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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Über den schwierigen Dialog zwischen Ökonomie und Ökologie

Preisschildchen für Schmetterlinge?

Von Nanna Rapp

Daß der Umgang mit den natürlichen Ressourcen kontrovers diskutiert wird, ist nichts Neues. Auch daß sich die ideologischen Fronten zwischen Ökonomen und Ökologen ziemlich verhärtet haben, erstaunt da nicht. Sind die Ökologen denn etwa nicht die unsystematischen Müsli-Spinner, die eigentlich am liebsten alles verbieten möchten, was breiten Schichten der Bevölkerung das Leben angenehmer macht? Und sind die Ökonomen denn nicht ohne Rücksicht auf Verluste am Raffen interessiert? Haben wir es denn nicht auf der einen Seite mit naiven Handstrickpulliträgern und auf der anderen Seite mit geldgeilen Schlipsträgern zu tun?

Ein großer Teil der Verständigungsschwierigkeiten zwischen Ökonomie und Ökologie beruht auf festgefahrenen Vorstellungen von den Ideen und Interessen der "anderen Seite". Liebgewonnene Vorurteile verbauen den Zugang zu integrativen Lösungen, und Mißverständnisse über die Bedeutung von Fachbegriffen verhindern Konsens auch dort, wo er ohne zu große Zugeständnisse möglich wäre.

So wird im allgemeinen verkannt, daß es einen erheblichen Unterschied zwischen ökonomischem Denken und unternehmerischer Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf Verluste gibt. Eine der grundlegenden ökonomischen Fragen läßt sich zwar etwas flapsig als "Was bringt es, was kostet es?" formulieren, was sich leicht als einseitige Orientierung am schnöden Mammon interpretieren läßt.

Übersehen werden dabei aber zwei wesentliche Punkte: Der erste betrifft die Perspektive der Frage, der zweite die Art der einbezogenen Gewinne und Kosten.

So ist die ökonomische Theorie durchaus in der Lage, die Frage nach der richtigen Umweltqualität aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht zu untersuchen. Es geht dann darum, was es der Gesellschaft bringt und was es sie kostet, etwa die Umweltqualität zu verbessern. An die Stelle der Gewinnmaximierung tritt die Wohlfahrtsmaximierung. Man kann es also nicht der ökonomischen Theorie anlasten, wenn politische Entscheidungen kaum Rücksicht auf ökologische Werte nehmen. Die Begründungen für solche Entscheidungen werden nicht von der ökonomischen Theorie diktiert.

Die ökonomischen Sachzwänge, die so oft gegen die Umweltschützer ins Feld geführt werden, gibt es denn auch nicht. Die Ökonomie zwingt zu gar nichts, immer steht es der Gesellschaft frei, sich für die gewünschte Alternative zu entscheiden. Die Theorie liefert hingegen ein systematisches Konzept zur Entscheidungsunterstützung, wenn sie die Konsequenzen einer Handlung einander gegenüberstellt.

Wichtig ist aus ökonomischer Sicht nur, daß eine effiziente Lösung gewählt wird, das heißt, keine Ressourcen verschwendet werden. Damit sind aber sowohl die üblicherweise als ökonomisch relevant akzeptierten Ressourcen wie Arbeitsleistung oder Kapitaleinsatz gemeint, die auf Märkten gehandelt werden, als auch die typischerweise der Ökologie zugeordneten natürlichen Ressourcen, die wegen ihrer mangelnden Präsenz auf Märkten nur selten Preisschildchen tragen.

Wenn also eine Entscheidung über Vernichtung von Umwelt und Erhalt von Arbeitsplätzen getroffen wird, sollte sie das Ergebnis eines politischen Entscheidungsprozesses sein. Nur wenn die Gesellschaft die Arbeitsplätze höher bewertet als den betroffenen Teil der Umwelt, ist eine solche Entscheidung auch ökonomisch gerechtfertigt.

Selbstverständlich werden von beiden Seiten oft Maximalforderungen gestellt, die jeweils auf einer einseitigen Überbewertung der eigenen Interessen beruhen.

