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Zum 100. Geburtstag des Schriftstellers

Koestler, Arthur: Ein moderner Kreuzritter

Arthur Koestler mit seiner dritten Frau Cynthia und dem Schoßhund David.

Arthur Koestler mit seiner dritten Frau Cynthia und dem Schoßhund David.

Arthur Koestler am Rednerpult.   Fotos: Aus dem besprochenen Buch von Christian Buckard

Arthur Koestler am Rednerpult. Fotos: Aus dem besprochenen Buch von Christian Buckard

Von Michael Rohrwasser

Noch vor einigen Jahrzehnten war er einer der Einflussreichsten und Bestgehassten, einer der Wortgewaltigen und Vielgelesenen. Er galt als die Personifikation des politischen Intellektuellen, der nichts mehr verabscheute als den "Virus der Neutralität" oder den Rückzug in einen Elfenbeinturm. Sein Werk war ein brisantes Amalgam von (Sensations-) Journalismus, Essayistik, Literatur und Agitation – und Arthur Koestler hatte nie Deckung hinter seinen Schreibtischen gesucht, er kannte keine Scheu vor Rednertribünen und suchte stets die Einmischung und Konfrontation. Und dennoch sind inzwischen fast alle seine Reportagen, Romane und politischen Essays nur noch in Antiquariaten zu finden.

1940 hatte er jenen Roman veröffentlicht, der ihn international berühmt machte: "Darkness At Noon" ("Sonnenfinsternis"), in dem er versucht hatte, das Rätsel der Geständnisse und Selbstbezichtigungen der alten Kampfgefährten Lenins bei den Moskauer Schauprozessen der dreißiger Jahre zu lösen. (Er kam der Wahrheit nahe, obwohl bis dahin kaum Nachrichten nach außen gedrungen waren). Mit der morgendlichen Verhaftung zu Beginn wie mit der demütigenden Exekution am Ende verweist er auf Franz Kafkas berühmten Roman "Der Prozess" – so als wollte er dessen Konkretion und Entschlüsselung nachliefern.

Der Feind des Stalinismus

In "Sonnenfinsternis" wird eine doppelte Entwicklung sichtbar: zum einen die Loslösung des Angeklagten Rubaschow – der Züge von Nikolai Bucharin, Karl Radek und seinem Autor trägt – von der kommunistischen Bewegung, zum andern deren zunehmende Leuchtkraft. Nicht zuletzt durch die Parallelisierung mit der Französischen Revolution gewann der Stalinismus die Würde eines philosophischen Entwurfs (der Fehlschluss dieses Entwurfs war der, dass im Blick auf die große Zahl der Opfer auf eine große Idee geschlossen wurde).

Neben George Orwells "Nineteen Eighty-Four" ("1984") ist "Sonnenfinsternis" der berühmteste Roman über den Stalinismus und die staatskommunistischen Lager geworden; und vermutlich haben nur wenige andere literarische Werke eine größere politische Sprengkraft entfaltet. Koestler, der seine Strategie und seine Stilistik in den dreißiger Jahren im "Konzern" des kommunistischen Zeitungsverlegers Willi Münzenberg gelernt hatte, hätte kaum Einwände dagegen gehabt, wenn man seinen in 30 Sprachen übersetzten Roman eine "ideologische Waffe" genannt hätte. Die französische KP trug zum Erfolg von "Sonnenfinsternis" bei, indem sie versuchte, die gesamte erste Auflage aufzukaufen.

In Deutschland entfaltete sein Essay "Der Yogi und der Kommissar", den Axel Eggebrecht 1945 in den "Nordwestdeutschen Heften" publiziert hatte, eine fast noch stärkere Wirkung als "Sonnenfinsternis", weil die Leser mit einem scharfsichtigen Bild des Kommunismus konfrontiert wurden, das wenig mit dem Schlagwort vom "jüdischen Weltbolschewismus" und noch weniger mit der pompösen Theaterdekoration der Nachkriegszeit im Osten zu tun hatte.

