Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

La Commune -ein blutiges Kapitel französischer Geschichte

Der Sturm auf die Barrikaden

Von Richard Wall

La Commune photographiée und LCourbet et la Commune: Zwei Pariser Ausstellungen erinnerten im Frühling dieses Jahres an das radikalste politische und soziale Projekt der Bewohner der französischen Hauptstadt. Genau 129 Jahre nach den aufregenden Wochen der LLCommune de Paris und deren Niederschlagung durch die eigenen Landsleute, die sogenannten Versailler Truppen, wurden wesentliche Aspekte der Commune über das dokumentarische Potential der Fotografie und die Biografie Gustav Courbets wieder lebendig, aktualisiert und nicht zuletzt von Mythos und plakativen Verkürzungen befreit.

Die frühe Fotografie sowie deren manipulatorischen Möglichkeiten einerseits und das öffentliche, genau recherchierte Leben eines Künstlers in diesen Monaten andererseits ermöglichen einen direkten Zugang zu dieser aus dem 2. Kaiserreich und dem Fiasko des französisch-preußischen Krieges entstandenen revolutionären Situation.

Die Commune als "Live-Film"

Rechtzeitig zu Beginn der Ausstellung wurde auch ein außergewöhnlicher Film zu diesem Ereignis fertig - außergewöhnlich bezüglich seiner Form und seiner Länge von 5 Stunden und 45 Minuten. In seinem als Koproduktion des Senders "La Sept-Arte", des Musée d'Orsay und der in Marseille ansässigen "13 Production" entstandenen Film "La Commune" geht der britische Regisseur Peter Watkins über die historische Situation hinaus. Er filmte die Tage der Commune, hauptsächlich mit Laiendarstellern, als handle es sich um Direktübertragungen im Fernsehen. So wie seine früheren Filme bedeutet auch "La Commune" (nach eigenen Angaben wahrscheinlich seine letzte Arbeit) für ihn eine Möglichkeit, sich gegen die "Enthirnungsmaschinerie" gegenwärtiger und gängiger Unterhaltungsfilme zu wehren. Um das "Einheitsdenken" zu untermauern, sei das "Einheitsbild" geschaffen worden. Ein antidemokratisches Bild, so Peter Watkins, in dem das Publikum nicht aus vielen komplexen Individuen besteht, sondern aus einem einzigen großen Menschenblock, der für Werbeleute und Programmmacher das ideale Ziel abgibt.

Global gesehen sind die gegenwärtigen, durch Kolonialismus, Imperialismus und Neoliberalismus begründeten Unterschiede und Widersprüche nicht geringer als seinerzeit jene zwischen den hungernden Arbeitermassen auf der einen und der Aristokratie und Bourgeoisie auf der anderen Seite. Die Lage, in der sich 1871 die Kommunarden befanden, ist nicht nur mit jener von marginalisierten Gruppen in Europa oder den USA und Völkern der sogenannten Dritten Welt vergleichbar (als Beispiel seien hier nur die Aufständischen von Chiapas, die Zapatistische Befreiungsarmee, genannt). Die Trennlinien laufen heute (wieder) durch jedes Land, durch jeden Staat, durch jede Großstadt . . .

Fotos klagen an

Die Fotoausstellung vereinte alle in Zusammenhang mit der Commune und deren Niederschlagung entstandenen Lichtbilder und stereoskopischen Fotos verschiedenster (darunter auch anonymer) Autoren. Etwa ein Dutzend Aufnahmen stammten von Bruno Braquehais. Er porträtierte die Föderierten, die für ihn mehr oder weniger martialisch auf den Barrikaden posierten, begleitete mit seiner Kamera den Barrikadenbau an diversen strategischen Orten wie der Porte Maillot und die Vorbereitungen zum Sturz der Vendôme-Säule am 16. Mai - und dokumentierte die Situation auf der Place Vendôme nach 17.30 Uhr, als die Säule mitsamt der Statue des verhassten Napoleon I. in Richtung rue de la Paix (!) zu Boden krachte.

Braquehais, der die Anstrengungen der Revolution in einer Mischung aus Faszination und Sympathie mit seiner Kamera begleitete, gilt als der Fotograf der Commune; er machte 1873 Bankrott, kam ins Gefängnis und starb am 13. Februar 1875, wenige Tage nach seiner Freilassung (sein Ende erinnert an jenes von Courbet).

In der Ausstellung fehlten auch nicht jene Aufnahmen, die in keiner Dokumentation über die Commune fehlen: Reihen erschossener, teilweise abscheulich zugerichteter Aufständischer in rohgezimmerten Särgen - Bilder, die dem Fotografen Eugène Disdéri zugeschrieben werden. Seine Autorenschaft jedoch konnte bis heute nicht eindeutig nachgewiesen werden.

