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Napoleons Rückzug von der Macht - ein politisches Lehrstück

Abdankung mit Wenn und Aber

Von Alfred Plischnack

Aus den zahlreichen Auseinandersetzungen der Nachwelt mit dem Mythos Napoleon sei als Kuriosum auch die jüngste österreichische Zeitgeschichte strapaziert. Das bekannte "einfache" Parteimitglied aus Kärnten hat, von fast allen Getreuen verraten und kaum mehr von den Personen umgeben, die bisher seinen politischen Weg begleitet (geebnet) haben, gerade vor oder nach oder während einer seiner zahlreichen Rücktrittsankündigungen den Bundeskanzler Schüssel wiederholt als "Mini-Napoleon" tituliert.

Es sei aber nicht verschwiegen - zur Ehre der historischen Kompetenz des Kärntner Landeshauptmannes -, dass neben der (schon aus vorkoalitionären Zeiten stammenden) Einschätzung Schüssels als "Mini-Napoleon" (obwohl der echte Napoleon mit 1,66 m Körpergröße - samt Absätzen - tatsächlich der Kleinere gewesen sein dürfte), er auch mehrfach durch die Bezeichnung "Mini-Metternich" einen wohl treffenderen historischen Bezug hergestellt hat. Immerhin hat der listige Metternich 1810 bis 1813 mit Napoleon notgedrungen koaliert, um ihn dann bei der ersten sich bietenden Gelegenheit unschädlich zu machen.

Auch der historisch nicht minder beschlagene Volksanwalt Stadler hat sich im "profil" einschlägig geäußert: "profil: Haider war zeit seiner politischen Karriere selbst aber auch nie zimperlich.

Stadler: Das bin ich auch nicht, aber jüngst habe ich ihn gefragt, ob man ihm schon seine Insel zugewiesen hat: Elba oder gar St. Helena? Ich habe gesagt, ich hoffe, es ist Elba, dann gibt es wenigstens eine Wiederkehr.

profil: Aber nur für kurze Zeit.

Stadler: Sie haben Recht, Elba erlaubt nur eine Rückkehr für 100 Tage. Insofern ist das kein gutes Beispiel."

Das im Jänner gesendete 4-teilige, oberflächliche und historisch ungenaue Napoleon-Riesenepos im Fernsehen zeigte immerhin insofern beachtliche Authenzität, als manche Charaktere - wie sich nach unzähligen Memoiren und Augenzeugenberichten einigermaßen beurteilen lässt - sehr gut getroffen waren. So kann man sich den - trotz ihres "reifen" Alters vorhandenen - Charme und die enorme Ausstrahlung von Napoleons erster Gattin Joséphine so vorstellen, wie Isabella Rosellini sie verkörperte.

An die politisch nicht unheikle Figur des Napoleon selbst hingegen dürfte man sich nicht allzu nahe herangewagt haben. Cineasten, denen Marlon Brando als Napoleon in "Desirée" in Erinnerung ist, werden bei Herrn Clavier nur wehmütig geseufzt haben. Der Darsteller des Napoleon wirkt unverbindlich, farblos und eindimensional.

Wie soll man sich den Charakter Napoleons aber wirklich vorstellen? Möglicherweise am ehesten wie den von Jörg Haider, der immerhin - wie Napoleon über Frankreich - in seiner Partei uneingeschränkt schalten und walten konnte! Charismatisch, ideenreich, Auswege zeigend aus einem reformunfähigen Gebilde von Politikern des rechten und linken Zentrums (gemeint ist natürlich das Direktorium Frankreichs 1799), umstürzlerisch mit einem starken Hang zu konservativen Werten, inkonsequent, nach raschen Erfolgen an der langfristigen Umsetzung scheiternd, grob, verletzend und doch wieder einlenkend und selbst verletzbar, nicht in der Lage, mit anderen Menschen auf Dauer zusammenzuarbeiten, aber trotzdem faszinierend, energisch und manchmal lethargisch bis depressiv, eigenen Leuten in den Rücken fallend, aber sich trotzdem von ihnen verraten fühlend - und letzlich nicht fähig, einen endgültigen Schlussstrich unter sein Scheitern zu setzen.

