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Das iranische neue Jahr beginnt am 21. März

Die sieben „S" am Neujahrstag

Von Walter Fischer

S eit 3.000 Jahren feiern die Perser

ihr Neujahrsfest am ersten Tag

des Frühlings. Obwohl immer wieder verboten und auch von den iranischen Fundamentalisten nur geduldet, haben sich die Bräuche bis auf den heutigen Tag erhalten.

Auftakt zum Neujahrsfest ist das „Fest des Feuers", das bereits am letzten Dienstagabend vor dem Jahreswechsel stattfindet. Überall wird Dornengestrüpp aufgestapelt und nach Einbruch der Dunkelheit
angezündet. Alt und Jung springt über die Flammen, die nach der altpersischen Religion des Zarathustra eine reinigende Wirkung haben. Allerdings fallen diesem Brauch alljährlich rund eineinhalb
Millionen Kilogramm Dornbusch zum Opfer. Dornengestrüpp sollte jedoch das Ausbreiten der großen Wüsten im Iran verhindern, weshalb die Bevölkerung immer wieder aufgefordert wird, für das
traditionelle Feuerspringen Strohbündel zu verwenden.

Scharen von Kindern ziehen an diesem Abend von Haus zu Haus. Singend und mit Löffeln auf Kochtöpfe schlagend bleiben sie solange vor den Haustoren stehen, bis sie ein kleines Geschenk erhalten. Der
Grundgedanke für dieses „Löffelschlagen" war ursprünglich erzieherisch: Auch Kinder wohlhabender Eltern sollten einmal im Jahr betteln, sich demütigen.

Die jungen Mädchen wiederum folgen gerne dem Brauch des „Falgusch": In ihre „Tschadors" gehüllt, lauschen sie hinter Straßenecken und Torbögen auf die Gespräche der Passanten. Wortfetzen, die an die
Ohren der Mädchen dringen. sollen an diesem Abend eine besondere Bedeutung für das kommende Jahr haben.

Während in unseren Zonen der Jahreswechsel im tiefen Winter, oft bei Eis und Schnee, gefeiert wird, fällt er im Iran mit dem Beginn des Frühlings zusammen. Vielleicht ist es sogar sinnvoller, den
Beginn des neuen Jahres zu feiern, wenn alles zu Grünen und zu Blühen beginnt. Die Wiedergeburt der Natur wurde in Persien schon vor mehr als 3.000 Jahren besonders gefeiert. Legenden schreiben das
„Now-Ruz-Fest", wie das Neujahrsfest im Iran genannt wird, dem mythologischen König Dschamschid zu. Sicher ist, daß es bereits während des „Goldenen Zeitalters" der Archämenidenkönige gefeiert wurde.
Vor allem in der Tempel-Metropole Persepolis. Darius der Große herrschte ja vom Nil bis zum Indus. Zu Now-Ruz empfing er feierlich den Tribut seiner Völker.

Alexander der Große, der 331 v. Chr. Persepolis niederbrennen ließ, soll das persische Neujahrsfest verboten haben, doch wurde es von den Sassaniden 600 Jahre später wieder gefeiert. Als die Araber
642 n. Chr. in Persien eindrangen und die Lehre Mohammeds mit Feuer und Schwert verbreiteten, wurde auch das Now-Ruz-Fest wieder verboten. Ähnliche Tendenzen waren übrigens auch jetzt wieder nach der
Machtergreifung der Mullahs im Iran zu spüren.

Unter dem Einfluß des Islams änderte sich auch die persische Zeitrechnung. Sie richtet sich bis auf den heutigen Tag nach der „Hedschra", dem Auszug Mohammeds aus Mekka. Deshalb entspricht das erste
Jahr der iranischen Zeitrechnung dem christlichen Jahr 622. Am 21. März 1999 beginnt im Iran also das Jahr 1378.

Das Herannahen des Neujahrsfestes ist im Iran nicht zu übersehen. Die Teppiche, die auch im Heim der ärmsten Familie nicht fehlen, werden ins Freie gebracht und geklopft, oft sogar gewaschen. Now-Ruz
ist eben die Zeit der großen Frühjahrs-Putzerei in jedem Haushalt.

Da anläßlich des Neujahrsfestes Geschenke ausgetauscht und die Garderobe erneuert wird, herrscht im Bazar, in den großen Städten auch in den Kaufhäusern, beängstigendes Gedränge. Besonders gute
Geschäfte machen auch die Metzger (Lammfleisch wird bevorzugt), die Süßwaren- und Obstgeschäfte, auch die Blumenläden.

