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Unfreiheit auf vier Rädern

Dem kollektiven Fetisch Auto wird immer mehr Boden und Landschaft geopfert
 Auf der Straße geht es nur noch auf Umwegen.  Foto: Begsteiger

Auf der Straße geht es nur noch auf Umwegen. Foto: Begsteiger

Der Flächenfraß durch Straßen und Parkplätze geht auf Kosten der Lebensqualität. Foto: mikes

Der Flächenfraß durch Straßen und Parkplätze geht auf Kosten der Lebensqualität. Foto: mikes

Von Reinhard Seiß

Theoretisch ermöglicht das Auto dem Menschen die Befreiung von örtlichen Zwängen. Er muss nicht mehr in der Stadt oder im Dorf leben, sondern kann sich auch irgendwo im Grünen ansiedeln. Er ist nicht mehr auf Arbeitsplätze in nächster Umgebung angewiesen, sondern erreicht auch Jobs in weiterer Entfernung. Er hat eine Alternative zum Greißlerums Eck, denn er kann die günstigsten und besten Geschäfte ansteuern. Und er braucht seine Freizeit nicht mehr im Nahbereich der Wohnung verbringen, sondern kann sich fast überall hinbegeben. In der Praxis allerdings ist es problematisch, wenn alle Menschen diese Freiheit für sich reklamieren – was in Österreich seit den 70er Jahren der Fall ist.

"Ein Autobahn-Kleeblatt braucht so viel Platz wie die historische Altstadt von Salzburg, die aus über 4.000 Wohnungen in 920 Häusern, aus 430 Gewerbebetrieben, 16 Kirchen, 13 Schulen und einer Universität besteht": Architekt und Stadtplaner Roland Rainer hatte es schon vor Jahrzehnten auf den Punkt gebracht. Das Auto und die Strukturen, die wir für das Auto schaffen, sprengen jeglichen vernünftigen Maßstab.

Dabei bleibt es ja nicht beim Flächenfraß durch Autobahnen, Straßen und Parkplätzen allein. Bedenkt man, daß alle flächenintensiven Siedlungsformen wie Einfamilienhausgebiete oder Einkaufszentren ohne PKW nicht existieren würden, wird rasch klar, welchen immensen Wert an Boden und Landschaft wir den vierrädrigen Gefährten opfern.

Zum Milchholen ins Auto

Auch die in vor-automobiler Zeit gewachsenen Siedlungsstrukturen wurden und werden durch den motorisierten Individualverkehr schwer in Mitleidenschaft gezogen. Der ländliche Raum – so er nicht vom Massentourismus, der wiederum an das Auto gekoppelt ist, am Leben erhalten wird – hat seine Eigenständigkeit verloren und ist in die Abhängigkeit der Ballungsräume geraten. Die Abwanderung von Arbeitskräften in die großen Ballungszentren führte dazu, dass es heute in peripheren Gegenden kaum noch Arbeitsplätze gibt. Und die wöchentlichen Fahrten ins Einkaufszentrum ruinierten die zu Fuß erreichbare Nahversorgung in solchem Maße, dass man am Land mittlerweile schon für den Kauf einer Flasche Milch ins Auto steigen muss.

In der Großstadt wiederum hat das Auto die ursprünglichen Funktionen des öffentlichen Raums so gut wie verdrängt. Plätze, Straßen und Gassen waren vor nicht allzu langer Zeit noch Orte des Handels, des Aufenthalts, der Erholung, des Spiels und der Kommunikation.

Heute sind sie in der Regel Verkehrsflächen. Und wo keine Autos fahren, stehen Autos herum. Rechnet man die gesundheitsgefährdende Belastung durch ständigen Lärm, durch Staub und Abgase hinzu, lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass das Auto heute die massivste Beeinträchtigung der städtischen Wohn- und Lebensqualität bewirkt.