Auch wenn die Forderungen des Naturschutzes auf den ersten Blick frei von Eigennutz zu sein scheinen, sollte man dennoch fragen dürfen, ob dieser spezielle Vogel gerade an dieser speziellen Stelle um jeden Preis erhalten werden muß.

Gerade in dieser Situation könnte eine fundierte ökonomische Analyse weiterhelfen. Ein Abwägen der Gewinne einer Entscheidung (mehr Arbeitsplätze) gegen die mit ihr verbundenen Kosten (geringere Umweltqualität, weniger Vögel durch weniger Nistplätze) entspricht exakt der beschriebenen ökonomischen Fragestellung.

Nur wer ein solches Abwägen entgegengesetzter Interessen, wie es in jeder Demokratie auf der Tagesordnung steht, verwirft, kann den ökonomischen Beitrag zum Umweltproblem so kategorisch ablehnen, wie es an manchen fundamentalökologischen Stammtischen geschieht. Daß ähnlich engstirnige ökonomische Stammtische existieren, soll nicht bestritten werden.

Der zweite häufig übersehene Punkt betrifft die verbreitete Vorstellung, in eine ökonomische Analyse fänden letztendlich nur Geldströme Eingang. Dann wäre die Ökonomie wirklich denkbar ungeeignet, sich mit Umweltproblemen auseinanderzusetzen.

In der Tat ist es aus ökonomischer Sicht sehr viel leichter, Dinge in eine Analyse einzubeziehen, die mit Marktpreisen versehen sind. In diesen Preisen drückt sich nämlich bereits eine aggregierte, also gesellschaftliche Bewertung der Gesellschaftsmitglieder für die entsprechenden Güter aus. Der Geldbetrag, den ein Brot beim Bäcker kostet, stellt gleichzeitig die Bewertung des Brotes durch die Brotnachfrager dar. Es wird unter diesen Nachfragern zwar Unterschiede in der Bewertung geben, so wären einige vermutlich bereit, Brot auch noch für den doppelten Preis zu erwerben, es ist ihnen aber immer mindestens den Ladenpreis wert, sonst würden sie es einfach nicht kaufen.

Führt ein ökonomisch zu untersuchendes Projekt dazu, daß ein Brot mehr da ist, so kann der gesellschaftliche Gewinn am Brotpreis abgelesen werden. Analog lassen sich die Kosten eines Projektes, bei dem ein Brot verbraucht wird, durch den Brotpreis messen. Obendrein hat der Marktmechanismus die angenehme Eigenschaft, auf die Intensität der Wünsche Rücksicht zu nehmen. Ist mein Wunsch nach einem Brot intensiver als der Wunsch desjenigen, der das letzte Brot gekauft hat, sollte ich in der Lage sein, es ihm für einen höheren Preis abzukaufen.

Die Zahlungsbereitschaft eines Konsumenten kann innerhalb gewisser Grenzen als Maß für die Intensität seiner (Kauf-)Wünsche gedeutet werden. Marktpreise sind also das Ergebnis einer Bewertung durch die Konsumenten und deshalb für eine ökonomische Analyse geeignet.

Viel schwieriger gestaltet sich aus ökonomischer Sicht die Bewertung von Gütern, die nicht auf Märkten gehandelt werden. In diese Kategorie gehören jedoch die meisten Güter, die einem spontan zum Thema Umwelt einfallen: Meere, Flüsse, seltene Tierarten, saubere Luft.

Für solche Güter bildet sich der Einzelne zwar durchaus Vorstellungen über ihren Wert, er kann diese Bewertung aber nicht auf einem Markt durch Kaufentscheidungen zum Ausdruck bringen. Auch wenn ich persönlich eine bestimmte Tierart sehr schätze und bereit wäre, für ihren Erhalt einen gewissen Geldbetrag zu zahlen, kann ich auf keinem Markt ein Recht auf den Erhalt dieser Tierart erwerben.

