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Monströse Zeugen der Idee eines tausendjährigen Reiches

Flak-Trumm

Von Jan Killian

Frei nach Paul Virilio, dem Begründer der Bunkerarcheäologie, der sich intensiv mit dem Wesen des Krieges auseinandersetzte, sind Bunker eine merkwürdige Behauptung gegen die sozialen Auswirkungen von Technologie und Beschleunigung. Der Mensch versucht mit archaischer Festungstechnologie, die sich in Wien spätestens seit den Napoleonischen Kriegen überholt hat, die neu gewonnene, ungeheure militärische Mobilität aufzuhalten.

Hat sich der Bau der Festungen bezahlt gemacht? Wohl kaum. Exemplarische Bauwerke, wie die Flaktürme symbolisierten Sicherheit und dienten mehr der psychologischen Stabilisierung der Bevölkerung, als dass ihnen eine militärische Kosten-Nutzen-Rechnung zugrunde lag. Virilio schreibt über Festungsanlagen: "Neben ihrer militärischen Funktion hat die Festungsanlage eine Klassenfunktion; die in ihr liegende Möglichkeit einen Angriff in eine Belagerung umzuwandeln, versetzte sie in die Lage, die sozialen Auseinandersetzungen unendlich zu verlängern."

In diesem Sinne stellen sie eine Antithese zum Bombenkrieg der Alliierten dar, der darauf abzielte, in der Bevölkerung Widerstand gegen das NS-Regime zu wecken. Die Flaktürme, deren Baubeginn zeitlich mit den Niederlagen im Osten und dem Kriegseintritt der Amerikaner zusammen fiel, präsentierten sich als gebaute Versicherung des Verteidigungswillens.

Die Tatsache, dass sie im Kernbereich der Stadt und nicht etwa zwischen den gründerzeitlichen Massenquartieren der Vorstädte hervorragen, sagt unter anderem aus, dass man vornehmlich um die öffentliche Meinung der bürgerlichen Bevölkerung besorgt war. In ihrer Funktion als Luftschutzraum wären sie in Ottakring oder Hernals, wo es eine nicht annähernd so umfangreiche Unterkellerung gibt, sinnvoller gewesen. Die NSDAP war nicht, wie uns ihr Name glauben machen will, eine Arbeiterpartei. Ihre Anhängerschaft rekrutierte sie hauptsächlich aus dem Klein- und Mittelbürgertum; jenen Bevölkerungsschichten, die die arisierten Wohnhäuser der Leopoldstadt nun im Schutze der Augartentürme für sich beanspruchen konnten.

Die Schutzfunktion der Flaktürme wurde in der NS-Propaganda in den Mittelpunkt gestellt. Abbildungen aus jener Zeit zeigen die Flaktürme als monolithische Kastelle, in die, selbstverständlich in geordneten Bahnen, die schutzsuchende Bevölkerung einströmt, während die Scheinwerfer auf dem Dach ihre suchenden Lichtsäulen in den Himmel schneiden.

Die Wiener Flaktürme sind auch ein Symbol für die Mechanik des totalen Krieges. Der Unterschied zwischen Kombattanten und Zivilisten wurde bewusst aufgehoben, der Krieg in dichtbesiedeltes Gebiet getragen. Ein Geschützturm ist zugleich Luftschutzbunker, die Zivilisten sind zugleich Besatzung und Belagerte. Die Zivilisten dienen nun dem Turm als menschlicher Schutzschild, und - geht man von dem offensichtlichen Fehlen von Beschädigung an den Türmen aus - war diese Geiselnahme von Erfolg gekrönt. Waffentechnisch wäre es damals nämlich sehr wohl möglich, wenn auch risikoreich, gewesen die Panzerungen der Türme zu durchschlagen, wie erfolgreiche Angriffe auf die stärker armierten U-Boot-Bunker bewiesen. Der Mikrokosmos Flakturm beherbergte auch das zentrale Bindeglied zwischen Front und Heimatfront: Die Rüstungsindustrie. Siemens und Halske oder das Flugmotorenwerk Ostmark, ließen Elektronenröhren und Elektromotoren im Schutz der Bunker herstellen. Bei der Gestaltung der Flaktürme bediente man sich vorwiegend im Reservoir der Reichsbaukunst. Die nationalsozialistische Repräsentationsarchitektur scheint sich vorwiegend einer "militär-politischen" Formensprache bedient zu haben. Die "Bauten für die Ewigkeit" waren monumentale Werbungen für die Ideologie von Volk, Rasse und Raum. Hitler, der sich selbst für einen Baukünstler hielt und in Albert Speer seinen kongenialen Weggefährten sah, forderte von den Repräsentationsbauten des Dritten Reiches, dass ihnen gleich griechischen Tempeln "Ruinenwert" inne wohnen sollte. In Wien ist dies derart gut gelungen, dass hier das tausendjährige Reich gute Chancen hat, zumindest in gebauter Form ein Millennium zu erleben.

Die "Archetypen" nationalsozialistischen Bauens orientierten sich an Monumentalbauten wie dem Pergamontempel, Castel del Monte, der Akropolis und an den Burgfrieden. Das menschliche Maß der griechischen Baukunst, das die Proportionen der Tempel auf deren "Benützer", den Mensch abstimmte, pervertierten die Reichsarchitekten zum Maßstab des Übermenschen.

Durch monumentale Bauweise sollte Architektur beeindrucken, einschüchtern und ein Instrument zur Lenkung der Masse werden. Eine der theoretischen Grundlagen war das von Siegfried Kracauer postulierte Ornament der Masse, welches erst zur Geltung kam, wenn es mit Menschenmaterial befüllt war. Architektur schuf Kulissen für vorbeimarschierendes Militär.

