. . .) Immerhin war sie für den Kaiserling und mithin für die Pilze gewonnen. Es dauerte aber noch eine Zeit, dass ich ihr Interesse verwertete, vorerst hatte ich den Riemerschmid."

Von Werner Riemerschmid, Mödlinger, Dichter, Rundfunksprecher, Ahnherr der ORF-Dynastie, NSDAP-Mitglied seit 1933, mit Drachs Hilfe gründlich entnazifiziert, wird noch die Rede sein. Albert Drach jedenfalls ließ sich durch Mängel seiner mykologischen Bildung keineswegs davon abhalten, als Fachmann aufzutreten: Schon bei seiner Rückkehr aus Frankreich im Jahre 1948 sprach er beim Leiter der Wissenschaftsabteilung der RAVAG mit dem paradoxen Namen Dr. Übelhör vor und bekam eine regelmäßige viertelstündige Sendung über Fragen der Naturwissenschaft, die er zu einem Gutteil dem Reich der Pilze widmete. Am 30. Juni sprach er über "wohlschmeckende und giftige Pilze", sicherlich wissend, dass darin nicht unbedingt ein Widerspruch liegt, und erhielt ein Honorar von 75 Schilling. So hatte Drach im Rundfunk ein mykologisches Debüt - zu literarischen Auftritten kam es erst später.

Der Amateur als Fachmann

Die Anerkennung in Fachkreisen blieb ihm wichtig; im Nachlass findet sich unter dem Titel "Die Pilze (wie sie sind)" eine Rezension der deutschen Ausgabe des 1963 erschienenen Pilz-Buches von Severino Viola. Drach stürzt sich darin mit Verve und Akribie in die Fachdiskussion: Besonders die vergleichende Phänomenologie des giftigen Pantherpilzes und seines genießbaren Pendants, des Gedrungenen Wulstlings, haben es ihm angetan. Beim Studium der gerieften oder ungerieften Manschetten, der warzig gegürtelten Knollen, der kugeligen Hutformen und weißen Velumflocken ahnt man, dass das Faszinosum der Pilzwelt für Drach wohl auch im Mykologendeutsch gelegen ist, in dessen merkwürdiger Poesie: Der Sparrige Schüppling und der Ziegelrote Risspilz, der Striegelige Rübling und der Flockenstielige Hexenröhrling, der Kahle Krempling und die Krause Glucke suggerieren so etwas wie einen Amtskalender der Natur.

In seiner Abhandlung konzentriert Drach sich sodann auf zwei Anliegen: auf die Rehabilitierung des Gelben Knollenblätterpilzes (amanita citrina) und auf das Lob des Kaiserlings (amanita caesarea). Das Verfahren gegen den Gelben Knollenblätterpilz, der seit Menschengedenken als ebenso giftig gegolten hatte wie seine grünen und weißen Verwandten, wurde 1927 wieder aufgenommen: Es fand eine "Galatafel mit damaligen Pilzgrößen wie Dufour, Konrad, Maublanc" statt, "wobei nur Pilze der zu untersuchenden Art roh, gekocht, gebraten vorgeführt wurden. Nachdem in der kritischen Frist von 8-14 Stunden niemandem unwohl wurde und in der noch kritischeren Nachfrist von 5-20 Tagen (!!) auch keiner verstarb, war die Jahrtausende alte Verleumdung des gutartigen Pilzes widerlegt." Der Rechtsanwalt nimmt mit Missfallen zur Kenntnis, dass die "amtliche Anerkennung der Ungiftigkeit" erst 1938 erfolgte und "der Unschuldige" nichtsdestoweniger von anderen Pilzkundlern weiter verdächtigt werde.

Drachs Hymne auf den Kaiserling gerät ihm zum Nachruf: "Wenn Martial noch befunden hat, dass er dem treuen Freunde Schätze, Frauen, aber nicht ein Gericht von Kaiserlingen anvertrauen dürfe, so werden sich heutige Freunde wohl mehr auf die ersten beiden werfen, allerdings zum Wurf auf den letzteren wenig Gelegenheit mehr haben." Drach beklagt, dass man im Burgenland die Landesstraßen durch die angestammten Gebiete des nördlich der Alpen selten gewordenen Pilzes angelegt habe.

