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Reisend und schmausend auf Bonapartes Spuren durchs Friaul

Kulinarische Strada Napoleonica

Von Günther Schatzdorfer

Die Geschichte ist reich an Irrtümern, von Lügen ganz zu schweigen. Wir haben irgendwann in der Schule gehört, dass es im Jahre 1797 zu einem Friedensvertrag zwischen Napoleon und Österreich gekommen ist. Mit ihm wurde die Lombardei Frankreich zugesprochen und Venedig fiel an Österreich, was das Ende der Republik der Serenissima besiegelte. Man hat uns gelehrt, dass dieser in Campoformio unterzeichnet worden sei. Daran stimmen zwei Fakten nicht: Campoformio hieß und heißt Campoformido. Und der Vertrag wurde 20 Kilometer entfernt in der Villa Manin in Passariano unterschrieben.

Napoleon hatte sich geweigert, der österreichischen Delegation entgegenzureisen. Fast zwei Monate lang wogten die Diskussionen. Schließlich begaben sich die Österreicher nach dieser wunderschönen Villa des letzten Dogen von Venedig, Lodovico Manin, in welcher der Korse Quartier bezogen hatte, und über die er sagte: "Dieses Haus ist zu groß für einen Grafen, aber zu klein für einen Kaiser!"

Hier beginnt die "Strada Napoleonica", welche über Palmanova und Gradisca bis nach Triest führt. Quer durch das flache Schwemmland zwischen Tagliamento und Isonzo wurde diese strategisch wichtige Straße gezogen, die ersten 30 Kilometer im wahrsten Sinne des Wortes schnurgerade. Kriegsgefangene, Österreicher wie Italiener, dazu französische Pioniere und Ingenieure schlugen Piloten in die Sümpfe, in porösen Schotter, begleitet von Moskitoschwärmen. Nebstbei diente dieser befahrbare Damm samt seinen Drainagen aber auch der Entwässerung und Fruchtbarmachung der Gegend. Und wie fruchtbar diese Gegend ist! Weingärten reihen sich an Obstplantagen. Endlose Maisfelder und neuerdings Sojapflanzungen. Und immer wieder Pappelwälder. Diese Bäume sind Bestandteil einer Wechselwirtschaft. Der Humus der Blätter und die Wurzeln lockern und düngen den Boden; das Holz wird für die Erzeugung von Obstkisten verwendet. So gibt eins das andere. Die mächtigen, alten Bauernhäuser und die neuen, ausladenden Bungalows zeugen vom Reichtum der Gegend.

Gedanke an Versailles

Die Villa Manin enstand Anfang des 18. Jahrhunderts in ihrer heutigen Form aus dem Landgut der gleichnamigen Familie, welches bereits Anfang des 16. Jahrhunderts urkundlich erwähnt ist. Bedeutende Künstler dieser Zeit statteten das Schloss und den wunderschönen Park mit Fresken und Statuen aus. Es ist unübersehbar, dass der Gedanke an Versailles dabei Pate gestanden hat. Die Villa beinhaltet heute ein Kongresszentrum, Ausstellungsräume sowie ein Kutschen- und Waffenmuseum. Im linken Seitentrakt befindet sich das elegante Restaurant "Al Doge", in welchem man dem Connaisseur in stilvollem Rahmen große Menüs und Spitzenweine des Friaul serviert.

Wer es eilig hat oder wer auf der Suche nach Möbelhandlungen und Sanitär-Supermärkten ist, der nimmt die "Napoleonica", die heutige Strada Statale 252. Wem es Vergnügen bereitet, über die Dörfer zu gondeln, nimmt die alte Landesstraße, welche sich parallel dazu über Bertiolo (mit einer sehenswerten Kirche von Palladio), Talmasons und Castions bis nach Palmanova schlängelt. Diese Route ist auch passionierten Radfahrern zu empfehlen. Es lohnt sich, da und dort Halt zu machen, eine der verschlafenen Bars aufzusuchen, um bei einem Cappucino oder einem Glas Wein und zwei Scheiben Prosciutto den alten Bauern beim Kartenspiel zuzusehen oder die eigenartige friulanische Sprache auf sich wirken zu lassen. Diese ist kein italienischer Dialekt, sondern entstand im Mittelalter aus lateinischen, langobardischen und slawischen Sprachen. Übrigens: ein Glas Weißwein heißt hier: "Un tajut blanc", und statt "Ciao!" sagt man: "Mandi!".