Dies führt zu einer allzu verständlichen Flucht junger Familien in das Umland der Stadt. Das Problem dabei ist, dass diese Flucht wiederum im Auto geschieht. Die klassischen Vorstadtsiedlungen weisen zu geringe Dichten auf, um eine wirtschaftliche Erschließung durch öffentliche Verkehrsmittel zu rechtfertigen. In der Regel sind diese Siedlungsgebiete so weit von den Orts- oder Stadtzentren entfernt, dass die Bewohner nur selten zu Fuß oder per Fahrrad in die nächstgelegenen Handels- und Dienstleistungseinrichtungen, in Kindergärten und in Schulen gelangen.

Schließlich bedeutet die Zersiedelung eine enorme Belastung für den öffentlichen Haushalt, der die Aufschließung der Grundstücke (Straßen, Wasser, Kanalisation und andere Infrastrukturleitungen) finanzieren muss.

Nur wenige Menschen bedenken, mit welchen Kosten der Autoverkehr für sie persönlich verbunden ist. Einkalkuliert werden oftmals nur die laufenden Ausgaben für Treibstoff, Versicherungen und Kfz-Steuer. Die Anschaffung des Autos, das regelmäßige Service und anfallende Reparaturen, ja sogar die Autobahnvignette bleiben meist unberücksichtig. So erscheint vielen Österreichern das Autofahren immer noch billiger als der öffentliche Verkehr. Die Überwindung der Distanz zwischen dem Haus im Grünen, dem nächsten Kaufhaus und dem Arbeitsplatz wird einem nicht als Kostenfaktor bewusst.

Eine Untersuchung des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ) zeigt, dass wir heute so viel Geld wie nie zuvor für unsere Mobilität ausgeben. In den 50er-Jahren entfielen 5 Prozent des damals verfügbaren Haushaltseinkommens auf Verkehrskosten - heute halten wir bei durchschnittlich 17 Prozent. Haushalte, die auf das Auto angewiesen sind, verwenden 22 Prozent des verfügbaren Einkommens für ihre Fortbewegung. Und in dünn besiedelten Regionen, wo Haushalte mit vier erwachsenen Familienmitgliedern oft drei bis vier Autos besitzen, kann dieser Wert sogar 40 bis 50 Prozent erreichen.

Kompakte Siedlungsgebiete entlang öffentlicher Verkehrsverbindungen wären also nicht nur im Sinne der Raumplanung, sondern könnten auch den Haushalten enorme Kosten ersparen.

Von Seiten der Autofahrerclubs wird regelmäßig beklagt, das Auto sei die "Melkkuh der Nation". Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Die Errichtung und Erhaltung des Straßennetzes wird nicht nur von den Autofahrern, sondern von allen Steuerzahlern finanziert. Obwohl zwei Drittel der Betten in Österreichs Unfallkrankenhäusern von Verkehrsunfallopfern belegt sind, zahlen Autofahrer nicht mehr Sozialversicherung als etwa Bahnfahrer. Rund 30 Prozent des heimischen Gendarmerie- und Feuerwehrpersonals sind allein damit beschäftigt, Autounfälle zu verhindern oder ihre Folgen zu beseitigen – auf Kosten der Allgemeinheit. Die Konsequenzen des Autoverkehrs für die Gesundheit der Bevölkerung, die Umwelt und das globale Klima sind in ihrem erschreckenden Ausmaß gar nicht quantifizierbar, werden aber bestimmt nicht von den Autofahrerclubs allein getragen.

Obwohl der Kfz-Verkehr massive volkswirtschaftliche Kosten verursacht, unterstützt der Staat die ungezügelte Mobilität seiner Bürger. Ein Beispiel dafür ist die Pendlerpauschale, die aus den 50er Jahren stammt und damals ihre sozialpolitische Relevanz gehabt haben mag. Heute kommt sie großteils aber nicht mehr dem Nebenerwerbsbauern aus dem nördlichen Waldviertel zugute, sondern den wohlhabenden Haushalten in den Zersiedelungsgebieten im Umland der Städte. Mödling etwa ist der reichste Bezirk Österreichs und hat gleichzeitig den höchsten Pendleranteil. Pendlerförderung ist also mittlerweile Umverteilung von unten nach oben.

