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Über die Glasinstrumenteerzeuger an der Universität Wien

Der faszinierende Werkstoff

Von Andrea Traxler

Glasbläser/in, für befristetes Dienstverhältnis (Karenzurlaubsvertretung) gesucht. Tätigkeit: Erzeugung von chemisch technischen Apparaten aus Geräteglas und Quarzglas. Dienstgeber: Institut für anorganische Chemie, Universität Wien.

Wie das? Es gibt eine institutseigene Glasbläserei? Die Institutsgemäuer beherbergen eine eigene Glaswerkstatt? Im Institut selbst werden die gläsernen Hilfsmittel produziert? Wie sieht es dort aus? Wo ist sie untergebracht, die Glasbläserei, was wird dort im Einzelnen produziert, und, und, und . . . Es gibt nicht nur eine, es gibt drei davon in Wien? Das ist ja hochinteressant . . .

"Wos wolln's denn do sehn, Se hom jo a romantische Vurstöllung. Wissn's wos: ma steht do, in da Kurzn und an Leiwerl, es is haas, es is laut und ma schwitzt." - Hm, nun ja, aber . . . ein paar fachliche Fragen, und das eine und andere doch ansehen, was so produziert wird, und ob und wodurch die Werkstätten sich unterscheiden. "Na dann kummans hoit, - owa Show moch i ihna kane, i bin jo ka Aff in Schönbrunn, den ma angafft. Die Leut solln noch Murano gehn, wanns wos sehn wolln, - um solche Gelüste zu befriedigen."

Dort gehen sie auch vielfach hin, die Leut. Denn, denkt man an Erzeugnisse, die eine Glasbläserei hervorbringt, so sieht man, wie auch nicht, zunächst Trinkgläser, Vasen, Flaschen, Schüsseln, Lampen und andere zerbrechliche "Schöner-Wohnen"-Accessoires vorüberziehen. Und diese Gegenstände, von einigem Nutzen mitunter, vermögen durch ihre unterschiedlichsten, teils schmerzhaft geschmacklosen, teils beeindruckend fantasievollen Ausführungen eine Bilderwelt hervorzubringen, die einen primär nicht unbedingt an Anstrengung während der Herstellung denken lässt. Vor allem dann, wenn die Wahrnehmung mit transparenten "Spielereien" konfrontiert wird, etwa einer Serie von Flaschen mit erstaunlichem Inhalt, "Kamasutra" mit Namen.

Und die am allerwenigsten dem Nutzen verpflichteten Produkte, wie Glaskugeln und -glöckchen, die aussehen als könnte es sie gar nicht geben, oder allerhand filigranes Glasgetier, vermögen schon gar nicht eine gewissermaßen romantische Vorstellung einer Glasbläserwerkstätte zu verdrängen. - "Des ärgert mi eh!" - Möge man die Ausbeute nun reizvoll finden oder nicht.

Enger wird der Bewegungsraum in den schwärmerischen Sphären, unternimmt man den Versuch, sich die Produktion von Fensterglas und optischen Gläsern auszumalen, oder die der geschwungenen Schriftzüge aus den fünfziger Jahren, die, selten aber immer noch, nachts bunt über so manchem Geschäftsportal leuchten.

Hat man noch nie in eine Glasbläserei Einblick genommen, kann man sich durchaus vorstellen, dass das Glasblasen an sich, ob des gezielten und zuweilen gewiss beträchtlichen Einsatzes der Atemluft, doch mit erheblicher Anstrengung verbunden sein wird. Nichts desto trotz gestattet man sich zu vermuten, dass eine Tätigkeit solcher Art nicht bar jeder Romantik sein kann, handelt es sich doch immerhin um einen überaus faszinierenden Werkstoff, der hier zur Verarbeitung kommt.

Glas. Wie das schon klingt. Die Klänge der von Benjamin Franklin 1761 erfundenen Glasharmonika beispielsweise, die sphärisch schwingend trefflich der in der Frühromantik hochtönend ausgearbeiteten Empfindsamkeit entsprochen haben müssen. Nicht zuletzt konnten sich Mozart, Beethoven, Berlioz, Tschaikowsky und viele andere für diese gläsernen Klänge erwärmen, werden doch auch gegenwärtig musikalische Glasinstrumente gespielt und fabriziert. Etwa die Glaspanflöten von Martin Fuchs oder das von Sascha Reckert entwickelte Verrophon. Glasfanfaren, Glasglocken und Glasxylophon erklingen in dem 1897 gegründeten und bis heute aktiven Blasorchester des Jenaer Glaswerks Schott.

