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Iden Tunneln von Cu Chi führte der Vietcong einst erbitterte Kämpfe

Menschliche Maulwürfe

Für die Amerikaner waren es

Für die Amerikaner waren es "Rattenlöcher, die geradewegs in die Hölle führten". Für den Vietcong waren die 250 km langen Tunnellabyrinthe sichere Luftschutzkeller, Nachschublager und fast unüberwindliche Kampfstellungen. Foto: Archiv Krüger

Von Hans H. Krüger

Rund 40 Kilometer nordwestlich von Saigon ist Vietnams blutige Vergangenheit heute eine touristische Sehenswürdigkeit. Auf einem kiesbedeckten Parkplatz werden Busse mit japanischen und chinesischen Reisegruppen eingewiesen. Souvenirstände und Andenkenländen verkaufen Kitsch und Postkarten, Restaurants kalte Cola und warme Nudelsuppen. Für einen Dollar pro Schuss dürfen Besucher mit chinesischen AK-47 und amerikanischen Infanteriegewehren vom Typ M-16 auf Zielscheiben schießen. Neben einem ausgeplünderten Huey-Hubschrauber lassen sich vietnamesische Pärchen von Fotografen ablichten.

Lächelnde Führer geleiten den Gast in einen niedrigen Laubwald, vorbei an Bombenkratern, zu verborgenen Eingangsluken. Dahinter gähnten einst klaustrophobische Röhren. Inzwischen sind sie von polnischen Restaurateuren vergrößert und abgesichert worden. Wer sich in die Höhlen begibt, lernt schnell, dass Schrecken keine Frage der Vorstellungskraft ist. Hier unten herrscht nicht die Dunkelheit der Nacht, sondern die Schwärze und Stille eines Grabes. Es ist heiß und feucht und schmutzig. Gebückt bewegt man sich entlang endloser Gänge, kriecht durch schmale Öffnungen. Nach wenigen Minuten hat man das Gefühl, die Wände würden immer näher rücken.

Das sind die Tunnel von Cu Chi (ausgesprochen: Ku Shi ) – ein unterirdisches Labyrinth, das zwar nicht den Vietnamkrieg entschied, aber entscheidende Bedeutung für die Wiedervereinigung Vietnams hatte. Mitte der 60er Jahre, auf dem Höhepunkt des Krieges, reichte das Untergrundnetzwerk von der kambodschanischen Grenze (wo der Nachschubweg des Vietcong, der Ho-Chi-Minh-Pfad, endete) bis vor die Tore Saigons. Fast 250 Kilometer unsichtbare Verbindungswege zwischen Dörfern, Distrikten und Provinzen. Kampfstellungen, Nachschublager, Waffenfabriken und Krankenhäuser befanden sich dort in der roten Erde vergraben.

60 Tonnen schwere Panzer brachten die Decken nicht zum Einsturz, 100-Kilo-Bomben konnten sie nicht zerstören. "Niemand hat jemals solch eine Fähigkeit entwickelt, seine Einrichtungen zu verstecken wie der Vietcong: sie waren menschliche Maulwürfe" , schrieb General Westmoreland, Oberkommandierender der amerikanischen Streitkräfte in Vietnam von 1964 bis 1968, in seinen Erinnerungen.

Der Distrikt Cu Chi liegt zwischen den lehmigen Fluten des Saigon- und des Vam Co-Flusses. Eine weite Ebene, bedeckt mit Reis-, Erdnuss und Zuckerrohrfeldern und Gummibaumplantagen, überzogen von kleinen Dörfern und Weilern. Der tonhaltige, luftdurchlässige Boden befindet sich 15 bis 20 Meter über dem Meeresspiegel, der Grundwasserspiegel in einer Tiefe von zehn bis zwölf Metern. Während der Trockenzeit wird die Erde hart wie Stein – ideale Voraussetzungen für die Anlage von Tunneln. Die ersten wurden bereits nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut. Das war die Zeit der Kämpfe zwischen den kommunistischen Vietminh und der französischen Kolonialmacht.

