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Begehrte Schätze und verschmähte

Was das barocke Europa über Rohstoffe in fernen Ländern wusste
Von Martin Luksan

Als die Welser 1529 den Hafenplatz von Coro befestigten und darangingen, das Hinterland von Venezuela zu "erobern", waren sie nicht an den Papayas, Avocados und Tabakpflanzen des Columbus interessiert, sondern wollten Gold aus Minen abbauen, oder Silber aus Bergen nehmen, wie ihnen das in den Alpen möglich war. In Santo Domingo hatten sie bereits eine Niederlassung, in die Ambrosius Dalfinger zurückkehrte, nachdem ihn die Indianer und das feuchtheiße Klima an der Maracaibo Bucht vertrieben hatten. Zwei Jahre später kehrte er mit 200 spanischen Söldnern, einer großen Zahl von Trägern und jener Hand voll Personen zurück, die zur Siedlungsarbeit überhaupt bereit waren. Zu dieser hatten sich die Welser im Vertrag mit Karl dem Fünften verpflichtet, ungeachtet der Tatsache, dass der Kaiser dem Augsburger Handelshaus viel Geld schuldete.

Sie verfügten über eine dieser Ausbeutungs-Berechtigungen, mit denen sich das "zivilisierte Europa" auf den vermuteten Reichtum fremder Kulturen stürzte. Über einen "Freibrief" für Mord, Totschlag und Erpressung, durch christliche Missionsabsicht verhüllt. Europa hatte damals eine Vorstellung von "Schatz", die mit natürlichen Ressourcen kaum verbunden war. Die Welser in Westindien trieben auch den Gewürzhandel nicht voran, sondern waren wie eine Großmacht nur am Zugang zu Gold und Silber und am Zugang zum Pazifik interessiert. Entsprechend verhielt sich ihr bekanntester Söldner, Nikolaus Federmann, als er zwischen Gewaltmärschen und Massakern in Venezuela einen Berg bestieg, um nach dem "Südmeer" Ausschau zu halten.

Das "Goldland" von Cortez und das "Südmeer" von Balboa waren um 1530 die stärksten Antriebe für eine Expedition in der Neuen Welt. Zu diesem Zeitpunkt war der den Eindringlingen bekannte Mais bereits nach Europa gebracht, aber dort nicht eingeführt worden. Sowohl die spanischen Siedler in der Karibik als auch die Soldaten des Cortez in Mexiko aßen viel Mais-Polenta, die zugleich die Nahrung ihrer eingeborenen Opfer, Kriegsgegner oder Arbeitssklaven war. Diese nahrhafte Pflanze konnte fast überall angebaut werden und füllte die Speicher bis zu einem Jahr. Die Inkas hatten sie auf ihren Höhen, die Mayas in ihren Tiefen und die Hopis am Rand ihrer Wüsten, doch in Europa wurde sie nur in Südspanien angepflanzt. Den Fürsten und den Kaufleuten war freilich wohl bekannt, dass die portugiesischen Sklavenhändler ihre Sklaven mit Mais ernährten und auch die Entvölkerung der Küsten zwischen Ghana und der Kongomündung durch die Anpflanzung von Mais zu kompensieren suchten. Das erfüllte vor allem die Nordeuropäer mit Ekel, die den Mais nur als Futtermittel für Schweine ansahen, wobei vornehmlich die Engländer nicht müde wurden, die angebliche Schwer-Verdaulichkeit von Mais zu behaupten.

Durch die Eroberung der Andenländer kamen die Tomate und die Kartoffel nach Europa, wo sie bis zum 17. Jahrhundert sehr verachtet wurden. Bei der Tomate, die eine Nutzpflanze der Inkas gewesen war, wunderten sich die kostenden Gelehrten, dass eine so rote Frucht so wenig süß schmecken kann. Die Tomate überlebte in den Klostergärten spanischer Mönche, ehe sie als "Liebesapfel" im 17. Jahrhundert Verbreitung fand. Die zweite Nachtschattenpflanze, die Kartoffel, kam erst nach dem 30-jährigen Krieg, als die Norddeutschen, aber auch die Dänen und die Schweden, die Kartoffel in Gegenden anpflanzten, wo überwiegend Frauen Ackerbau betrieben. Die Engländer und die Holländer füllten ihre Schiffe mit Kartoffeln, teils um sie zu essen, teils um sie als Saatgut nach Nordamerika und Südostasien zu bringen.

Duftstoffe und Gewürze

Stärker als Edelmetalle und Edelsteine hingen Färbemittel, Duftstoffe und Gewürze aus Pflanzen von der kulturellen Deutung ab. Das heißt, ihre Seltenheit in Europa allein bestimmte noch nicht ihren Wert. Sie mussten auch an Europas Höfen, die die Zentren des Reichtums waren, in Mode sein. Ein Buchhalter des Da Gama, Mateo de Begnino, listete 1503 eine Reihe von Waren auf, für die Da Gama, genannt "der Admiral", an der indischen und der ostafrikanischen Küste Spuren der Zerstörung hinterließ. Der Zahlmeister nannte Brasilholz und Indigo (roten und blauen Farbstoff), Zimt, Pfeffer, Nelke und Muskatnuss als Gewürze, sowie Aloeholz und Benzoe als geruchsintensive Harze.