In seinem späteren Roman "The Age of Longing" ("Gottes Thron steht leer", 1951) schilderte Koestler im Gewand einer negativen Utopie boshaft und hellsichtig die Verführbarkeit der Intellektuellen und attackiert die Rolle der westlichen Sympathisanten des Sowjetkommunismus, die man damals als "fellow-traveller"bezeichnete.

Schauplatz des Romangeschehens ist Paris, wo der Autor mit den "Mandarinen" auf vertrautem Fuß verkehrte: mit Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Albert Camus ebenso wie mit Raymond Aron oder mit André Malraux, der vom Spanienkämpfer zum kulturpolitischen Berater von Charles de Gaulles aufgestiegen war. Leitmotiv des Romans ist der "Sehnsuchtsbazillus" der Intellektuellen angesichts eines "verwaisten Himmels". Frankreich steht am Vorabend durch die Invasion der "Friedensmacht" Sowjetrussland, Deutschland und Österreich sind bereits "befriedet" , Wien heißt "Wienograd" . Die französischen Intellektuellen bereiten sich auf die "Befreiung" vor, indem sie Namenslisten von schädlichen Volksfeinden in den eigenen Kreisen erstellen – die Listen, gespeist aus Neid und Missgunst, sind so umfangreich, dass selbst der Abgesandte des sowjetischen NKWD sie nicht verwenden kann. "Gottes Thron steht leer" ist nicht Koestlers bester, aber sein boshaftester Roman – vielleicht wurde er auch deshalb so gut vergessen.

Danach wurde der politische Erfolgsschriftsteller und Funktionär ruhiger: er habe das Gefühl, alles gesagt zu haben, was über die Faszinationskraft des Kommunismus gesagt werden konnte; "Kassandra ist heiser geworden und muss neue Wege gehen", schrieb er im Vorwort zu seinem Aufsatzband "Die Fährte des Dinosauriers" (1955). Und 1980 resümierte er, in der ersten Hälfte seines Lebens sei er "auf der Suche nach Utopia" gewesen, in der zweiten "auf der Suche nach einer Synthese". Er wollte weiter wachrütteln, doch nun waren es psychologische und naturwissenschaftliche Themen, die ihn zu Spekulationen und erfolgreichen Sachbüchern verlockten. Es ging um Haustiere, genetische Veränderungen und Parapsychologie, zuletzt um das Recht auf einen selbstbestimmten Tod. Den hat er, 1983, gemeinsam mit seiner Frau Cynthia, gefunden. Zuvor hatte er noch einem Biographen freundlich die Feder gelenkt.

Doch zur Ruhe kam er noch nicht. Zwölf Jahre nach seinem Tod outete Michael Foot, der frühere Chef der englischen Labour Party, Koestler in der "Financial Times" als Vergewaltiger; und vier Jahre darauf erschien die Biographie von David Cesarani (sie ist nicht ins Deutsche übersetzt worden), die weitere Vorwürfe hinzufügte. Studenten im schottischen Edinburgh drohten daraufhin, eine Statue des Autors zu zerstören, wenn sie nicht aus dem Park der Universität verschwinden würde.

Koestlers Judentum

Wie wenig Koestlers Leben und Werk ausgeleuchtet war, zeigte zuletzt die Biographie aus der Feder des jungen Berliner Judaisten Christian Buckard. In ihr ist von Stalinismus nicht mehr viel die Rede, auch nicht von Koestlers krimineller Rastlosigkeit, und auch nicht vom manchmal schrullig wirkenden Sachbuchautor der späten Jahre. Stattdessen wird der jüdische Einfluss auf Koestlers Leben untersucht – ein Aspekt, der bisher kaum auf Interesse gestoßen ist, zumal Koestler selbst, nach der Bedeutung seiner jüdischen Herkunft befragt, ausweichend bis verneinend geantwortet hatte. Es war eine seiner wiederkehrenden Thesen, dass am Antisemitismus auch die nicht assimilierten Juden schuld seien. Buckard folgt den Spuren des jungen Koestler, der sich in Wien einer schlagenden Verbindung von Zionisten anschließt, sich dort mit Otto Weiningers antisemitischen Attacken auseinandersetzt und mit Theodor Herzls Programmen, der in Palästina Erfahrungen mit dem Kibbuz-Leben sammelt, Anhänger des konfliktfreien Zusammenlebens zwischen Arabern und Zionisten wird, aber auch mit terroristischen Aktionen sympathisiert. Später ging Koestler auf Distanz zum Zionismus: "Ich betrachte mich erstens als Mitglied der europäischen Gemeinschaft, zweitens als naturalisierter britischer Bürger unbestimmter mischrassiger Herkunft, der die ethischen Werte unserer hellenisch-judäo-christlichen Tradition akzeptiert und ihre Dogmen ablehnt".