Das erstaunliche Material

Und wird einem doch auch in der Literatur, so in Georg Rendls erstem und einzigem Salzburger Industrieroman aus den dreißiger Jahren: "Die Glasbläser von Bürmoos", oder dem im letzten Jahr erschienenen, in Thüringen um die Jahrhundertwende angesiedelten Roman von Petra Durst-Benning: "Die Glasbläserin", oder einem 1999 erschienenen Teil einer Irland-Trilogie von Nora Roberts: "Töchter des Feuers" vermittelt, dass das Verarbeiten dieses erstaunlichen Materials eine bemerkenswerte Anziehungskraft haben muss.

Wie unbegreifbar greifbar dieser Werkstoff wirken kann, hat Gerhart Hauptmann in seiner "Ährenlese" einzufangen versucht: "Glas, Glas, / was ist das? / Es ist und ist nicht, / es ist Licht und kein Licht, / es ist Luft und nicht Luft, / es ist duftloser Duft. / Und doch ist es hart, / ungesehen harte Gegenwart / dem gefangenen Vogel, der es nicht sieht / und den es in die Weite zieht."

Dass diesem gläsernen Fluidum auch Stoff für Metaphern innewohnt, wird in Gabriele d'Annunzios "Der Kamerad mit den wimpernlosen Augen" vorgeführt, wo der Erzähler, überwältigt von einer literarischen Schaffensphase, trotz des erloschenen Kaminfeuers die Kälte nicht spürt: "Mir war vielmehr, als würde ich gemeinsam mit den Glasbläsern von Murano vor dem Schmelzofen atmen, als hielte ich nicht meine Feder in der Hand, sondern die Glasbläserpfeife, an deren Spitze sich das geschmolzene Glas befand, als würde mir nicht meine stille Olivenöllampe Licht spenden, sondern die Flammen des großen glühenden Altars."

In den institutseigenen Glasbläsereien aber, hat man es nicht mit Glasbläsern zu tun, sondern mit Glasinstrumenteerzeugern, und das ist nun einmal nicht romantisch, auch wenn der zu verarbeitende, den Unbedarften so sehr faszinierende Werkstoff sich oberflächlich besehen wenig von dem unterscheidet, den die Glasbläser bearbeiten, bis auf die farbliche Vielfalt vielleicht. Dringt man tiefer in die Mysterien der Glasinstrumenteerzeugung ein, zeigt sich, dass Glas nicht gleich Glas ist, kann doch in der Erzeugung von Laborgerät ausschließlich chemisch und thermisch hochresistentes Material zum Einsatz kommen. Borosilicatglas vorzugsweise, entwickelt um 1887 von Otto Schott.

Dass die Institutstüren, dahinter wunderliche Apparaturen produziert werden, dennoch mit "Glasbläserei" beschildert sind, hat pragmatische Hintergründe, schließlich wäre "Glasinstrumenteerzeugerwerkstätte" für ein Türschild zu lang. Und dass für die Tätigkeit in einer institutseigenen Werkstatt anstelle eines Glasinstrumenteerzeugers ein Glasbläser gesucht wird, hat folgerichtig eine innere Logik, steht ja doch Glasbläserei an der Tür. Aber das ist sophistisch.

Was wird also produziert dort, im Verborgenen? Sämtliche Eprouvetten, die oft nur im Einwegverfahren benutzt werden können? Alle möglichen Bestandteile von Laborapparaten wie Einweg-, Zweiweg-, Dreiweghähne, Rundkolben, Einhals-, Mehrhalskolben, Kühler, Gewindestücke, Sinterglasplättchen? Nein, Produkte, die Normschliffen entsprechen, werden vorzugsweise vom Glaswerk Schott bezogen sowie Glasröhren (meist von einem Meter Länge) in unterschiedlichen Stärken und Dimensionen. Diese als Rohlinge bezeichneten Werkstücke, eingedenk bodenständiger Semantik erheiternder Weise mit einem derartigen Terminus geführt, sind wesentlicher Bestandteil des gläsernen Fundus eines Glasinstrumenteerzeugers. Den Erfordernissen gemäß werden diese Rohlinge zivilisiert, mit Normschliffen oder individuell hergestellten Stücken verbunden und verschmolzen, wobei die der Vereinigung zugedachten Teile von gleicher Qualität sein müssen. Dem kundigen Glasinstrumenteerzeugerauge genügt ein Blick, um an der zartgrünen bis zartgelblichen Tönung der Wandstärke, die Qualität des Glases erkennen zu können, zudem sich die Glasröhrenrohlinge durch einen eingearbeiteten dünnen, farbigen Faden unterscheiden lassen.

Strenges Glas, mildes Glas

Angesichts dieser Raffinessen in hohem Maße staunend, lässt man sich als Dilettant sorglos dazu hinreißen, der Einfachheit halber in "hartes" und "weiches" Glas zu unterscheiden, was einem Kenner seiner Profession ein gerade noch nachsichtiges, aber wehes Lächeln entlocken kann, ob der falschen Bezeichnung, handelt es sich doch bei ersterem um ein bei hoher Temperatur erweichendes Glas im Gegensatz zu schon bei niederer Temperatur schmelzendem Glas, also um einerseits schmelzhartes oder strenges und andererseits schmelzweiches oder mildes Glas.