Hier gilt, was der deutsche Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth in seinem Buch "Narzissmus und Macht" über die narzisstischen Beweggründe der scheinbar erfolgreichen Machtmenschen ausführte: Die Zuwendung und Anerkennung, die sie zur Bewältigung ihrer Versagensängste, Kleinheits- und Abhängigkeitsgefühle brauchen, holen sie aus ihrer Position und der Bestätigung durch Jasager (denen sie aber gerade deswegen misstrauen). Dadurch werden sie "süchtig" auf Machtausübung.

Napoleons letzte Chance

Im Jänner 1814 wird ein Friedensvorschlag, der auf Initiative Metternichs von den Alliierten Österreich, Preussen, Russland und England in Frankfurt abgefasst wurde und der dem napoleonischen Frankreich seine natürlichen Grenzen zugesichert hätte, abgelehnt. Die Verbündeten unter Blücher und Schwarzenberg überschreiten daraufhin den Rhein.

Nach etlichen Misserfolgen erklärt sich Napoleon schließlich zu Verhandlungen bereit und entsendet seinen Großstallmeister Caulaincourt zu den ab 3. Februar 1814 stattfindenden Verhandlungen in Chattillon sur Seine. Als sich die militärische Situation weiter verschlechtert, erhält dieser endlich die erbetenen weitreichenden Vollmachten für einen Friedensschluss.

In der Schlacht von Monterau am 17./18. Februar gelingt es Napoleon, Schwarzenberg zu überraschen und zum Rückzug zu zwingen, worauf auch der vorher skeptische Zar Alexander I. nicht mehr unbedingt Paris (wie Moskau 1812) brennen sehen möchte. In einem Schreiben an Caulaincourt nimmt der nun nicht mehr so friedenswillige Napoleon seine Vollmachten für die Verhandlungen zurück: "Ich habe gestern die Armee des Fürsten Schwarzenberg erschüttert und hoffe sie zu vernichten, bevor sie meine Grenzen erreicht . . . meine Absicht ist es, dass Sie nichts ohne Befehl von mir unterzeichnen . . ."

Die Frage einer neuen Regierungsform in Frankreich ist (noch) kein offizielles Thema - doch scheint Napoleon den übrigen Mächten - fast möchte man sagen zu ihrem Bedauern - immer weniger die erforderliche Verlässlichkeit und Besonnenheit für eine Neuordnung Europas aufzuweisen. Der österreichische Vertreter in Chattillon, Ex-Außenminister Graf Stadion, schreibt hiezu, dass Caulaincourt zwar den Frieden wolle, aber nichts über Napoleon vermöge. "Er (Napoleon) will den Frieden nicht, er wird ihn niemals wollen, außer im letzten Augenblick, wenn er nicht mehr möglich ist."