Männer, Frauen und Kinder gruben die Tunnel mit Handhacken. Die Erde wurde in flachen Bambuskörben abtransportiert und in der Umgebung sorgfältig verteilt. Schutzräume gegen Bombenangriffe und geheime Waffenlager wurden angelegt. In den 60er Jahren bekam der Unabhängigkeitskampf eine neue Dimension. Mit massiver Unterstützung der Amerikaner baute das südvietnamesische Regime seine Macht aus. Am 8. März 1965 gingen in der Hafenstadt Danang 3.500 Marines an Land; Ende des Jahres befanden sich 165.000 amerikanische Soldaten in Vietnam. Ein Jahr später waren es 400.000.

Währenddessen wurde Cu Chi zur sicheren Basis, zum vorgeschobenen Kommandoposten des Vietcong ausgebaut. Das alte, 48 Kilometer lange Tunnelsystem wurde repariert, ein neues, verbessertes Untergrundnetzwerk angelegt. Meistens lagen die Tunnel auf drei Ebenen: drei, sechs und acht bis zehn Meter tief. Die Gänge waren 60 Zentimeter breit und bis zu 1,50 Meter hoch. Falltüren, geschützt durch Bambusfallen und Minenfelder, schützten die Eingänge.

Tief verborgener Gegner

Verborgen vor feindlicher Luftaufklärung, entstanden unterirdische Konferenzräume und Waffenlager, Schlafräume und Ambulanzen. Es gab konisch geformte Bombenschutzräume mit kleinen Luftschächten, deren Form die Geräusche näherkommender Hubschrauber verstärkte. Es gab die so genannte "Dien-Bien-Phu"-Küche, wo der Rauch des Herdes über ein Röhrensystem zerstäubt wurde, um die Stellung nicht zu verraten. Tiefe Brunnen wurden gegraben. Lange Verbindungsgänge, durch dicke Luken gegen Gasangriffe und Wassereinbrüche gesichert, verbanden die Stationen miteinander.

Als das US-Militär Anfang 1966 in der Nähe der Kleinstadt Cu Chi das Hauptquartier ihrer 25. Divison errichten wollte, ahnte niemand, dass der Gegner, tief verborgen, bereits wartete. Das Tunnelsystem war auf eine Länge von 200 Kilometer angewachsen. Cu Chi war im Sprachgebrauch der Vietcong "befreites Gebiet" . Die Amerikaner nannten es später "das eiserne Dreieck" . Die Militär-operation hieß "Crimp" (amerikanisch für "jemanden einen Dämpfer aufsetzen"). Die Wälder von Ho Bo und andere Teile von Cu Chi sollten endgültig vom Vietcong gesäubert werden.

Die Operation begann mit massiven Bombenangriffen und tagelangem Artilleriebeschuss. Am7. Jänner 1966 transportierten Hubschrauber über 8.000 amerikanische und alliierte Soldaten nach Cu Chi. Zwei völlig unterschiedliche Welten trafen hier aufeinander. Auf der einen Seite die Abgesandten einer Supermacht: die am besten ausgerüsteten und bewaffneten Soldaten der Welt. In Vietnam verbrauchte der durchschnittliche GI täglich rund 150 Kilo Verpflegung, Bekleidung, Kraftstoff, Munition. Dem gegenüber stand eine lokale Guerillaorganisation, schlecht ernährt und armselig bewaffnet: der Vietcong, Abkürzung für "Vietnam cong San" (Kommunisten von Vietnam), seit 1960 in der "Nationalen Befreiungsfront Südvietnams" zusammengefasst. Die Kämpfer von Cu Chi besaßen in der Regel nur Wasserflasche, Hängematte, Regencape, Öllampe, Messer, Gewehr und Munition. Das Schwerste, was ein Guerilla mit sich führte, war ein Sack Reis. Er wog zehn Kilogramm.