Die Portugiesen brachten Spezereien tonnenweise nach Europa, wodurch der Handel der Venezianer (aber auch der Genuesen) mit ähnlichen Waren zum Erliegen kam. Gewürze auf dem Landweg waren plötzlich viel zu teuer. Venedig stellte ganz auf Seide, Porzellan, fremde Stoffe und Schießpulver um, aber es wurde auch durch die Osmanen geschwächt, denen es für Schiffsverkehr Abgaben zahlen musste. Dieses Problem löste auch die Seeschlacht von Lepanto nicht. Den Franzosen gelang es durch Vermittlung des Papstes, dass die Zweiteilung der Welt in einen spanischen und einen portugiesischen Einflussbereich abgeändert wurde. Die nördlichen Breiten der Neuen Welt standen nunmehr auch für Frankreich offen. Die Engländer betätigten sich als Seeräuber, wobei der Ausdruck "Prise" für die Ladung eines fremden, gekaperten Schiffes sehr bald ein Wort der Rechtsgelehrten wurde (price und prize).

Durch die rege Seefahrt erhielten die in Europa noch nicht oder eben erst eingeführten Kulturpflanzen eine größere Verbreitung, als sie gehabt hatten. Die roten Bohnen und die Erdnüsse wurden von den Spaniern von Südamerika nach Europa gebracht. Hier wurden sie so wenig geschätzt, dass sie nur als Tauschobjekte für Inder oder als Nahrungsmittel für Negersklaven geeignet schienen. Das galt besonders für die Erdnüsse, die nach ihrem kurzen Besuch in Europa überall in Westafrika angepflanzt wurden. Erst von dort gelangten sie durch europäische Sklavenschiffe in den Süden der heutigen USA. Der von den Mauren in Südspanien angepflanzte - asiatische - Reis wurde erst durch die Spanier in die beiden Amerika gebracht. Die Banane, deren Hauptlieferant heute Brasilien ist und die im Amazonasgebiet beinahe das Brot ersetzt, wurde erst 1516 durch ein spanisches Schiff in die Karibik gebracht; sie war bis dato nur in Malaysien und Inselindien verbreitet. Die von Kolumbus präsentierte Tabakpflanze beförderten die Portugiesen nach China und nach Java, ins spätere Tabakreich der Holländer, wo sie vorher völlig unbekannt gewesen war.

Die "Erdbirne"

1590 erzeugte die Werkstatt des Theodore de Bry einen Kupferstich nach einem englischen Gemälde. Es zeigt ein Dorf der Algonquin mit Hütten, Figuren und überaus gepflegten Mais-, Tabak- und Sonnenblumenfeldern. Von den 55 Arten der Sonnenblume, die es damals nur in Amerika gab, brachte man Ludwig dem Dreizehnten die so genannte "Erdbirne" oder "Topinambur" nach Paris . Ein Bild zeigt drei Eingeborene aus Nordamerika, von denen ein jeder die große Wurzelknolle in der Hand hält. Die Indianer tragen Pluderhosen und Wämse zu ihrem malerischen Kopfschmuck dazu, denn Ludwig der Dreizehnte war 1613 erst zwölf Jahre alt.

Im Großen und Ganzen wurden aber der Anbau von Feldfrüchten, von Gartenpflanzen und von Weinreben sowie der Forstbetrieb, die Viehhaltung und die Jagdnutzung eines fernen Landes in der Zeit vor dem Merkantilismus nur gering beachtet. Die Zeit der "Conquista" war sogar eine Zeit, in der das private Kriegsunternehmertum unter einen so großen Profitdruck geraten konnte, dass nicht einmal der Abbau einer reichen Mine dem "Eroberer" interessant erschien. Gonzalo Jimenez de Quesada ignorierte alle Nachrichten von Bergbau im Hochland von Bogota, er plünderte lieber Häuser und Tempel, schmolz das Beutegold sofort ein und verteilte es, unter Abzug des "königlichen Fünftels", auf sich selbst und seinen Heerhaufen. Einem Kaziken der Muisca folterte er viel Gold ab. Da der Häuptling bei der Tortur starb und Quesada eine juristische Ausbildung genossen hatte, ließ er durch Zeugen protokollarisch festhalten, dass der Indianer eines natürlichen Todes gestorben sei.

