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In Aserbaidschan schwelen ungelöste Konflikte

Warten auf den Krieg

Von Marc Tornow

Südlich der Provinzhauptstadt Ganca, im westlichen Aserbaidschan, weht ein scharfer Wind über karges Hügelland. "Weiter kommen wir nicht", ruft Fahrer Ramin Achmadow. Nur einen Steinwurf weiter, so scheint es, liegen die besetzten Territorien von Berg-Karabach. Davor ist militärisches Sperrgebiet, dahinter das überwiegend von Armeniern besiedelte Land. Die Spannungen zwischen beiden Völkern mündeten 1992 in einen offenen Krieg, bei dem Armenien den Karabach an sich band.

Tatsächlich wurden von den Truppen Jerewans nicht nur die fraglichen Gebirgszüge des südlichen Kaukasus "zurückgeholt", sondern dazu noch Städte und Landstriche weiter im Osten. Diese hatten nie zur Disposition gestanden, lebten doch hier ausschließlich Aseris. Zwanzig Prozent des aserbaidschanischen Gebiets gingen dadurch an Armenien über. Dem Zwist lägen vor allem sozioökonomische Ursachen zugrunde, während der Streit zwischen Moslems und Christen weniger ins Gewicht falle, sagt der Turkologe Hendrik Fenz über den knapp 100 Jahre schwelenden Konflikt. Die Folgen sind jedoch für beide Seiten verheerend: Auf aserbaidschanischer Seite gelten gut eine Millionen Menschen als Flüchtlinge im eigenen Land. Die Armenier haben zwar den Berg-Karabach für sich gewonnen, dort aber fristen sie, wie der UN-Kommissar für Flüchtlingsfragen (UNHCR) mitteilt, ein ärmliches Dasein, seit im Krieg Häuser und Infrastruktur zerstört wurden.

"Die Erde unserer Väter"

"Wir wollen keinen Krieg", erklärt Salim Khanizade, Dolmetscher in Baku. "Aber wenn die Armenier nicht die vier UNO-Resolutionen befolgen und endlich unser Land räumen, werden wir zur Waffe greifen." Wie er fiebern viele Aseris quer durch alle Bevölkerungsschichten der Lösung des Konflikts entgegen. Selbst auf Hochzeitsfeiern wird theatralisch von "der verlorenen Heimat Berg-Karabach" gesungen. Das soll die Trauer lebendig erhalten und die Schmach unterstreichen, welche Aserbaidschan erdulde, erklärt Arkiw Gulijew. Er lebte noch vor zwölf Jahren in Cäbrayiul, einem Städtchen am Rande des umstrittenen Berg-Karabach. "Unsere Häuser, unsere Reichtümer sind alle weg - gut. Auf die Erde unserer Väter können wir aber niemals verzichten, selbst wenn es Krieg gibt!", sagt Gulijew. Doch der erste Schuss könnte nach hinten losgehen, seit sich das mächtige Russland immer stärker als wirtschaftlicher und vor allem militärischer Partner an die Seite Armeniens stellt.

Gegen die Nachbarn im Westen wettert auch Viktor Klein, der zur deutschen Minderheit gehört und das "Hausen der verfluchten Armenier" bitter beklagt. Nachdem Aserbaidschan von 1917 bis 1921 unabhängig gewesen war, ging unter Sowjet-Kontrolle eine Welle von Enteignungen über die Region hinweg. Sie machte auch vor Helenendorf, der Siedlung der Deutschen, nicht Halt. Schließlich wurde die Kirche samt historischer Orgel zerstört. "Natürlich von Armeniern", sagt der 68-Jährige, der als letzter lebender Deutscher Aserbaidschans gilt, dessen schwäbische Ahnen im 19. Jahrhundert hier angesiedelt wurden. Die Einwohner von Helenendorf wurden 1941 von Stalin zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt. Kleins Familie überlebte als einzige, dank guter Beziehungen zu einem General. "Herr Klein und sein Haus sind gelebte Geschichte", sagt Jaqueline Grewlich-Suchet. Die Frau des deutschen Botschafters in Baku will das Anwesen als Museum erhalten.