Trotzdem wurde die "Operation Crimp" für die Amerikaner zum Desaster. Es gab kein Schlachtfeld im herkömmlichen Sinn, keine feindlichen Linien und Stellungen, nur plötzliche Schüsse aus dem Hinterhalt, Tote und Verwundete. Leutnant Nguyen Thang Linh, Führer eines Vietcong-Bataillons von weniger als 300 Kämpfern, erklärte später: "Aus den Tunneln heraus zu kämpfen war nur von Vorteil, wenn man wenig Männer hatte. Häufig waren ein oder zwei Scharfschützen genug. Auf diese Weise konnte man zahlreiche feindliche Truppen mit wenigen Leuten angreifen."

Für die Amerikaner wurde die Guerilla-Taktik zum tödlichen Katz-und-Maus-Spiel. Glaubten sie, die gegnerische Stellung endlich umzingelt zu haben, war der Vietcong wie vom Erdboden verschwunden. Nur durch Zufall stießen die Amerikaner auf den ersten Tunnel. Ein Soldat hatte sich auf den Boden gesetzt und war von einem Nagel gestochen worden, der aus einer versteckten Falltür herausragte. Als man rote Rauchgranaten in den Eingang warf, stellten die Soldaten überrascht fest, dass an mehreren, weit auseinander liegenden Stellen Rauch aus dem Waldboden quoll. Daraufhin wurde Tränengas in den Tunnel gepumpt. Aber noch immer kam kein Vietcong heraus. Zum Schluss wurde der Tunnel gesprengt.

Während der nächsten Tage entdeckten die Alliierten immer mehr Tunnel, geheime Waffenlager, Krankenstationen, Gefechtsstände. Zwar erklärten sich Freiwillige bereit, die schmutzigen, dunklen, stinkenden Gänge zu erkunden, doch die Mehrzahl weigerte sich beharrlich, auch nur einen Schritt in die Finsternis zu machen. Das war nicht die Art von Krieg, in dem amerikanische Soldaten zu kämpfen bereit waren. Trotz des heftigen Widerstandes des Vietcongs errichteten die Amerikaner schließlich ihr Divisionshauptquartier. Ein riesiges Gelände, sechs Quadratkilometer groß, das genug Platz für über 4.500 Armeeangehörige bot. Eine Mischung aus militärischer Infrastruktur und Klein-Amerika unter Palmen: Es gab Hubschrauberlandeplätze, Munitionsbunker, Kraftstofflager, Mannschaftsquartiere, aber auch Swimmingpools, Minigolfanlagen, Radiostationen, elegante Offizierskasinos, Friseursalons, Läden und Kirchen.

Täglich brachten vier Lastwagenkonvois mit bis zu 60 Trucks Nachschub. Um die Basis wurde eine so genannte "freie Feuerzone" ausgewiesen, für Granatwerfer und Artillerie. Ein einziges Bataillon feuerte innerhalb eines Monats 180.000 Granaten auf vermutete Vietcong-Stellungen. Feuerkraft und überlegende Technologie sollten auch das unterirdische Labyrinth zerstören. Bulldozer mit riesigen Pflugscharen wühlten den Boden auf, um die Tunnel zum Einsturz zu bringen. Kampfflugzeuge legten Bombenteppiche auf vermutete Tunnelanlagen. Wälder wurden abgeholzt. Auf dem kahlen Boden wurde schnellwachsender Grassamen ausgestreut und das trockene Gras angezündet, um den Feind auszuräuchern.

Operation "Tunnelratten"

Die Amerikaner setzten Kampfgas und Flammenwerfer ein. Sie versuchten, die Tunnel unter Wasser zu setzen. Vergeblich. In der Trockenzeit absorbierte der Boden das Wasser, während der Regenzeit schützen die schweren Sicherheitsluken das Untergrundsystem. Explosivladungen beschädigten das steinharte Erdreich nur minimal. Selbst der Einsatz von Schäferhunden brachte keinen Erfolg, da der Vietcong Pfeffer ausstreute. Und er half sich mit einem weiteren Trick: Die Kämpfer wuschen sich mit amerikanischer Seife, die sie auf dem Schwarzmarkt beschafft hatten, und täuschten so den Geruchssinn der Hunde.