Auch Abstecher lohnen sich, sowohl für Naturliebhaber, Freunde der Fotografie als auch für Feinschmecker. Zweigt man zum Beispiel bei Castiòns rechts ab, gelangt man nach wenigen Kilometern nach Paradiso, ein Nest, welches aus wenigen, großteils verfallenden Gebäuden und einer venezianischen Renaissance-Villa aus dem 17. Jahrhundert besteht. Direkt an der Straße, in einem der renovierten Wirtschaftsgebäude, befindet sich eine der besten Trattorie des Friaul: "Al Paradiso". Wie die Tischdekoration ist auch die Küche saisonal konzipiert. Spargel, Pilze und hausgemachte paste werden serviert; die dolce sind ein Traum. Am besten liefert sich der Gast dem Wirt aus und überlässt ihm die Komposition des Menüs nach friulanischer Tradition.

Unterirdischer Kerker

Von hier aus fährt man nicht lange nach Palmanova, einer venezianischen Garnisonsstadt aus dem 16. Jahrhundert. Die neuneckige Festung galt zur Zeit ihrer Errichtung mit ihren Wällen, Gräben und Bastionen als uneinnehmbar. Doch die Ironie der Geschichte wollte es, dass weder die Türken noch die Österreicher jemals Palmanova angegriffen haben. Der endgültige Ausbau der Fortifikationen erfolgte unter Napolen im ersten Koalitionskrieg. Sehenswert ist der große Hauptplatz, von dem aus man die drei Stadttore sieht, welche die Stadt mit Udine, Cividale und Aquileia verbinden. In der Mitte befindet sich ein Monument, welches die meisten Touristen für einen Brunnen mit drei Öffnungen halten. In Wirklichkeit handelte es sich aber um einen unterirdischen Kerker, aus dem es kein Entrinnen gab.

Von hier aus fährt man zunächst Richtung Süden, biegt aber nach

1 Kilometer nach links ab und erreicht Aiello di Friuli, wo der Graf Formentini ein höchst bemerkenswertes Museum der bäuerlichen Kultur des 19. Jahrhunderts eingerichtet hat. Beeindruckend ist die Sammlung der Arbeitsgeräte aus Weinbau und Landwirtschaft bis hin zu den ersten dampfbetriebenen Dreschmaschinen, aber auch eine komplette Schulklasse aus der Zeit der Urgroßeltern ist zu besichtigen. In diesem alten Gutshof wähnt man sich in eine Szene des Films "1900" von Bertolucci zurückversetzt.

Erreicht man die Staatsstraße Nr. 351, fährt man etwa 5 Kilometer Richtung Gorizia nach Gradisca. Ebenfalls eine ehemalige Garnisonsstadt mit einer Festung am Ufer des Isonzo, hat sich der Ort das bezaubernde Flair einer österreichischen Provinzstadt des ausgehenden 19. Jahrhunderts bewahrt, auch wenn die Palazzi der Altstadt großteils in venezianischem Stil erbaut sind und im Stadtpark ein mächtiger Wehrturm steht, den Leonardo da Vinci konstruiert haben soll. Ursprünglich von den Venezianern errichtet, fiel der Ort schon im 16. Jahrhundert an Österreich, bei dem es mit zwei kurzen Unterbrechungen bis 1918 verblieb. Der Großteil der Einwohner pflegt noch heute die "Nostalgia", in den diversen Bars hängen Bilder von Franz Joseph und Sissi, und manche unter den Alten sprechen noch immer davon, dass Gradisca von den Italienern "usurpiert" worden sei.

Dem Weinfreund sei die "Enoteca Serenissima" empfohlen. Mitten in der Altstadt, in einem prächtigen Palazzo untergebracht, bietet sie eine reiche Auswahl an Kreszenzen aus den Anbaugebieten Isonzo und Collio, darunter von berühmten Produzenten wie Vescovo, Jerman und Felluga. Gradisca war auch für Napoleon ein wichtiger strategischer Ort.

Von hier aus marschierten seine Truppen Richtung Triest, um die Südflanke des österreichischen Heeres zu umgehen. Dafür ließ er auch von hier aus eine Straße anlegen. Sie führt über Redipuglia (wo man die bombastischen mussolinischen Kriegerdenkmäler besichtigen kann) über Ronchi de i Legionari und Monfalcone zum Meer, welches sie bei San Giovanni di Duino erreicht. Dort entspringt der mystische Fluss Timavo, welcher der Sage nach Jason und seine Argonauten samt dem Goldenen Vlies wieder von der Donau zurück in die Adria gespült hat. Hier stand einst auch ein illyrischer Tempel, hier steht eine der ältesten Kirchen der Region. Woher das Wasser des Flusses tatsächlich kommt, weiß man bis heute nicht. Man nimmt an, dass im Karst zahlreiche Oberflächengewässer im porösen Kalkgestein versiegen und hier in Flussesbreite aus dem Felsen und unterirdischen Quellen sprudeln, um nur 1 Kilometer weiter ins Meer zu münden.

