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In Constanta, dem alten Tomis, verbrachte Ovid seine letzten Jahre

Am Rand der Welt

Von Wolfgang Ludwig

Der Mann, dessen Statue so nachdenklich auf den nach ihm benannten, heute tristen und herabgekommenen Platz blickt, war nicht gerne und vor allem nicht freiwillig hier. Der erfolgreiche und gefeierte Dichter Publius Ovidius Naso (geb. 43 v. Chr. in Sulmo / heute Sulmona östl. von Rom, gestorben 17 oder 18 n. Chr. in Tomis / Constanta) wurde im Jahr 8 n. Chr. von Kaiser Augustus an den Rand des römischen Reiches, nach Tomis, verbannt.

Die genauen Hintergründe bleiben bis heute unklar.

Augustus hatte sich bemüht, dem allgemeinen Sittenverfall der Bürgerkriegszeit durch Gesetzeskraft entgegenzuwirken, indem er tugendhaftes Verhalten förderte und vor allem neue Ehegesetze erließ, die es nur dem Verheirateten gestatteten, ein Erbe anzutreten. Doch die Wirkung der Gesetze war kontraproduktiv: Eltern zwangen ihre Kinder in schnelle Scheinehen (auch dem jungen Ovid war es so ergangen), um den Familienbesitz zu erhalten. Die Zahl der Scheidungen stieg rasant an, Bordelle erfreuten sich regen Zuspruchs. Auch im Kaiserhaus selbst war nicht alles makellos: Augustus hatte seine Frau Livia, die ursprünglich mit einem anderen Mann verheiratet war, kurzerhand entführen lassen und die Scheidung erzwungen. Julia, seine Tochter aus erster Ehe, war in Ehebruchskandale verwickelt, und auch deren Tochter, die jüngere Julia, wurde bei einem Ehebruch ertappt - angeblich ausgerechnet von Ovid, der somit unfreiwillig zum Mitwisser wurde und für Augustus in dessen Augen möglicherweise gefährlich werden konnte.

Gast im Kaiserhaus

Außerdem war Ovid in der kaiserlichen Familie häufiger Gast. Er las den Damen des Hauses aus seinen Werken vor, vorzugsweise aus seinem bis dato größten Erfolg, der "ars amatoria", einem dreibändigen Werk über "die Liebeskunst". Ohne jede Frivolität ging es hier um das gegenseitige Kennenlernen, die Beschreibung von Eroberungsstrategien, die Nennung einzelner Treffpunkte in Rom und über Wege, die die Männer ans Ziel ihrer Begierde führen sollten. Im dritten Band gab Ovid Anweisungen für Frauen: Tipps für passende Kleidung und Haartracht, er schrieb über Anmut, schöne Männer, Schwindler und List, warnte vor Leichtgläubigkeit und vieles mehr.

Nur 30 von über 2.300 Versen beschäftigten sich mit dem eigentlichen Liebesspiel. Ovid wird konkret und kommt zur Sache: Klare Anweisungen betreffen etwa die Aufgabe der Hände und Finger ("nec manus in lecto laeva iacebit iners; . . ." "die linke Hand wird nicht untätig auf dem Bett liegen; die Finger werden an jenen Stellen etwas zu tun finden, an denen Amor heimlich seine Pfeile netzt."), er preist die Kunst der Verzögerung (". . . sed sensim tarda prolicienda mora") und beschreibt den zielstrebigen Weg zum Höhepunkt.

Wollte man Ovid übel (und es gab sicher viele Neider des Erfolgs), brauchte man nur aus dem Zusammenhang heraus zitieren, Ovids erwähnte Mitwisserschaft hervorheben oder zur Diskussion stellen, ob derartige Verse - obwohl sie schon einige Jahre am Markt waren - der augustäischen Restitutio zuträglich waren. Angeblich soll Ovid auch über Versuche, Agrippa Postumus zum Thronfolger des Augustus zu machen, zuviel gewusst haben.

Ovid selbst schien ein trügerisches Gefühl gehabt zu haben. Er begann die "Fasti" zu schreiben, ein Lehrgedicht über römische Festtage, in dem er auch den von Augustus eingeführten Feiertagen huldigte (das Werk wurde nicht vollendet). Auch in den jedem Gymnasiasten wohl bekannten "Metamorphosen" fand er freundliche Worte für Augustus, obwohl er sich früher immer bemüht hatte, sich aus der aktuellen Politik herauszuhalten. Zu spät.

Die Verbannung traf Ovid dennoch völlig unvorbereitet. Dabei zeigte sich der Kaiser noch gnadenvoll in seinem Willkürakt: Die Verbannung war eigentlich eine "Relegation", d. h. Ovid durfte seine Bürgerrechte und sein Vermögen behalten. Der Dichter, der zunächst fest an einen Irrtum oder eine Verwechslung glaubte, bat seine Frau (seine dritte, mit der er glücklich verheiratet war), in Rom zu bleiben, um den Besitz zu verwalten. Er sollte sie und seine Tochter, die zum Zeitpunkt des Urteils in Libyen weilte, nie wiedersehen. Auch Augustus' Tochter Julia und seine Enkelin trifft übrigens der Bannstrahl, allerdings müssen sie nur auf eine Insel vor der italienischen Küste.