Verlangt ein Experiment unter hoher Hitze durchgeführt zu werden, oder eine chemische Operation eine noch resistentere gläserne Umhüllung, findet Quarzglas Verwendung, das seiner hohen Dichte, bzw. seiner Schmelzhärte oder Strenge wegen, auch in der Bearbeitung eine höhere Hitze, somit eine größere Flamme und Lampe fordert.

Und die zur Bearbeitung aller Arten von Glas notwendige Lampe ist nun das Herz einer Glasbläserei, das zwar nicht pocht, doch ständig lodert. Ein mit einem innigen Gemenge aus Gas, Luft und gegebenenfalls Sauerstoff zu beschickendes, verfeinertes Modell des von R. W. Bunsen 1855 entwickelten Leuchtgasbrenners, das stufenlos regulierbar die unterschiedlichsten Flammen imstande ist zu entwickeln. Die Lampe oder der Brenner liefert alle Übergänge von einer feinen Stichflamme über eine rußende, milde Flamme, bis hin zu einer großen, rauschenden so genannten Besen- oder Brauseflamme, die schon gehörigen Lärm verursacht. Spätestens die eine derart lärmende Flamme verursachende Hitze kann den Glasinstrumenteerzeuger in die anfangs zitierte geringstoffliche Umhüllung treiben. Dicht am heißen Geschehen dann, unter geschickter Führung der kenntnisreichen Glasinstrumenteerzeugerhände, verwandelt er den Rohling in eine glühende Masse. In dem Bewusstsein, dass Glas keinen Schmelzpunkt, sondern einen Schmelzbereich hat, wird es in dem dafür geeigneten Augenblick auf wunderbarste Weise in Form gebracht. Es mag in gewisser Hinsicht redundant sein, da solche Bilder, wie die der ewigen Sonnenuntergänge, hinlänglich bekannt sind - das Schauspiel des in der blau-orangefarbenen Flamme entstehenden Gegenstandes ist überaus anziehend. Schenkt man etwa einem Kühler seine gesamte Aufmerksamkeit, in dessen Innenraum eine Spirale oder gar Doppelspirale sichtbar ist, könnte es durchaus sein, dass man dem Impuls nachgibt, lyrisch werden zu wollen, ungern aber möchte man sich blamieren.

Wie entflammend die teils übermannshohen Apparate wirken können, deren sprudelndes, blubberndes, rinnendes, tropfendes, dampfendes Innenleben durch das Glas zu sehen ist, wird spürbar wenn man davorsteht. In einer solchen gläsernen Anlage offenbart sich einem die gesamte Glasinstrumenteerzeugerkunst. Nicht auszudenken, wenn die Verbindungen der einzelnen Teile, durch die eine chemische Lösung oder auch nur Wasser seinen Weg nimmt, nicht stimmen.

Zuweilen werden dem Glasinstrumenteerzeuger mehr oder weniger schwungvoll zu Papier gebrachte Skizzen von Apparateteilen oder ganzen Apparaturen vorgelegt, da die gläsernen Normen für so manche Versuche nicht ausreichen. Nebst Papier und Schreibgerät, um unter anderem je nach subjektiver Vorgangsweise einen solchen Entwurf in einen klaren Bauplan verwandeln zu können, bildet ein vielfältiges Sortiment Werkzeuge, wie etwa Glasmesser, Kohlestücke, Sprengdrähte, Messingblech- und Kupferdrahtpyramiden, Greifzirkel, Holzklammern, Messkeile, Innentaster, Schublehren, in variantenreichen Ausführungen, die Hilfsfraktion in der Werkstätte.

In der Glasbläserei der Technischen Universität bietet sich für Studenten die Möglichkeit, in zwei Semestern mit der äußerst faszinierenden "Viskosität des Glases" vertraut zu werden. Sehr subtil und fundiert, mit nach Jahrzehnten unverminderter Freude, wird den Wissensdurstigen die Handhabung mit dem wunderlichen Material und dessen Besonderheiten vermittelt. Und es sind nicht nur angehende Chemiker, die diese Kurse belegen. Beweggrund für dieses Angebot ist ein sehr sympathischer Gedanke: sollte doch ein Chemiker im Einzelnen das Trägermaterial chemischer Operationen kennen lernen und wissen, wie es sich verhält, was es aushält und welcher Behandlung es nicht standhält.

Ob denn durch Unachtsamkeit oder ungeschickte Handhabung viele Apparateteile zu Bruch gingen? - "Naja, Glasmörder gibt's schon auch."

Freitag, 21. Dezember 2001

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