Umweit von hier liegt Duino, wo Rilke mit der Niederschrift seiner Elegien begann. Sein Schloss war bis vor kurzem das älteste ständig bewohnte in Europa. Sein Besitzer, Principe Carlo von Thurn und Taxis, hat vor zwei Jahren keine Möglichkeiten mehr gesehen, es zu erhalten. Möbel und Kunstgegenstände wurden versteigert. Das Schloss selbst steht zum Verkauf. Für umgerechnet 120 Millionen Schilling wäre es zu haben. Der italienische Staat will es erwerben, hat aber Probleme mit der Finanzierung. Nun ist zu befürchten, dass das Gebäude, in dem nicht nur Rilke, sondern auch Hofmannsthal, Liszt und Dante Alighieri zu Gast gewesen sind, langsam verfällt.

Die "Napoleonica" führt von hier aus weiter nach Triest. Man nimmt ab Sistiana - dem einst mondänen und heute unbedeutenden Badeort - nicht die Küstenstraße, sondern fährt geradeaus weiter durch den Karst. Dabei passiert man die Steinbrüche von Aurisina, die seit der Römerzeit in Betrieb sind, und mit deren grauem Marmor auch einige venezianische Paläste erbaut wurden. Aber auch die Bauernhöfe der Gegend sind mit demselben Material errichtet; die alten, sehenswerten Häuser sind teilweise mit Steinschindeln gedeckt. In den Dörfern links der Straße laden Buschenschänken zum Verweilen ein. Sie heißen hier "Osmizze" und laben den Reisenden mit Salame, Prosciutto, Käse und vor allem mit dem erdigen, eisenhaltigen Rotwein "Terrano".

Mit der Tram zur Trattoria

Man passiert Santa Croce und gelangt nach Prosecco. Hier verlässt man die Landstraße und fährt geradeaus zur scheußlichsten Wallfahrtskirche der Welt, nämlich jener von Monte Grisa: ein gigantischer, trapezförmiger Betonklotz aus den 60er-Jahren dominiert die Steilküste. Hier endet aber auch der befahrbare Teil der "Napoleonica". Weiter geht es nur mit gutem Schuhwerk, und unter der Voraussetzung, dass man trittsicher und schwindelfrei ist. Denn die alte Heerstraße verliert sich in Wald und Gestein. Ein Weg ist übrig geblieben, durchschneidet die steilen Felsen des Karstes unterhalb des Monte Gurca, knapp 300 Höhenmeter oberhalb der Bademeile von Barcola. Nach ein paar Kilometern gelangt man wieder in die Zivilisation, und zwar beim Obelisken von Opicina, der daran erinnert, dass Triest zweimal von französischen Truppen besetzt und von 1809 bis 1814 Teil der illyrischen Provinzen Frankreichs war.

Ab hier ist es müßig, die Spuren der Straße Bonapartes zu suchen. Sie verliert sich im Weichbild der Stadt. Um ins Zentrum zu gelangen, nimmt man am besten die "Tram", eine weltweit einzigartige Mischung aus Straßen- und Zahnradbahn, und rattert - streckenweise im Schritttempo - hinunter bis zur Piazza Oberdan. Die Tram ist in jeder Hinsicht museumsreif, war wiederholt mangels Rentabilität von Einstellung bedroht und verdankt ihr Überleben letztlich nur den militanten Romantikern, die, von den harten Holzbänken aus, den sich immer wieder aus neuen Perspektiven öffnenden Blick auf den Golf von Triest genießen.

Unweit der Endstation, in der Via Carducci, findet man einen Ort, um die Recherche auf Napoleons Spuren auch kulinarisch würdig zu beschließen: die Trattoria "Bagutta Triestino", eines der letzten erhaltenen Alt-Triestiner Lokale. Ein Vorfahre des heutigen Wirtes Maurizio kam mit den französischen Truppen hierher, heiratete eine Triestinerin - und blieb.

Freitag, 26. Jänner 2001

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