Auf dem ethnischen Flickenteppich des Kaukasus liegt das Dorf der Deutschen wie eine bizarre Enklave, ein lebendes Freilichtmuseum in Sichtweite zum Berg-Karabach. Doch nicht nur Armenien und Aserbaidschan stehen hier einander feindlich gegenüber. Im benachbarten Georgien rebellieren die Abchasier, weiter im Norden gibt es Streit um Ossetien, Inguschetien und schließlich Tschetschenien.

In der Provinzhauptstadt Ganca geht der Alltag indessen seinen gewohnten Gang. Heerscharen von Männern sitzen in schlecht geschneiderten Anzügen auf Parkbänken und vertreiben sich die Zeit mit lebhaften Diskussionen oder Kartenspiel. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 2 Prozent, inoffiziell bei 40 Prozent. Eine Ursache für die Misere ist der Niedergang der hoch subventionierten Kombinate. Sie stehen heute als geisterhafte Industrieruinen entlang der rund 300 Kilometer langen Bahnstrecke, die in die Hauptstadt Baku führt.

Allein dort, in der mondänen Kapitale am Kaspischen Meer, scheint die Wirtschaft besser dazustehen als landesweit. Das Ölgeschäft ist im Kommen und führt das Wachstum von etwa 11 Prozent herbei. Schon oberhalb der Altstadt von Baku wird gefördert, drehen sich Pferdekopf-Pumpen in rostigen Gliedern. In der Nähe wurden die ehemaligen Kirow-Gärten zu einem Heldenfriedhof für die Gefallenen des Berg-Karabach-Konflikts umgestaltet. Das große Standbild Kirows wich einem Mahnmal. Von dort aus ist die Innenstadt mit ihren eklektizistischen Bürgerhäusern zu sehen. Sie künden vom Reichtum um 1900, als Aserbaidschan für die Hälfte des weltweiten Ölbedarfs aufkam. Vom früheren Wohlstand ist aber heute bei Durchschnittslöhnen von etwa 50 Euro pro Monat nichts geblieben. Schäbige Plattenbauten nehmen die sichelförmig am Meer gelegene Stadt in die Zange. Eine der Neubausiedlungen heißt "Völkerfreundschaft". Außer solchen Namen erinnert nur wenig an die Vergangenheit des Landes in der Union der Sowjetrepubliken. Denn auch die kyrillische Schrift wurde durch das Aseri-Alphabet ersetzt.

Hinter dem Stadtrand stehen unzählige Ölbohrtürme im sandigen Boden. Die Abscheron Halbinsel ist von den vielen technischen Eingriffen zerstört. Wie auch auf den Bohrinseln im grün leuchtenden Meer laufen hier beträchtliche Ölmengen aus. Der Mangel an Investitionen in die veraltete Erdölindustrie macht aus der Region ein ökologisches Katastrophengebiet. Dieses reicht bis an die als Touristenattraktion ausgelobten Strände von Bilgäh und das Heiligtum Ali Ayagi. Dort kann der im Fels sichtbare Abdruck des Imam Ali besichtigt werden, der von den schiitischen Moslems verehrt wird.

Besuch bei einem Mullah

Der blinde Mullah von Ali Ayagi ist ein gastfreundlicher Mann. Bei Keksen und Tschai, dem typischen Schwarztee, plaudert er über Gott und die Welt. Selbst unter sowjetischer Herrschaft habe er ungestört arbeiten dürfen, während landesweit die Ausübung des Islam als "Opium fürs Volk" abgetan wurde. Seine Glaubensbrüder im Hintergrund nicken. Ein weiteres Konfliktpotential wird hier erkennbar: Der Norden Irans gilt in Aserbaidschan als Siedlungsgebiet der Aseris. Etwa 18 Millionen von ihnen leben jenseits der Grenze im islamischen Gottesstaat. Sie könnten Anschluss an das Mutterland suchen. Schon ist in Baku bei der "Gesamt Aserbaidschanischen Union" (BAB) von einem "Groß-Aserbaidschan" die Rede, das neben Berg-Karabach sowie Teilen Georgiens auch das russische Dagestan, den Nordosten des Irak und eben Nord-Iran umfassen soll. Eine Vorstellung, die in Teheran Nervosität hervorruft und die Unterstützung Irans für das christliche Armenien im Konflikt um Berg-Karabach erklärt. Zum Abschied von Ali Ayagi soll sich der Besucher im Gästebuch verewigen - und folgt dort dem Eintrag von Ilham Alijew, dem im Oktober 2003 ins Amt gehobenen Präsidenten Aserbaidschans.