Diese Reviere kennt Drach aus eigener Anschauung: In "Das Beileid" führt ihn eine "Pilzwanderschaft" mit Werner Riemerschmid ins Mittlere Burgenland. Nach einer Odyssee auf löchrigen Straßen und in überfüllten Autobussen wollen die beiden schon unverrichteter Dinge nach Hause fahren, "als Riemerschmid in einen Graben stolperte, in welchem sich die Amanitae Casareae dem rotbraunen Boden angepasst hatten. Er fand ihrer zwanzig, die er gleich für sich behielt. Ich traf zuletzt sieben weitere an, die höher wuchsen und orangerot strahlten. Da solche Art von Gewächsen nach Ansicht eines Kenners ein Mittelding zwischen Tier und Pflanze sein können, mussten die von mir aufgefundenen Selbstmordkandidaten gewesen sein." Für den Konkurrenten hat Drach weniger Mitgefühl übrig: Mit der ihm eigenen Schadenfreude hält er fest, dass dessen Frau die 20 Kaiserlinge, weil im Rucksack verdorben, "in den Mist" geworfen habe, wogegen seine sieben, weil in einem "Säckchen" aufbewahrt, genießbar geblieben seien.

Der Selbstversorger

Als Schwammerlsucher war Albert Drach ein Spätberufener, seine autodidaktischen Anstrengungen verdankten sich einem vitalen Interesse: Drach hatte 1943 im Gebirgsort Valdeblore bei Nizza Zuflucht gesucht und in einem mit den Deutschen sympathisierenden Dichter einen Freund gefunden. Sie hatten wenig Geld und daher, wie Drach später in dem Text "Die Pilze und ich" schrieb, die "Idee, unsere Mahlzeiten durch Pilze zu bereichern, von denen wir beide nicht allzuviel verstanden." Im Bericht "Unsentimentale Reise" ist die Initiation in die Pilzkunde so vermerkt: "Zwei prächtige Pilze, die ich aus dem Walde mitgebracht habe, bereite ich mir nicht zu, da ich sie ohne das Pilzbuch des Herrn Lebleu nicht kenne. Ein Bauer hat mir geraten, den grünen zu essen, den orangeroten wegzuwerfen. Ersterer erweist sich dann als der grüne Todeswulstling, das Männchen in Orange als der schon zu Jesu Zeiten bekannte edelste Pilz, der Kaiserling, der den Cäsaren und später den Päpsten für ihre Tafel reserviert gewesen war." In der Welt des Albert Drach ist eben auf keinen Verlass, und learning by doing ist in der Mykologie ein zu riskantes Rezept. Der "Todeswulstling" ist natürlich kein anderer als der Grüne Knollenblätterpilz, von dem

5 Deka als tödliche Dosis ausreichen.

Als Autor hat Drach auf den (vom Krimi bis zum zeitgenössischen Roman, etwa Menasses "Schubumkehr") beliebten dramaturgischen Einsatz von Giftpilzen verzichtet, als Mykologe die fachlichen Blößen seiner Kollegen angeprangert: Das "Akademiemitglied Sacha Guitry" lasse "in seinem 'Schwindler' 13 Personen, leider mit Ausnahme seines Helden, nach einem Pilzgenuss bereits am nächsten Morgen sterben. So tüchtig sind selbst der weiße und der grüne Knollenblätterpilz nicht, sie brauchen dazu mindestens 4-5 Tage."

Zu seinem eigenen ersten Doppelfund merkt Drach später an, es sei ihm "Pracht neben Tod im Pilzreich ein weiterer Anziehungspunkt geworden". So gesehen, sind die Schwämme die symbolische Verkörperung von Drachs lebensgefährlichem Aufenthalt in der Gebirgsidylle. Ganz konkret setzt er ihretwegen sein Leben aufs Spiel, weil die Mahlzeiten beim Dichterfreund bis tief in die Nacht dauern und Drach bei der Heimkehr auf einem Waldpfad regelmäßig die strenge Ausgangssperre der deutschen Besatzung verletzt. Andererseits sind die Pilze für Drach

buchstäblich Lebensmittel, edlere Sorten tauscht er bei den Bauern zum Beispiel gegen Amseln ein, Vögel, die zumindest sein Alter ego Kucku nolens volens doch gegessen hat.