Als Ovid im Jahr 9 n. Chr. nach einer beschwerlichen Überfahrt durch die winterlichen Stürme der Ägäis in Tomis ankommt, war es kaum 30 Jahre her, dass die Römer die Stadt und die Dobrutscha (das Gebiet südlich der Donaumündung) erobert hatten. Es gab noch so gut wie nichts in Tomis. Ihre große Zeit sollte die Stadt erst rund hundert Jahre später erleben, als sie ein bedeutendes Handelszentrum und eine boomende Hafenstadt wurde, weil der Hafen durch einen hervorstehenden Kalksporn gut vor Versandung geschützt war.

Diese Entwicklung wird durch die Ausgrabungen von Warenlagern und einem repräsentativen Gebäude mit dem größten heute existierenden Mosaikfußboden aus der Römerzeit dokumentiert. Weitere Ausgrabungen scheitern allerdings an der Verbauungsdichte der heutigen Stadt.

Ovid hingegen fand keinerlei Komfort, keine Kultur, kein Publikum vor, dafür gab es eine ständige Bedrohung durch Barbareneinfälle und ein raueres Klima, als er es von Rom gewohnt war. Immerhin war er bereits über 50 und nicht ganz gesund.

Ovid verlegt sich wieder aufs Schreiben. Er verfasst die "Tristia" - Briefe an Freunde in Rom, denen er sein Schicksal beschreibt, die er um Fürsprache bittet und dabei bisweilen maßlos übertreibt. Er berichtet vom zugefrorenen Schwarzen Meer, der vermeintlichen Polnähe seines Aufenthaltsortes und anderen schrecklichen Details, auch wenn sie sich jenseits des geografischen Wahrheitsgehalts befinden mögen.

Er fleht um Gnade, bittet Augustus um einen anderen Verbannungsort ("Demütig bitte ich: Schick mich von hier in sichere Gegend") - doch vergebens. Auch Huldigungen des Augustus bringen keine Wende. Allmählich dämmern Ovid die möglichen Hintergründe seiner Relegation. Nicht einmal Augustus' Nachfolger Tiberius erhört das Flehen des Ovid. Dieser verfasst mit den "Epistulae ex Ponte" noch eine weitere Briefsammlung sowie einige kleinere Werke und gibt langsam selber die Hoffnung auf Rückkehr auf.

Langsam hatte er sich eingelebt, die Sprache der Geten und Sarmaten erlernt und sogar Dichtungen in diesen Sprachen verfasst, darunter auch ein Lobgedicht des Augustus in Getisch. Die doppelte Ironie dabei: Nicht nur, dass Ovid ausgerechnet Augustus lobt; die Römer hatten sich den von ihnen unterworfenen Völkern immer kulturell und sprachlich überlegen gefühlt, und nun verfasst ein römischer Bürger eine Lobpreisung des Kaisers auf "Barbarisch". Ovid war aber inzwischen längst schon zum geachteten Ehrenbürger "der Barbaren", die seine Begabung erkannt hatten, geworden.

Nach neun Jahren im Exil starb Ovid im Jahre 17 (nach anderen Quellen im Jahr 18 n. Chr.) in Tomis, wo er auch begraben liegt.

Constanta heute

Fast zweitausend Jahre nach Ovids Tod erscheint die ca. 360.000 Einwohner zählende Hafenstadt am Schwarzen Meer genauso wenig einladend wie zur Zeit des Dichters. Sie wirkt herabgekommen, schmutzig und trist. Die Wirtschaftslage ist schlecht, für viele Bewohner hoffnungslos. Die großen Investitionen des ausländischen Kapitals fließen fast nur in die Hauptstadt Rumäniens, das große Prestigeobjekt Ceausescus, der schlecht ausgelastete Donau- Schwarzmeer-Kanal, gibt der Stadt kaum Entwicklungsimpulse. Auch der Tourismus in den ebenfalls recht traurig wirkenden Badeorten rund um Constanta bringt nur kapitalschwaches Publikum.

Dennoch ist sich die Stadt ihres kulturellen Erbes bewusst: An Erinnerungen an Ovid (den ein Taxifahrer in nur ungefährer Kenntnis der Lage als einen "von Cäsar vertriebenen griechischen Philosophen" beschreibt) mangelt es nicht. Ein Straßenname verweist auf Ovids Geburtsort, auf die Stadt Sulmona, mit der Constanta eine Partnerschaft verbindet. Der "Bulevardul Tomis", die "Strada Ovidiu" erinnern ebenfalls an die große Vergangenheit der Stadt.

Im interessanten archäologischen Museum wird der Aufschwung in der Römerzeit anschaulich dokumentiert. Und in den Gymnasien wird fakultativ auch Lateinunterricht angeboten, wodurch zumindest einem Teil der Jugend die Person des Ehrenbürgers von Tomis nahe gebracht wird.

Sogar am Bahnhof verweist eine Inschrift auf Ovid. Nur der Flughafen ist nach einem rumänischen Politiker des 19. Jahrhunderts benannt. Aber wäre es nicht eine unpassende Ironie der Geschichte, wenn gerade ein Flugplatz, von dem man in nur zwei Stunden in Ovids geliebtes Rom hätte reisen können, auch seinen Namen tragen würde ?

(Die "ars amatoria" ist zitiert nach der Übersetzung von Michael v. Albrecht.)

Freitag, 09. November 2001

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