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Heribert Illig und Karl Brunner streiten über eine brisante Frage

Karl der Große - eine Fiktion ?

Von Markus Vorzellner

Der Systemtheoretiker Heribert Illig hat eine These aufgestellt, die in der kürzestmöglichen Form besagt, dass die Jahre zwischen 614 und 911 als fiktiv anzusehen sind. Die Fiktivität dieser Zeitspanne bringt auch mit sich, dass zahlreiche historische Persönlichkeiten als erfunden angesehen werden müssen, allen voran eine Zentralfigur der abendländischen Geschichte, Karl der Große.

Die gegenwärtige Faktenlage ist durchaus imstande, wiewohl ohne definitive Beweiskraft, Illigs These zu stärken: Zu groß sind die Diskrepanzen in der offiziellen Geschichtsforschung, zu offensichtlich sind obendrein die einzelnen, oftmals als unzusammenhängende Zufälle klassifizierten eschatologischen Komponenten, welche die Heilserwartungen bereits der frühen Patristik prägen. So setzt etwa Iulius Africanus in seinen "Chronographiai" die sieben Tage der Schöpfung, analog dem Satz "Vor Gott sind 1000 Jahre wie ein Tag" den sieben Welttagen zu je tausend Jahren gleich. Die Geburt Christi fällt dabei in die Mitte des sechsten Tages, also in das Jahr 5500 nach Schöpfungsbeginn.

Nach dieser Rechnung würde 500 Jahre später das siebente Weltzeitalter anbrechen. Da aber anno 500 n. Chr. das erwartete Heilsgeschehen ausgeblieben ist, verlegt der "Computus Paschalis" 727 die Geburt Christi auf das Jahr 5200 nach Schöpfungsbeginn vor. Damit aber fällt der Anbruch des neuen Weltzeitalters exakt in das Jahr 800 n. Chr., in welchem Karl durch seine Krönung in Rom die Grundlagen für die weitere Entwicklung der abendländischen Geschichte gelegt haben soll.

Die konkrete Spanne der fiktiven Zeit wird obendrein durch die Gregorianische Kalenderreform von 1582 bestärkt. Gregor XIII. hatte den Julianischen Kalender dahingehend modifiziert, dass er die astronomisch überhängenden Tage ab der julianischen Reform korrigierte. In 128 Jahren steht der Julianische Kalender genau um einen Tag hinter dem astronomischen Jahreslauf.

Die Zeit zwischen den beiden Kalenderreformen beträgt 1582+45, also 1.627 Jahre, da die julianische 45 v. Chr. stattfand. In dieser Jahresspanne sind die entscheidenden 128 Jahre 12,7 Mal enthalten. Korrigiert wurden von Gregor jedoch nur zehn Tage. Die fehlenden 2,7 Tage entsprechen 347 Jahren, die Illigsche Phantomzeit beträgt 297!

Was aber bringt Illig, abseits kalendarischer und apokalyptischer Rechenaufgaben dazu, von Unzulänglichkeiten der Quellenlage zu sprechen? Zum einen widersprechen die schriftlichen Zeugnisse zu einem beträchtlichen Teil den nicht-schriftlichen, insbesondere den archäologischen und numismatischen Befunden. Aber auch innerhalb der schriftlichen Quellen ist das kontradiktorische Element groß.

So ist Karls Alleinherrschaft ab 771 keinesfalls durch Gesetze legitimiert, da das fränkische Recht den Witwen verstorbener Herrscher Vorrang hinsichtlich der Souveränität einräumt; so ist das von Karl eingeführte Bestattungsverbot innerhalb des Kirchenraumes durch seine eigene Bestattung im Aachener Dom ad absurdum geführt; so weisen die nach dem 24. 12. 800 ausgestellten Urkunden nicht zur Gänze den Kaisertitel auf. usw.

Trotz dieser Beweislage wird Illig sich die Frage gefallen lassen müssen, wie ein solch gigantomanisches Fälschungswerk, das größte der abendländischen Geschichte, praktisch durchführbar gewesen sein konnte. Die Frage nach der totalen, übergreifenden Vernetzung dieses Fiktionierungsvorgangs ist wohl der Punkt, der Illigs These ihrerseits am ehesten in die Nähe der Fiktionalität rücken könnte.

An einem fatalen Datum, Freitag, den 13. Oktober 2000, wird Heribert Illig Prof. Karl Brunner vom Institut für österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien gegenübersitzen. Brunner, ein führender Vertreter der offiziellen Mediävistik, antwortet erfreulicherweise auf die Thesen Illigs nicht durch Missachtung, sondern, wie er in einem Interview mit "profil" betont, durch Anerkennung der Impulse, die die provokanten Fragestellungen Illigs hervorrufen konnten.

Es darf apodiktisch vorweggenommen werden, dass auch diese, für Österreich als seltene Besonderheit zu bezeichnende Diskussion keine endgültige Klärung der Frage des "fiktiven" Zeitalters bringen wird können. Trotzdem muss die Frage in den Raum gestellt werden, ob die Faszination Karls durch dessen historische Entmaterialisierung verringert werden kann. Die Tradition der Rezeption und Sagenüberwucherung der Gestalt Karls des Großen hat gezeigt, dass ihm eben durch die aufgezeigte Widersprüchlichkeit eine Aura eignet, die uns bei anderen historischen Persönlichkeiten nicht in dem Maß begegnet. Auf die über ein Jahrtausend andauernde Rezeptionsgeschichte bezogen, erscheint die angebliche Fiktionalität des Zeitraumes völlig irrelevant.

Karl der Fiktive - Diskussion zwischen Heribert Illig und Karl Brunner, Volkshochschule Rudolfsheim-Fünfhaus, 1150 Wien, Schwendergasse 41.

Freitag, 13. Oktober 2000

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