Buckard lieferte eher eine Ergänzung zum bereits Bekannten als ein vollständiges oder gar ein neues Koestler-Bild. Die Erinnerungen an den leidenschaftlichen politischen Kämpfer werden dagegen geweckt durch die vor wenigen Wochen erschienenen ersten Auszüge aus Koestlers Tagebüchern, in denen er seine Reise nach Berlin im Jahr 1950 kommentiert.

"Ja, ja oder Nein, nein"

Im Juni 1950 fand in Westberlin der "Kongress für Kulturelle Freiheit" statt, bei dem sich rund 120 Schriftsteller und Intellektuelle aus 21 Ländern trafen, darunter James Burnham, Sidney Hook, Hugh Trevor Roper, David Rousset, Sebastian Haffner, Carlo Schmid, Alfred Weber, Raymond Aron und Franz Borkenau; aus Wien war der Atomphysiker Hans Thirring angereist. Auch einige Schriftsteller wie Theodor Plievier, Walter Mehring, Luise Rinser, Ignazio Silone und Carl Zuckmayer gehörten zu den Teilnehmern.

Koestler forderte angesichts der jüngsten Nachrichten vom Angriff der kommunistischen Truppen Nordkoreas auf den Süden ein klares "Ja, ja oder Nein, nein" und rief den Teilnehmern des Kongresses zu: "Freunde, die Freiheit hat die Offensive ergriffen" . Dem ließ dieser moderne Kreuzritter, der im Spanischen Bürgerkrieg die Kerker General Francos kennen gelernt hatte und aus der Todeszelle befreit worden war (dokumentiert in seinem "Spanischen Testament"), ein paar Tage später einen Aufruf für eine "europäische Freiheitslegion" folgen. Neutralismus wird von ihm als "die raffinierteste Form des intellektuellen Betrugs und vielleicht die verachtenswerteste" gebrandmarkt.

Sein Engagement, seine Rast- und Rücksichtslosigkeit haben ihm viele Feinde eingetragen, nicht nur im kommunistischen Lager, wo er als amerikanischer Agent denunziert oder als "Befehlshaber im Hauptquartier des Kalten Krieges" dämonisiert wurde. Ignazio Silone hat ihn (während des Berliner Kongresses) einen "Cosmopolitan Gigolo" genannt, und Gershom Scholem registriert in seinem Tagebuch (1945) beim Gedanken an Koestler die Empfindung von "Greuel" . Weniger feindselig klingt ein Titel, den ihm einer seiner Freunde verliehen hat: Koestler sei "der letzte Renaissancemensch" gewesen.

Auch wenn demnächst einmal alle seine Bücher vom Markt verschwunden sein werden, so ist es kein Wagnis, Koestlers Wiederkehr zu prophezeien, denn seine antitotalitäre Frontstellung und seine kämpferischen wie suggestiven Formeln haben tiefe Fährten hinterlassen und nicht nur die Literatur seiner Zeit geprägt.

  • Literatur: Christian Buckard: Arthur Koestler. Ein extremes Leben. C. H. Beck Verlag, München 2004.
  • Aus Koestlers Tagebüchern, herausgegeben von Stephan Lahrem, in: "Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat", Nr.17.

Michael Rohrwasser, geboren 1949, wird ab dem Wintersemester 2005 an der Universität Wien als Professor für Neuere deutsche Literatur tätig sein. Verfasser der Studie "Der Stalinismus und die Renegaten".

Freitag, 02. September 2005

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