Fast in jedem Heim wird der „Haft-Sin-Tisch" sorgfältig vorbereitet. Er ist im Iran so wichtig wie bei uns der Christbaum. Wörtlich übersetzt heißt „Haft-Sin": „Sieben S", denn auf dem
Neujahrstisch müssen sieben Dinge, die alle mit dem Buchstaben „S" beginnen, aufgestelt werden. Sieben ist übrigens auch die heilige Zahl der Zoroastrer, die daran glauben, daß Zarathustra am Now-Ruz-
Tag geboren wurde.

Die sieben Dinge, die auf keinem Neujahrstisch fehlen sollten, sind: „Samanu" (ein Brei aus Weizen-Sprößlingen), „Sepand" (wilde Raute, eine Gebirgspflanze), „Sib" (Äpfel), „Sir" (Knoblauch), „Sabsi"
(glücksbringende Kräuter), „Somagh" (ein säuerliches Gewürz) und „Serkeh" (Essig). Der Essig ist zweifellos eine Konzession an das Alkoholverbot des Korans, das heute wieder strikt beachtet werden
muß; im Altertum verwendete man Wein. Bis zum Sturz des Schahs gab es übrigens in vielen Regionen des Irans Weingärten. Da die meisten Perser Moslems (zu 90 Prozent Schiiten) sind, liegt auf jedem
Neujahrstisch ein Koran.

Now-Ruz wird auch von den anderen Religionsgemeinschaften mitgefeiert. So von den rund 220.000 Armeniern, von den Juden, die teilweise ausgewandert sind (vor der „Islamischen Revolution" von 1979
lebten zirka 50.000 Juden im Iran), und auch von den rund 21.000 Anhängern der alten Zarathustra-Religion. Neben einem Spiegel und Kerzen (Licht repräsentiert das Göttliche des Zoroastrergottes Ahura
Mazda), Salz, Brot und Eier als Symbole der Fruchtbarkeit findet man auf dem Neujahrstisch auch Rosenwasser, Süßigkeiten und ein Glas mit Goldfischen. Nach einem alten Volksglauben sollen die
Goldfische den genauen Zeitpunkt des Jahreswechsels durch Aufrechtstehen im Wasser anzeigen.

Früher wurde der Beginn des neuen Jahres dem Volk durch Kanonenschüsse bekanntgegeben. Heute sorgen Radio und Fernsehen dafür, daß sich die Familie rechtzeitig um den Neujahrstisch versammelt. Von
den abwesenden und verstorbenen Familienangehörigen werden Fotos aufgestellt. Wie bei uns, so ist auch im Iran der erste Tag des neuen Jahres mit guten Vorsätzen gepflastert. Glückwünsche und Küsse
werden ausgetauscht, und je nach dem Umfang der Geldbörse auch Geschenke.

Bis zum Sturz des Schah-Regimes waren Pahlavi-Goldmünzen ein beliebtes Neujahrsgeschenk. Ähnlich wie bei uns, melden sich zu Now-Ruz auch die Müllmänner, der Postbote, der Polizist von der nächsten
Straßenecke, und viele andere Leute, auf die man während des Jahres angewiesen ist. In der Anonymität der Großstadt verschwinden allerdings auch im Iran diese Bräuche immer mehr.

Zu Now-Ruz packen Millionen von Persern die Koffer und fahren mit Auto, Bahn oder Bus in die Provinzen, um Verwandte zu besuchen oder einmal einen „Tapetenwechsel" vorzunehmen. Wer daheimbleibt,
zieht mit Kind und Kegel zu den beliebten Picknickplätzen an die Flußufer, die mit Zehntausenden Menschen überfüllt sind. Mitgebrachte Büschel Gras, die schon Wochen vor Now-Ruz in Blumentöpfen
eingepflanzt wurden, werden in Flüsse und Bäche geworfen, um dadurch jedes Unheil für die nächsten zwölf Monate loszuwerden.

Auch im Iran hat sich in den letzten Jahrzehnten das Neujahrsfest gewandelt. Statt einem persönlichen Neujahrsbesuch im Haus werden nun Millionen von Neujahrswünschen der Post anvertraut. Typisch ist
auch das Verschwinden des „Hadschi Firuz", einer lustigen Figur, die mit schwarz bemalten Gesicht (Erinnerung an die Sklaverei?), roter Kleidung und spitzem Hut oder Turban von Haus zu Haus zog und
das neue Jahr verkündete. Als Glücksbringer war er überall gerne gesehen. Heute kommt er allerdings nur mehr selten . . .

Freitag, 19. März 1999

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