Fragwürdige Förderung

Ein anderes Beispiel für die Subventionierung des Straßenverkehrs ist die Gleichverteilung der Wohnbauförderung, unabhängig von raumplanerischen Kriterien. Zwar wird die Unterstützung von Bauwilligen in einigen Ländern seit kurzem nach der Energieeffizienz des Gebäudes gestaffelt: Der Einbau alternativer Heizsysteme oder die Errichtung von Niedrigenergiehäusern erhöhen die Fördersumme.

Völlig irrelevant ist aber nach wie vor, ob ein Gebäude auf 500 oder 1000 Quadratmeter Grundfläche steht, ob das Haus im Verbund mit anderen Häusern oder fernab bestehender Siedlungskerne errichtet wird, ob der Standort von öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen oder auf das private Auto angewiesen ist.

Die Siedlungsstruktur Österreichs wird sich solange entgegen der raumplanerischen Maxime der ökologischen, ökonomischen und sozialen Verträglichkeit entwickeln, als die Kostenwahrheit im Verkehr nicht hergestellt ist. Unerklärlicherweise konnte sich das Auto bisher – als eine der wenigen Ausnahmen – den marktwirtschaftlichen Gesetzen entziehen. Nach wie vor ist etwa das Parken im öffentlichen Raum kostenlos oder zu enorm günstigen Konditionen möglich. Legte man die Mietpreise für Wohn- oder Gewerbenutzungen zu Grunde, dann ergäbe sich laut einer Berechnung der TU Wien für die durchschnittliche Parkfläche eines Pkw von 10 Quadratmetern im städtischen Freiraum eine monatliche Parkgebühr von rund 500 Euro. Zahlt der Autobesitzer diese Summe nicht, muss sie aus öffentlichen Geldern beglichen werden.

All diese Probleme und Zusammenhänge werden von den Lobbys der Autoindustrie, der Ölkonzerne, der Straßenbauwirtschaft und der Autofahrer konsequent ignoriert, bzw. als unwahr bezeichnet. Das Auto gilt nach wie vor als Motor der Wirtschaft und als Instrument der individuellen Entfaltung.

Die Politiker allerdings müssten die negativen Effekte des Automobilismus doch zumindest in ihren Haushaltsbüchern entdecken. Aus Scheu vor unpopulären Maßnahmen werden die Kosten und Folgen des massenhaften Kfz-Verkehrs jedoch lieber auf die nachfolgende Generation abgeschoben.

Mit dem Trend zu stärkerer Individualisierung schwindet das Verantwortungsgefühl für den gemeinsamen Lebensraum sowie das Verständnis für Maßnahmen, die die Freiheit des Einzelnen zu Gunsten der Allgemeinheit beschränken. Raum- und Verkehrsplanung etwa werden vielfach als Verbot oder Verhinderung empfunden: Planer untersagen das Bauen im Grünland, Planer wettern gegen die bunte Welt der Einkaufszentren, Planer sind für den Straßenrückbau verantwortlich. Notwendige Veränderungen in Richtung einer ökologischen Verkehrspolitik, einer konsequent am Prinzip der Nachhaltigkeit orientierten Raumordnungspolitik scheint der Großteil der Bevölkerung nicht zu wollen.

Und genau da setzt die Intention des europaweiten "Autofreien Tages" an: Mit breitenwirksamen Aktionen – hierzulande koordiniert vom Klimabündnis Österreich und unterstützt vom Umweltministerium – soll einmal im Jahr die Eigenverantwortung jedes Einzelnen für den Erhalt einer intakten Umwelt sowie von lebenswerten Städten und Dörfern ins allgemeine Bewusstsein gerufen werden. Was 1999 in einigen französischen, italienischen und schweizerischen Kommunen begann und 2000 erstmals auf europäischer Ebene in insgesamt 820 Städten und Gemeinden stattfand, hat sich inzwischen zu einer alljährlichen Großveranstaltung entwickelt, an der heuer allein in Österreich über 180 Gebietskörperschaften partizipieren. Österreich ist dank seiner Teilnehmerzahl mittlerweile Europas Nummer eins. Bleibt zu hoffen, dass auf den symbolischen Akt des eintägigen Autoverzichts bald ein dauerhafter verkehrspolitischer Bewusstseinswandel folgen möge.

Reinhard Seiß ist Raumplaner und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.

Freitag, 16. September 2005

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