Vater Hejdar Alijew, der ehemalige Führer des Landes, baute seinen Sohn zum Nachfolger auf. Mit seiner Rückendeckung mauserte sich Ilham Alijew vom Boss des staatlichen Ölkonzerns über den Posten des Parlaments- und Ministerpräsidenten bis zum Staatschef der 7,4 Millionen Einwohner zählenden Republik. Der "junge Führer", wie er sich auf Plakaten feiern lässt, beteiligt sich gern am Glücksspiel. Mehrere Millionen US-Dollar fielen so der Spielbank Baku zu.

Wahlbetrug

"Die Alijews haben das Land absichtlich in eine Situation gebracht, bei der die Einwohner nur ans blanke Überleben denken und die Herrschenden ungestört Macht und Geld unter sich aufteilen," beklagt ein Aseri, der den langen Arm des Nationalen Sicherheitsdienstes (MTN) fürchtet und daher anonym bleiben will. Die Opposition ist nahezu mundtot gemacht, da die Medien staatlich kontrolliert werden. Beispielsweise konnten die Alijews während des Wahlkampfs 2003 im Fernsehen rund drei Stunden für sich und ihre Partei "Neues Aserbaidschan" (YAP) werben. Die sieben Oppositionsgruppen, unter ihnen die aussichtsreiche Partei "Yeni Musavat", hatten insgesamt zwölf Sekunden Sendezeit zur Verfügung, so die OSZE. Der schon im Vorfeld offensichtliche Betrug veranlasste die Europäische Union, keine Beobachter nach Baku zu schicken.

Gleichwohl sehen Experten der Region in Ilham Alijew einen Garanten für Kontinuität und Stabilität des Landes. Immerhin drohte das Land Anfang der 90er Jahre im Zuge des Krieges mit Armenien im Chaos zu versinken; Anarchie und Selbstjustiz waren an der Tagesordnung. Alijew Senior nutzte seine guten Verbindungen aus Sowjetzeiten und handelte mit Jerewan einen bis heute gültigen Waffenstillstand aus, so der Turkologe Fenz.

Dass der frühere KGB-Apparatschik Alijew und sein Sohn eine undemokratische "Erbmonarchie" installierten, hindert den Westen nicht, das Land als Partner zu hofieren. Internationale Firmenkonsortien sind am Bau einer 1.700 Kilometer langen Pipeline beteiligt, die ab 2005 Öl von Baku über Georgien nach Ceyhan in der Türkei transportieren wird. Immerhin vermuten amerikanische Geologen Ölreserven bis zu 235 Milliarden Barrel sowie unentdeckte Gasvorkommen unter dem Kaspischen Meer.

Die Investitionen der USA lohnen sich vor allem aus einem anderen Grund: Mit seinem Engagement in Aserbaidschan hat Washington einen strategisch günstigen Ausgangspunkt, sollte es zum Konflikt mit Iran kommen. Während Armenien sich auf Russland und den Iran stützt, zieht Baku durch die Partnerschaft mit den Amerikanern gleich. Neben den Ölkonzessionen hat Aserbaidschan bereits 1999 dem Westen Militärbasen auf seinem Territorium angeboten. Kein Wunder, das der noch von Hejdar Alijew 1994 unterzeichnete Öl-Deal offiziell als "Jahrhundertgeschäft" bejubelt wird.

Freitag, 28. November 2003

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