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Verlockung Internet: Immer mehr Firmenchefs überwachen

heimlich, was ihre Mitarbeiter am Computer machen

Der Boss als Big Brother

Von Christian Höller

Der Brief hatte es in sich: „Aufgrund unserer internen Statistik mussten wir leider feststellen, dass im Internet Sex- und Pornoseiten am häufigsten angewählt
werden", schrieb Res Megert, Informatikchef der „Berner Zeitung", an alle Mitarbeiter des Verlags. Die Personen, welche die Seiten besuchen, sind uns bekannt", erklärte er und drohte
mit deren Veröffentlichung, falls sich die Situation nicht bessere. Kein Wunder, dass der Pornokonsum bei der „Berner Zeitung" schlagartig zurückging.

Nicht immer blieb es bei der Verwarnung. Der Mineralölkonzern British Petrol (BP) feuerte kurzerhand einen Mitarbeiter in Österreich, weil er sich während der Arbeitszeit im Internet Sexbilder ansah.
„In der britischen BP-Zentrale werden die Zugriffe aller Angestellten zum World Wide Web zentral gespeichert. Man kann im Nachhinein genau überprüfen, wie lange sich jemand im Internet aufhielt
und welche Seiten er dort benutzt hat", schildert Paul Kolm von der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) den Fall. „Als man in London den Missbrauch bemerkte, wurde das österreichische
Management aufgefordert, gegen den Angestellten Sanktionen zu ergreifen. Er wurde gekündigt."

Der „Pornoverkehr" im Büro ist beileibe kein Einzelphänomen. In Amerika sorgte die Veröffentlichung der Zugriffsstatistik auf die Online-Ausgabe des Männermagazins „Penthouse" für errötete
Köpfe. So entfielen innerhalb eines Monats 4.556 Seitenabrufe auf IBM-Angestellte, Apple-Mitarbeiter brachten es auf 4.462 Zugriffe und AT&T; steuerte immerhin noch 3.805 Besuche bei. Insgesamt
verbrachte das Personal der drei High-Tech-Firmen genau 13.084 Stunden (entspricht 1.600 Arbeitstagen) auf den Penthouse-Web-Seiten.

Auch bei österreichischen Firmen klagen Informatikverantwortliche hinter vorgehaltener Hand über den ausufernden privaten Internet-Konsum. Die Probleme drehen sich nicht nur um Pornos, sondern es
geht auch um nutzlos vertane Arbeitszeit, um das Einschleppen von Computerviren und das unbedachte Ausplaudern von Interna bis hin zur vorsätzlichen Betriebsspionage. So mancher Boss lässt daher
seine Mitarbeiter überwachen. Wurde bislang bei Leuten, die man gerne loswerden wollte, in den Reisekostenabrechnungen geforscht, bietet die rasante technische Entwicklung neue Kontrollmöglichkeiten.
Denn Computerfestplatten sind geduldig. Praktisch jeder Surfer hinterlässt Spuren, die EDV-Experten leicht verfolgen können.

Wie ein hausinterner Geheimdienstmann kann der fürs Internet und Intranet zuständige Webmaster eines Unternehmens mühelos jedes Wort mitlesen, das auf elektronischem Weg das Büro verlässt · ganz
egal, ob es sich um elektronische Briefe handelt, um die Teilnahme an Newsgroups oder ums Chatten. „Eine E-Mail", warnt Tristan Libischer, Chef des auf Business-Lösungen spezialisierten
österreichischen Internet-Providers Vianet, „ist so geheim wie eine Postkarte." In den USA filzen Umfragen zufolge 36 Prozent der Unternehmer die Internet-Kontakte ihrer Mitarbeiter. Libischer
schätzt, dass es in Österreich etwas mehr als 20 Prozent sind: „Es werden aber immer mehr."

Zensur-Roboter

Wehe dem, der da böse Worte über seinen Vorgesetzten oder Kunden verliert. In den USA hagelt es bereits Schadenersatzprozesse wegen übler beziehungsweise geschäftsschädigender Nachrede im
Datenhighway.