Der damalige Stand der Fotografie ließ nur Aufnahmen mit sekundenlanger Belichtungszeit zu, die Verwendung eines Stativs war Voraussetzung, schnelle Schnappschüsse inmitten von Kampfhandlungen à la Robert Capa konnten damals noch nicht entstehen.

Dieser gemächlichen Art des Fotografierens kam das Dokumentieren der Schäden nach der sogenannten Semaine sanglante ("Blutwoche", 22. bis 28. Mai) entgegen. Brände und Geschütze hatten ganze Arbeit geleistet: das Hotel de Ville, Sitz des Rates der Commune, zerbombt und vollständig ausgebrannt; total zerstört auch das Theater an der Porte Saint-Martin, das Arsenal, der Justizpalast, die Kapelle der Tuilerien, der Pont d'Argenteuil über die Seine und ganze Häuserzüge (wie beispielsweise in der rue du Bac). J. Andrieu fasste 21 solche "Katastrophenbilder" zu einer Serie mit dem Titel Désastres de la guerre zusammen (den Titel dürfte er sich von Goya entlehnt haben). Diese Fotos lassen erahnen, wie gnadenlos und rücksichtslos der Kampf, dessen Ausgang aufgrund der Übermacht und besseren Bewaffnung der Versailler Truppen vorhersehbar war, ausgetragen wurde.

Zu diesen dokumentarisch einwandfreien Fotos stehen im Gegensatz jene Lichtbildnereien, die nach der "Blutwoche" angefertigt wurden, um die Crimes de la Commune, so der übergeordnete Titel dieser Sequenz, propagandistisch auszuschlachten. Fotomontagen, die belegen sollten, dass und wie die Commune reihenweise Geiseln und Kleriker (z. B. die Dominikaner von Arcueil) exekutierte (tatsächlich kam es ab 23. Mai zu Geiselerschießungen als Reaktion auf die Massenerschießungen von gefangenen Föderierten durch die Versailler). Der Autor dieser Fotos, Ernest Eugène Appert, der pro Versaille eingestellt war, realisierte auch die Porträts der Kommunarden im Gefängnis von Versailles.

Propaganda-Fotomontagen

Apperts Fotomontagen und Alben mit den Porträts der Gefangenen wurden als Propaganda- bzw. Belastungsmaterial von den Siegern eingesetzt und publiziert, um die gnadenlose Verfolgung der Kommunarden zu rechtfertigen: Die rund 20.000 (neueste Forschungen korrigieren die Zahl nach oben und nennen die Zahl 25.000) gefallenen und durch Massenerschießungen hingerichteten Pariser waren den Siegern nicht genug. Das Volk sollte sehen und endlich begreifen, dass ihm nicht zustehe, ungestraft die gottgewollte Ordnung auf den Kopf zu stellen.

Die Versailler verhafteten 43.522 Personen; 24 Kriegsgerichte tagten vier Jahre lang und verhängten Urteile über 34.952 Männer, 819 Frauen und 538 Kinder; etwa 3.000 ehemalige Kommunarden wurden nach Neukaledonien deportiert.

Fotomontagen nicht in künstlerischer Absicht, sondern für einen rein politischen, ja kriminellen Zweck - die gab es, wie Apperts Fotomontagen beweisen, auch schon 1871. Die dem neuen Abbildungsverfahren zugeschriebene Objektivität wurde also schon damals missbraucht - lange vor Stalin und lange vor den Manipulationen mittels nahtlos ineinandergefügter Bilderwelten digitalisierter Provenienz.

Ein revolutionärer Maler

Gustav Courbets Einsatz für die Commune und die künstlerischen wie persönlichen Folgen dieses tapferen Engagements wurden in einer anderen Ausstellung penibel nachvollzogen. 1870 ist der 1819 im französischen Jura geborene Maler nach größten Anfangsschwierigkeiten am Zenit seines Ruhms; sieben Jahre später stirbt er, vom offiziellen Frankreich verstoßen, im Exil.

Amtliche Dokumente, Briefe und Zeitungsartikel des Malers sowie Karikaturen (meist böswillige, seine Lage nach den Tagen der Commune hämisch kommentierende) und eine Reihe von Porträts, Skizzen und Stillleben waren die Ingredienzen, die, ausführlich und gewissenhaft kommentiert und mit Zeittafeln versehen, eine noch nie dagewesene, anschauliche Darstellung von Courbets politischen Engagement erreichten - vom Delegierten des 6. Arrondissements in den Rat der Commune über seine Präsidentschaft bei der Föderation der Künstler von Paris -, bis zum Gefangenen und zu einer Strafe von 323.091 Francs verurteilten Kriminellen.

Dass ihm der Sturz der Vendôme-Säule zugeschrieben wird, ist allgemein bekannt.

Direkt beteiligt war er nicht, allerdings hatte er schon am 18. September 1870 in einer Denkschrift an die Mitglieder der "Regierung der nationalen Verteidigung" (Septemberrepublik, von Kritikern "Regierung des nationalen Verrats" genannt) den Sturz der Säule - Symbol des Napoleonismus par excellence - gefordert.