Es besteht in der Gesellschaft also eine Wertschätzung für die verschiedensten Umweltgüter, die leicht übersehen wird, da sie sich nicht auf Märkten äußert und dadurch zu Preisen für diese Umweltgüter führt.

Dem Problem der ökonomischen Bewertung von Umweltgütern wird mit verschiedenen Methoden zu Leibe gerückt. Günstig sind die Voraussetzungen, wo sich beobachtbares Verhalten als Indikator für die Wertschätzung der Konsumenten interpretieren läßt. So wird z. B. versucht, aus den Reisekosten Schlüsse auf die Wertschätzung für das Reiseziel zu ziehen. Wenn jemand bereit ist, zwei Stunden mit dem Auto zu einem Naturschutzgebiet zu fahren, ist ihm dessen Erhalt mindestens die Benzinkosten und die Abnutzungskosten des Autos wert. Ermittelt man diese Werte für hinreichend viele Besucher, läßt sich eine Art Marktnachfrage konstruieren.

Leider läßt sich diese Methode nur für sehr wenige Fälle anwenden. Sind die Reisekosten zu gering oder handelt es sich um einen Teil der natürlichen Umwelt, der kaum besucht wird, weil er keine Freizeitdienstleistungen abgibt, wäre der mit dieser Methode ermittelte Wert gleich null.

Ein anderer Ansatz versucht, den Wert einer besonders intakten Umwelt aus den Grundstücks-oder Häuserpreisen abzuleiten. Gelingt es, die anderen Einflüsse auf den Preis herauszurechnen, vergleicht man also zwei ansonsten identische Häuser, die sich nur in der Qualität der umgebenden natürlichen Umwelt unterscheiden, läßt sich der Preisunterschied als Zahlungsbereitschaft für den Unterschied in der Umweltqualität deuten. Auch hier kann also eine Wertschätzung der Konsumenten errechnet werden. Genau wie bei der Reisekostenmethode ist jedoch Voraussetzung, daß sich ein Verhalten beobachten läßt, das als Wertschätzung interpretiert werden kann.

Was macht man aber beispielsweise mit Walen, die kaum jemand besucht, um sich bei ihnen zu erholen? Was passiert mit den Tropenwäldern, deren relative Nähe sich wohl kaum auf die mitteleuropäischen Grundstückspreise auswirkt?

Auch diese Bestandteile der natürlichen Umwelt werden aber von den Mitgliedern unserer Gesellschaft geschätzt. Sie messen ihnen einen sogenannten Existenzwert zu. Da sich diese Wertschätzung aber nicht in beobachtbaren Verhalten äußert, von Spenden einmal abgesehen, bleibt dem Ökonomen, der an einer Bewertung dieser Güter interessiert ist, nur die direkte Befragung.

Bei einer solchen Befragung werden die Betroffenen nach ihrer Zahlungsbereitschaft oder ihrer Entschädigungsforderung für eine bestimmte Maßnahme gefragt. Beispielsweise werden alle Anwohner einer Gegend befragt, wieviel sie zahlen würden, um ein Projekt zum Schutz von wandernden Kröten durchzuführen.

Andersherum könnte man die Anwohner eines Naturschutzgebietes, durch das eventuell eine Autobahn gebaut werden soll, danach fragen, wieviel man ihnen zahlen müßte, damit es ihnen in der neuen Situation genauso gut geht wie vorher.

Abgesehen von Schwierigkeiten beim Verständnis der Fragen, lehnt es ein erheblicher Prozentsatz der Befragten regelmäßig ab, seine Wertschätzung für Teile der natürlichen Umwelt in Geldwerten auszudrücken. Die Frage nach einer Entschädigungsforderung wird als unmoralisch abgelehnt. Nicht zuletzt deshalb werden die Ergebnisse solcher Befragungen heftig angezweifelt.