Am 24. März 1814 stehen die Alliierten, nachdem sie Napoleon umgangen haben, unmittelbar vor Paris. Gegen Mitternacht trifft Caulaincourt, von Chatillon kommend, im kaiserlichen Hauptquartier ein, wo er seinen Herrn und Meister beim Souper mit Generalstabschef Berthier antrifft. Er hat der Nachwelt ein treffendes und entlarvendes Psychogramm des - von ihm glühend verehrten - Kaisers hinterlassen: "Vergebens bemühte ich mich, Gedanken der Mäßigung geltend zu machen, ihn zu dem Versuch zu bewegen, jenen Schritt bei seinem Schwiegervater zu unternehmen, den ich schon getan glaubte. Er wollte von nichts hören. Er erwartete sein Heil nur von einem militärischen Erfolge und war überzeugt, dass der Feind ihm nachziehe, trotz meines Berichtes über die Aussage von zwei Bauern, die ich unterwegs ausgefragt hatte; deren Aussage ließ keinen Zweifel darüber, dass Schwarzenberg auf Paris marschierte . . . Den Inhalt meiner letzten Berichte kannte er nicht oder wollte sie nicht kennen. Wollte er sich über seine Lage hinwegtäuschen, oder hielt er den Kongress von vorneherein für aussichtslos? Ich weiß es nicht. Tatsache ist, dass er am nächsten Tage, als wir uns eingehender unterhielten, erstaunt schien über diesen Abbruch der Verhandlungen - als wäre er ihm nicht schon seit langem angekündigt worden! Er sprach zu mir im Tone eines Menschen, der überrascht, aber gefasst und entschlossen ist, eher alles zu opfern, als Bedingungen zu unterzeichnen, die er immer noch als schimpflich bezeichnete . . . ich fand mich genötigt, um überhaupt mit dem Feinde wieder Fühlung zu nehmen, zuerst gegen den Starrsinn, die Verblendung meines eigenen Gebieters anzukämpfen . . ."

Am 31. März 1814 ziehen die alliierten Truppen - von der Bevölkerung begeistert begrüßt - in Paris ein. Der von Ex-Außenminister Talleyrand einberufene Senat erklärt Napoleon für abgesetzt.

Der Rücktritt vom Rücktritt

Der französische Marschall Mac Donald, der kurz davor seinem Oberbefehlshaber die aussichtslose militärische Situation drastisch vorgehalten hatte, schilderte in seinen Memoiren das Verhalten Napoleons am 4. April in Fontainebleau: "Soviel ich mich erinnere, schritt er sogleich an seinen Schreibtisch und setzte eine kurze Abdankungsurkunde auf, deren Fassung er mehrmals änderte. Darauf begann er wieder: 'Sie können sich jetzt zurückziehen, meine Herren; ich werde inzwischen die Instruktionen für die Bevollmächtigten anfertigen lassen, verbiete aber, dass irgend etwas abgemacht wird, was meine Person betrifft.' Kaum hatte er das gesagt, da warf er sich auf ein Sofa, schlug sich mit der Hand auf den Schenkel und rief mit völlig verändertem Wesen: ,Ah,bah! Meine Herren, lassen wir das alles, wir wollen morgen marschieren und werden sie schlagen'!"

Einen Augenblick waren wir ganz verblüfft von dieser plötzlichen Sinnesänderung, dann aber wiederholte ich kurz die von mir im Namen der Armee abgegebene Erklärung mit dem Hinzufügen: "Für uns hat jedenfalls der Krieg ein Ende und Eure Majestät sollten eilen, die vorher ernannten Bevollmächtigen abzufertigen, denn jede Stunde der Verzögerung kann ihren Erfolg abschwächen, wenn nicht gar ganz in Frage stellen!" - "Nun gut, so sei es denn!". . . "Es war kein Zweifel, er fügte sich nur dem Zwange."

Zwei Tage später, als bereits das Korps des Marschalls Marmont eigenmächtig kapituliert hatte und die Situation noch aussichtsloser war, überlegte es sich Napoleon anders. Caulaincourt berichtet: "Der Kaiser kam auf die Form zu sprechen, in der er seine Abdankung erklären wolle. Er schien mir in diesem Augenblick geneigt, durch die Art der Formulierung um den Kern der Frage herumzugehen und doch nur bedingt abzudanken - . . ."

Gegen 11 Uhr Vormittag des 6. April händigen die Marschälle Mac Donald, Ney und Caulaincourt dem Zaren die unbedingte Abdankungsurkunde aus, worauf ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wird. Am Nachmittag erhält Mac Donald plötzlich die Nachricht, dass Napoleon seine Vollmachten und die Abdankung widerrufe.

Am 7. April bespricht Napoleon mit seinem Außenminister Maret den Plan, sich mit der Armee des Vizekönigs von Italien zu vereinigen, um Oberitalien zu "befreien", und lässt sich von ihm noch ergebenen Soldaten im Hof des Schlosses Fontainebleau bejubeln.