Die Flaktürme verkörpern dieses Zeichen- und Wertesystem der Naziarchitektur. Ihre Standorte und Gestalt sind auf Wirkung ausgerichtet. Die Türme im Augarten, ein 16-eckiges Stahlbeton-Castel del Monte und ein klotziger Burgfried mit "Schwalbennestern" an den Ecken als Wehrtürme, stehen nicht zufällig in den Schnittlinien der barocken Alleen. Der Turm in der Stiftskaserne ist eine einmalige Ergänzung des Semper'schen Kaiserforums und setzt gekonnt die Sichtachse Hofburg-Heldenplatz-Museen fort. Der gelernte Städtebauer Friedrich Tamms stritt diese gedachte Wirkung auch nur halbherzig ab und schwärmte von der "spürbaren Bekrönung des darunter stehenden, in viele Geschoße unterteilten Bauwerkes".

Man entnahm dem Baustil der Moderne die Klarheit des Konzepts, die "Materialgerechtigkeit" und grundsätzliche Ablehnung des "Dekorativen". Die historischen Vorbilder wurden ihres Dekors beraubt und zu monotonen Ensembles gruppiert. Ein die Giebel der Umgebung überragender Obelisk, Glockenturm oder Burgfried markierte die neu geschaffenen Partei- und Repräsentationsgebäude. Die Materialien die für den Bau der Türme verwendet wurden, waren die gleichen, die auch die Reichskanzlei schufen: Stahl, Stein und Beton.

Der NS-Neoklassizismus, die germanische Burgenarchitektur und der Heimatstil verwendeten Naturstein nur als oberflächlichen Zierrat - darunter baute man massiv.

In den Köpfen der NS-Stadtplaner wären die Wehrbauten auch in Friedenszeiten ins Stadtbild zu integrieren gewesen: Nach dem Endsieg sollten die Türme - mit Marmorplatten verkleidet - als NS-Totenburgen wieder auferstehen. Die Steine waren schon bereitgestellt, Tote hätte es auch genug gegeben - nur der Endsieg blieb aus.

Daten zu den Flaktürmen

Als sich 1940 abzeichnete, dass mit Bombenangriffen auf deutsche Städte zu rechnen war, forderte Hitler den raschen Bau einer spezifisch deutschen Bunkerform, für die Großstädte Hamburg, Berlin und Wien - Die Flaktürme.

Für die Wiener Türme zeichnete der deutsche Architekt und spätere Ehrendoktor der TU Wien, Friedrich Tamms, verantwortlich. Ihm zufolge soll die erste Skizze, die bereits die jetzige Form vorgab, von Hitler persönlich stammen.

Die Wiener Flaktürme sind in drei Paaren von Feuerleit- und Gefechtsturm zusammengefasst. Auf dem Leitturm befanden sich Radargeräte, Scheinwerfer, Richtungs- und Entfernungsmessgeräte. Der Gefechtsturm beherbergte die schweren Flakgeschütze in der gepanzerten Dachplattform. Die Türme waren mit eigener Belüftung und Wasserversorgung sowie Krankenstationen ausgestattete, autarke Einheiten. Daneben beherbergten sie Fernmeldestationen, Produktionsstätten und Verwaltungseinrichtungen des Militärs.

In etwa drei Kilometern Abstand bilden die Türme ein gleichseitiges Dreieck mit Mittelpunkt Stephansdom. Die Betonfestungen sind unterschiedlich hoch, die Geschützplattformen befinden sich jedoch alle auf derselben Seehöhe, um den Austausch von Messdaten zu ermöglichen. Neben dem als Haus des Meeres bekannten Turm im Esterházypark und seinem Gegenstück in der Stiftskaserne, befinden sich weitere Bunker im Augarten und im Arenbergpark. 1942 wurde mit der Errichtung des ersten Paares begonnen. Zum Bau wurden mit Fortschreiten des Krieges zunehmend Zwangsarbeiter herangezogen.

Zuletzt wurde der runde, eigentlich 16-eckige, Gefechtsturm im Augarten im Frühjahr 1945 fertig gestellt, der mit 55 m Höhe auch der größte ist. Mit Ausnahme der Flaktürme im Arenbergpark wurden die Wiener Turmpaare von Tamms selbst entwickelt. Er orientierte sich an der dichtgedrängten Geschützanordnug auf Kriegsschiffen, um die Grundfläche klein zu halten.

Die militärischen Erfolge hielten sich allerdings in Grenzen, die 24 Geschütze waren für die Alliierten Bomber kein Grund, Wien zu verschonen. In ihrer Funktion als Luftschutzbunker waren die Türme ungleich erfolgreicher. Nach Zeitzeugenberichten drängten sich bis zu 16.000 Wiener in die Luftschutzräume der unteren Stockwerke des Turms.

Aufgrund der Weiterentwicklungen Tamms' waren die Wiener Türme die massivsten ihrer Art. Eine Sprengung der aus bis zu 42.000 m³ Stahlbeton errichteten Ungetüme ist nicht nur aus Sicherheitsgründen undenkbar. Bei einer der wenigen gelungenen Sprengungen in Hamburg benötigte die britische Armee 35 Tonnen TNT, um einen Feuerleitturm zu zerkleinern. Eine Explosion dieser Größenordnung würde jedoch im dichtverbauten Gebiet alle umliegenden Häuser in Schutt und Asche legen. Das Zersägen und scheibchenweise Abtragen wäre theoretisch denkbar - würde aber Milliarden verschlingen.

Die Entscheidung, die Wiener Türme unter Denkmalschutz zu stellen, hat eine Rezyklierung nach deutschem Vorbild bis jetzt verhindert. Dort wurden die Bunker nach Kriegsende nämlich zugeschüttet und begrünt.

Freitag, 20. April 2001

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