Die Betriebsschnüffelei lässt sich mit der entsprechenden Software auch steuern. Genauso wie bei Telefonanlagen Ferngespräche gesperrt werden können, gibt es fürs Internet so genannte Firewall-
Systeme, die den Netzkonsum auf jene Webseiten beschränken, die für den Dienstgebrauch wichtig sind. Solche EDV-Programme, ursprünglich für den Jugendschutz entwickelt, filtern in der Business-
Version nicht nur jede Art von potenziellem Schweinekram aus, sondern killen auch Arbeitszeitvernichter wie Online-Spiele und Chats. Die Zensur-Roboter durchsuchen außerdem sämtliche E-Mails nach
verdächtigen Schlüsselwörtern und fangen zum Beispiel jede Nachricht ab, die das Wort „vertraulich" enthält oder die interne Bezeichnung eines geheimen Projekts der Forschungsabteilung.

Die Kontroll-Software ist allerdings nicht billig. „Man muss mit einmaligen Anschaffungskosten von mindestens 34.000 Schilling rechnen, bei einem großen PC-Netzwerk bezahlt man sogar 100.000
Schilling. Hinzu kommen noch monatliche Update-Gebühren von 1.000 bis 4.000 Schilling", erklärt Herr Libischer vom Provider Vianet. „Viele Unternehmer verzichten wegen des hohen Preises
darauf." Und so wird eben ohne Zensur-Software munter darauf los spioniert. George Orwells Big Brother hat sich auch in zahlreichen heimischen Büros eingenistet. Herbert Pressnig,
Personalleiter des Maschinen- und Stahlbaukonzerns Waagner Biró, gibt die Überwachung ganz offen zu: „Wir erstellen ein Protokoll über die von unseren Mitarbeitern angewählten Internet-Seiten."
Wurde schon jemand abgemahnt? Pressnig will darüber nicht reden: „Das ist eine firmeninterne Angelegenheit. Gekündigt wurde aber wegen des Internets noch niemand."

Bei Austria Tabak ist privates Surfen grundsätzlich verboten. Verstöße werden von der EDV sofort dem jeweiligen Abteilungsleiter gemeldet: „Der stellt dann den betroffenen Mitarbeiter bei der
nächsten Abteilungsbesprechung zur Rede", sagt Hubert Greier, Sprecher von Austria Tabak. „Wenn sich jemand stundenlang via Internet in der Datenbank einer amerikanischen Bibliothek aufgehalten
hat, fragt der Abteilungsleiter natürlich schon, was er dort gesucht hat und ob das mit seiner Arbeit vereinbar ist." Bei den Austrian Airlines (AUA) wird stichprobenartig überprüft, welche Web-
Seiten das Personal anwählt. AUA-Sprecher Hannes Davoras: „Wir durchforsten auch E-Mails nach bestimmten Wörtern." Konkrete Vorfälle über missbräuchliche Anwendungen seien weder bei der Austria
Tabak noch bei AUA vorgekommen: „Bei uns wissen die Leute von den Kontrollen. Daher gehen sie auch verantwortungsvoll mit dem Internet um", versichern Greier und Davoras.

Einen anderen Standpunkt vertritt Siemens-Sprecher Gerhard Hirczi: „Bei uns verfügt ein Drittel der Mitarbeiter über einen Internet-Anschluss. Kontrollen gibt es nicht. Schließlich gehen wir von
erwachsenen Menschen aus." Auch bei

Philips wird das Personal nicht überwacht, wie Firmensprecher Herbert Denk beteuert: „Wir nehmen den Datenschutz ernst und halten nichts vom gläsernen Angestellten." Bei Philips entscheidet der
jeweilige Abteilungsleiter, wer einen Anschluss zum weltweiten Datennetz bekommt. „Der Zugang kann natürlich auch wieder entzogen werden." Für Gerhard Reidlinger, Sprecher der Creditanstalt,
kommt eine systematische Überwachung ebenfalls nicht in Frage: „Wenn jemand Zeit hat, um stundenlang im Internet zu surfen, ist das nicht ein Internet-, sondern ein Führungsproblem."
Kontrolliert werde nur, wenn jemand eine „auffallend hohe Telefonrechnung" hat. Reidlinger ist sich bewusst, dass die Surffreiheit missbraucht werden kann: „Wir haben aber Vertrauen in unsere
Mitarbeiter."