Die Techniken der empirischen Sozialforschung sind besonders in diesem Bereich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt worden, so daß viele der anfänglichen Schwächen beseitigt werden konnten. Diesen Fortschritt verdanken wir nicht zuletzt dem wachsenden Druck, die Verursacher von physisch irreparablen Umweltschäden angemessen zur Kasse zu bitten.

Besonders in den USA wurde die Diskussion über die Anwendbarkeit von Befragungen zur Bestimmung von Existenzwerten unter den Augen einer breiten Öffentlichkeit geführt, als 1989 der Supertanker Exxon Valdez verunglückte.

Einige Zeit zuvor war nämlich eine Regelung geschaffen worden, die es Regierungsbehörden erlaubte, auf Schadensersatz für Schäden der natürlichen Umwelt zu klagen. Neben den direkten Verlusten, die Fischern, Touristenführern, Campingplatzbesitzern und anderen zugefügt wurden, wären also möglicherweise auch Existenzwerte zu ersetzen, die sich nur mit Hilfe von Befragungen ermitteln ließen.

Da an die Verläßlichkeit solcher Befragungen im Rahmen von Gerichtsverfahren besonders hohe Anforderungen gestellt werden, wurden Richtlinien für die Durchführung entwickelt, die zahlreiche der Kritikpunkte in bezug auf solche Befragungen entschärfen.

Dennoch können weder Ökonomen noch Ökologen mit einer solchen Bewertung von Teilen der natürlichen Umwelt vollkommen glücklich sein.

Ein schwerwiegender Einwand, der vor allem von ökologischer Seite vorgebracht wird, betrifft die mangelnde Einbeziehung von Fachwissen. Bei einer Befragung urteilen Personen, die im allgemeinen bestenfalls eine oberflächliche Vorstellung von den ökologischen Zusammenhängen haben. Eine naheliegende Befürchtung ist also, daß als niedlich empfundene Tiere sehr viel besser abschneiden als weniger attraktive, selbst dann, wenn letztere für die Stabilität des Ökosystems von viel größerer Bedeutung sind.

Auch die Einbeziehung von Risiken sowie die allgemeine Unsicherheit über ökologische Zusammenhänge stellen weitgehend ungelöste Probleme dar. Spätestens dort, wo ein Projekt unumkehrbare Auswirkungen hat und die Lebensbedingungen zukünftiger Generationen nachhaltig verschlechtert, wird eine ökonomische Bewertung an ethische Grenzen stoßen: Es ist sehr viel leichter, ein Aquarium in Fischsuppe zu verwandeln als umgekehrt.

Was aber sind die Alternativen für Entscheidungen über den Umgang mit der Natur?

Ökologische Bewertungsansätze umgehen viele der hier genannten Probleme. Sie werfen dafür andere Fragen auf. So ist die Festlegung von Grenzwerten für ökologisch akzeptable Beeinträchtigungen häufig vollkommen subjektiv. Auch muß man sich fragen, was einzelne Experten dazu berechtigt, Entscheidungen von solcher Bedeutung für die gesamte Gesellschaft zu treffen.

Aus ökonomischer Sicht bedenklich ist besonders, daß keine explizite Abwägung ökologischer Werte untereinander oder mit anderen Interessen vorgenommen wird. Hier liegen die Vorteile einer ökonomischen Analyse, die diese Abwägung zu leisten vermag, ohne die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen einseitig zu vertreten. Letzteres beschreibt allerdings nicht den Normal-, sondern den Idealfall.

Trotz der großen Mängel beider Entscheidungsansätze müssen aber ständig Entscheidugen über die Nutzung der natürlichen Umwelt getroffen werden. Langfristig sinnvolle Entscheidungen sind nur bei einer Integration beider Ansätze zu erwarten. Nur systematisches ökonomisches Abwägen verhindert unsinnige Projekte, die mit zu hohen Kosten für die Gesellschaft erkauft werden, und nur eine sinnvolle ökologische Bewertung verhindert den Raubbau an den Ressourcen, die eine Volkswirtschaft auf Dauer am Leben erhalten.

Mittwoch, 20. Mai 1998

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