Antonio de Berrio verfolgte 1590 die El-Dorado-Vision des Quesada weiter. Wie viele Spanier der Neuen Welt wähnte er das Goldland zwischen Amazonas-Strom und Nordküste von Südamerika, zwischen Urwäldern versteckt. Die Küsten von Nord-Südamerika hatten damals samt Hinterland nicht mehr als zehn europäische Siedlungen, darinnen nicht mehr als 200 spanische Familien. Gerade diese Menschenleere bestärkte Berrio in der Vermutung, dass das Goldland unzugänglich sei. Er fuhr deshalb den Orinoko hinauf, bis Wasserfälle seine Weiterfahrt beendeten.

Fünf Jahre später fuhr Walter Raleigh ebenfalls den Orinoko quellwärts, nachdem er vorher Berrio auf Trinidad überfallen und ihn über seine Flussfahrt befragt hatte. In dem Bericht über seine eigene Reise, den er später im Tower-Gefängnis verfertigte, hat er die Sicht eines Bühnenbildners auf die Landschaft: Nur Wald, Weidengesträuch und Buschwerk . . . dann weite Flächen mit natürlich gewachsenen Baumgruppen, die durch alle Kunstfertigkeit und Arbeit nicht besser hätten angeordnet werden können. Kein Wort über die agrarischen Möglichkeiten des Landes, doch gab er Märchen vom Goldstaub auf der Haut der Indianer und von Fabelwesen wieder, die ihre Köpfe zwischen den Händen tragen.

Den Orinoko hielt man für einen guten Zugang zum Gold wegen seiner Nähe zum Äquator (Gold und Sonneneinstrahlung sollten in einer kausalen Beziehung zueinander stehen), doch in einem Tiefland wie dem des Orinoko herrschte vor allem bei Hochwasser das mörderische Klima. Die Europäer waren gegen Malaria und die verschiedenen Fieberkrankheiten genetisch nicht geschützt, sodass alle Reisenden dieser Zeit aus jenen Gebieten irgendwie krank zurückkamen. Afrikanische Sklaven, die man in Gebiete des Amazonas, des Orinoko und des Magdalenen-Stromes gebracht hatte, entgingen mitunter der Kontrolle ihrer weißen Herren, wenn diese am Tropenfieber starben. (Umgekehrt rotteten europäische Krankheiten die amerikanische Urbevölkerung von Neu Spanien innerhalb von 100 Jahren um 97 Prozent aus.)

Um 1620 war das Gold aus Amerika erschöpft und das Bild vom Goldland verblasste. Die spanische Silberflotte war noch immer unterwegs und auch Kupfer ließ man aus Chile kommen. Bauxit war jedoch noch nicht bekannt und Kohle und Erze schleppte man noch nicht über die Meere. Die Idee des Reichtums einer Kolonie war vor der Einführung des Merkantilismus mit der Idee der Herstellung von Luxusgütern für winzige Eliten untrennbar verknüpft. Es war nur wertvoll, was der Potentat, König oder Fürst, selbst genoss oder zur Repräsentation benötigte. Dazu gehörten nun auch die klassischen Produkte der heißen Zone, die späteren "Kolonialwaren" Tabak, Tee, Kaffee, Rohrzucker, die für die Bevölkerungen Europas zunächst unerschwinglich waren.

Vom Sammeln zum Wissen

Im 17. Jahrhundert wurden die vielen Sammelstücke aus der Natur zu Objekten des Wissens und der Erkenntnis. Sie hatten zwar keinen Handelswert, waren aber von größerer Bedeutung als bloße Raritäten. Das Wissen über Tiere, Pflanzen und Gestein wurde nicht allein durch das Buch, sondern auch durch das Schaustück konstituiert. Der Besitzer der Sammlungen war nach wie vor der Fürst, der aber die Entscheidung über den Wert der Dinge an "Akademien der Wissenschaften" abgegeben hatte. Diese setzten die geistigen Voraussetzungen dafür in die Welt, dass aus Raritäten-Kammern Museen wurden, und beschlossen das Mitreisen von Gelehrten auf Schiffen.

Im 18. Jahrhundert erhöhte der Wert der "Exoten" (Pflanzen, Tiere, später auch Menschen) die Chancen der Wissenschaft für Erkenntnis. Charles Marie de La Condamine, der ursprünglich als Geograf gearbeitet hatte, brachte den Kautschukbaum und die Chinarinde nach Paris mit. Der Pflanzengummi aus Mexiko war in Europa zwar schon bekannt, aber der "weinende Baum" vom Amazonas brachte besondere Überraschungen mit sich, wenn man ihn mit dem Messer ritzte. Die Chinarinde wirkte wie ein ungenießbarer Kaffeebaum. So waren diese Objekte aus der Zone des "großen Gleichers" für die französischen Gelehrten von allergrößtem Wert, obwohl sie weder Kautschuk in großem Stil herstellen konnten noch von Chinin überhaupt was wussten. Sie waren aber davon überzeugt, dass ihnen eine Pflanze aus einer so fernen und unbekannten Gegend ein besonderes Naturrätsel verraten müsste.

Freitag, 15. März 2002

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