Er, der "Verhässlicher der Menschheit", der in großen Lettern VÉRITÉ über den Eingang jener Baracke geschrieben hatte, in der er seine, mit höchst sinnlicher Präsenz gemalten, aufrührerischen Gemälde einer entsetzten Öffentlichkeit präsentierte, lehnte, endlich anerkannt, am 23. Juni 1870 in einem offenen Brief an Maurice Richard, Minister für Literatur, Wissenschaft und Kunst, die Auszeichnung "Ritter der Ehrenlegion" ab:

"Zu keiner Zeit, in keinem Fall, aus keinem Grunde hätte ich sie angenommen. Noch weniger würde ich es heute tun, wo der Verrat sich von allen Seiten mehrt und das menschliche Gewissen über so viel eigennützige Gesinnungslosigkeit betrübt sein muss . . . Mein künstlerisches Gewissen sträubt sich nicht weniger dagegen, eine Belohnung anzunehmen, die mir von der Hand der Regierung aufgedrängt wird. Der Staat ist in Kunstfragen nicht kompetent. (. . .)"

Courbet, auch wenn er feist war und dekadent aussah, attackierte die Dekadenz in einer brüchig gewordenen Welt, er tat nicht so, als sei alles in bester Ordnung, als komme es nur darauf an, in gesetzter und gesitteter Form und als Berühmtheit weiterzuleben und weiterzuarbeiten.

Courbet kritisierte die Regierung Napoleon III. und den Krieg gegen Preußen; die sogenannte Septemberrepublik war für ihn (wie für Tausende andere, die sich von Thiers und Trochu betrogen fühlten) ein Etikettenschwindel, und so engagierte er sich selbstlos für die Commune - in einem Ausmaß, das ihn nicht nur von der künstlerischen Arbeit abhielt, sondern ihn das Leben gekostet hätte, wenn er sich nicht bei seinem Freund, dem Instrumentenbauer A. Lecomte, in der rue Saint-Gilles verstecken hätte können, am 28. Mai, als der Widerstand gegen die Truppen der Versailler unter Mac-Mahon vollständig zusammenbrach und die letzten 147 Kämpfer der Commune, in die Enge getrieben, im östlichsten Winkel des Friedhofs Père Lachaise erschossen wurden.

10 Tage später wird er in der Wohnung seines Freundes aufgegriffen und verhaftet, sein Atelier in der rue Hautefeuille 32 war schon am 2. Juni durchsucht und amtlich versiegelt worden.

Er wird auf der Polizeipräfektur verhört, am 19. Juni nach Versailles und am 30. desselben Monats ins Gefängnis Mazas nach Paris gebracht. Am 14. August folgt ein weiteres Verhör, diesmal vor dem Kriegsgericht. Am 2. September Verlautbarung des Urteils: Sechs Monate Gefängnis und 500 Francs Strafe.

Späte Rache des Staates

Courbet wird zur Abbüßung seiner Haft ins Gefängnis von Sainte-Pélagie überstellt, wo er die Arbeit an einem Selbstporträt beginnt.

1873, nachdem ihm das französische Auswahlkomitee die Teilnahme an der internationalen Kunstausstellung in Wien verweigert hatte, holt ihn die Vergangenheit in einem ungeheuren Ausmaß noch einmal ein:

Die Vendôme-Säule soll wieder errichtet werden, mit der restaurierten Statue Napoleons, und Courbet solle für einen Teil der Kosten aufkommen; am 19. Juni veranlasst der Finanzminister Pierre Magne die Beschlagnahmung sämtlicher Eigentümer Courbets; dieser verlässt Frankreich am 22. Juli fluchtartig in Richtung Schweiz und lässt sich in La Tour-de-Peilz am Genfer See nieder.

Am 19. Juni eröffnet das Tribunal civil de la Seine den Prozess gegen ihn, und am 26. Juni wird er dazu verurteilt, dass er für sämtliche Kosten (!) der Wiedererrichtung der Vendôme-Säule aufzukommen habe . . .

Alle Einwände und Anfechtungen helfen ihm nicht. Das Urteil wird bekräftigt und am 4. Mai 1877 wird die Summe festgesetzt: Er habe 33 Raten zu je 10.000 Francs bis zum 1. Jänner 1878 zu entrichten.

Freitag, 11. August 2000

Aktuell

Die Mutter aller Schaffenskraft
Wenn Eros uns den Kopf verdreht – Über Wesen und Philosophie der Leidenschaft
Schokolade für die Toten
In Mexiko ist Allerseelen ein Familienfest – auch auf dem Friedhof
Gefangen im Netz der Liebe
Das Internet als Kupplerin für Wünsche aller Art – Ein Streifzug durch Online-Angebote

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum