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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Wie zwei 600 Jahre alte Bürgerkriegsopfer gerettet werden konnten

Des Kaisers Schattenspender

Von Marc Paul Maron

Noch heute erzählt man in Trsteno, einem idyllischen 280-Seelen-Dorf an der dalmatinischen Adriaküste, jene Begebenheit, die sich im Sommer 1817 bei einem Aufenthalt des Habsburger Kaisers Franz I. zugetragen haben soll:

Durch Lärm und Speisedüfte eines festlichen Gelages neugierig geworden, riss sich ein riesiger Labrador von der Kette und raste geradewegs in die kaiserliche Tafelrunde. Inmitten der panischen Aufgeregtheit blieb einzig Franz I. ungerührt. Davon beeindruckt, legte das "Ungetüm" seinen gewaltigen Kopf sanft auf die kaiserlichen Knie, was der Monarch lächelnd quittierte: "In questa casa mi amano anche i cani" ("In diesem Haus lieben mich sogar die Hunde").

Damals hieß Trsteno noch Cannosa, was im italienischen wie im kroatischen "Schilfrohr" bedeutet.

Begünstigt durch das adriatische Klima und die zahlreichen Quellen entfaltet sich hier seit jeher eine besonders üppige, artenreiche Vegetation. Lorbeer- und Eukalyptusdickichte im Wechsel mit üppigem, rot und rosa blühendem Oleander, Feigenbäume und Zypressen neben rebenumrankten Olivenbäumen, Palmwedel und Bambus geben eine Vorstellung des großen mediterranen Pflanzenreichtums.

So verwundert es nicht, dass Trsteno gleich zwei europäische Naturkostbarkeiten beherbergt: Das "Arboretum", einen der ältesten und mit ca. 25 ha größten botanischen Gärten des Kontinents, und zwei Platanen, deren mächtige Kronen den von einer Marmorbank umsäumten dörflichen Hauptplatz komplett überdecken.

Die wechselvolle Geschichte Dalmatiens spiegelt die Verwerfungen europäischer Machtpolitik wider. Stritten im frühen Mittelalter - nach Jahrhunderten römischer Dominanz - Kroaten und Serben um die Vorherrschaft, folgten im späten Mittelalter Ungarn und schließlich Venetien, welches - unterbrochen von rund 150-jähriger türkischer Besetzung - bis zur "Übernahme" durch die Habsburger Monarchie 1797 regierte.

Die Adelsfamilie Gucetic - italienisch: Gozze -, die das Land um Trsteno im 14. Jahrhundert übereignet bekam, legte kurz darauf das Arboretum an.

Etwa zur gleichen Zeit brachte ein ortsansässiger Bauer von einer Reise aus Konstantinopel zwei zarte Platanenstecklinge mit, die er links und rechts von einer meerwärts sprudelnden Quelle pflanzte.

Während Venedig von den Osmanen erobert wurde und seine Herrschaft im östlichen Mittelmeer einbüßte, wuchsen die zwei Stecklinge zu jungen, kräftigen Bäumen heran.

Im gräflichen Palais der Gozze, die durch Verheiratung mit dem halben europäischen Hochadel verwandt waren, trafen sich neben regierenden Häuptern auch Schriftsteller und bildende Künstler, so der aus Venedig übers Meer angereiste Tizian.

Wohl kaum beachtet von dem Renaissancemaler, dessen Sinne durch eindrucksvolle Licht- und Farbwechsel, betörenden Blumenduft, Insektensummen und Vogelgesänge gesättigt waren, hatte das Platanenpaar inzwischen eine Stammdicke von je 60 cm erreicht. Da dürfte der englische Romantiker Lord Byron, der auf seinem rastlosen Wanderleben in Cannosa Station machte, rund 250 Jahre später von den inzwischen aufs vierfache gewachsenen Bäumen schon ungleich beeindruckter gewesen sein.

Ein anderer Literat, der irische Dramatiker George Bernard Shaw, der kaum einen Zeitgenossen mit seinem Spott verschonte, soll angesichts der einzigartigen Vegetation demütig geäußert haben: "Wenn man das Paradies sehen will, muss man hierher kommen."

Rund 600 Jahre bewegter europäischer Geschichte konnten den knorrigen Giganten mit heute jeweils 12 m Stammumfang nichts anhaben, bis die Kriegshandlungen am Balkan, genau gesagt: die See- und Luftangriffe der jugoslawischen Armee vom 2. und 3. Oktober 1991 den gesamten Landstrich verwüsteten. Dabei wurden sämtliche Häuser und 80 Prozent des Arboretums zerstört, in dessen geschütztem Raum über 300 exotische Baum- und Strauchsorten 600 Jahre lang ihre Pracht entfalten konnten. Auch die zwei Platanen gerieten durch die Brände so schwer in Mitleidenschaft, dass ihr Fortbestand ernsthaft gefährdet war.

Zehn Jahre später sind die Häuser großteils wieder bewohnbar, nur für die Rettung der kirchturmhohen Baumriesen fehlten Geld und technisches Know-how.

Der aus Trsteno stammende, in Wien lebende Gärtner Vinco Cenic, dessen Vater 30 Jahre lang Direktor des Arboretums war, machte seinen Arbeitgeber, den Wiener Grünbau-Unternehmer Ing. Andreas Jakel, auf die prekäre Situation aufmerksam.

Spontan übernahm dieser die Patenschaft für die Naturdenkmäler, in deren Schatten auf Holzbänken und an Tischen schon viele tausend Gläser Wein geleert wurden, unter anderem vom österreichischen Erzherzog Maximilian, dem späteren Kaiser von Mexiko.

Auch ein noch berühmterer Habsburger, Kaiser Franz Joseph, fand hier im Sommer 1875 Schutz vor der dalmatinischen Sonne, wie ein achteckiger Gedenkpfeiler verrät.

Ende Februar entsandte Andreas Jakel "im Sinne des europäischen Gedankens" auf eigene Kosten einen mit modernstem Gerät und österreichischem Know-how ausgerüsteten Baumpflegetrupp in das 1.000 km entfernte Dorf.

Mit Unterstützung der Österreichisch-Kroatischen Gesellschaft in Dubrovnik und unter lebhafter Anteilnahme der kroatischen Medien nahmen die Spezialisten aus Wien die viertägigen Arbeiten in Angriff.

Eine besondere Schwierigkeit bei der Sanierung solcher Baumriesen liegt darin, dass man mit Leitern und Hebebühnen nicht in alle Regionen der Baumkrone vordringen kann. Zudem verdichtet das enorme Gewicht von Hebebühnen das Erdreich so sehr, dass das Wurzelsystem leidet.

So entschloss man sich, das Unternehmen in alpinistischer Manier durchzuführen: Mittels englischer Seiltechnik - teils in der Luft schwebend, teils akrobatisch auf Ästen balancierend - drangen die Gärtner in alle Baumregionen vor, schnitten die abgestorbenen Äste ab und bekämpften den fortgeschrittenen Pilzbefall.

So haben die vor 600 Jahren von jenem dalmatinischen Bauern gepflanzten Platanen gute Chancen, auch künftige europäische Geschichte zu überleben.

Freitag, 13. April 2001

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