Prinzipiell dient das Schwammerlsuchen dem Verfolgten freilich als Schutz, rechtfertigt es doch sein Umherstreifen im Wald. Flüchtlinge tragen keine Pilzkörbe. Für Drach sind die Beutezüge auch Gelegenheit, dem Gefühl, in der Falle zu sitzen, zu entkommen. Einmal, als er wirklich Reißaus nehmen will, wird Kucku inmitten von Italienern von einer deutschen Patrouille überrascht. "Wie die Deutschen mich anschauen, rieche ich an den Pilzen. Es sind drei neue Zöllner, und einer davon hält sich für pilzkundig. Im Vorbeigehn nennt er einen deutschen Namen des Pilzes, nämlich Champignon in eingedeutschter Form. Der halbe Kenner würde jedoch von einem weißen Knollenblätterpilz sprechen (. . .). Es ist aber der heilsame Mehlpilz, von dem die Bauern gern mehrere gehabt hätten, als ich ihn hinunterbringe, weil er nur in dieser Gegend gedeiht."

Drachs/Kuckus Verhältnis zu den erbeuteten Schwämmen ist eher das eines Jägers als das eines Sammlers. In der "Unsentimentalen Reise" spricht er von seinen "Pflanzenjagden", die ihm etwa einen Steinpilz eintragen, "der sich dem Gestein durch Schutzfarbe des Hutes angepasst hat und ein Kilogramm wiegt". Pilzjäger nageln ihre Trophäen nicht an die Wand. The proof of the pudding is in the

eating. Drachs eigene Tarnung ist erfolgreicher als die des Steinpilzes. Zusehends bedeutet die Pilzsuche nicht bloß einen letzten Rest Freiheit für den seinerseits Gejagten, sondern im Auskosten des Gefahrenmoments auch einen Akt des Triumphs. Als Kucku als Gast auf einem Fest der Besatzer das Schicksal glücklich herausgefordert hat, fallen ihm, spätnachts zu Hause angelangt, drei Schwindlinge ein, die er im Wald hat stehen lassen. Er gibt sich "als zusätzliche Mutprobe auf, noch einmal in den Wald zurückzukehren und diese drei Schwämme zu holen. 'Es geht nicht um die drei Schwindlinge, die weniger als nichts wert sind, es geht um deinen Mut, deine Kraft, dein Gesicht und deine Ortskenntnisse. Bringst du die Schwindlinge aus dem Wald, sagt das Märchen, dann kann dir niemand mehr etwas anhaben, Monsieur Coucou, auch der liebe Gott nicht.'" Gesagt, getan. So werden drei wahrhaft schwindlige Schwindlinge zum Unterpfand der Unverwundbarkeit.

Der Jäger im Sammler

Als die Befreiung absehbar, die Front aber noch unsicher ist, dienen die Pilze Kucku als Vorwand, nicht nach Nizza zurückzukehren: "Aber bleibe ich wirklich wegen der Mykologie, oder bleibe ich, weil ich hier niemand mehr habe als die Gefahr (. . .)?" Das eine hängt wohl mit dem anderen zusammen. Die Gebirgswelt ist ein gefährliches Refugium ohne sichtbare Grenzen, ohne Bürokratie, ohne den Zwang, sich wieder ins Zivilleben eingliedern zu müssen.

Die Pilz-Leidenschaft oder Passion lässt Drach nie mehr los. Gleich auf seinem ersten Weg bei einem Kurzbesuch im Wien des Jahres 1947 findet Drach, ausgerechnet in der Wohllebengasse, "junge Tintenpilze, die noch genießbar sind, aber niemandes Magen bereichern werden, weil sie zu wenig bekannt sind und ihre Schimmelfarbe keinen Genießer anspricht". Albert Drach ist ein Genießer, der nicht nur die dem Dichter geziemenden Tintlinge zu schätzen weiß, sondern auch um ungenießbarer Pilz-Sonderlinge willen lange Expeditionen auf sich nimmt. In einem Interview sagte er mir im November 1992, neunzigjährig, er sei nach wie vor Mykologe, wenn er auch nichts sehe: "Ich hab vorgestern noch immer drei Pilze gefunden, obwohl's jetzt fast keine mehr gibt."

Solange einer Jäger ist, ist er nicht Beute. Solange einer die Pilze aus dem Wald bringt, sagt das Märchen, kann ihm niemand etwas anhaben, auch der liebe Gott nicht.

Gekürzte Fassung eines Vortrags, der am

30. November beim Albert-Drach-Festival "100 Jahre Bosheit" in Wien gehalten wurde.

Freitag, 13. Dezember 2002

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