Zum Schluss blieb nur noch eines übrig: Man musste in die Rattenlöcher kriechen, den Vietcong aufspüren und ihn mit dessen eigenen Waffen schlagen. Für diesen Zweck wurde im Hauptquartier eine "Akademie" gegründet, inklusive Tunnel und Minenfallen. Die Ausbildung dauerte fünf Monate. Viele der Freiwilligen waren leichte, kleinwüchsige Puertoricaner, Amerikaner philippinischer oder kubanischer Herkunft. Wer das Training bestanden hatte, war eine "Tunnelratte".

Der Krieg verlagerte sich nun ins Erdreich. Nur mit einer Taschenlampe ausgerüstet und mit einem Revolver bewaffnet, krochen die Männer in die dunklen Höhlen. Auf sie warteten Minenfallen, Schlangen, giftige Tausendfüßler und Spinnen, Feuerameisen, kurzum, ein Gegner, der in dieser klaustrophobischen Umgebung zu Hause war. Es war ein schmutziger Kampf. Hauptfeldwebel Pete Rejo, Mitglieder einer Truppe von Tunnelratten: "Wenn man dort unten war, einer gegen einen, gab es keine Regeln."

So erfolgreich die Tunnelratten in vielen Fällen auch waren, das System konnten sie nicht gefährden. Die lokale Bevölkerung und der Vietcong bauten die Anlagen weiter aus. Tagsüber gehörte das Land den Alliierten, nachts dem Vietcong. Tagsüber wurden in unterirdischen Waffenfabriken Minen und Handgranaten hergestellt, Schulunterricht erteilt. Guerilla-Gruppen bewegten sich unsichtbar zu Vorposten alliierter und südvietnamesischer Soldaten, um sie im Schutz der Nacht zu überfallen.

Angriff auf Saigon

Die Tunnel von Cu Chi spielten auch bei der Tet-Offensive 1968 eine entscheidende Rolle. Am 31. Jänner, dem vietnamesischen Neujahrstag, griffen fast 40.000 Vietcongs und Nordvietnamesen militärische Einrichtungen der Amerikaner und Süd-Vietnamesen in Saigon an. Viele Kämpfer hatten über das Tunnelsystem die Kapitale infiltriert. Zwar wurde ein Großteil der Angreifer nach tagelangen Kämpfen getötet, doch die grausamen Bilder, die jeden Abend vom amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wurden, veränderten das Bewusstsein der amerikanischen Bevölkerung.

Zum Schluss triumphierte die amerikanische Waffentechnologie aber doch noch. Nachdem die USA die Bombardierung Nord-Vietnams 1969 eingestellt hatten, wurden B-52-Bomber in Cu Chi und dem "eisernen Dreieck" eingesetzt. 300- bis 400-Kilo-Bomben wurden abgeworfen. Sie rissen bis zu zwölf Meter tiefe Krater. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Tunnel von Cu Chi ihren wichtigen militärischen Beitrag bereits geleistet. Die US-Regierung hatte sich für den Rückzug aus Vietnam entschieden. Die Vereinigten Staaten waren nicht mehr bereit, einen so hohen Blutzoll für ihr militärisches Engagement zu zahlen.

Kurz vor Kriegsende spielten die Tunnel eine letzte große Rolle, als die Nordvietnamesen ihr Hauptquartier in die Höhlen im Ben Cat Distrikt verlegten. Von hier aus wurde die Einnahme Saigons am 30. April 1975 koordiniert.

Aus Anlass des Endes des Vietnamkrieges vor 30 Jahren findetim Project Space in der Kunsthalle am Karlsplatz im Rahmen des Projektes "Metapher Vietnam" am Samstag, 30. April, um 17 Uhr ein Teach-in mit zahlreichen Diskussionsrunden statt.

Freitag, 29. April 2005

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