Beamte als Porno-Surfer

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Österreichs Beamte konnten sich lange Zeit ungeniert allen Internet-Genüssen hingeben. Seit vergangenem Sommer ist es mit dem Spaß in den Amtsstuben vorbei.
Damals veröffentlichte der Hardcore-Anbieter „Austria Erotic Center" (AEC) eine Statistik über die Surfer auf seiner Homepage. Und siehe da: Innerhalb einer Woche stammten mehr als 13.000 AEC-
Zugriffe vom Computernetzwerk mit dem Domain-Namen „gv.at", das sind Regierungs- und Verwaltungsserver. Im Umweltministerium und Umweltbundesamt bestrafte man sofort nach Bekanntwerden des Skandals
neun Porno-Surfer mit einem Verweis im Personalakt. Die Niederösterreichische Landesregierung (1.328 AEC-Zugriffe) sperrte die Verbindung zu 400 einschlägigen Online-Adressen.

Noch schärfer ging das Wiener Magistrat (4.809 AEC-Zugriffe) vor. „Seit diesem Vorfall bekommt jeder Dienststellenleiter regelmäßig eine Statistik mit den von seiner Abteilung am meisten
angewählten Internet-Adressen", sagt Eberhard Binder vom Magistrat der Stadt Wien. Bei konkretem Hinweis auf Missbrauch wird ein Protokoll über die Einzelzugriffe des verdächtigten Mitarbeiters
erstellt. „Dabei stimmen wir uns aber genau mit dem Betriebsrat ab, um den Datenschutz nicht zu verletzen", unterstreicht Binder. Bisher sei es erst einmal vorgekommen, dass man gegen einen
Beamten wegen verbotener Online-Zugriffe disziplinäre Maßnahmen anwenden musste.

Politisch brisant ist die Situation im Parlament, wo es auch zahlreiche Sex-Surfer gibt. „Natürlich wurde auch bei uns über eine Zensur diskutiert. Doch wir haben beschlossen, keine Web-Seiten zu
sperren", betont Hans Hopf, Leiter der EDV-Abteilung im Hohen Haus. „Es ist nicht unsere Aufgabe, den Abgeordneten vorzuschreiben, was sie sich im Internet ansehen dürfen." Übrigens: Die
meisten Zugriffe aus dem Parlament auf den Porno-Anbieter AEC stammten vom ÖVP-Klub. Klubobmann Andreas Khol hofft, dass seine Abgeordneten und Mitarbeiter „solche Blödheiten nicht mehr vom Büro
aus machen".

Tatsächlich sind Internet-Kontrollen mehr als heikel. Einerseits kann es wohl kaum angehen, dass Angestellte die Ressourcen und Arbeitszeit unverblümt für Online-Abenteuer nutzen. Anderseits sind dem
Überwachsungsdrang von Vorgesetzten aus Gründen des Datenschutzes Grenzen gesetzt. Eine Spannung, die immer wieder zu Konflikten führt, wie Paul Kolm von der Gewerkschaft für Privatangestellte (GPA)
bestätigt: „Viele wissen nicht, dass sie vom Chef beobachtet werden." Kolm rät den Betriebsräten, sich mit der Unternehmensführung über die genaue Vorgangsweise bei Computerkontrollen zu
einigen: „Man sollte klar definieren, in welchem Ausmaß Überwachungsmaßnahmen gesetzt werden."

Eine solche Regelung hat kürzlich die Österreich-Zentrale von British Petrol (BP) beschlossen. Sie besagt, dass der Zugriff auf bestimmte Web-Seiten durch ein Zensur-Programm gesperrt ist. Das
Protokoll über die von der Kontroll-Software nicht beanstandeten Dateien wird sofort ungelesen und unausgewertet vernichtet. „Fallweise Zugriffsversuche auf gesperrte Seiten gelten nicht als
Verstoß gegen interne Regeln. Diese Protokolle sind ebenfalls zu vernichten", heißt es in der Vereinbarung. Aufzeichnungen über ständiges Anwählen von verbotenen Web-Seiten dürfen nur im Beisein
des Betriebsrates eingesehen und analysiert werden. Anschließend findet ein Gespräch zwischen dem betroffenen Mitarbeiter, der Führungskraft und dem Betriebsrat statt. Kolm plädiert „beim ersten
Mal für eine Verwarnung. Denn jeder sollte das Recht haben, einen Fehler wieder gutzumachen."

Ähnliche Betriebsvereinbarungen gibt es bei den Salzburger Stadtwerken und beim Linzer Stromversorger ESG. Kolm hofft, dass auch andere Betriebe nachziehen: „Wir stehen erst am Anfang. Denn die
Beschwerden von Angestellten über unkontrollierte Internet-Überwachungsmethoden ihrer Chefs häufen sich."

Freitag, 03. September 1999

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