Am 20. April 1814 um 9 Uhr morgens soll die Abreise Napoleons nach Elba beginnen. Der österreichische Kommissär FML Koller hat darüber einen amtlichen Reisebericht verfasst: "General Koller hatte diesen Bericht mit einem Eilboten soeben nach Paris geschickt, als ihn Napoleon rufen ließ und mit der unerwarteten Erklärung empfing, er werde nicht abreisen. Ja, er könne, fuhr er aufgeregt fort, dadurch, dass die Verbündeten die ihm gemachten Zusagen nicht einhielten, sogar seine Abdankung widerrufen." Schließlich gelingt es Koller, Napoleon zu beruhigen, und die Abschiedszeremonie findet wie geplant im Hof des Schlosses Fontainebleau statt.

Bereits am 1. März 1815 kehrt Napoleon aus Elba zurück. Obwohl sich die Bourbonen und die mit ihnen zurückgekehrten Aristokraten nach Kräften unbeliebt gemacht hatten, stößt seine Rückkehr nur bei der Armee und (erstaunlicherweise) dem Proletariat auf Begeisterung. Die ihm entgegengesandten königlichen Truppen stellen sich unter sein Kommando. Die Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815 beendet nach ungefähr hundert Tagen seine Hoffnungen. Napoleon verlässt - wieder einmal - überstürzt seine sich auflösende Armee und begibt sich nach Paris. Auch jetzt kann er sich nicht zur Abdankung entschließen und wartet im Schlösschen Malmaison bei Paris die weiteren Ereignisse ab. Marschall Marmont berichtet in seinen Memoiren: "Hierauf begab sich Napoleon nach Malmaison, und hier überkam ihn die entschiedene Anwandlung, das Commando wieder zu ergreifen. Die Stimmung der Truppen schien diesem Vorhaben nicht abgeneigt. Er verlangte daher unter einem nichtigen Vorwand Pferde und musste sich deshalb an den Herzog von Vizenza (Caulaincourt) wenden, welcher gleichzeitig Oberstallmeister und Mitglied der provisorischen Regierung war. Dieser aber, der seine Absicht erriet, verweigerte die Pferde."

Napoleon findet sich nun bereit, neuerlich abzudanken. Gegenüber einem Abgesandten der provisorischen Regierung erklärt er aber, als einfacher General weiter gegen die Alliierten kämpfen zu wollen. Ein Angebot, welches von Fouché, der mit einem siegreichen General Bonaparte schlechte Erfahrungen gamacht hat, jedoch dankend abgelehnt wird.

Die Märtyrerlegende

Am 15. Juli 1815 besteigt Napoleon ein englisches Kriegsschiff und beginnt seine Reise nach Sankt Helena. Jede Aussicht auf eine neuerliche Rückkehr an die Macht ist endgültig vorbei. Napoleon beginnt nun sein letztes - und erfolgreichstes - "Comeback": er wird zur Legende.

In seinen auf St. Helena diktierten Memoiren und in den Aufzeichnungen seiner Begleiter entwirft er ein an den realen Ereignissen kaum orientiertes Zerrbild seiner Epoche. Die freundlichen und schüchternen Versuche des englischen Gouverneurs Hudson Lowe, seinem Gefangenen die Anwesenheit auf St. Helena so erträglich wie möglich zu machen, erwidert er mit gezielter Provokation und Brüskierung. Ein neues - für die Nachwelt faszinierenderes - Bild von Napoleon als unschuldigem Märtyrer entsteht.

Alfred Plischnack hat die Bücher "Napoleon vor Wien" und "Vive l'empereur, weils sein muß", Amalthea Verlag Wien, verfasst. Ein weiteres Buch zum Thema: "Ein Wiener in Paris oder Napoleons Untergang 1814/15" ist in Vorbereitung.

Freitag, 14. Februar 2003

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